Privatisierte Sicherheit
Substaatliche Kriege und Formen alternativer Gewaltproduktion
Sind staatliche Akteure tatsächlich immer weniger die zentralen Monopolisten heutiger Kriege? Nimmt die Privatisierung organisierter Gewaltanwendung in Räumen begrenzter Staatlichkeit zu? Empirische Daten belegen, dass sich selbst demokratische Staaten privatisierter Gewaltstrategien bedienen und so den Sicherheitsmarkt vorantreiben.
Die in der Konfliktforschung kontrovers geführte Debatte über den Wandel der Kriegsformen („neue Kriege“) hat einen relativ unstrittigen Kern: Die Dominanz privater Gewaltakteure auf vielen Kriegsschauplätzen ist Indiz für die Existenz nichtstaatlicher Gewaltordnungen und alternativer Formen der Produktion von Sicherheit. Gewaltsame Konflikte in Räumen be- oder gar entgrenzter Staatlichkeit führen letztlich dazu, dass einzelne nichtstaatliche Gruppierungen wie lokale Selbstverteidigungsgruppen, ethnische Milizen oder Warlords ihre Sicherheit selbst organisieren. Parallel zu dieser Bottom-up-Perspektive privater Sicherheitsproduktion ist zu beobachten, dass (Rest-) Staaten, internationale Organisationen, NGOs und multinationale Konzerne eine Reihe von Sicherheitsfunktionen an Sicherheitsagenturen „outsourcen“ – und dass sich damit die Strategien der Kriegsführung verändern. Diese Entwicklung entspricht einer Top-down-Privatisierung von Sicherheit.
Umstritten ist dagegen, ob die quantitativen und qualitativen Veränderungen der Konfliktparteien sowie die Verfestigung von Kriegssituationen durch Kriegswirtschaftssysteme, informelle Netzwerke und nichtstaatliche Gewaltordnungen einen grundlegenden Übergang von „alten“ Staatenkonflikten hin zu „neuen Kriegen“ in Räumen begrenzter Staatlichkeit signalisieren – und ob staatliche Akteure tatsächlich immer weniger die zentralen Monopolisten des Krieges sind, wie etwa Herfried Münkler annimmt.1 Aus Sicht der Kritiker ist die These der „Privatisierung“ und „Entstaatlichung“ organisierter Gewaltanwendung vor allem deshalb problematisch, weil auf der empirisch recht dünnen Grundlage illustrativer Extremfälle (u.a. Afghanistan, Somalia, Sierra Leone, Liberia) einerseits vorschnell allgemeine Schlussfolgerungen gezogen werden.2 Andererseits ist die tendenzielle Entstaatlichung vieler Kriege alles andere als neu: In den „alten“ innerstaatlichen Antiregimekriegen und Sezessionskonflikten stehen sich schließlich immer eine staatliche und mindestens eine nichtstaatliche Konfliktpartei gegenüber.
Um den quantitativen und qualitativen Wandel des Krieges bestimmen zu können, liefert dieser Beitrag zunächst eine kurze Bestandsaufnahme des globalen Kriegsgeschehens. Verbunden wird dies mit der Frage, ob sich substaatliche Kriege zur dominanten Form der Gewalt entwickeln und inwieweit die private Sicherheitsproduktion in Räumen entgrenzter Staatlichkeit zu alternativen, nichtstaatlichen Gewaltordnungen führt. Komplementär zu dieser Perspektive werden die staatlicherseits forcierten Entwicklungen der Kommerzialisierung von Sicherheit näher unter die Lupe genommen.
