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01. Aug. 2006

Öffnung zur Welt

Anmerkungen zu den jüngsten Debatten über das Goethe-Institut

Welchen Anspruch und Auftrag hat das Goethe-Institut, und welche
Ausstattung braucht es, um diesen Auftrag zu erfüllen? Darüber ist eine
lebhafte Kontroverse entflammt. Sie zeigt vor allem eines: Die deutsche
auswärtige Kulturpolitik muss eine strategische Entscheidung treffen, wie sie
in einem grundlegend veränderten geopolitischen Umfeld künftig auftreten will.
Und sie muss diesen Auftritt angemessen finanzieren.

Seit die Süddeutsche Zeitung Ende März in großer Aufmachung berichtete, die Schließung des Goethe-Instituts in Kopenhagen stehe unmittelbar bevor, ist der wichtigste Mittler deutscher Kultur im Ausland nicht mehr aus den Schlagzeilen herausgekommen. Alle Beteuerungen der Institutsleitung in München, noch sei nichts entschieden, niemand wolle leichten Herzens Kopenhagen aufgeben, haben nichts gefruchtet. In den Feuilletons ist eine Debatte über die Zukunft des Goethe-Instituts entbrannt, flugs war gar von einer veritablen „Krise“ der Organisation die Rede. Der Unterausschuss für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Bundestags lud eigens Sachverständige zu einer Anhörung,1 und auch der Außenminister ließ sich verschiedentlich zu seinen Vorstellungen über die auswärtige Kulturpolitik vernehmen. Dass ein einziger Zeitungsartikel, der vorwiegend mit geschickten Übertreibungen arbeitete, ein solches Echo finden konnte, ist ein sicherer Hinweis auf ein tieferliegendes Problem. Tatsächlich ist „Kopenhagen“ nichts weiter als eine Chiffre für die überfällige Auseinandersetzung über Anspruch, Auftrag und Ausstattung des Goethe-Instituts (GI).

Dabei steht das Institut keineswegs „vor dem Zusammenbruch“, wie es reißerisch in der Unterzeile des SZ-Beitrags hieß. Im Gegenteil, es genießt bei seinen ausländischen Partnern einen exzellenten Ruf; die meisten seiner rund 120 Filialen in aller Welt arbeiten mit großem Enthusiasmus und Erfolg, und seine Struktur und innere Autonomie waren nicht zuletzt das Vorbild, als sich Spanien 1991 daran machte, mit dem Instituto Cervantes ein eigenes Netz von Kulturinstituten aufzubauen. Von einer fundamentalen Krise oder einem Zusammenbruch kann also nicht ernstlich die Rede sein. Das Goethe-Institut steht aber vor strategischen Entscheidungen, die von weitreichender Bedeutung für seinen künftigen Erfolg sein werden. Die deutsche auswärtige Kulturpolitik muss sich, verkürzt gesagt, darüber klar werden, ob sie sich in Zukunft auf die Bewahrung des Status quo beschränken oder auf die Entwicklungen reagieren will, die gewöhnlich unter dem Stichwort „Globalisierung“ subsumiert werden. Dabei verschränken sich zwei längerfristige Verschiebungen, die mittlerweile unabweislich auf eine Entscheidung drängen: zum einen die kontinuierliche Ausdünnung der öffentlichen Zuschüsse an das Goethe-Institut, zum anderen die grundlegende Veränderung des geopolitischen Umfelds, in dem das Goethe-Institut agiert.

Bislang lebt das Institut ganz überwiegend von institutionellen Zuwendungen des Auswärtigen Amtes, rund 160 Millionen Euro im Jahr; hinzu kommen private und institutionelle Spenden sowie Eigenmittel, vor allem Erlöse aus Deutschkursen im Ausland. Der größte Batzen dieses Budgets fließt, ähnlich wie in fast allen öffentlichen Institutionen, in die festen Strukturen, in Löhne, Gehälter, Immobilien und Substanzerhalt; nur ein Bruchteil steht für die Programm- und Projektarbeit zur Verfügung. Der Tag ist nicht mehr fern, an dem einige der teuer finanzierten Institute keinen Cent mehr haben werden, um auch nur eine einzige Veranstaltung zu bezahlen.

