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31. Aug. 2018

Politik vor Handel

Die Wiedergeburt der europäisch-indischen Partnerschaft

Die Beziehungen zwischen Indien und der EU gewinnen an Schwung, vor allem in sicherheitspolitischen Fragen. Dabei spielen die Lage im Indischen Ozean sowie Chinas Einmischung in Eurasien eine ­zentrale Rolle. Weiterhin Stillstand herrscht hingegen bei den Verhandlungen um ein ­bilaterales Freihandelsabkommen.

Es ist wieder Dynamik in die europäisch-indischen Beziehungen gekommen. Dabei schien das politische Momentum nach dem Abflauen der zunächst vielversprechenden strategischen Partnerschaft zwischen Brüssel und Neu-Delhi zu Beginn der 2000er Jahre schon längst verloren. In Indien nahm man die EU lange Zeit nur als Handelsblock und nicht als politischen Partner wahr und handelte dementsprechend Abkommen und Verträge vornehmlich bilateral mit einzelnen EU-Staaten aus. Gleichzeitig konzentrierte man sich in Brüssel im Hinblick auf die asiatischen Handelsbeziehungen zumeist auf China.

Neuerdings unternehmen beide Seiten jedoch beispiellose Anstrengungen, um ihre strategische Partnerschaft zu vertiefen. Die jährlichen EU-Indien-Gipfel stehen wieder ganz oben auf der politischen Agenda und wurden 2016 nach ­vierjähriger ­Pause erneut aufgenommen. Zudem ist die EU dabei, ihre Indien-Strategie zu überarbeiten, die noch aus dem Jahr 2004 stammt. Die europäisch-­indische Partnerschaft soll auf sicher­heitspolitische und strategische Beine gestellt werden und sich nicht mehr nur um die Themen Handel und Kultur drehen, wie es in der jüngeren Vergangenheit der Fall war.

Angesichts der immer selbstbewussteren Politik Chinas und der Unvorhersehbarkeit der amerikanischen Außenpolitik unter Donald Trump hat man in Brüssel und Neu-Delhi erkannt, welche Chancen in einer indisch-europäischen Partnerschaft stecken. Chinas verstärkte Präsenz in Europa und Südasien stellt die EU und Indien vor ähnliche sicherheitspolitische und wirtschaftliche Probleme. Im Bestreben, die Auslandsbeziehungen zu diversifizieren und Peking im Zaum zu halten, versucht Indien, sich an Staaten wie Japan und Aus­tralien oder die EU insgesamt sowie an ihre Mitglieder Deutschland und Frankreich anzu­nähern. Dieser Ansatz schafft angesichts sich weiter verschlechternder Beziehungen zu Russland, das seine Beziehungen zu China über das Verhältnis zu Indien gestellt hat, mehr außenpolitischen Raum für eine indisch-europäische Allianz.

Und auch der Brexit trägt dazu bei, dass Indien neue diplomatische Kontakte zur EU aufbauen muss. Auf den Partner Großbritannien kann man diesbezüglich nicht mehr lange zählen. Für die EU ist der Ausbau der Beziehungen zu aufstrebenden asiatischen Staaten ohnehin ein Muss.

Eine strategische Partnerschaft

Das deutlichste Zeichen dafür, dass in den europäisch-indischen Beziehungen eine neue Zeitrechnung anbricht, ist die Vertiefung der sicherheitspolitischen Kooperation. Aus einer losen Zusammenarbeit wird langsam, aber sicher eine strategische Partnerschaft. Das Abschlussdokument des EU-Indien-Gipfels „Agenda for Action 2020“ vom März 2016 kann dafür als Beleg gelten. Darin verständigten sich beide Seiten auf die Schaffung einer Reihe von neuen Instrumenten, mit denen die Kooperation in wichtigen sicherheitspolitischen Bereichen wie dem Anti-Terror-Kampf, der maritimen Sicherheit und der atomaren Abrüstung gestärkt werden soll.

Geht es darum, die europäisch-indische Kooperation auszubauen, bietet sich vor allem in der maritimen Sicherheit im Indischen Ozean ein vielversprechender Ansatz. Ursprünglich beschränkte sich die Zusammenarbeit der EU und Indien in dieser Region auf Anti-Piraterie-Einsätze. Der Versuch, Indien an der Atalanta-Mission der EU zu beteiligen, war kein durchschlagender Erfolg. Indien nahm die EU derweil traditionell sowohl in geografischer als auch in politischer Hinsicht als ­Akteur ohne großen Einfluss in der Region wahr.

Das ändert sich nun. Der Indische Ozean gilt mittlerweile als eine der wichtigsten Arenen im geopolitischen und geoökonomischen Wettstreit mit China. Die gesteigerte Präsenz der chinesischen Marine hat ein Wettrüsten unter den einflussreichen Staaten in der Region ausgelöst, bei dem auf allen Seiten Marinestützpunkte errichtet und Flotten verstärkt werden. Die massiven Investitionen, die Peking im Zuge der Belt and Road Initiative (BRI) in der Region tätigt, sind für Indien und andere südasiatische Staaten ebenfalls Grund zur Sorge und werden als Indiz dafür gewertet, dass China sich mehr Einfluss im Indischen Ozean verschaffen will.

