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01. Febr. 2007

Öljunkies auf Entzug!

Unwelt- und Ressourcenkrise: Bewährungsprobe für die Weltinnenpolitik

Der Kuchen wird kleiner, der Hunger größer, die Anzahl der Gäste auch: Die Grenzen des Wachstums kehren als geopolitische Konflikte zurück, als soziale Grenzen fossiler Energienutzung. Die Umwelt- und Ressourcenkrise gerät zur Bewährung postnationaler Politik, ihre Überwindung zum Maß globaler Gerechtigkeit.

Seit dem Aufkommen der Nationalstaaten war es die vornehmste Aufgabe der Außenpolitik, für die Selbstbehauptung eines Landes im Konkurrenzspiel der Nationen zu sorgen. Von „außen“ kommende Gefahren für den Staat, sein Territorium und seine Bevölkerung waren vorbeugend abzuwehren, der von „innen“ kommende Anspruch nach Geltung und Macht war wiederum im Außenraum durchzusetzen. Diesem Verständnis auswärtiger Politik hat die vieldimensionale Verflechtung der Weltgesellschaft den Boden entzogen. Denn in den letzten Jahrzehnten des alten Jahrhunderts ist jene Ordnung zu Ende gegangen, die man als die „Westfälische Konstellation“ bezeichnet hat.1 In der Folge des Westfälischen Friedens von 1648, der das Prinzip der territorial bezogenen Souveränität durchsetzte, war der europäische Nationalstaat entstanden. Einem Behälter gleich hielt der Nationalstaat die Gesellschaft in all ihren Aspekten auf einem umgrenzten Territorium zusammen,2 doch nun ist er zerbrochen: Wirtschaft, Kultur und Mobilität sind grenzenlos geworden. Die Trennung zwischen innen und außen löst sich zusehends auf.

Vor einem Vierteljahrhundert, noch bevor die Rede von der „Globalisierung“ aufgekommen war, brachte ein deutscher Bundeskanzler mit treffsicherer Intuition die politische Konsequenz weltweit angewachsener Interdependenz auf den Punkt. Alle Außenpolitik, so Willy Brandt in Aufnahme eines von Carl Friedrich von Weizsäcker geprägten Begriffs, sei von nun an nichts anderes als Weltinnenpolitik. Damit hat Brandt die Lage der Politik im postnationalen Zeitalter aufgedeckt. Wenn der Globus sich weniger als eine Zahl von Nationalstaaten präsentiert, die wie Billardkugeln stoßend und gestoßen in wechselnde Konstellationen treten, sondern als eine Weltgesellschaft, die von grenzüberschreitenden Netzwerken geprägt ist, dann wird die Unterscheidung von Innen- und Außenpolitik hinfällig. Im Begriff der Weltinnenpolitik verdichtet sich diese Einsicht: Die inneren Angelegenheiten sind fortan von der Außenwelt mitgeprägt, wie auch die Außenwelt von den inneren Angelegenheiten.

Mit der Verflechtung wächst auch die Verwundbarkeit. Auf vielfache Weise sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts die inneren Angelegenheiten eines Landes von transnationalen Kraftfeldern beeinflusst. So waren die USA nicht in der Lage, ihr Land gegen die Attentäter des 11. September 2001 zu schützen, „weil die Interdependenz den Schwachen die Chance eröffnet, die Kräfte des Starken gegen diesen selbst zu wenden“.3 Kein Ozean ist weit genug, keine Mauer hoch genug, um selbst mächtige Länder gegen Wirtschaftskrisen, Epidemien, ökologische Gefahren und staatenlose Gewalt abzuschirmen. Und nach wie vor sind schwächere Länder häufig von mächtigeren Ländern bedroht, die Gefährdung ihrer Sicherheit ist historisch nichts Neues. Am augenfälligsten sind die Länder der Welt über die Krisenlagen der Biosphäre verflochten; Umwelt- und Ressourcenkrisen bringen transnationale Gefährdungsketten hervor und werden ihrerseits über transnationale Wirkungsketten genährt. Welche Herausforderungen entstehen aus der globalen Umwelt- und Ressourcenkrise für eine Weltinnenpolitik? 