Verschärft wird dieses ungünstige Verhältnis von gebundenen und freien Mitteln noch durch die Sparpolitik des Bundes. Während das GI seine Einnahmen in den vergangenen zehn Jahren nach eigenen Angaben um 40  Prozent erhöhen und seine Kosten seit 2001 um zehn Prozent reduzieren konnte, hat das Außenministerium seine Zuweisungen in den letzten zwölf Jahren kontinuierlich gesenkt, und zwar unabhängig vom Parteibuch des zuständigen Ministers. Wann immer dem Auswärtigen Amt vom Parlament globale Minderausgaben oder andere finanzpolitische Grausamkeiten verordnet wurden, haben die Außenpolitiker sie umstandslos an die Mittlerorganisation und vor allem an das Goethe-Institut durchgereicht. Zwar gelobte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier Mitte Mai vor dem Kulturausschuss des Bundestags, aus diesem Automatismus ausbrechen zu wollen und künftig im Parlament für eine „Trendumkehr“ werben zu wollen. Bislang aber profitiert das GI von derlei Absichtserklärungen noch keineswegs. Die Haushälter von Goethe sprechen vielmehr von einem „strukturellen Defizit“ von sieben bis elf Millionen Euro im Jahr, mit dem das Institut künftig zurechtkommen müsse.

Koordinatenverschiebung

Der vergleichsweise kleine Fehlbetrag schmerzt das Goethe-Institut um so mehr, als es sich zugleich vor ganz neue Herausforderungen gestellt sieht. „So wie nach dem Zweiten Weltkrieg selbstverständlich Europa und die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten im Vordergrund der äußeren kulturpolitischen Beziehungen standen und nach dem Mauerfall die Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa, so haben sich mittlerweile die weltweiten Koordinaten in Richtung China, Indien und islamisch geprägte Welt verschoben“, erklärte der Generalsekretär des Goethe-Instituts, Hans-Georg Knopp, Anfang Mai nach einer Präsidiumssitzung vor der Presse in Berlin, und er warb für eine stärkere Präsenz in diesen Regionen.

Noch allerdings spiegelt das Netz der Goethe-Niederlassungen nichts von dieser Koordinatenverschiebung wider. Wer es betrachtet, könnte im Gegenteil auf den Gedanken kommen, der Zweite Weltkrieg sei eben erst zu Ende gegangen, Adenauer noch Kanzler und die Aussöhnung mit den Nachbarn im Westen nur ein kühner Traum. Fast die Hälfte seines Budgets nämlich, exakt 43 Prozent, gibt das Goethe-Institut für seine Arbeit in Westeuropa aus. In Frankreich unterhält es sechs Häuser, in Italien sogar sieben. Zum Vergleich: In Großbritannien und Irland gibt es vier Dependancen, in den Vereinigten Staaten sieben, in Russland zwei und in China nur anderthalb. Mit lediglich geringer Übertreibung ließe sich sagen, das Goethe-Institut sei ein Verein zur Pflege der deutschen Sprache und Kultur in Frankreich und Italien mit angeschlossenen Außenstellen im Rest der Welt. Die Fixierung auf Westeuropa zu konstatieren heißt nicht, die Arbeit der Häuser in – sagen wir Paris oder Palermo – zu kritisieren. Die Massierung von Instituten westlich des Rheins und südlich der Alpen hat gute historische Gründe, und die Arbeit der Goetheaner dort hat in den vergangenen Jahrzehnten ein Kapital an Kenntnissen, Kontakten und Erinnerungen angehäuft, das auch in Zukunft hoffentlich reiche Zinsen tragen wird.