Entwicklung substaatlicher Kriege
Die empirische Analyse des Kriegsgeschehens basiert auf einem neuen Datensatz der Berliner Forschungsgruppe Krieg (FORK).3 Im Sinne einer akteursbasierten Kriegsdefinition, die sich am politischen Status der Akteure orientiert, werden vier Kerntypen kriegerischer Gewalt gebildet: 1. zwischenstaatliche Kriege (zwischen mindestens zwei souveränen Staaten), 2. extrastaatliche Kriege (zwischen Staaten und nichtstaatlichen Akteuren jenseits bestehender Staatsgrenzen wie etwa bei Dekolonisationskonflikten oder imperialen Feldzügen), 3. inner-staatliche Kriege (zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren innerhalb bestehender Grenzen) sowie 4. substaatliche Kriege (zwischen primär nichtstaatlichen Gewaltakteuren innerhalb oder jenseits formaler Staatsgrenzen). Der vierte Kriegstyp reflektiert das Problem der Dominanz nichtstaatlicher Gewaltordnungen, postuliert aber keine neue Kriegsform, sondern ergänzt ein fehlendes Puzzleteil in der Kombination staatlicher und nichtstaatlicher Akteurskonstella-tionen.
Die empirische Bestandsaufnahme ergibt zunächst ein eindeutiges Bild: Von den insgesamt 166 Kriegen, die für die Phase zwischen 1946 und 2003 erfasst werden, sind nahezu zwei Drittel innerstaatliche Auseinandersetzungen (Anti-Regimekriege und Sezessionskriege). Mit weitem Abstand folgen zwischenstaatliche und extrastaatliche Kriege. Substaatliche Kriege erreichen einen Anteil von zehn Prozent an allen Kriegsereignissen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Es handelt sich also (noch) nicht um die dominante Form kriegerischer Gewalt im globalen Zeitalter, wie die These von den „neuen Kriegen“ nahe legt. Allerdings lässt sich empirisch durchaus ein Bedeutungszuwachs dieser Kriegsform belegen. Wie die Grafik zur jährlichen Entwicklung des globalen Kriegsgeschehens zeigt, ist der relative Anteil substaatlicher Kriege in den letzten drei Jahrzehnten angestiegen: von knapp fünf Prozent (1971–1980) auf etwa ein Viertel aller pro Jahr geführten Kriege.
Der gestiegene Anteil substaatlicher Gewaltkonflikte kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem innerstaatliche Kriege seit den sechziger Jahren das Kriegsgeschehen dominieren. Besonders hoch ist ihr Anteil an allen Kriegen zwischen 1980 und 1995/96. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts ist die jährliche Anzahl innerstaatlicher Kriege wieder leicht zurückgegangen, dennoch sind sie nach wie vor maßgeblich für das globale Kriegsgeschehen verantwortlich. Dies hängt jedoch weniger damit zusammen, dass immer wieder neue Konflikte zum Krieg eskalieren. Hier gibt es keinen eindeutigen Trend. Verantwortlich für diesen Verlauf ist vielmehr ihre vergleichsweise hohe Persistenz. Wie auch die empirischen Studien der Weltbankgruppe belegen, hat sich die erwartete Dauer innerstaatlicher Kriege in den letzten beiden Jahrzehnten im Vergleich zu der Zeit vor 1980 mehr als verdoppelt.4 Es lässt sich zeigen, dass Kriege dann besonders lang sind, wenn private Gewaltgruppen in der Peripherie von (Rest-)Staaten agieren, Zugang zu wertvollen Ressourcen haben und angesichts einer ungewissen Zukunft unter Friedenbedingungen permanente Gewaltstrategien vorziehen.5
