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01. Febr. 2005

Reformen? Ja bitte!

Werkstatt Deutschland

Je besser die Bürger informiert werden, desto mehr sind sie für Modernisierung

Im Hochsommer 2004 rollte eine Protestwelle gegen Hartz IV über das Land. Damals wurde gemutmaßt, dass sich dieser Protest zur Keimzelle für eine Partei links von der SPD verdichten könne. Einige, wie der Mainzer Politikwissenschaftler Jürgen Falter, schätzten das Potenzial eines solchen Linksbündnisses sogar auf 15 Prozent. Und Politrentner wie Oskar Lafontaine versuchten, den Aufruhr für ein politisches Comeback zu nutzen.

Doch Anfang 2005 ist bei der Umsetzung der unter der Chiffre Hartz IV gebündelten Arbeitsmarktreform von all dem nur noch wenig zu spüren. Die Protestwelle ist weitgehend verebbt. Das neue linke Bündnis, das zum Sturm auf die Parlamente ansetzen wollte, ist zu einer Ansammlung meist stadtbekannter Querulanten in Hinterzimmern geschrumpft. Und Oskar Lafontaine muss ziemlich isoliert weiter im saarländischen Schmollwinkel verharren.

Die SPD hat sich zu Beginn des Jahres 2005 nicht nur aus ihrem extremen Tief vom Sommer letzten Jahres wieder herausgearbeitet, sie liegt sogar nur noch wenige Punkte hinter der Union zurück. Für die größere der beiden Regierungsparteien ist dies, wie die bisherige Wahlgeschichte der Bundesrepublik zeigt, keine allzu schlechte Ausgangslage für die Bundestagswahl 2006. Kanzler Schröder, der 2004 noch als Buhmann für die Protestler herhalten musste, erfreut sich wieder recht großer Zustimmung und liegt bei der Kanzlerpräferenz weit vor Angela Merkel, der vermutlich nächsten Kanzlerkandidatin der Union.

Wie konnte es zu diesem Umschwung der politischen Stimmung innerhalb eines halben Jahres kommen? Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass sich die Proteste des letzten Sommers nicht in erster Linie gegen die konkret geplanten einzelnen Reformvorhaben auf dem Arbeitsmarkt richteten. Sie waren vielmehr Ausdruck eines allgemeinen, diffusen Unmuts. Das nicht sehr glücklich gewählte Kürzel Hartz IV war zu einem negativen Symbol geworden, an dem sich dieser generelle Unmut festmachen konnte. Bei den Ostdeutschen war es das Gefühl, von „denen da oben“ wieder einmal im Stich gelassen worden zu sein oder die Furcht, dass die „Wessis“ sie ein weiteres Mal über den Tisch ziehen wollten. Hinzu kam ein genereller Verdruss über die gesellschaftlichen Verhältnisse und die eigene Lage. Viele Ostdeutsche fühlen sich nach wie vor subjektiv benachteiligt, und ein Teil (vor allem im Lager der PDS-Anhänger) sieht sich 15 Jahre nach dem Mauerfall als Verlierer der Einheit.