Gleichwohl lässt sich kaum übersehen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Kulturarbeit in westeuropäischen Städten drastisch verändert haben. Nicht etwa, weil die Nähe zu Frankreich und Italien heute weniger erstrebenswert wäre als in den vergangenen 50 Jahren, und schon gar nicht, weil der mühsame Prozess des Kulturaustauschs sich durch seinen unbestreitbaren Erfolg gleichsam erledigt hätte – das wird nie geschehen; vielmehr, weil sich gerade die Arbeit vieler Kulturinstitutionen in Europa ganz selbstverständlich internationalisiert hat, einige betreiben mittlerweile ihre eigene auswärtige Kulturpolitik.

„Es besteht kein Zweifel, dass eine Neubestimmung der Aufgaben der Goethe-Institute in Italien ansteht“, schrieb deshalb bereits vor fünf Jahren der italienische Politikwissenschaftler und Träger der Goethe-Medaille Gian Enrico Rusconi im Katalog der Ausstellung „Murnau – Manila – Minsk“, der offiziellen Schau zum 50-jährigen Bestehen des GI. Die Notwendigkeit einer Neuorientierung, so Rusconi, ergebe sich „aus der Tatsache, dass die Institute ihre ursprüngliche Mission der Anbahnung, Vertiefung und Konsolidierung der kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Italien erfolgreich durchgeführt haben. Diese Beziehungen bedürfen nunmehr eines Neubeginns mit anderen als den überlieferten Rezepten – eines Neubeginns, der den italienisch-deutschen Bilateralismus enger in eine europäische Dimension einbindet.“

Zu den Umbrüchen, auch Fortschritten, innerhalb Europas kommen die noch weitaus dramatischeren jenseits des Kontinents. Sie vor allem geben der Konzentration des Goethe-Instituts auf den Westen Europas etwas Unzeitgemäßes, seltsam Weltabgewandtes, das sich nur schwer rechtfertigen lässt. Zu den Faktoren der Veränderung zählen nicht nur das Ende des Kalten Krieges, der 11. September und die sich zuspitzende Auseinandersetzung mit dem islamischen Fundamentalismus, sondern auch und gerade der Aufstieg mancher Schwellenländer zu ambitionierten Akteuren der Weltpolitik. Der brasilianische Soziologe Laymert Garcia dos Santos etwa berichtete auf einer Tagung des Goethe-Instituts in Tutzing unlängst von den intensiven wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Verbindungen seines Landes mit Staaten wie Südafrika, China und Indien. Die Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, spitzte diese Beobachtung mit der Bemerkung zu: „Wir Europäer sind die letzten, die noch glauben, wir seien der Nabel der Welt.“

Intellektuelle Interessensphären

Die deshalb notwendige Ausweitung des Horizonts ist kein Phänomen, mit dem sich nur die deutschen Kulturvermittler konfrontiert sehen. Es beschäftigt alle europäischen Kulturinstitute, das Institut Français genauso wie den British Council. Auch deren Strategen suchen nach Antworten auf die Frage, wie ihre Institute auf die Globalisierung reagieren können: Soll die auswärtige Kulturpolitik den globalen Austausch den Kräften von Politik und Ökonomie überlassen, den Märkten und Großkonzernen, den international operierenden Medienkonglomeraten und den weltweit vernetzten Finanzströmen? Oder soll sie sich gerade in einer Welt, in der sich die Kraftfelder verschieben, die Handels- und Kommunikationswege neu definiert werden und Europa zusehends in eine periphere Rolle gerät, auch fernab der Heimat stärker engagieren? Der British Council hat längst mit einer Umsteuerung begonnen. Er gibt nach drastischen Einschnitten und der Schließung mehrerer Häuser nur zehn Prozent seines Budgets in Westeuropa aus.