Neben den quantitativen Erkenntnissen sind vor allem die qualitativen Beobachtungen bedeutsam. Im Unterschied zu innerstaatlichen Kriegen hat der Staat in substaatlichen Konfliktkonstellationen sein legitimes Monopol auf die Kriegsführung verloren (Somalia) oder ist nicht gewillt, es gegenüber sich bekämpfenden lokalen Gruppen durchzusetzen (etwa in Nigeria oder in Teilen Pakistans). In anderen substaatlichen Kriegen ist das Gewaltmonopol zumindest phasenweise zerfallen (Sierra Leone, Liberia, Libanon) oder es beschränkt sich nur noch auf die Hauptstadt bzw. einzelne Provinzen (Tschad, Afghanistan). Stattdessen kann ein disparates Spektrum nichtstaatlicher Gewaltakteure alternative, territorial abgegrenzte Gewaltapparate etablieren. Paradebeispiele der Entstehung multipler Zonen militärischer Kontrolle und der Verlagerung politischer Entscheidungen in lokale oder transnationale Autoritätsstrukturen – und damit in alternative Governancestrukturen – sind die Konfliktsysteme in Westafrika (Sierra Leone, Liberia) und Zentralasien (Afghanistan) in den neunziger Jahren. Die Akteurskonstellationen dieser Gewalt-ordnungen lassen sich nicht mehr wie beim innerstaatlichen Krieg auf den Staat und mehr oder weniger gut hierarchisch organisierte Rebellengruppen reduzieren, die ihre Politik und militärischen Strategien am Prinzip von Staatlichkeit ausrichten. Im Mittelpunkt stehen vielmehr diverse quasistaatliche und nichtstaatliche Gruppen, die nur noch selektive Sicherheit produzieren und um die strategische Kontrolle von Territorien, den Zugang zu Ressourcen und politischen Einfluss konkurrieren. So wie Staatlichkeit für die Verwirklichung ökonomischer Profitinteressen und politischer Machtansprüche der privaten Gewaltakteure hier keine Voraussetzung mehr ist, so ist Sicherheit nur noch begrenzt ein öffentliches Gut, das durch eine zunehmende Zahl privater Konfliktparteien produziert bzw. verknappt wird. Die private, selektive Produktion von Sicherheit wird hier zur Überlebensvoraussetzung und zum Ersatz des öffentlichen Gutes Sicherheit.
Als Protagonisten nichtstaatlicher, transnationaler Gewaltordnungen und alternativer Formen der (Unter-)Produktion von Sicherheit gelten in der öffentlichen und wissenschaftlichen Debatte vor allem lokale oder regionale Kriegsherren (Warlords). Ihre Gewaltstrategien zielen nicht mehr auf die direkte militärische Konfrontation oder die effektive Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols. Vielmehr setzen sie militärische Gewalt gewinnbringend für die Kontrolle von Ressourcenvorkommen und sozialen Beziehungen ein und kombinieren dabei politische und ökonomische Handlungslogiken.6 In seiner Analyse von substaatlichen Gewaltfor-mationen im subsaharischen Afrika zeigt William Reno, dass Warlord-Politiken eine spezifische Technik der (Re-)Organisation politischer Herrschaft sind, in der Herrschaft sowohl über permanente Strategien der Gewaltanwendung als auch über netzwerkartige, informelle Politikpraktiken hergestellt wird.7 Selbst für die konkurrierenden Eliten des Reststaats werden Strategien außerhalb des formellen Gewaltapparats zur einzigen Alternative, um die mit der kollabierenden Staatlichkeit einhergehenden Machtverluste einerseits, die aus der Desintegration der Streitkräfte resultierende Abnahme militärischer Fähigkeiten andererseits zu kompensieren. Die Herrschaftsstrategien variieren zwar regional und weisen Unterschiede in den sozioökonomischen Rahmenbedingungen auf. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sich der Reststaat in substaatlichen Konfliktkonstellationen nur durch die Bildung fragiler Allianzen mit privaten und staatlichen Akteuren (kriminelle Netzwerke, kommerzielle Sicherheitsfirmen, Patronagestaaten oder Interventionsstreitkräfte) gegen nichtstaatliche Rivalen behaupten und die Überbleibsel seiner Souveränitätsansprüche verteidigen kann.
