Notwendige Anpassungen
Entwicklungspolitik im Zeichen des Multilateralismus
Angesichts der Globalisierung und zunehmenden Interdependenz in der Einen Welt wird praktische Entwicklungspolitik immer stärker von anderen Politikbereichen abhängig. Als „Kompetenzzentrum für nachhaltige Entwicklung“ sollte multilaterale Entwicklungspolitik sowohl nationale Interessen berücksichtigen als auch globale Zielvorstellungen verfolgen.
Will die deutsche Entwicklungspolitik den Herausforderungen nach dem 11. September 2001 angemessen begegnen, muss sie sich vor allem mit den Auswirkungen der Globalisierung auseinander setzen. Sie war im Laufe der Jahrzehnte immer wieder Anpassungsnotwendigkeiten ausgesetzt – aufgrund praktischer Erfahrungen sowie Veränderungen des Umfelds. Anpassungen des Politikfelds haben sich verständlicherweise immer auch auf seine Umsetzungsstrategien ausgewirkt: sei es bei der anfänglichen Modernisierungstheorie mit dem Technologietransfer, bei der nachfolgenden Grundbedürfnisstrategie mit der Ausformulierung von Sektorpolitiken, bei der Erkenntnis der Armut als entscheidendem Entwicklungshemmnis mit der Zielgruppenorientierung oder bei der Auseinandersetzung über die Bedeutung der Rahmenbedingungen mit der Hervorhebung von „good governance“.
Die Globalisierungsdebatte hat die bisherigen Erfahrungen einbezogen und die Interdependenz in der Einen Welt verdeutlicht. Folglich setzt man zusätzlich auf das Verhandeln internationaler Regime für eine globale Strukturpolitik, Stärkung der Zivilgesellschaft und die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft. Spätestens nach dem 11. September gibt es außerdem einen erweiterten Sicherheitsbegriff, d.h. militärische Sicherheitsstrategien und entwicklungspolitische Krisenprävention und -bewältigung werden zunehmend als sich ergänzende Ansätze gesehen.
Seit dem Beginn des Rio-Prozesses 1992 existiert zudem das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung für die Entwicklungspolitik, das in der praktischen Entwicklungszusammenar- beit eine verstärkte Befassung mit Umweltthemen zur Folge hatte. Außerdem ist „capacity development“ als unerlässlicher Bestandteil nachhaltiger Entwicklung anerkannt.
In den vergangenen vier Jahrzehnten hat sich in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ein ungewöhnlicher Reichtum an praktischen Erfahrungen angesammelt. Dabei war die Struktur dieser Entwicklungszusammenarbeit besonders hilfreich: ein eigenständiges Ministerium, das eine profilierte Entwicklungspolitik ausformulieren konnte, sowie eine breit gefächerte, pluralistische Durchführungsebene mit spezialisierten Vorfeldorganisationen, die in ihren jeweiligen Kompetenzbereichen eigene Erfahrungen in der praktischen Arbeit sammeln konnten.
Das Neben- wie das Miteinander von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), politischen Stiftungen, kirchlichen Hilfswerken, halbstaatlichen (z.B. Deutscher Entwicklungsdienst/DED, CarlDuisberg Gesellschaft/CDG, Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung/DSE) und staatlichen Durchführungsorganisationen (z.B. Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft/DEG, Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit/GTZ, Kreditanstalt für Wiederaufbau/KfW) führt dazu, dass eine Vielzahl von praktischen Erfahrungen vorliegt – auf den unterschiedlichen Ebenen (Makro-, Meso-, Mikroebene) – mit unterschiedlichen Akteuren (Politik, Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft) und unterschiedlichen Instrumenten (z.B. Beratung, Finanzierung, Fortbildung, Veranstaltung, Managementunterstützung, Ersatzvornahme).