Ressourcen- und Umweltkonflikte als Treiber globalen Unfriedens

Gewiss, seit urdenklichen Zeiten spielen sich Ressourcenkonflikte – etwa der Streit zwischen Anrainern eines Wasserlaufs im Mittelalter oder das Gerangel europäischer Nationen um die Bodenschätze Afrikas zu Bismarcks Zeiten – im Dreieck von Begehr, Knappheit und Rivalität ab.  Doch seit die Endlichkeit der Biosphäre zutage tritt, kann der globale soziale Ausgleich nicht mehr über weiteres Wirtschaftswachstum erzielt werden. In einem begrenzten Umweltraum kann konventionelles Wachstum keine Gerechtigkeit mehr bringen. Deshalb verweisen Ressourcenkonflikte nunmehr auf einen Grundkonflikt: den zwischen ökonomischer Expansion und ökologischer Begrenzung.

Dieser Konflikt äußert sich nicht nur in Naturkrisen, sondern auch in Sozialkrisen. Denn zwischen Begehr und Knappheit tritt auch heutzutage die Rivalität. Noch immer stimmt die Daumenregel, dass 25 Prozent der Weltbevölkerung 75 Prozent der Weltressourcen verbrauchen. Der „ökologische Fußabdruck“ der Industriestaaten ist sehr viel größer als ihr eigenes Territorium. Und je mehr wichtige Naturressourcen zur Neige gehen, umso dringender wird die Frage ihrer Verteilung. Wem gehören die Ölvorräte, die Flüsse, die Wälder, die Atmosphäre? Wer hat welches Recht auf die lebensdienlichen Leistungen der Biosphäre? Wieviel darf ein jeder für sein Wohlergehen nehmen, ohne den anderen ihr Recht zu beschneiden? Fragen, die hinter vielen Ressourcen- und Umweltkonflikten stehen. Vier dieser grundlegenden Konfliktlagen sollen im Folgenden skizziert werden.

1. Überlebenskonflikte

Seit der frühen Neuzeit wurde die ganze Welt auf wertvolle Rohstoffe hin abgesucht. Doch heute hat sich die Grenze in der Suche und Ausbeute von Rohstoffquellen bis an die entlegensten Zonen vorgeschoben, weil leichter zugängliche Vorkommen mittlerweile erschlossen oder erschöpft sind. Öl wird tief im Urwald und tief im Meer gefördert, Holz aus dem fernen Patagonien und Sibirien geholt, schwimmende Fischfabriken durchkämmen die Meere vom Polarkreis bis zur Antarktis. Begehrt sind vor allem Energieträger, insbesondere Öl und Gas, gefolgt von Metallen wie Gold, Zinn, Silber, Kobalt, und biotische Rohstoffe wie Holz und Fische. Besonders da, wo die Rohstoffausbeutung in bisher unerschlossene Gebiete vorrückt, sind es die Territorien indigener Gesellschaften, welche ins Netz weltweiter Ressourcenflüsse eingegliedert werden.

So auch im Amazonasgebiet Ecuadors.4 Seit 1964 das Konsortium Texaco-Gulf die ersten Bohrstellen eröffnet hat, ist im so genannten „Oriente“ das Ölzeitalter angebrochen. Besonders dramatisch sind die Folgen der Wasserverschmutzung bei der Ölausbeutung: Giftige Abfälle und Abwasser verunreinigen Bäche und Flüsse, die den Einwohnern als Trinkwasser, Kochwasser und zum Waschen dienen. Über zahlreiche Lecks in den Leitungsrohren sickerte Öl in Boden und Wasser; in den letzten 20 Jahren, so wird geschätzt, flossen aus über 30 Brüchen im Pipeline-System mehr als eine halbe Million Barrel Öl in Ecuadors Flussläufe. Doch die im Oriente lebenden indigenen Gruppen, die Quichua, Huaorani und Shuar, sind auf die Naturräume der Wälder, der überfluteten Gebiete und der Flussufer angewiesen. Da mit Abholzung und Vergiftung auch Pflanzen, Fische und Wildtiere verschwanden, erodierte die Existenzbasis der indigenen Gruppen. Mangelernährung, sozialer Niedergang und letztendlich Vertreibung sind die Folge.