Die Produktion von latenter Unsicherheit kann dann durchaus ein erstrebenswerter Zustand sein, um sich Sicherheit mit politischer Loyalität und materiellen Abgaben bezahlen zu lassen. Je aussichtsreicher nämlich militärische und ökonomische Gewinne für einzelne Gewaltakteure sind, desto höher dürfte der Wert der Aufrechterhaltung von Unsicherheit sein und desto unwahrscheinlicher werden einvernehmliche Strategien der Konfliktbearbeitung. Gerade wenn eine ungewisse Zukunft unter Friedensbedingungen droht, die Aussichten auf eine militärische Entscheidung oder hohe Gewinne dagegen groß genug sind, steigt das Risiko permanenter Gewaltstrategien. Umgekehrt lässt sich aber auch beobachten, dass selbst Warlords für längerfristige Strategien der Machtsicherung ein Mindestmaß an Legitimation benötigen und dabei in komplexe Netze sozialer und politischer Abhängigkeiten eingebunden sind, die ihre Handlungsoptionen strukturieren. Dies entspricht der Logik, dass es für Warlords und andere substaatliche Gruppen prinzipiell rational sein kann, sich als Schutzgeber gegenüber einer despotischen Zentralregierung und konkurrierenden Gewaltakteuren zu etablieren. Die Legitimität dieser Akteure steigt dann in dem Maße, in dem es ihnen gelingt, Sicherheits- und Wohlfahrtsleistungen zu erbringen. Derartige alternative Ordnungsmodelle könnte man auch als „legitime Gewaltoligopole“ bezeichnen.8
Neben konkurrierenden Großgruppen (Warlords, Rebellen, Reststaaten) bieten in Räumen begrenzter Staatlichkeit auch lokale Milizen wie die Kamajors in Sierra Leone Schutzfunktionen an und gehen dabei temporäre Allianzen mit anderen Gewaltakteuren ein. In einer anderen Variante schützen Milizen wie die Area Boys im südlichen Nigeria ethnische Landsleute. Eine weitere Form der selektiven Bereitstellung von Sicherheit ist der Einsatz von Paramilitärs im Auftrag informeller Politik- und Wirtschaftsnetzwerke (u.a. in Kolumbien). Angesichts der Abwesenheit oder des Kollabierens staatlicher Kontrolle können diese militärisch eher schwachen Gruppierungen weitgehend autonom agieren.
Derart fragmentierte, konkurrierende und sich überlappende Herrschaftsansprüche sind dann in hohem Maße instabil und störungsanfällig gegenüber äußeren Einflüssen. Einerseits wecken Räume entgrenzter Staatlichkeit strategische und ökonomische Begehrlichkeiten von Nachbarstaaten und gewaltbereiten nichtstaatlichen Gruppierungen. Das Risiko der Internationalisierung besteht nicht allein in der militärischen Intervention durch benachbarte Staaten, sondern auch durch internationale Friedenseinsätze und Pazifizierungskriege zur Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechtsnormen. Während von den 109 innerstaatlichen Auseinandersetzungen jeder vierte Krieg von militärischen Interventionen betroffen ist (27 Fälle), ist das Interventionsrisiko für substaatliche Kriege mit 50 Prozent doppelt so hoch (8 Interventionen bei 16 Kriegen). Andererseits agieren Warlords wie Charles Taylor in Liberia nicht nur in ihrem lokalen Umfeld, sondern beeinflussen auch die Konfliktdynamiken in der Nachbarschaft (Sierra Leone, Guinea). Derartige grenzüberschreitende Interaktionen führen letztlich zu komplexen regionalen Konfliktsystemen und forcieren die Etablierung und Diffusion netzwerkartiger Gewaltordnungen jenseits staatlicher Steuerung.
Privatisierung von Sicherheit
Im Gegensatz zur Bottom-up-Perspektive privater Sicherheitsproduktion durch substaatliche Gruppierungen in Räumen entgrenzter Staatlichkeit signalisieren private Sicherheitsagenturen (PSAs) eine politisch sanktionierte Top-down-Entwicklung der Privatisierung von Sicherheit.9 PSAs gelten neben dem Phänomen der Warlords als ein Sinnbild für „neue“ Formen der privatisierten Kriegsführung. Dabei handelt es sich um durch (Rest-)Staaten oder internationale Organisationen initiierte Prozesse der Verlagerung von Gewaltkompetenzen an Akteure des privaten Sektors mit dem Ziel des Erhalts oder Rückgewinns von Gewaltkontrolle. Immer mehr Unternehmen, die hochgradig professionalisiert, privatrechtlich organisiert und legal registriert sind, bieten Sicher-heits- und Militärdienstleistungen an.10
Für den Bedeutungszuwachs von PSAs gibt es neben der Unfähigkeit zahlreicher Staaten, Sicherheitsfunktionen befriedigend wahrzunehmen, vier weitere Gründe: Erstens spielt hier der technologische Wandel der Kriegsführung hinein (gesteigerter Bedarf an hochqualifizierter Expertise). Zweitens hat sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts mit der Reduzierung von Rüstungskomplexen ein globaler Sicherheitsmarkt für Militärs und verfügbare Waffensysteme auf dem privaten Sektor entwickelt. Drittens gibt es ein Bedürfnis insbesondere demokratischer Staaten, die politischen und moralischen Kosten militärischer Einsätze zu reduzieren. Viertens wird das Anwachsen des globalen Marktes für Sicherheitsdienstleistungen durch die Bedürfnisse humanitärer Organisationen (Sicherheit im humanitären Raum) und die Kalküle multinationaler Konzerne (Sicherheit beim Res-sourcenabbau) beeinflusst.
