Internationale Presse

02. Sep 2024

Presseschau Philippinen: Machtkampf zweier Familien

In den Philippinen besteht formal Pressefreiheit und es gibt eine lebendige Debattenkultur. Doch Korruption ist allgegenwärtig, und die beiden mächtigsten Familien des Landes – Marcos und Duterte – verfolgen vor allem ihre eigenen Interessen. 

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Mit Krise habe das gar nichts zu tun, schien das Newsportal GMA Network Ende Juni zu betonen, als es titelte: „Vizepräsidentin Sara Duterte sagt, mit Marcos bleibt sie freundschaftlich verbunden.“ Ihr Rücktritt als Bildungsministerin, den Duterte eingereicht hatte, sei nur „im besten Interesse“ des Ministeriums. Und was habe es schon zu bedeuten, wenn die Vizepräsidentin, die einem anderen politischen Lager als der Präsident angehört, sich plötzlich aus dessen Ministerkabinett verabschiedet, zugleich aber ­Vizepräsidentin bleiben will?

Auf eine detaillierte Einordnung verzichtete GMA Network. Dabei war die Nachricht eigentlich ein politisches Beben: Sie offenbarte nämlich, dass die zwei gegenwärtig mächtigsten Politikdynastien der Philippinen, die bei der Wahl 2022 ein kon­troverses Bündnis schmiedeten, nun zerstritten sind. Auf der einen Seite der brüchigen Allianz steht die Familie des 2022 zum Präsidenten gewählten Ferdi­nand Marcos, dessen gleichnamiger Vater schon von 1965 bis 1986 regierte, die Hälfte der Zeit davon als Diktator. 

Behilflich auf dem Weg zurück zur Macht war den Marcoses – deren Familie weitere öffentliche Posten besetzt – die Familie Duterte: Rodrigo Duterte, Vater der jetzigen Vizepräsidentin Sara Duterte, war von 2016 bis 2022 Präsident der Philippinen.

Bekannt ist, dass beide Familien nach alleiniger Macht im Land streben, jedoch einen gemeinsamen Feind im liberalen Lager wähnen: Dort will man nämlich sowohl die Marcoses als auch die Dutertes zur Strecke bringen – vor allem wegen Diebstahl und ­Menschenrechtsverbrechen.

Kurz zusammengefasst hat sich die Familie Marcos in Höhe mehrerer Milliarden US-Dollar am philippinischen Fiskus bereichert, was durch Richtersprüche festgestellt ist, bis heute aber nicht beglichen wurde. Und Rodrigo Duterte hat sowohl als Präsident wie auch zuvor als Bürgermeister der Stadt Davao den Tod Zehntausender Personen zu verantworten: 2016 hatte er mit dem Versprechen die Wahl gewonnen, für mehr Sicherheit Drogenabhängige töten zu lassen. Dann lieferte er.

Um sich gegenseitig vor Strafverfolgung zu schützen, sind die Marcoses und Dutertes eine „unheilige Allianz“ eingegangen – die in der medialen Öffentlichkeit dieses von Politikdynastien geprägten Landes aber kaum noch kritisiert wird. Achselzuckend wird sie hingenommen. Und jetzt, da das Marcos-Duterte-Bündnis an persönlichen Streitigkeiten zu zerbrechen scheint, steht auch nicht die Frage im Vordergrund, ob eine Strafverfolgung beider Familien nun einfacher würde. Das würde ohnehin kaum jemand für realistisch halten.


Risiko einer Staatskrise?

Zumindest aber böte sich die Diskussion an, ob sich mit dem Rücktritt Sara Dutertes als Bildungsministerin das Risiko einer Staatskrise erhöht hat: Immerhin bleibt sie Vizepräsidentin. Und es gibt Spekulationen, dass Familie Duterte einen Putsch gegen die Marcoses plant. Als Bildungsministerin hatte sich Sara Duterte ein Sondervermögen von rund zwei Millionen Dollar genehmigen lassen, dessen Verwendung weitgehend unklar blieb. 

