Polen: Damoklesschwert Dekarbonisierung
Klimaerwärmung durch Kohlendioxid? „Lächerlich“. Dekarbonisierung? „Ketzerei“. Im Kampf gegen den Klimawandel hält sich Polens Regierung vornehm zurück. Deutlich engagierter ist man, wenn es darum geht, die europäische Klimapolitik zu schwächen.
Dass der polnische Umweltminister Jan Szyszko das Pariser Klimaabkommen als Erfolg wertet, hat er mit vielen Beobachtern gemein. Etwas anders aber sieht seine Begründung aus. Stolz gab Szyszko nach dem Gipfel bekannt, es sei im Wesentlichen der polnischen Delegation zu verdanken, dass nirgendwo in der Vereinbarung das Wort „Dekarbonisierung“ erwähnt werde. Das war dem Umweltminister besonders wichtig, nachdem Polens Präsident Andrzej Duda Anfang Dezember Dekarbonisierung als „staatsfeindliche Ketzerei“ bezeichnet hatte.
Anstatt Kohle durch andere Energieträger zu ersetzen, darf Polen gemäß der Interpretation des Abkommens durch Szyszko seine Emissionen durch Aufforstung und Revitalisierung von Wäldern kompensieren.
Aber bevor Polen überhaupt etwas unternehme, so Szyszko, müssten erst andere Länder ihre Emissionen deutlich senken: Polen habe seine Emissionen seit 1988 um 32 Prozent reduziert, während das Ziel im Kyoto-Protokoll lediglich 6 Prozent betrage.
Nur: Das Jahr 1988, in Kyoto noch das Basisjahr, spielt mittlerweile für die Minderungsziele der EU keine Rolle mehr. Stichjahr für die Minderungsziele für 2020 und 2030 ist das Jahr 1990 – und seit diesem Jahr sind Polens Kohlendioxidemissionen um lediglich 20 Prozent gefallen. Das ist etwas weniger als der Gesamtdurchschnitt der EU und viel weniger als in den meisten Ländern Osteuropas. Im Vergleich zu 2005 gehört Polen sogar zu den drei EU-Mitgliedsländern, deren Emissionen gestiegen sind. Das hindert den polnischen Umweltminister nicht daran, mit Emissionsreduktionen zu prahlen, die vor 20 Jahren stattgefunden haben.
Angesichts der engen Verflechtungen zwischen der Kohleindustrie und der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ist eine rasche Minderung der Kohlendioxidemissionen in Polen nicht zu erwarten. Im Januar behauptete Energieminister Krzysztof Tchórzewski, Polens Energiemix werde sich zumindest in den kommenden zehn Jahren nicht deutlich ändern. Auch wenn das Land große Anstrengungen in Sachen Energieeffizienz unternehme, werde Polens Energieverbrauch steigen. „Um gut leben zu können, müssen die Polen mehr Energie verbrauchen“, erklärte er. Diese Energie solle selbstverständlich aus polnischen Kohlekraftwerken kommen, die mit polnischer Kohle befeuert werden.
Das wird aber nicht so ganz einfach. Im Jahr 2015 war der polnische Strom auf der Börse nach dem litauischen der teuerste in Osteuropa. Die zukünftige Stromtrasse zwischen Schweden und Litauen wird auch hier die Strompreise sinken lassen. Gleichzeitig müssen die polnischen Energieunternehmen immer mehr Emissionszertifikate kaufen. Das wird den polnischen Strom im Vergleich zu dem aus anderen Ländern noch teurer machen.
Bisher erschwerten die mangelnden Verbindungen mit anderen Ländern den Stromimport. Doch der Netzausbau in Deutschland und die Inbetriebnahme von Phasenschiebern an der deutsch-polnischen Grenze zur besseren Steuerung der grenzüberschreitenden Stromflüsse dürften den Stromhandel und damit den Import erleichtern.