In den letzten Jahren haben sich sowohl die Größe des Sicherheitsmarkts als auch die funktionalen Aufgabenbereiche verändert und ausgeweitet. Direkte Beteiligungen an militärischen Operationen (Combat-Einsätze) sind dabei eher die Ausnahme. Zwar ist die Kommerzialisierung von Sicherheit in den neunziger Jahren gerade durch die militärischen Kampfeinsätze der südafrikanischen Firma Executive Outcomes (in Angola und Sierra Leone) und der britischen Firma Sandline International (in Sierra Leone und Papua-Neuguinea), die inzwischen beide aufgelöst worden sind, schrittweise in das öffentliche Bewusstsein vorgedrungen. Weitaus mehr Sicherheitsagenturen bieten ihre Dienste aber in den Bereichen militärischer Unterstützung (Training, Beratung, Lieferung von Ausrüstung und Waffen, Verhör von Kriegsgefangenen), militärischer Risikoanalyse (Nachrichtenbeschaffung), logistischer Unterstützung (Transport, Telekommunikation, administrative Dienste) oder materieller Schutzfunktionen (Personen- und Objektschutz, Sicherung von Ressourcenzugängen) an. Angesichts der Auflösungserscheinungen regulärer Armeen in vielen inner- und substaatlichen Kriegen einerseits, der Übernahme politischer und administrativer Steuerungsaufgaben in den Konflikträumen be- und entgrenzter Staatlichkeit andererseits boomen vor allem die Sektoren Training/Beratung, logistische Unterstützung und Objektschutz. Marktführer und Konglomerate wie DynCorp, Blackwater, Kellogg Brown & Root, Defense Services Ltd. (DSL) oder L-3 Communications, die kürzlich die u.a. im Bosnien-Krieg beteiligte Sicherheitsfirma Military Resources Professional Incorporated (MRPI) übernommen haben, bieten eine Fülle von unterschiedlichen Diensten auf dem globalen Sicherheitsmarkt an. Einige dieser Unternehmen wie Blackwater oder die britische Firma Control Risk Group bewegen sich bei einem Teil ihrer Einsätze in einer dubiosen Grauzone militärischer Operationen (Aufstands- und Antiterrorbekämpfung, Unterstützung von Spezialeinheiten).11
Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass neben der Kriegsführung auch die Friedensstrategien und die Gestaltung von Nachkriegsordnungen privatisiert werden. Zahlreiche UN-Friedensmissionen und humanitäre Hilfseinsätze greifen zur Sicherung von Flüchtlingslagern, zum Schutz von Politikern, zur Ausbildung von Polizeieinheiten auf PSAs zurück. Im letzten Irak-Krieg, der als zwischenstaatlicher Krieg begann und nun als extrastaatlicher Krieg zwischen lokalen Milizen und Interventionsstreitkräften fortgeführt wird, hat sich das Personal privater Sicherheitsagenturen gegenüber dem Golf-Krieg von 1991 nahezu verzehnfacht. Für Mitte 2004 schätzte das US-Verteidungsministerium, dass private Sicherheitsagenturen mit etwa 20 000 Angestellten im Irak tätig waren – ein Kontingent, das heute stärker ist als alle übrigen ausländischen Streitkräfte zusammen.12