Zwei Antriebe vor allem sind für die geographische und inhaltliche Umorientierung auszumachen: Zum einen das, was gelegentlich „die islamische Frage“ heißt, das Gespenst eines Kampfes der Kulturen also, das nach Karikaturenstreit und Filmen wie dem „Tal der Wölfe“ durchaus mehr zu sein scheint als nur eine düstere Phantasie; zum anderen die massiven Bemühungen Chinas, seine Präsenz in der Welt auch kulturell zu verstärken. Natürlich sind die Kulturarbeiter durchweg viel zu distinguiert, um von einer globalen Konkurrenz, von einem geistigen Fernduell zu sprechen. Aber genau darum geht es. Um Einfluss, um Präsenz, um intellektuelle Interessensphären. In den vergangenen beiden Jahren hat das chinesische Erziehungsministerium 55 Konfuzius-Institute errichtet: 17 in Asien, 18 in Europa (zwei davon in Deutschland), neun in Nordamerika, fünf in Lateinamerika, drei in Afrika und drei in Ozeanien; bis Ende 2006, so heißt es aus Peking, sollen es schon mehr als 100 Institute sein. Was genau diese chinesischen Schaufenster erreichen sollen, ob Peking lediglich die Kenntnisse der chinesischen Sprache in der Welt verbreiten will, oder ob es eine größer angelegte Cultural Diplomacy betreibt, etwa, um mit der Soft Power der Kunst die verbreitete Angst vor einer chinesischen Bedrohung zu mildern – all das ist noch ungewiss. Klar ist lediglich, dass Chinas Kulturoffensive sich nicht auf Asien beschränkt, sondern ganz gezielt auch den Westen erreichen soll. Länder also, mit denen es bislang keine gemeinsame politische und kulturelle Geschichte teilt, die aber aller Voraussicht nach für Chinas Zukunft wichtig werden dürften.

In Deutschland hingegen verstehen sich solche vorausschauenden Überlegungen durchaus nicht von selbst. Was für die deutsche Exportwirtschaft selbstverständlich ist, löst in der auswärtigen Kulturpolitik Abwehrreaktionen aus. Mitunter wird die in München erstrebte Öffnung zur Welt hin gar als Größenwahn des Goethe-Präsidiums karikiert. Das GI sei keine „Ersatz-UN“, befand der CSU-Politiker Peter Gauweiler, immerhin Vorsitzender des Unterausschusses für Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik des Deutschen Bundestags. Er warnte vor einer Vernachlässigung des „eigenen kulturellen Biotops“ und fügte knurrend hinzu: „Stammkundschaft geht vor Laufkundschaft!“

Man mag in solcher Verteidigung des Vertrauten etwas von dem in Deutschland traditionell verbreiteten Desinteresse an auswärtiger Politik aufscheinen sehen. Das allein aber vermag die Skepsis nicht zu erklären. Die massiven Zweifel an der globalen Neuausrichtung des Goethe-Instituts hat dessen Leitung zu großen Teilen selbst zu verantworten. Die schon unter Knopps Vorgänger Andreas Schlüter formulierten Pläne nämlich, die eigene Präsenz in ausgewählten Regionen der Welt deutlich zu verstärken, wurden von Jutta Limbach und Hans-Georg Knopp mit einer geradezu romantischen Rhetorik der Völkerverständigung vorgetragen, die dem Institut einigen Spott eingetragen hat. Sein Haus sei „ein vielgestaltiges Friedensinstrument par excellence“, schrieb Knopp gelegentlich in einem Editorial der Zeitschrift GI aktuell. An ähnlichen Äußerungen, die das Goethe-Institut vorzugsweise als Agent des Demokratieexports und der Krisenprävention darzustellen suchten, herrschte in jüngster Zeit kein Mangel; womöglich steckte dahinter taktische Absicht, um gegenüber Parlament und Auswärtigem Amt die Fähigkeiten und Potenziale des Goethe-Instituts besonders herauszustreichen. Eine solche Selbstinszenierung ist aber mit der Satzung des GI kaum zu vereinbaren. „Vereinszweck“, heißt es dort, „sind die Förderung der Kenntnis deutscher Sprache im Ausland, die Pflege der internationalen kulturellen Zusammenarbeit und die Vermittlung eines umfassenden Deutschland-Bildes.“ Von „Friedensarbeit“ ist nirgends die Rede, auch nicht von Demokratiewerbung oder Verfassungsmarketing.