Das Beispiel Ecuador zeigt ein wiederkehrendes Muster. Auf der einen Seite steigt die Weltnachfrage nach Naturressourcen aller Art, auf der anderen Seite aber warten diese Ressourcen nicht einfach in einem Niemandsland darauf, abgeholt zu werden. Vielmehr liegen sie oft im Lebensraum ortsansässiger Bewohner und machen deren Lebensgrundlagen aus. Die Nutzung der Ökosysteme als „commons“ steht dabei gegen ihre Nutzung als „assets“ zur Gewinnbildung.5 Durch die Ölförderung, den Plantagenbau, die Abholzung oder durch industriellen Fischfang wird oftmals die Lebensbasis der Einwohner bedroht. Hier wird der Überkonsum der globalen Konsumentenklasse zur Existenzfrage für viele Menschen im Süden. Eine den Menschenrechten verpflichtete (Außen-)Politik wird hier nicht wegsehen können. Da Deutschland den nationalen Grundrechten sowie den internationalen und europäischen Menschenrechten verpflichtet ist, wird von Berlin eine Politik erwartet, welche die Existenzrechte gerade der am wenigsten Begünstigten schützt. Das bedeutet nach innen, die Ressourcenabhängigkeit zu verringern und es bedeutet nach außen, über bi- und multilaterale Verträge die Lebensbasis indigener Völker und anderer Subsistenzgemeinschaften sicher zu stellen. „Human security“, das ist die Grundregel, geht vor nationaler Ressourcensicherheit.

2. Regimekonflikte

Bis vor gar nicht langer Zeit war die Entdeckung mineralischer Rohstoffvorkommen ein Grund zum Jubel. Doch Augenschein und Empirie haben dieses Bild nachdrücklich zurechtgerückt. Vergleichende Untersuchungen zeigen, dass ressourcenreiche Länder in Wirklichkeit langsamer wachsen als andere und geringere Pro-Kopf-Einkommen aufweisen. Je mehr Länder vom Export an Bodenschätzen abhängen, desto schlechter sind sie überdies auf dem Human Development Index platziert. Was Kindersterblichkeit, Lebenserwartung und Kindererziehung angeht, bleiben sie beträchtlich hinter dem Durchschnitt ressourcenärmerer Länder zurück. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen hat gegenwärtig die These vom „Ressourcenfluch“ jene vom Ressourcensegen abgelöst.6

So trägt man in Ländern wie dem Iran, in Russland, in der arabischen Welt und in Teilen Afrikas schwer am Fluch des Öls – Nigeria kann als der Modellfall eines Landes angesehen werden, das zum Opfer des Öls wurde. Andere ölreiche Länder wie Angola, Kamerun oder Sudan sind ähnlich intransparent und repressiv, wie auch etablierte Ölstaaten – Saudi-Arabien, Kuwait, Irak, Brunei, Russland – alles andere als eine Zierde für die Demokratie darstellen. Denn Staaten, deren Einkommen hauptsächlich aus dem Verkauf von Ressourcen rühren und nicht aus Steuern der Bürger, tendieren zu einer Kultur der Korruption. Man spricht hier von Rentenstaaten: Die Machthaber fühlen sich gegen-über dem Volk nicht verpflichtet, weil ihre Einnahmen gesichert sind. Es stehen genügend Mittel zur Verfügung, um eine Günstlingswirtschaft zu etablieren. Eine Nation kann so zur Geisel einer Machtclique werden, und eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt bestimmt die Tagesordnung. Wenn aber die Bevölkerung ausgeschlossen ist oder gar von einem Gewaltmonopol des Staates nicht mehr die Rede sein kann, vertieft sich die Armut, und ganze Regionen können in den Strudel der Rechtlosigkeit gezogen werden.

Solche Konflikte scheinen unendlich weit von den Zapfsäulen, Heiztanks und Klimaanlagen in den reicheren Teilen der Welt entfernt zu sein. Und doch: Das Öl – ebenso wie Diamanten, Coltan, Kupfer oder Edelholz – landet bei den wohlhabenden Verbrauchern in Nord- wie in Südländern. Es ist letztendlich die starke Nachfrage der Wohlhabenden, welche die Ressourcenausbeute so lukrativ macht, dass sich darauf kleptokratische Regime aufbauen lassen. Und es ist das Interesse an verlässlichen Nachschublinien, was selbst Regierungen und Firmen demokratischer Länder zur Komplizenschaft mit autoritären Regimen verleitet – Saudi-Arabien und zunehmend Russland sind Beispiele.