Während im Irak oder auch in Afghanistan vor allem international operierende Unternehmen beschäftigt sind, gibt es in den Räumen begrenzter Staatlichkeit eine Vielzahl von Sicherheitsanbietern, die sich nur auf der lokalen Konfliktebene engagieren und dabei über personelle Netzwerke eng mit (rest-)staatlichen Sicherheitseliten verbunden sind. Beispiele dafür liefern die Firmen Teleservices in Angola und Saracen (U) Ltd. in Uganda, die zudem Verbindungen zu Executive Outcomes gehabt haben sollen.13 In einer anderen Variante wird Sicherheit auch an lokale Gruppierungen wie Paramilitärs oder ethnische Milizen delegiert (u.a. in Kolumbien, Nigeria, Uganda und in der DR Kongo). Gerade in den substaatlichen Gewaltordnungen verschärft sich damit die Problematik privater Sicherheitsproduktion noch einmal, weil Sicherheit hier von unterschiedlichen Gewaltakteuren und Sicherheitsagenturen produziert oder verknappt wird. Es entstehen „Patchworkstrukturen selektiver Sicherheit“, die der Wiederherstellung eines staatlichen Gewaltmonopols im Wege stehen.14 Die Kampfeinsätze von Executive Outcomes und Sandline International in Angola und Sierra Leone belegen außerdem, dass PSAs aufgrund ihrer militärischen Effizienz und ökonomischen Rationalität sowohl zur Transformation militärischer Machtkalküle beitragen als auch kurzfristig konfliktentscheidend sein können. Weil sich Sicherheitsfirmen in Räumen entgrenzter Staatlichkeit vielfach mit Förderlizenzen zum Abbau von wertvollen Ressourcen bezahlen lassen, werden sie zugleich Akteure der Kriegsökonomien – sie profitieren von den substaatlichen Gewaltordnungen und tragen zu ihrer Verstetigung bei. Abgewickelt werden diese Geschäfte meist über Tochter- und Partnerfirmen, die in „zivilen“ Produktionssektoren aktiv sind. Diese Interessenkoalitionen erhöhen die Sicherheitskomplexität und schaffen eine Mehrebenenproblematik der Sicherheitsproduktion.
Schlussfolgerungen
Es gibt zwei sich wechselseitig verstärkende Trends der privatisierten Produktion von (Un-)Sicherheit. Erstens ist die Zahl der Fälle gestiegen, in denen nichtstaatliche Gewaltakteure das Kriegsgeschehen dominieren. Trotz der Bedeutungszunahme substaatlicher Konfliktkonstellationen handelt es sich bei diesem speziellen Kriegstyp jedoch noch nicht um die dominante Form kriegerischer Gewalt. Dessen ungeachtet sind substaatliche Kriege ein Indiz dafür, dass das Verhältnis von Krieg und Staat bzw. Souveränität weitaus komplexer ist, als viele lange Zeit angenommen haben. Es gilt nicht nur, dass Kriege Staaten produzieren und dass Staaten Kriege führen, sondern auch, dass Kriege in Abwesenheit staatlicher Gewaltkontrolle geführt werden und zur Transformation von Gewaltordnungen beitragen. Substaatliche Kriege sind dabei nicht nur Anzeichen des Scheiterns eines politischen Ordnungsmodells, sondern sie bieten auch Hinweise auf eine gewaltgestützte Rekonfiguration der Governanceleistungen Sicherheit, Wohlfahrt und Herrschaft. Strukturell eingebettet sind derartige Gewaltordnungen sowohl in neoliberale Ordnungsansätze (u.a. Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des IWF) als auch in die Opportunitätstrukturen der Schattenglobalisierung, die zusammen die Handlungsfähigkeit vieler post-kolonialer Staatsapparate weiter aushöhlen und die Handlungsoptionen der Gewaltgruppen ebenso beeinflussen wie sie das Auftreten neuer Akteure begünstigen.