Viele Massenmedien beobachten den Bruch der Marcos-Duterte-Koalition äußerst detailreich. Allerdings sind die Berichte oft eher von Voyeurismus geprägt als von grundsätzlich kritischen Fragen. So überlegte die Zeitung Manila Times, offenbar im Interesse von Sara Duterte: „Kann Sara sich neu erfinden?“ Die 46-Jährige, die fortan kein Ministerium mehr leitet, aber weiterhin viel Macht im Staat genießt, sei immerhin ausgebildete Juristin, heißt es in einem Leitartikel. 

Mit ihrem Wissen könne sich die Präsidententochter künftig darin üben, auf diplomatischer Ebene die Wichtigkeit des internationalen Rechts zu betonen, damit die Philippinen nicht allzu sehr zwischen die Fronten der Großmächte USA und China geraten. Die USA unterhalten Militärbasen in den Philippinen. China ist ein wichtiger Handels­partner, erhebt aber territorialen Anspruch auf philippinische Inseln. Einen Krieg, der die Philip­pinen auf eine Seite drängen würde, will hier niemand. 

In der Causa um die Regierungskrise betonte das Konkurrenzblatt Philippine Daily Inquirer noch eine andere Facette: „Sara lehnt die Bezeichnung der Oppositionsführerin ab.“ Als neue Opposition zum Präsidenten Marcos sehe sich die Frau nämlich gar nicht. Wahr wiederum ist: Eine inhaltliche Opposition wären eher die Liberalen um die vorherige Vizepräsidentin Leni Robredo. Zwischen den Marcoses und Dutertes geht es eher um Macht als um Ideologie.

So erlaubte die Zeitung Philippine Star dem Präsidenten, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Als es um die Frage ging, wen er zur neuen Bildungsministerin bestelle, wurde Marcos mit dem Satz zitiert: „Es ist schwerer, als ich dachte.“ Der Präsident, der sich hinter den Kulissen nun auf eine Fehde mit den Dutertes einstellt, lobte seine Vizepräsidentin öffentlich. Und der Philippine Star erwähnte als Kontext nur „angespannte Beziehungen“ zwischen den zwei Familien. Mehr nicht. 


Inhaltliche Einschränkung

Warum liest man so wenig direkte Kritik an den Regierungsvertretern? Immerhin sind die Philippinen seit 1987, als die Diktatur unter Marcos sen. endete, eine Demokratie, offiziell mit Pressefreiheit. Als erste Einordnung für die oft freundlichen Berichte dient folgende Statistik: In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen landen die Philippinen auf Platz 134 von 180 Ländern. Der Zustand wird dort als „schwierige Lage“ bezeichnet, die ­zweitschlechteste von fünf Kategorien. Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, sagt dazu: „Die Medien in den Philippinen sind zwar kaum offener politischer Einflussnahme ausgesetzt, aber in fast allen Medienunternehmen schränken ebenso diskrete wie starke Verflechtungen zwischen geschäftlichen und politischen Interessen die inhaltliche Unabhängigkeit ein.“ Eine von Reporter ohne Grenzen und dem Rechercheportal Vera Files aus Manila erstellte Analyse kommt zum Schluss, dass Medienbesitzer oft unerkannt bleiben.

Die beiden sichtbarsten Medienkonzerne waren über lange Zeit GMA Network und ABS-CBN, die sich die Märkte Fernsehen und Radio untereinander aufteilten. GMA-Medien, die mehrere TV- und Radiokanäle führen, sind gegenüber der Regierung neutral bis freundlich eingestellt. Die Familien Gozon, Jimenez und Duavit, die wichtigsten GMA-Aktionärinnen, arbeiteten zu Diktaturzeiten mit der wieder regierenden Marcos-Familie zusammen.