Auch in diesem Fall ergeben sich für die Außenpolitik Forderungen nach innen und nach außen: Unter einem neuen Verständnis von Außenpolitik wird die Verringerung der Abhängigkeit von Ressourcen fallen müssen, also traditionell ein Bereich der Innenpolitik. Die Beseitigung der Straffreiheit von Schmiergeldern fällt ebenso unter diese Rubrik. Außenpolitisch ergeben sich Konsequenzen für den Umgang mit diktatorischen Regimen, für die Transparenz von Geldflüssen, das Verhalten von internationalen Unternehmen, wie auch für die Bürgschaften von Projekten in solchen Staaten.

3. Verteilungskonflikte

Der sichere Zugang zum Öl ist seit langem ein zentraler Faktor geopolitischer Strategien. Denn Erdöl ist der Lebenssaft der Industriezivilisation.7 Neuerdings steigt die geopolitische Bedeutung von Öl nochmals, weil seine Endlichkeit bereits absehbar ist. Die jährliche Förderung ist inzwischen bedeutend größer als die Menge der Neufunde. Für jedes neu entdeckte Barrel Rohöl werden etwa vier Barrel entnommen. Bezogen auf alle Ölfelder weltweit gibt es einen Punkt der maximalen Förderung, den so genannten Depletion Mid Point, nach dem die Produktionsrate unweigerlich absinkt. Viel spricht dafür, dass der Punkt der maximalen Ölfördermenge im Zeitraum zwischen 2008 und 2015 erreicht werden wird.8

Diese Krise kündigt sich zu einer Zeit an, in der weltweit der Öldurst stetig wächst. Die Nachfrage schwillt besonders in den neuen Verbraucherländern an, allen voran in China, Indien und Brasilien. China hat gegenwärtig bereits die Position des weltweit zweitgrößten Importeurs an Öl erreicht, und selbst Länder wie Malaysia, Vietnam oder Indonesien, die heute noch Exporteure sind, werden sich binnen eines Jahrzehnts zu Nettoimporteuren wandeln. Weil gleichzeitig die Industrieländer weit davon entfernt sind, ihren Verbrauch an Öl nennenswert zurückzuschrauben, ja ihn sogar in vielen Fällen wachsen lassen, wird die Lage eng.

Wo der Kuchen kleiner wird, der Hunger aber größer und die Anzahl der Gäste zunimmt, da öffnet sich ein dauerhaftes Konfliktfeld.9 Den höchsten Preis werden die armen Länder bezahlen: Wie Analysen der Internationalen Energie-Agentur (IEA) zeigen, führen allein die reinen Primäreffekte eines Ölpreisanstiegs von 15 auf 25 Dollar pro Barrel in den Industrieländern zu einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums um 0,4 Prozent, in den asiatischen Entwicklungsländern um 0,8 Prozent und in den Ländern südlich der Sahara sogar um drei Prozent.10 Die Ungleichheit in der Welt wird sich -vergrößern.

So werden weit vor den ökologischen Grenzen die sozialen Grenzen der Nutzung fossiler Energieträger sichtbar. Die Endlichkeit von Öl wird zum Destabilisierungsfaktor, lange bevor das letzte Barrel aus der Erde gepumpt ist. Die „Grenzen des Wachstums“ kehren als geopolitische Konflikte wieder. Damit dreht sich eine lang gehegte Selbstverständlichkeit aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts um: Entwicklung fördert nicht den Frieden, sondern führt – solange sie auf Öl, Gas oder Kohle basiert – in die Friedlosigkeit.

In diesem Bereich wird die gegenseitige Abhängigkeit der Innen- und Außenpolitik vielleicht am deutlichsten: Ohne Verringerung der Ölabhängigkeit werden Deutschland und Europa weiter wie der Junkie an der Nadel hängen. Neben der notwendigen Diversifizierung und der klassischen Sicherung von Ressourcen durch Verträge ist deshalb die Reduktion des Verbrauchs fossiler Brennstoffe eine zentrale Forderung der Sicherheitspolitik. Umgekehrt werden die nationalen und europäischen Anstrengungen des „weg vom Öl“ durch ein auf Kooperation gegründetes internationales Regime erheblich vereinfacht und beschleunigt. Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit ist hier berührt: je besser die hoch industrialisierten Staaten den Süden beim „leap frogging“ -unterstützen, desto länger „hält“ das Öl. Außen-, Umwelt- und Entwicklungspolitik müssen Hand in Hand arbeiten – eben Weltinnenpolitik im Brandt’schen Sinne betreiben.