Und selbst wenn der Strom aus polnischen Kraftwerken käme, hieße das nicht unbedingt, dass dafür polnische Kohle verbrannt würde. Aufgrund des Überangebots auf den globalen Märkten ist der Kohlepreis in den vergangenen drei Jahren um mehr als 60 Prozent gefallen. Damit kann die Kohle aus polnischen Minen, in die seit Jahrzehnten nur wenig investiert wurde, kaum konkurrieren.
Im vergangenen Jahr hat das größte staatseigene Kohleunternehmen, Kompanie Węglowa, die Kohle deutlich unter den Förderkosten verkauft, um die Löhne der Bergarbeiter bezahlen zu können. Dadurch belief sich der Verlust der polnischen Kohleindustrie in den ersten neun Monaten 2015 auf fast 400 Millionen Euro; somit stieg der Schuldenberg des Sektors auf über 3,5 Milliarden Euro.
Von einer Schließung der unrentablen Bergminen wollen die Vertreter der Kaczyński-Partei nichts wissen. Kein Wunder, gehörten doch die Bergarbeitergewerkschaften zu den wichtigsten Verbündeten der PiS im Präsidentschafts-und Parlamentswahlkampf. Die Bergarbeiter selbst wurden von der Partei als wackere Verteidiger der polnischen Traditionen gerühmt. Ihr Nationalismus, ihre Religiosität sollten als Beispiel für den Rest des Landes dienen. Um ihre Arbeitsplätze zu retten, ist die Regierung in Warschau bereit, die europäische Klimapolitik zu demontieren.
Das hat auch damit zu tun, dass man das Problem des Klimawandels generell nicht so recht ernst nimmt. Noch 2013 hatte Umweltminister Szyszko bezweifelt, dass der Klimawandel tatsächlich etwas mit menschlichen Aktivitäten zu tun habe. Stattdessen hielt er Chemtrails für ein ernsteres Problem – jene Kondensstreifen, die von Verschwörungstheoretikern für Sprühspuren diverser chemischer Substanzen gehalten werden. PiS-Führer Jarosław Kaczyński nannte noch 2012 die Aussage, Kohlendioxidemissionen führten zur Klimaerwärmung, „lächerlich“. Im Wahlkampf hatten die Vertreter der PiS-Partei einen Ausstieg aus der europäischen Klimapolitik als Lösung aller Probleme der polnischen Kohleindustrie propagiert.
Inzwischen dürfte den Mitgliedern der Regierung in Warschau klargeworden sein, dass die europäische Integration kein Service à la carte ist. Also versuchen sie, die europäische Klimapolitik zu schwächen.
Ende Dezember beschloss die Regierung, gegen die Einführung einer so genannten „Marktstabilitätsreserve“ ab 2019, ein Kern der Emissionshandelsreform, vor dem Europäischen Gerichtshof zu klagen. Laut der polnischen Regierung verstoße diese Änderung während der aktuellen Emissionshandelsperiode (2013–2020) gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.
Knapp zwei Wochen später forderte Konrad Szymański, Regierungsvertreter für die Kontakte mit der Europäischen Union, eine Diskussion über die europäischen Klimaziele. Seiner Meinung nach zeigten die Klimaverhandlungen in Paris, dass die europäischen Verpflichtungen im Kampf gegen den Klimawandel im Vergleich zu anderen Ländern viel zu hoch seien und neu definiert werden müssten. Die Europäische Union solle sich überlegen, heißt es bei anderen PiS-Vertretern, ob sie mit ihren überambitionierten Zielen nicht Arbeitsplätze aufs Spiel setze. Wie erfolgreich diese Strategie ist, wird sich bei der Diskussion über die Verteilung der EU-Emissionsminderungsziele für 2030 zeigen.
Andrzej Ancygier lehrt Europäische Umweltpolitik an der Berliner Filiale der New York University und untersucht als Visiting Fellow an der Hertie School of Governance in Berlin die Auswirkung der deutschen Energiewende auf die polnische Energiepolitik.
Internationale Politik, März 2016, Online exklusiv