Als etwas kritischer fiel oft ABS-CBN auf. Doch das Medienunternehmen wurde 2020 geschwächt, als Präsident Duterte dafür sorgte, dass es keine weitere Sendelizenz erhielt. Duterte war missfallen, dass ABS-CBN kritisch darüber berichtete, wie der Präsident Drogenabhängige erschießen ließ, politische Gegner hinter Gitter brachte und auch sonst Tabus brach: zum Beispiel, indem er in dem zutiefst katholischen Land den Papst als Hurensohn beschimpfte.

Den freieren Medien sagte Duterte den Kampf an. Und er sorgte dafür, dass Maria Ressa, die Gründerin des unabhängigen Onlinemediums Rappler und heute Friedensnobelpreisträgerin, eine Haftstrafe erhielt. Zudem ging Duterte, wie bereits erwähnt, gegen ABS-CBN vor. Der Medienkonzern strahlt seither nur noch online aus; das ist zwar beliebt, doch nur 53 Prozent der Bevölkerung nutzen Internet. Vor allem in ländlichen Gegenden fehlen Nachrichtenquellen jenseits von Radio oder Fernsehen.


Wer sich nicht kaufen lässt, ist schnell in Gefahr

Die Pressefreiheit ist immer wieder bedroht. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International belegen die Philippinen von 180 Ländern Platz 115. Reporter ohne Grenzen zählt sie zu den „gefährlichsten Ländern weltweit für Medienschaffende“. Ähnlich hat es in den vergangenen Jahren die NGO „Committee to Protect Journalists“ aus New York befunden: Laut ihrer Datenbank wurden seit 1992 in den Philippinen 96 Medienschaffende ermordet.

Wer sich nicht kaufen lässt, ist schnell in Gefahr. Das berichten Journalistinnen und Journalisten hinter vorgehaltener Hand immer wieder. So machte Jacob Lazaro, Jungreporter für die führende Zeitung Philippine Daily Inquirer, während der Pandemie diese Erfahrung auf einer Veranstaltung eines Parlamentsabgeordneten im Süden des Landes: „Ich fragte einen bestimmten Lokalpolitiker in Mindanao zu den Verletzungen der Gesundheitsregeln bei einer religiösen Veranstaltung.“ Dann wurde es unbequem. 

„Als ich die Anlage später verließ, bauten sich seine Body­guards um mich herum auf. Sie sagten mir, ich solle doch in einen Ventilator laufen.“ Lazaro habe Angst gehabt, sagt er. „Ich sah auch, dass sie alle Pistolen hatten. Und dann stellte sich heraus, dass der Politiker mir etwas Geld geben wollte.“ Der Volksvertreter habe dem Reporter 2000 Pesos angeboten – rund 30 Euro. Laut der Jobplattform Indeed sind das immerhin rund 9 Prozent eines durchschnittlichen Monatsgehalts im Journalismus. 

Während ein solcher Vorfall in anderen Ländern Skandalwert hätte und wohl eine ausführliche Story geworden wäre, hat Jacob Lazaro gar nicht darüber nachgedacht, über seine Erfahrung zu schreiben. „Tatsächlich ist sowas ziemlich normal. Überrascht hat die Leute damals eher, dass ich das Geld nicht angenommen habe“, sagt Lazaro. „Es ist mir jetzt schon zwei- oder dreimal passiert, dass mir direkt Geld angeboten wurde. Mal waren es 5000 Pesos, mal 500 Pesos.“ 

Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, dass auf diese Weise alle Medienschaffenden im Land zu Schoßhündchen werden. In Südostasien ­gelten die Philippinen sogar als Vorzeigeland, was eine lebendige Debattenkultur angeht. Und wer kritische Berichterstattung sucht, wird sie finden – auch zu Themen rund um die Regierung. Die von der Nobelpreisträgerin Maria Ressa gegründete Onlinezeitung Rapp­ler etwa hat Ferdi­nand Marcos Jr. wiederholt dafür kritisiert, seinen Lebenslauf aufzuhübschen.


