IP

02. März 2018

„Reformen wirken“

Wie Spanien den Weg aus der Krise gefunden hat

Nach der Finanzkrise 2008 rutschte Spanien in eine tiefe Rezession. Doch nach harten Einschnitten gelang allmählich die Wende. Zuletzt wuchs die spanische Ökonomie mit 3 Prozent überdurchschnittlich stark – und das Land kann auf Wachstumskurs bleiben, sagt Antonio Cortina, Vizechefökonom der Banco Santander. Wenn der Reformschwung nicht erlahmt.

IP: Herr Cortina, wie ist Spanien aus der Krise gekommen?
Antonio Cortina: Als das Land 2008 wie alle anderen auch in die Rezession rutschte, war es ein Sonderfall – die Immobilienblase und die hohe Zahl fauler Kredite, die hohe Verschuldung bei Unternehmen und Privathaushalten und der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit durch die Euro-Einführung in den Jahren zuvor sorgten dafür, dass die Krise in Spanien viel tiefgreifender war als anderswo. Und während beispielsweise der BIP-Rückgang prozentual in Deutschland und Spanien ähnlich groß war, stieg die Arbeitslosigkeit in Deutschland um gut 2 Prozent, in Spanien dagegen um 10 Prozent; der spanische Arbeitsmarkt war wirklich ausgesprochen schwach, sehr verkrustet.

Dann war das Krisenmanagement zunächst das falsche – die Krise wurde zunächst als zyklische, nicht als strukturelle gesehen. Dann erlebte die Wirtschaft eine Reihe externer Schocks; hinzu kamen die Vorgaben der Euro-Zone, zur Fiskalpolitik und zur Rekapitalisierung der Banken. All das führte dazu, dass die Rezession tiefer ausfiel und länger andauerte als im übrigen Europa. Nun ist die spanische Wirtschaft in den vergangenen drei Jahren um jeweils 3 Prozent gewachsen, auch 2018 wird das Wachstum wohl irgendwo zwischen 2,5 und 3 Prozent liegen. Das hat mit einer Reihe von Reformen zu tun – und der Rolle der Europäischen Union.

IP: Welchen Anteil hatte die EU?
Cortina: Es hat etwas gedauert, bis die EU wirklich aktiv wurde; und die Bankenunion ist weiterhin nicht umgesetzt. Aber wir haben wichtige Schritte gesehen und Unterstützung für die strukturellen Reformen auf nationaler Ebene. Vor allem hat die EU eine wichtige Rolle gespielt, was die Ausgabendisziplin angeht. Natürlich ist unser Haushaltsdefizit mit etwa 3 Prozent des BIP auch heute noch hoch; 2012 aber lag es bei 10 Prozent des BIP. Mittlerweile haben wir Vorschriften zur Haushaltsdisziplin verankert, auch in der spanischen Verfassung, die schärfer sind als der europäische Durchschnitt; so ging etwa Schuldendienst vor Sozialausgaben. Wichtig waren aber auch die Arbeitsmarktreformen; der spanische Arbeitsmarkt war lange aufgrund der Gewerkschaftsmacht gelähmt, Unternehmen mussten schließen. Nun hat sich die Machtbalance zwischen Arbeitsgebern und Gewerkschaften geändert, und die Folge ist mehr Beschäftigung, allerdings auf Kosten der Löhne und Gehälter, die bisalng nicht sonderlich gestiegen sind.

Insgesamt gibt es noch viel aufzuholen, vor allem, was die internationale Wettbewerbsfähigkeit angeht. Noch zwei weitere Faktoren waren besonders wichtig – der Anteil des Exports am BIP ist von 27 Prozent vor der Krise auf 35 Prozent geklettert. Und bei den Banken gab es eine tiefgreifende Konsolidierung; die Anzahl fauler Kredite wurde deutlich reduziert, die Kapitalisierung der Banken ist besser.

IP: Lässt sich das auf den Nenner bringen „Spar­politik wirkt“?
Cortina: Ich würde eher sagen „Reformen wirken“.

IP: Wobei die Reformen ja gerade bei der Beschäftigung nur bedingt gegriffen haben. Spaniens Arbeitslosenquote rangierte zuletzt bei 18 Prozent, bei den Jüngeren sogar knapp unter 40 Prozent. Und die Ungleichheit wächst …
Cortina: Ende 2017 ist die allgemeine Quote auf 16,4 Prozent gesunken – immer noch hoch, zugegeben, aber die Beschäftigung hat stark zugelegt. In den vergangenen drei Jahren sind 1,5 Millionen neue Jobs entstanden, und die Arbeitslosenquote ist seit 2010 um 10 Prozentpunkte zurückgegangen. Also, es wird besser, und viel mehr kann man über einen Zeitraum von drei Jahren realistischer Weise auch nicht erwarten. In ein paar Jahren wird die Quote hoffentlich auf 12 Prozent absinken, was auch an rückläufiger Einwanderung liegt.