Dies wäre eine Entwicklung, die sowohl Indien als auch die EU betreffen würde. Nicht zuletzt, weil der Indische Ozean eines der Schlüsselgebiete für den globalen Handel und den Energiemarkt ist. Mehr als 35 Prozent aller europäischen Exporte und circa 20 Prozent aller deutschen Exporte haben das Ziel Asien. Rund 90 Prozent dieser Güter werden über den Indischen Ozean transportiert.

Und auch Indien ist stark abhängig von der Region. 80 Prozent der indischen Ölimporte und 95 Prozent des indischen Außenhandels werden über den Indischen Ozean abgewickelt. Angesichts dieser Tatsachen sieht Indien die EU mittlerweile als wichtigen Kooperationspartner, mit dessen Hilfe man Institutionen aufbauen und die regionale Sicherheitsarchitektur stärken kann, um weiterer Militarisierung und Konfronta­tion in der Region vorzubeugen.

Ein zweites vielversprechendes Kooperationsgebiet ist die Vernetzung bzw. die Stärkung von europäisch-asiatischen Verbindungen bei Handel, Infrastruktur, Energie, Digitalwirtschaft und Zivilgesellschaft. Auch hier dominiert zurzeit China, das den Bau von Häfen, Straßen und Bahnstrecken vorantreibt, die beide Kontinente verbinden sollen. Eine ähnliche Positionierung Indiens und der EU im Hinblick auf die BRI und Vernetzung lassen eine künftige Kooperation als durchaus interessant ­erscheinen. Während der EU stärker als Indien daran gelegen ist, sich an der BRI zu beteiligen, sind sich Neu-Delhi und Brüssel aber einig, dass die unter der BRI getätigten Investitionen transparent und nachhaltig sein müssen, internationalen Normen und Standards folgen und keinen militärisch-kommerziellen Nutzen haben sollten.

In Europa und Südasien hat man ähnliche Erfahrungen mit der BRI gesammelt: fragwürdige Kreditvergaben, die kleinere Staaten (wie Montenegro oder Ungarn) finanziell destabilisieren könnten, die Vermischung von zivilen und militärischen Projekten und Versuche, die Einigkeit innerhalb Europas durch politische Einmischung zu untergraben. Ähnliche Trends sind auch von Pakistan bis Sri Lanka zu beobachten. Deshalb verfolgen indische Entscheidungsträger aufmerksam, wie die EU auf die BRI reagiert. Die von der EU angekündigte „Communication on ­Euro-Asia Connectivity“ wird darlegen, wie Brüssel mit Verbündeten zusammenarbeiten will, um die Vernetzung zwischen Europa und Asien voranzutreiben. Dies könnte auch den Beginn ­einer verstärkten Partnerschaft mit ­Indien markieren.

Diese kleinen Schritte zeigen, wieviel Potenzial in den europäisch-indischen Beziehungen steckt. Insbesondere, weil die beiden Partner mittlerweile viel Wert auf Koordinierung in bilateralen und regionalen ­Fragen ­legen. Bevor Indien die EU als ernstzunehmenden sicherheitspolitischen Partner wahrnimmt, wird es aber noch eine Weile dauern. Ohnehin wird die EU in Indien und anderen asiatischen Staaten oft als Investor, aber nicht als politischer Akteur wahrgenommen („payer not player“).

Die neuen Beschlüsse des Europäischen Rates, die vorsehen, dass die EU ihr sicherheitspolitisches Engagement in Asien und die sicherheitspolitische Kooperation mit asiatischen Partnern stärkt, könnte diese Wahrnehmung ändern. Sollte Brüssel diese Pläne umsetzen und dabei auf dem jetzt schon umfangreichen Engagement verschiedener EU-Staaten in Asien aufbauen, könnte die EU ihre Sichtbarkeit in der Region nachhaltig erhöhen. Dies würde die Partnerschaft mit Indien womöglich um eine weitere Dimension bereichern.

Stillstand beim Handel

Während viel Bewegung in die strategische Partnerschaft zwischen der EU und Indien gekommen ist, herrscht in einer Hinsicht noch immer Stillstand: Die Verabschiedung des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der EU und Indien (Bilateral Trade and Investment Agreement, BTIA) stockt auch nach der mittlerweile 16. Verhandlungsrunde noch. In der Vergangenheit wurden die Verhandlungen mehrmals wegen politischer Vorfälle auf Eis gelegt, etwa aufgrund der Verhaftung von italienischen Marinesoldaten in Indien. Zurzeit gelten vor allem geistige Eigentumsrechte, Zölle auf Automobile und Spirituosen sowie europäische Visabestimmungen als Streitpunkte. Die EU verlangt, dass Indien die Zölle auf europäische Automobile, Weine, Spirituosen und Milchprodukte senkt und wirksame Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums schafft. Indien wiederum pocht darauf, dass die EU die Visaregelungen für indische Service-Fachkräfte lockert und dem Land den „Data Secure Nation Status“ verleiht, ohne den indische IT-Firmen auf dem europäischen Markt nur schwer Fuß fassen können.