Kritische Berichterstattung 

Auch Ex-Präsident Rodrigo Duterte sowie dessen Tochter Sara kommen bei Medien wie Rappler oder dem Faktencheckportal Vera Files nicht gut weg. „Sara Duterte hat das Bildungsministerium durch einen Fehler nach dem anderen immer wieder in Schwierigkeiten gebracht“, schreibt Rappler. Als Beispiel neben dem Sondervermögen dient dies: „Sara ernannte zwei ehemalige Militärgeneräle zu Unterstaatssekretären.“ 

Ferdinand Marcos Jr. wird von Rappler als „der unerreichbare Präsident“ beschrieben – weil er dadurch auffällt, kaum Interviews mit kritischen Medien zu führen. Stattdessen werden freundlich gesinnte Vlogger und Influencer mit Spezialzugängen gefördert. Online profitiert Marcos zudem von Trollen, die ihn in großer Zahl bejubeln und seine Gegner dämonisieren. Einige von ihnen sind bezahlt worden – hierbei hat Marcos von seinem Amtsvorgänger Duterte gelernt. 

All dies kann in den Philippinen theoretisch jede oder jeder wissen. Die Informationen sind frei verfügbar – wenn auch im ­Dickicht von Falschmeldungen, die besonders oft die Familien Marcos und Duterte begünstigen.

Es gab in den vergangenen Monaten auch weniger schmeichelhafte Nachrichten über den Präsidenten. Eine davon kam aus dem Ausland: Im März hatte der australische TV-Sender ABC das seltene Privileg, Ferdinand Marcos Jr. zu interviewen. Nachdem die Reporterin einige Fragen zur philip­pinischen Balancepolitik zwischen den USA und China sowie zu regionalen Spannungen generell gestellt hatte, sprach sie die Korruptionshistorie der Fa­milie Marcos an. 

Zur brutalen Regentschaft von Marcos sen., die sein Sohn immer wieder heruntergespielt hat, fragte die Reporterin: „Gegenwärtige Gerichtsurteile erkennen die Grausamkeiten an, die begangen wurden, aber auch die Plünderung der Ressourcen des Landes. Warum sollte man nicht wollen, dass das ganze Geld wieder in die Hände des philippinischen Volkes gelangt?“ 

Mehrere philippinische Medien haben seither dokumentiert, was dann passierte: Der Präsident lachte verlegen, bezeichnete die Behauptungen, seine Familie schulde der Öffentlichkeit noch Geld, als Propaganda. Zudem forderten Assistenten von Marcos, dass das Interview abgebrochen werde. Der Präsident sah nicht gut aus. Und die Faktenchecker von Vera Files werteten aus: „Marcos behauptet fälschlicherweise, dass Fälle von unrechtmäßig erworbenem Reichtum ‚unwahr‘ und ‚Propaganda‘ seien.“

Eine andere ungünstige Nachricht über den Präsidenten kam dann direkt von dessen Amtsvorgänger Rodrigo Duterte, der sich inmitten der familiären Streitigkeiten offenbar vor seine Tochter stellen wollte. Schon im Januar rief Rodrigo Duterte auf einer öffentlichen Veranstaltung ein hartnäckiges Gerücht durch die Mikrofone: „Wir haben einen Drogensüchtigen als Präsident!“ Ferdinand Marcos Jr. soll Kokain zugeneigt sein. 

Nach der Logik des Ex-Präsidenten Duterte würde sein Nachfolger damit eigentlich den Tod verdienen. Doch so weit, diese drastische Forderung auszusprechen, ist in den philippinischen Medien kaum jemand gegangen. Vermutlich wäre das auch nicht lebensgefährlich für den Präsidenten geworden. Aber für diejenigen, die sie in einem Artikel ausbreiten, vielleicht schon

Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Das Streben nach Macht" erschienen.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2024, S. 116-119

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Dr. Felix Lill ist Journalist und Autor. Er berichtet aus vielen Ländern,  vor allem mit Fokus auf Ostasien.

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