Aber richtig ist auch, dass weitere Strukturreformen nötig sind; und wir brauchen eine aktivere Arbeitsmarktpolitik. Es gibt zum Beispiel zu viele Beschäftigte mit Zeitverträgen; es mindert die Produktivität, wenn man als Angestellter nicht weiß, ob man noch allzu lange bei einer bestimmten Firma ist, und die Firmen haben kein großes Interesse, in ihre Mitarbeiter zu investieren. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit ist ein Problem, das wir angehen müssen. Allerdings führen die Zahlen ein bisschen in die Irre, weil die meisten unter 25 Jahren studieren. Und ja, es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen hoher Arbeitslosigkeit und Ungleichheit, aber nur auf das Einkommensniveau zu schauen, ist ebenfalls irreführend, denn die Wohneigentumsquote in Spanien ist sehr hoch. 85 Prozent der Menschen leben im Eigenheim und müssen keine Miete zahlen. Das wirkt Ungleichheit entgegen.

IP: Wo weicht Spanien noch von anderen europäischen Ländern ab?
Cortina: Wir liegen ziemlich weit hinten, was die Produktivität angeht. Im Durchschnitt schneiden unsere kleinen und mittleren Unternehmen (SME) ähnlich ab wie etwa die deutschen, aber unsere SMEs sind sehr viel kleiner als im übrigen Europa, weniger weltoffen, weniger internationalisiert; wir müssen uns also darauf konzentrieren, dass diese Firmen wachsen. Und was die hohe Staatsverschuldung angeht – sie liegt bei 100 Prozent des BIP –, da brauchen wir eine weitere Konsolidierung der öffentlichen Hand, gerade auch auf regionaler Ebene. Wir könnten den Regionalregierungen mehr Verantwortung übertragen und die Befugnis, eigene Steuern zu erheben. Bei laxer Ausgabendisziplin haftet bislang immer die Zentralregierung.

IP: Ein anderes Manko ist die eher unterentwickelte Start-up-Branche.
Cortina: Spanische Start-ups werden besser, aber da ist in der Tat noch viel Luft nach oben. Der Risikokapitalmarkt ist bei uns einfach nicht so entwickelt wie beispielsweise in den angelsächsischen Ländern. Aber da gehen die Dinge in jüngster Zeit in die richtige Richtung.

IP: Welche Rolle hat die Konsolidierung des spanischen Bankensektors gespielt?
Cortina: Die Profitabilität der Banken in Spanien ist heute höher als im sonstigen Europa; sie liegt über den Kapitalkosten, was man für die meisten europäischen Länder nicht sagen kann, und faule Kredite wurden deutlich reduziert. Weitere Konsolidierung kann es nun aber nur noch auf europäischer Ebene geben. Dazu wiederum werden wir eine echte Bankenunion brauchen. Was das internationale Finanzgeschäft angeht, gibt es in Spanien einige große Banken, die darin erfolgreich sind. Wir bei Santander mussten in den Krisenjahren nicht einen einzigen Quartalsverlust schreiben, weil wir international so diversifiziert und sehr stark in vielen Schwellenmärkten engagiert sind. Auch Banco Sabadell und Caixa sind außerhalb Spaniens erfolgreich, beispielsweise in Großbritannien.

IP: Welche Rolle hat die Internationalisierung der spanischen Wirtschaft insgesamt für die Erholung gespielt?
Cortina: Eine wichtige. Vor 15, 20 Jahren hatten wir kaum internationale Unternehmen; nun gibt es nicht nur internationale Banken, sondern auch Telekommunikationsunternehmen oder solche der Energie- und Infrastrukturbranche. Das hat die Wirtschaft stabilisiert, und die steigenden Exporte haben ihr Übriges getan. In weiteren Exportsteigerungen liegt auch die Zukunft. Natürlich spielen auch Binnennachfrage und Investitionen eine Rolle, aber wir sollten den Exportüberschuss in den kommenden Jahren halten und ausbauen. Das ist das eigentlich Neue – dass es Spanien erstmals in Jahrzehnten gelungen ist, bei einem Wachstum von um die 3 Prozent eine positive Leistungsbilanz zu halten und das Defizit zurückzufahren. In diese Richtung muss es weitergehen. Das ist den Reformen zu verdanken, aber auch der Tatsache, dass Unternehmen und Gewerkschaften sich darauf verständigt haben, Beschäftigung einer Lohnsteigerung vorzuziehen. Das hat die Erholung untermauert.

IP: Wäre das spanische Erfolgsrezept auch eines für andere südeuropäische ­Länder?
Cortina: Nur bedingt. Im Fall Italiens ist es so, dass die Wirtschaft schon lange nur noch um 1 Prozent gewachsen ist, nicht erst seit der globalen Finanzkrise 2008. Da läuft also schon länger etwas schief. Für Griechenland könnte Spanien ein Beispiel sein, aber die Griechen steckten noch viel tiefer in der Krise, die vor allem die Staatsfinanzen und den Staatsapparat betraf, nicht aber Teile des Bankensektors wie in Spanien.

IP: Wie nachhaltig ist Spaniens Aufschwung?
Cortina: Wir profitieren zum Teil von einer zyklischen Entwicklung, und die meisten Experten erwarten noch ein, zwei Jahre ein Wachstum um die 3 Prozent. Danach wird es aber auf unter 2 Prozent absinken. Deshalb brauchen wir wieder mehr Reformschwung, der ist uns ein bisschen abhanden gekommen. Mit einer starken Regierung – vielleicht einer Koalitionsregierung – könnte das gelingen. Keine Frage, wir brauchen weitere Reformen.

Die Fragen stellten Henning Hoff und Joachim Staron.

Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 1, März - Juni 2018, S. 12 - 15

Teilen