Manche Experten ­mutmaßen, dass die BTIA-Verhandlungen vom Brexit profitieren könnten, da Großbritannien zu den größten Gegnern einer Lockerung der europäischen Visabestimmungen zählt. Zudem machen sich Frankreich und Deutschland für eine Wiederaufnahme der BTIA-Verhandlungen stark – nicht zuletzt, weil sie von einem Freihandelsabkommen mit Indien ohne britische Beteiligung noch mehr profitieren könnten. Die Visa­frage bleibt jedoch in vielen EU-Staaten umstritten, und das derzeitige innenpolitische Klima sowie das Streitthema Migration erschweren die Diskussionen um die Arbeitsmobilität von indischen Fachkräften. Verkompliziert werden die Verhandlungen auch dadurch, dass Freihandels­abkommen in Indien seit jeher kritisch gesehen werden. Spätestens seit den durchwachsenen Ergebnissen des ASEAN-Deals sind indische Unterhändler äußerst vorsichtig geworden.

Die weiteren BTIA-Verhandlungen werden äußerst kompliziert sein. Auch weil im Frühjahr 2019 Parlamentswahlen in Indien stattfinden und es an Zeit und politischem Willen mangeln dürfte, vorher noch eine weitere Verhandlungsrunde anzustoßen. Ohnehin macht sich in Indien das ­Gefühl breit, dass die Verhandlungen bereits viel zu lange andauern und es die pragmatischere Lösung sein könnte, ein weniger umfassendes Übereinkommen anzustreben.

Mehr Schwung ohne Freihandel

Die stockenden BTIA-Verhandlungen stehen sinnbildlich für die Probleme, die ganz allgemein die europäisch-indischen Beziehungen plagen. EU-Staaten wälzen Debatten über komplexe Themen, zum Beispiel Menschenrechtsverletzungen, gerne auf Brüssel ab. Indien hat allerdings nicht die Kapazitäten, sich ständig mit einer Vielzahl von EU-Unterhändlern und Institutionen auseinanderzusetzen. Laut Shyam Saran, ehemaliger Staatssekretär im indischen Außenministerium, haben innenpolitische Krisen, der Brexit und die Spannungen in den transatlantischen Beziehungen die Hoffnung auf ein gefestigtes, einflussreiches Europa nachhaltig gestört. Gleichzeitig konzentriert sich Indien weiterhin darauf, durch Bündnisse den wachsenden chinesischen Einfluss in Südasien einzudämmen, was nur wenig Raum für den Ausbau der indisch-europäischen Partnerschaft lässt. Sowohl die EU als auch Indien sind zu sehr mit Problemen im Inneren und in ihrer Nachbarschaft beschäftigt, als dass sie sich nachhaltig miteinander befassen könnten.

Um das aktuelle Momentum in den europäisch-indischen Beziehungen aufrechtzuerhalten, bedarf es auf beiden Seiten größerer Anstrengung und vor allem konkreter politischer Schritte. Die Lage im Indischen Ozean und die immer direktere Einmischung Chinas in Eurasien könnten dabei als Motor für eine künftige Partnerschaft wirken. Die EU sollte ernsthaft darüber nachdenken, wie ein europäisches Engagement im Indischen Ozean nach dem Ende der Atalanta-Mission aussehen könnte.

Auch in Sachen Vernetzung sollte Brüssel nicht tatenlos bleiben, sondern aktiv auf potenzielle Partner wie Indien und Japan zugehen. Sowohl Indien als auch die EU sollten ihre Ressourcen nicht darauf verschwenden, die stockenden BTIA-Verhandlungen wiederzubeleben, sondern eine vielversprechendere sicherheitspolitische Kooperation anstreben.

In dieser Hinsicht darf man optimistisch sein. Der politische Wille ist auf beiden Seiten vorhanden. Mit­hilfe einer Reihe neuer Dialogforen versuchen Brüssel und Neu-Delhi, ihre gegenseitigen Positionen besser einzuschätzen und zu verstehen. Indiens außenpolitische Prämisse der Annäherung an regionale und internationale Partner lässt eine Kooperation realistischer erscheinen als jemals zuvor, und die Spannungen in den trans­atlantischen Beziehungen drängen die EU dazu, sich in Richtung Asien zu orientieren. Lange haben sich Beobachter darüber beschwert, dass die europäisch-indischen Beziehungen nicht „strategisch“ genug waren und von Handelsfragen dominiert wurden. Dies ändert sich nun endlich.

Dr. Garima Mohan ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Global Public Policy Institute (GPPi) in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September-Oktober, 2018, S. 95 - 99

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