Mittlerweile hat das auch Frau Limbach öffentlich eingeräumt: „Unsere Arbeit muss sich von der Tätigkeit der politischen Stiftungen unterscheiden“, erklärte sie in Tutzing. Beinahe heikler noch ist das geradezu naive Zutrauen in die friedenstiftende Kraft der Kultur. Als ließe sich der Terror mit Lyriklesungen oder Podiumsdiskussionen über die Rechte der Frau bekämpfen, übersieht derlei Heilserwartung, dass es nicht selten gerade die Kultur ist, an der sich Konflikte entzünden. „Kunst ist oft das Gegenteil von Verständigung“, notierte jüngst der Schriftsteller Navid Kermani, „sie verstört, sie macht ratlos; sie ist voller Abgründe, voller Gewalt – sie führt ins Dunkel.“

Für die Debatte über die künftige Ausrichtung des Goethe-Instituts spielten derlei eher kulturtheoretische Überlegungen zuletzt allerdings keine Rolle. Sie wurde vielmehr beherrscht von der Frage, woher in Zeiten sinkender Zuschüsse die Mittel kommen könnten für die von der Institutsleitung erwünschten Investitionen im arabischen Raum, in Indien und China. Eingeklemmt zwischen den kontinuierlichen Budgetkürzungen des Auswärtigen Amtes und der eigenen Ambition, stärker außerhalb Europas präsent zu sein, hatte sich die Institutsleitung offenbar dazu durchgerungen, mehrere Standorte aufzugeben. Von hausinternen Streichlisten war gelegentlich die Rede, auf denen zwischen 30 und 50 Institute, vornehmlich in Europa, verzeichnet seien, die geschlossen werden sollten, um Mittel für neue Institute in Asien und Arabien zu mobilisieren sowie Geld für die Projektarbeit freizumachen.

Strategische Entscheidungen

Diese Absicht darf zunächst als gescheitert betrachtet werden. Was als durchaus schmerzlicher Befreiungsschlag geplant war, endete in hausinternen Verteilungskämpfen, einem Aufstand der Bedenkenträger – und einem PR-Fiasko. Statt offensiv die Chancen einer intensiveren Präsenz des GI in den Boomregionen der Welt darzustellen und für die Möglichkeit zu werben, deutsche Kultur auch in fernere Gegenden zu bringen, die in Zukunft eminente Bedeutung für Deutschland gewinnen könnten, ließ sich die Institutsleitung eine Debatte „Europa versus China“ aufdrängen, die sie nicht gewinnen konnte. Aufgeschreckt von dem Streit um Kopenhagen und besorgt um den Ruf Deutschlands an den Orten möglicher Schließungen, legte schließlich der Außenminister, der derart gravierenden Schritten zustimmen muss, sein Veto ein und bestand stattdessen auf weitere Einsparungen in der Münchner Goethe-Zentrale.

Langfristig ist damit so wenig erreicht wie mit dem hausinternen Kannibalismus, der das Engagement des GI in Europa gegen Aktivitäten in Asien auszuspielen versucht. Neue Institute nur eröffnen zu können, wenn anderswo bestehende Institute aufgegeben werden, ist eine Scheinalternative. Auswärtige Kulturpolitik ist kein Nullsummenspiel, sondern eine Investition in die Zukunft der Bundesrepublik. Das Goethe-Institut und die anderen Mittlerorganisationen finanziell, personell und strategisch in die Lage zu versetzen, sich auf weltweite Veränderungen einzustellen und in ihrer Arbeit auf die neuen Erfordernisse zu reagieren, ist kein Luxus, kein cremiges Sahnehäubchen auf dem Graubrot der Außenpolitik, es liegt vielmehr im nationalen deutschen Interesse.