4. Verlagerungskonflikte

Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die bitteren Auswirkungen des Klimawandels vorrangig jene Länder und Menschen treffen, die am wenigsten zu ihm beitragen. Übereinstimmend erwarten einschlägige Untersuchungen,11 dass die Länder des Südens und in ihnen besonders jene kaufkraftschwachen Gruppen auf dem Lande, die direkt von der Natur abhängig sind, die destabilisierenden Folgen der Erderwärmung schroffer zu spüren bekommen werden als Industrieländer und Stadtbevölkerungen. Die wirtschaftliche Grundlage zahlloser Dörfer und Städte wird von Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion und Produktivität betroffen sein.

Zudem ist zu erwarten, dass die Umwelt ungesunder wird; Ernten werden eher von Ungeziefer und Unkraut befallen, während die Menschen sich mehr mit Malaria, Denguefieber oder Infektionskrankheiten anstecken.12 Ein Anstieg des Meeresspiegels wird einige der am dichtesten besiedelten Länder, z.B. Bangladesch, zum Teil unbewohnbar machen – Prognosen besagen, dass bei einem globalen Temperaturanstieg um 2°C im Jahre 2050 etwa 25 Millionen Menschen zusätzlich von Überflutung der Küsten, zwischen 180 und 250 Millionen von Malaria und zwischen 200 und 300 Millionen von Wasserknappheit bedroht sind.13 Weit davon entfernt, lediglich ein „weiches“ Naturschutzthema zu sein, wird daher Klimawandel zur unsichtbaren Hand hinter wirtschaftlichem Niedergang, sozialer Erosion und Vertreibung.

Doch gilt in diesem Bereich auch die eingangs gemachte Beobachtung der wachsenden Interdependenz: Auf wenigen Politikfeldern haben die ärmeren Staaten mehr Druckmittel in der Hand als in der Klimapolitik.14 Wahrscheinlich trifft es sie am härtesten, doch wird der Klimawandel auch Verheerungen in den Metropolen des Nordens hervorrufen. Hurrikan Katrina hat 2005 eindrucksvoll bewiesen, welche Schäden ein steigender Meeresspiegel in den großen Städten wie Hamburg, London, New York, Rio de Janeiro oder Kapstadt anrichten würde. Der Süden muss lediglich nichts tun und auf dem „business as usual“ Pfad mit dem ökonomischen Wachstum fortfahren. Deshalb hat auch Deutschland ein sehr großes Interesse daran, gerade die Schwellenländer am Klimaschutz zu beteiligen. Hier ist Außenpolitik einerseits klassische Gefahrenabwehr, andererseits – vermittelt über die physischen Wirkungen und die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Umsteuerns – auch Innenpolitik.

Außenpolitik als Biosphärenpolitik

Die physischen Grenzen unseres Planeten sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder zum Thema geworden, 30 Jahre nachdem sie durch Dennis Meadows’ Bericht an den Club of Rome das erste Mal thematisiert worden sind.15 Diese Erkenntnis führt, zusammen mit der wirtschaftlichen und technologischen Globalisierung, aufgrund der absehbaren Umwelt- und Ressourcenkonflikte zu einem Wechsel der Arbeitsgrundlage für Außenpolitik. Nicht länger kann in nationalen „Behältern“ gedacht werden oder in Kompetenzbereichen: Das Innen und das Außen gehören zusammen – Klimaaußenpolitik ohne nationale Klimaschutzmaßnahmen ist unsinnig. Nicht länger kann effektive Außenpolitik sich in der Verteidigung enger so genannter „nationaler Interessen“ erschöpfen: Das nationale Interesse umfasst heute über eine Vielzahl von Rückkopplungs- und Kaskadenmechanismen das Wohlergehen aller Menschen auf diesem Planeten.

Das bedeutet aber auch: Das nationale Wohl ist nicht länger der Bezugsrahmen für eine aufgeklärte Außenpolitik, sondern vielmehr das Gemeinwohl der Weltgesellschaft. Willy Brandt stellte sich mit seiner Formulierung der „Welt-innenpolitik“ auf eine Linie mit jenem Projekt, welches schon 1795 Immanuel Kant in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ andachte: die Verwirklichung einer Weltbürgergesellschaft. Für Kant lag die Bedeutung einer tragfähigen Weltordnung darin, dass die Staaten davon ablassen, sich wie konkurrierende Einzelwesen zu benehmen, die nur auf ihre relativen Machtvorteile aus sind. Stattdessen wollte er Machtbeziehungen in Kooperationsbeziehungen umformen und die Rechte der Bürger über die Interessen ihrer Staaten stellen.