Im Westen war es vor allem in den unteren sozialen Schichten eine aufkeimende Wut über „die im Osten, denen all das Geld zugesteckt wird“ – was, so der Eindruck, dann im Westen fehlt, um auch hier Missstände (Schlaglöcher in den Straßen, unwürdige Zustände in vielen Klassenzimmern, Hilfe für sozial Bedürftige, etc.) abzumildern. An dem Negativ-Symbol Hartz IV entlud sich dann all dieser diffuse Unmut über alles Mögliche; doch als konkreter Protest gegen die Reformen im Einzelnen durften die Demonstrationen vom Sommer nicht interpretiert werden. Vertiefende Untersuchungen zeigten denn auch schon auf dem Höhepunkt der Protestwelle im letzten Jahr, dass der Kern der Arbeitsmarktreform durchaus von einer Mehrheit der Bundesbürger akzeptiert wird. Die meisten wissen ja, dass staatliche Leistungen missbräuchlich in Anspruch genommen werden und ärgern sich darüber. Dass dieser Missbrauch eingedämmt werden soll, finden die meisten Bürger richtig. Ebenso akzeptiert (von mehr als 70 Prozent) wird das Prinzip des „Förderns und Forderns“, also dass Langzeitarbeitslose einerseits beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt stärker unterstützt werden sollen, aber andererseits größerer Druck ausgeübt werden soll, jede zumutbare Arbeit auch anzunehmen. Und dass Arbeitslosengeld zukünftig nur noch an die ausgezahlt wird, die wirklich bedürftig sind, hält ebenfalls eine Mehrheit für richtig. Die Proteste gegen Hartz IV haben letztlich das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen wollten. Denn durch die Protestwelle kam in Gang, was die schlechte Öffentlichkeitsarbeit der Regierung nicht bewirkt hatte: Viele Bürger informierten sich über die konkreten Reforminhalte. Je besser aber der Kenntnisstand war, umso stärker wuchs die Zustimmung zu den einzelnen Maßnahmen.

Die Fehleinschätzung der Demonstrationen gegen Hartz IV als Anfang einer neuen Protestbewegung von links hatte einen Grund: die Bereitschaft der Bürger, den Modernisierungsprozess im Lande mitzutragen, wird nach wie vor eher unterschätzt. Sagten beispielsweise Ende der achtziger Jahre noch weniger als 50 Prozent, dass im Lande grundlegende Reformen erforderlich seien, so stieg dieser Anteil Ende der neunziger Jahre schon auf fast 70 Prozent. Und im Verlauf der durch die rot-grüne Bundesregierung angestoßenen Reformdebatte kletterte der Anteil der Bürger, die meinen, die Probleme in Deutschland könnten nur durch eine umfassende Modernisierung von Staat und Gesellschaft bewältigt werden, auf rund 80 Prozent. Auch die Demonstrationen gegen Hartz IV haben diese Reformbereitschaft der Deutschen nicht geringer werden lassen. Im Gegenteil: Anfang 2005 sagen fast 70 Prozent, die bislang beschlossenen Reformmaßnahmen am Arbeitsmarkt reichten noch nicht aus. Und eine Mehrheit ist der Meinung, dass der Erneuerungsprozess auch beim Steuerrecht, bei den sozialen Sicherungssystemen oder beim Abbau der Bürokratie zügig weitergehen müsste. Lediglich im Gesundheitsbereich werden die bisherigen Reformen als ausreichend angesehen. Nur eine Minderheit von 30 Prozent der Bundesbürger spricht sich denn auch für eine Reformpause aus. Die überwiegende Mehrheit hat also begriffen, dass Modernisierung kein statischer Vorgang ist, sondern ein permanenter Prozess.

Auch der oft zu hörende Einwand ist falsch, dass bei den Deutschen zwar eine abstrakte Reformbereitschaft vorhanden sei, diese jedoch rapide abnehme, wenn Reformen einen selbst beträfen. Doch knapp zwei Drittel der Bundesbürger sind selbst zu finanziellen Mehrbelastungen bereit – wenn sie denn die Sinnhaftigkeit dieser Opfer einsehen. Wenn dagegen das Gefühl vorherrscht, es gehe nur um fiskalische Nickeligkeiten oder die geforderten Mehrbelastungen würden nur in den Moloch der staatlichen Bürokratie fließen, dann sinkt die Akzeptanz jeder Reform.Ob die gegenwärtige Zustimmung zum politischen Kurs der Regierung anhält, ist allerdings offen. Wenn es wieder – wie 2001 – zu einer Politik der „ruhigen Hand“ käme, dann wären viele enttäuscht, die sich von der rot-grünen Regierung die Auflösung des Reformstaus erhofft hatten, die Helmut Kohl in der Endphase seiner Kanzlerschaft nicht mehr gelang. Die rot-grüne Regierung muss an ihrem Reformkurs unbeirrbar festhalten. Das ist die Erwartungshaltung der Mehrheit der Bürger.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2005, S. 54 - 55.

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