Angesichts der Ausgaben in anderen Bereichen der öffentlichen Haushalte ist das strukturelle Defizit des GI geradezu lächerlich gering. Der ehemalige Bahn-Chef Heinz Dürr sprach in der Anhörung des Deutschen Bundestags von Summen, „die nicht einmal peanuts“ seien. Der Neubau des Bundesnachrichtendienstes in Berlin wird mindestens 870 Millionen Euro kosten, für das geplante neue eisbrechende Forschungsbohrschiff „Aurora Borealis“ des Alfred-Wegener-Instituts hat der Wissenschaftsrat unlängst immerhin 355 Millionen Euro gefordert. Es ist ein Grundübel der Kulturpolitik, dass sich ihre Akteure in einer Art vorauseilender Bescheidenheit stets mit Summen abspeisen lassen, für die Landwirtschaftslobbyisten oder Wissenschaftspolitiker kaum mehr als ein müdes Lächeln übrig hätten. Kurzum, die Mittel für das Goethe-Institut dürfen nicht nur nicht weiter gesenkt werden, sie müssen im Gegenteil erhöht werden. Von 30 Millionen Euro zusätzlich hat Jutta Limbach in einem Zeitungsinterview gesprochen, die ihr Haus benötige, um die bestehenden Institute zu erhalten, die erwünschten neuen zu finanzieren und ausreichende Mittel für die Projektarbeit zur Verfügung zu haben.

Natürlich muss, wer mehr Geld von der öffentlichen Hand fordert, auch selbst in Vorleistung gehen. Noch intensiver als bisher wird sich das Goethe-Institut bemühen müssen, die Einnahmen zu erhöhen, etwa durch Einwerbung von Mitteln privater Stiftungen, und die Betriebskosten zu senken, auch um am Markt für Dienstleistungen noch wettbewerbsfähiger zu werden. Regelmäßige Evaluierungen sollten sich ebenso von selbst verstehen wie die rasche Einführung der Budgetierung, der Ausbau der Kooperation mit anderen europäischen Kulturinstitutionen und die Überprüfung der eigenen Immobiliensituation: Natürlich kann niemand ein Interesse daran haben, dass das GI in Baracken am Stadtrand untergebracht wird; wo es ein Goethe-Institut gibt, muss es zeitgemäß ausgestattet und einladend gestaltet sein. Allerdings muss das Goethe-Institut nicht notwendig am Boulevard residieren, es kann auch in einer Seitenstraße sehr erfolgreich wirken.

Letztlich aber können derlei Maßnahmen, so wichtig sie sind, die großen Entscheidungen nicht ersetzen. Wenn das Parlament und das Auswärtige Amt ein stärkeres Engagement des Goethe-Instituts außerhalb Europas wollen – und alles spricht dafür! –, dann müssen sie auch für eine entsprechende finanzielle und personelle Ausstattung sorgen. Mit den bislang gewährten Budgets ist selbst bei sparsamer Wirtschaftsführung nur das eine oder das andere möglich, nicht beides: Öffnung zur Welt und Erhalt des Überkommenen.

Dr. HEINRICH WEFING, geb. 1965, leitet das Feuilleton-Büro der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Kulisse der Macht. Das Berliner Kanzleramt“ (2001), mehrere Auszeichnungen, so 2005 den Journalistenpreis „Politik und Kultur“ des Deutschen Kulturrats.

  • 1 Auch der Verfasser dieses Beitrags wurde von dem Unterausschuss als Sachverständiger angehört.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2006, S. 106-111

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