Mehr noch: In Anbetracht der Häufigkeit „alter“ innerstaatlicher Kriege, in denen staatliche und nichtstaatliche Konfliktparteien um das legitime Gewaltmonopol konkurrieren, wird deutlich, dass die überwiegende Zahl der Kriegsschauplätze durch private Produktionsformen von Gewalt gekennzeichnet ist. Letztlich können dann sogar Akteure innerstaatlicher Kriege Warlordstrategien entwickeln und sich im Laufe des Konflikts von ihren ursprünglichen staatszentrierten Kriegszielen (Regimewandel, Sezession) entfernen. Solche im Konfliktprozess „kippenden“ Handlungslogiken kann man u.a. in Angola, im Sudan oder in Kolumbien beobachten.15
Ein zweiter, paralleler Trend zur Entwicklung der Kriegsformen ist die Kommerzialisierung von Sicherheit. Den Gewaltordnungen in Räumen entgrenzter Staatlichkeit steht eine funktionale und sektorale Differenzierung von Sicherheitsstrategien in der OECD-Welt gegenüber, die Vorboten von Sicherheits-Governance sind.16 Indem sowohl Staaten, internationale Organisationen als auch global agierende Unternehmen auf private Produktionsformen von Sicherheit zurückgreifen, verlieren klassische sicherheitspolitische Strategien und Analyseansätze an Bedeutung. PSAs beeinflussen nicht nur die militärischen Kräfteverhältnisse, sondern auch die Kalküle externer Interventionsstaaten. So ist die verstärkte Einbindung kommerzieller Sicherheits-agenturen in Kriegsszenarien und Nachkriegsordnungen nicht zuletzt ein Resultat der Interessen vor allem westlicher Demokratien und Großmächte, Menschenrechtsnormen und demokratische Standards militärisch durchzusetzen bzw. zu erzwingen und globale Sicherheitsgefährdungen („Kampf gegen den Terrorismus“) effektiv zu bekämpfen. Kosteneffektivere Lösungen und die funktionale Differenzierung des Sicherheitsmarkts dürften dabei die weitere Privatisierung traditioneller militärischer Funktionen weiter begünstigen. Ebenso wie staatliche Interventionsakteure sind kommerzielle Sicherheitsanbieter jedoch nicht nur Teil einer möglichen Konfliktregulierung, sondern auch Teil des Problems, wenn sie aus Unkenntnis Prozesse der politischen und sozialen Reorganisation erschweren, Gewaltkonflikte verlängern oder gar die Wiederherstellung legitimer politischer Ordnungen diskreditieren. Dies wirft die grundsätzliche Frage auf, ob Strategien der (Re-)Monopolisierung von Gewalt und der Demokratisierung wie in Afghanistan oder im Irak überhaupt funktionieren können, wenn sie durch Partnerschaften staatlicher und privater Sicherheitsakteure von außen implementiert werden.
Das gesteigerte öffentliche und wissenschaftliche Interesse an „neuen Kriegen“, „neuen Formen von Governance“ und an der „Privatisierung von Sicherheit“ sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass souveräne Staatlichkeit für viele Gewaltakteure der Gegenwart nach wie vor ein zentrales Referenzsystem ist. Faktisch bleibt der Staatsapparat auch dort ein wichtiges Macht- und Steuerungselement, wo das Gewaltmonopol zur Disposition steht oder nie voll entwickelt worden ist – dies gilt vor allem für die Mehrzahl innerstaatlicher Kriege. Zudem beeinflussen fiktive Staatlichkeit und Souveränität die Verhaltensoptionen privater Gewaltakteure, indem sie ihr Handeln nach innen stärken und ihnen Vorteile gegenüber politischen Rivalen versprechen. Last but not least deuten die Entwicklungen während des Irak-Krieges darauf hin, dass die westlichen Interventionsstaaten zwar eine Fülle von Sicherheitsfunktionen an PSAs delegieren, aber ihr Monopol auf den engeren Kern der Kriegsführung nicht preisgeben.
Doch gerade wegen dieser Formen der Sicherheitskooperation zwischen staatlichen und privaten Akteuren kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Einsatz privatisierter Gewaltstrategien seitens demokratischer Staaten und internationaler Sicherheitsinstitutionen die Entwicklung des globalen Sicherheitsmarkts weiter vorantreibt – und damit den Privatisierungstrend im Sicherheitsbereich verstärkt. Begleitet werden diese Risiken durch die Unklarheiten über den Status von PSAs bei Verletzungen des Völkerrechts (etwa bei verdeckten Operationen oder den Rechtsbrüchen von Sicherheitspersonal im Gefängnis von Abu Ghraib) und der offenen Frage, ob und vor allem wie der globale Sicherheitsmarkt in Zukunft reguliert werden soll.