Vielleicht braucht es ja, 60 Jahre nach der Gründung der Vereinten Nationen, einen erneuten Anlauf zur Errichtung einer wahrhaft nachhaltigen globalen Ordnung – sozusagen „San Francisco 2.0“.16 Die UN-Charta, die Charta der Menschenrechte, danach die Menschenrechtspakte und inter-nationalen Wirtschaftsorganisationen – das waren erste Würfe, nicht schlecht, aber unvollständig. Denn ohne eine handlungsfähige Umweltorganisation zur Bewältigung der globalen ökologischen Krisen und ohne eine an der Gerechtigkeit orientierte internationale Sozialpolitik wird es keinen Frieden geben, nicht für Arm und nicht für Reich.

Auch wird sich ohne einen schonenden Umgang mit Naturgütern keine globale Sicherheitsordnung errichten lassen. Strategien zur Steigerung der Ressourcenproduktivität sind daher auch Friedenspolitik. Es wäre allerdings verfehlt, Ressourcenkonflikte nur als Sicherheitsfrage zu thematisieren. Letztendlich geht es um Recht oder Unrecht, Macht und Ohnmacht, also: um Gerechtigkeit im transnationalen Raum. Wer nur von Sicherheit spricht, denkt gewöhnlich an die eigene und nicht an jene der anderen. Deshalb kommt es darauf an, die Konfliktlagen auf dem Globus nicht nur als Sicherheitsproblem, sondern auch als Ergebnis von Ungerechtigkeit zu begreifen. Nicht umsonst gehört der Spruch „Friede ist das Werk der Gerechtigkeit“ von alters her zur Überlieferung politischer Weisheit.

Dr. WOLFGANG SACHS, geb. 1946, arbeitet als Wissenschaftler am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

Dr. HERMANN E. OTT, geb. 1961, ist Leiter des Berliner Büros und Direktor der Abteilung Klimapolitik im Wuppertal Institut.
 

  • 1Ulrich Menzel: Globalisierung versus Fragmentierung, Frankfurt a. M. 1998.
  • 2Ulrich Beck: Was ist Globalisierung?, Frankfurt a. M. 1997.
  • 3Benjamin Barber: Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt, München 2003, S. 21.
  • 4Tobias Haller u.a.: Fossile Ressourcen, Erdölkonzerne und indigene Völker, Gießen 2000.
  • 5Wolfgang Sachs: Ökologie und Menschenrechte, Wuppertal Paper Nr. 131, Wuppertal 2003.
  • 6Michael Renner: The Anatomy of Resource Wars, Worldwatch Paper 162, Washington 2002; -Philippe Le Billon (Hrsg.): The Geopolitical Economy of ‚Resource Wars‘, Milton Park 2005.
  • 7Wuppertal Institut: Fair Future. Begrenzte Ressourcenund globale Gerechtigkeit, München 2005.
  • 8Peter Hennicke und Michael Müller: Weltmacht Energie, Stuttgart 2005.
  • 9Nikolaus Supersberger in: Peter Hennicke und Michael Müller (Anm. 8).
  • 10International EnergyAgency (IEA): World Energy Outlook 2004, Paris 2004.
  • 11William Hare: Assessment of Knowledge on Impacts of Climate Change – Contribution to the Specification of Art. 2 of the UNFCCC, Externe Expertise für das WBGU-Sondergutachten „Welt im Wandel: Über Kioto hinausdenken. Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert“, Berlin 2003.
  • 12Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC): Climate Change 2001: Impacts, Adaptation, and Vulnerability, Cambridge 2001.
  • 13Martin Parry u.a.: Millions at Risk. Defining Critical Climate Change Threats and Targets, in: Global Environmental Change, Bd. 11, Nr. 3, S. 181–183.
  • 14Sebastian Oberthür und Hermann E. Ott: Das Kyoto-Protokoll. Internationale Klimapolitik für das 21. Jahrhundert, Opladen 2000.
  • 15Dennis Meadows u.a.: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Reinbek 1972.
  • 16Hermann E. Ott: Zurück nach San Francisco, Entwicklung und Zusammenarbeit, 5/2006, S. 197–199.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2007, S. 6-15.

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