1 Vgl. Herfried Münkler: Die neuen Kriege, Berlin 2002, S. 7 ff.
2 Zur kritischen Auseinandersetzung mit der These „neuer Kriege“ siehe u.a. Michael Brzoska: ‘New Wars’ Discourse in Germany, Journal of Peace Research, Januar 2004, S. 107–117; sowie Sven Chojnacki: Wandel der Kriegsformen? Ein kritischer Literaturbericht, Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Heft 1, 2004, S. 402–424.
3 Eine ausführliche Beschreibung der Typologie und der operationalen Kriterien liefert der Verfasser an anderer Stelle, Sven Chojnacki: Kriege im Wandel. Eine typologische und empirische Bestandsaufnahme, in: Anna Geis (Hrsg.): Den Krieg überdenken. Kriegsbegriffe und Kriegstheorien in der Kontroverse, Baden-Baden 2005 (i.E.). Verfügbar sind die Daten und die Kodierregeln auch im Internet unter http://www.polwiss.fu-berlin.de/frieden/daten.
4 Vgl. Paul Collier, Anke Hoeffler und Måns Söderbom: On the Duration of Civil War, Journal of Peace Research, Mai 2004, S. 253–273.
5 Siehe dazu James D. Fearon: Why Do Some Civil Wars Last So Much Longer Than Others?, Journal of Peace Research, Mai 2004, S. 275–301.
6 Zur konzeptionellen und historischen Einordung der Warlordproblematik siehe etwa Michael Riekenberg: Warlords. Eine Problemskizze, Comparativ, Heft 5/6, 1999, S. 187–205.
7 William Reno: Warlord Politics and African States, Boulder 1998.
8 Siehe dazu Andreas Mehler: Legitime Gewaltoligopole – eine Antwort auf strukturelle Instabilität in Westafrika?, IAK-Diskussionsbeiträge, Institut für Afrika-Kunde, Hamburg 2003.
9 Typologisch wird meist zwischen privaten Sicherheits- und Militärfirmen unterschieden. Weil die Grenzen jedoch fließend sind und einzelne Firmen sowohl Sicherheits- als auch Militärdienstleistungen anbieten oder Teil großer Unternehmensgruppen sind, wird hier allgemeiner von kommerziellen Sicherheitsagenturen (PSAs) gesprochen.
10 Gute Einblicke zur Entstehung, Struktur und zu den Auswirkungen kommerzialisierter Sicherheit bietet Peter W. Singer: Corporate Warriors. The Rise of the Privatized Military Industry, Ithaca, 2003; für eine regionale Perspektive siehe Abdel-Fatau Musah und Fayemi Kayode (Hrsg.): Mercenaries. An African Security Dilemma, London/Sterling, 2000.
11 Vgl. Dborah Avant: Private Security Companies, New Political Economy, März 2005, S. 121–131.
12 Zu den im Irak involvierten Sicherheitsfirmen siehe den Bericht von David Isenberg: A Fistful of Contractors. The Case for a Pragmatic Assessment of Private Military Companies in Iraq, British American Security Information Council, Research Report Nr. 4, 2004.
13 Einen sehr guten Überblick zu den lokalen Prozessen der Kommerzialisierung von Sicherheit in Uganda bietet Klaus Schlichte: Was kommt nach dem Staatszerfall? Die Gewaltordnungen in Uganda seit 1986, afrika spectrum, Heft 1, 2005, S. 83–113.
14 Vgl. Peter Lock: Privatisierung des Militärs oder Privatisierung der Sicherheit, unveröffentlichtes Manuskript, Download unter: http://www.peter-lock.de/.
15 Im Rahmen des hier verwendeten Datensatzes werden diese Veränderungen auf jährlicher Basis erfasst.
16 Vgl. Elke Krahmann: Conceptualizing Security Governance, Cooperation and Conflict, März 2003, S. 5–26.
Internationale Politik 9, September 2005, S. 34 - 42