Die deutsche Praxis
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zeichnet sich gegenüber anderen nationalen und internationalen Entwicklungsansätzen durch ihren starken Praxisbezug aus, der – richtig genutzt – auch zu einer überzeugenden und realistischen Konzeptionsarbeit auf der politischen Ebene führt. Die (möglichst partizipative) Konzeption von (möglichst umfassenden) Entwicklungsstrategien für einzelne Länder und Sektoren steht hier im Vordergrund und verlässt sich in der Umsetzung auf die „ownership“ der Partnerländer, also den Entwicklungswillen, die Eigenverantwortung und die Fähigkeit der Partnerregierungen, diese Eigenverantwortung auch inhaltlich wahrzunehmen.
Dabei muss berücksichtigt werden, dass die praktische Umsetzung über Erfolg oder Misserfolg eines Konzepts mit entscheidet. Deshalb hat die Weltbank folgerichtig „Implementierung“ zu einem vorrangigen Thema der Zukunft gemacht. Und ebenso eindeutig ist die Erfahrung der deutschen Vorfeldorganisation, dass unsere Partner in den Entwicklungs- und Transformationsländern in aller Regel für die Durchführung partizipativ geplanter Vorhaben externe Unterstützung benötigen; das gilt sowohl für den inhaltlichen wie den finanziellen Teil der Umsetzung.
Der Erfolg versprechende Umsetzungsbereich der Entwicklungszusammenarbeit hat häufig andere Fragestellungen als die politische Konzeptionsentwicklung und erfordert deshalb eine eigene Professionalität. Er muss sich mit der jeweiligen aktuellen Realität in den Partnerländern auseinander setzen, die vom üblichen Interessenpluralismus über konkrete Zielkonflikte bis hin zu korrumpierten Strukturen reicht. Außerdem stellt sich immer wieder die Frage nach den kulturellen Besonderheiten, die zu beachten sind: Der Beratungsansatz für die wirtschaftliche Transformation Chinas ist eben ein anderer als der für partizipative Gemeindeentwicklung im Nordosten Brasiliens oder die Einführung eines effizienten Berufsbildungssystems in Ägypten. Die personenbezogene Politikunterstützung der politischen Stiftungen folgt anderen Grundmustern als die auf bilateraler staatlicher Vereinbarung beruhenden Programmbeiträge von GTZ und KfW. Schließlich spielen persönliche Interessen beteiligter Akteure eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der erfolgreichen Umsetzung von Entwicklungsvorhaben, umso mehr, je geringer die Transparenz der politischen Entscheidungsfindung und die „checks and balances“ im politischen System des jeweiligen Landes ausgeprägt sind.
Neue Beziehungsmuster
In der Entwicklungszusammenarbeit ist durch die Globalisierungsdebatte ein Suchprozess angestoßen worden, der durch die Ereignisse des 11. Septembers noch einmal deutlicher und damit verschärft wurde und der, je nachdem in welche Richtung man geht, zu einem Paradigmenwechsel führen kann. In der Entwicklungspolitik vor der Globalisierungsdebatte war der Gedanke vorherrschend, die internationale Solidarität gebiete es, dass die reichen Länder den armen Ländern helfen. Zusätzlich wurde argumentiert, dass eine solche Hilfe mittelbar auch im Interesse der reichen Länder liege, vor allem bei globalen Risiken wie Umweltverschmutzung, Migration, Drogenhandel oder AIDS, aber wegen der marginalen Bedeutung der Entwicklungsländer weniger in Fragen der Weltwirtschaft. Zudem wurde die Entwicklungszusammenarbeit für die Stärkung der eigenen Position im Ost-West-Konflikt nutzbar gemacht. Das Ende dieses Konflikts hat diesen entwicklungsfremden Begründungszusammenhang aufgehoben, so dass die entwicklungspolitischen Fragestellungen eigentlich erst jetzt uneingeschränkt zum Tragen kommen können (die Unterstützung einer Diktatur, nur weil sie gegen den Kommunismus ist, reicht nicht mehr aus).
Die heutige Betrachtungsweise hat sich dramatisch verändert. Die alten Beziehungsmuster zwischen Entwicklungs-, Transformations- und Industrieländern sind aufgehoben. Es ist schon länger bekannt, dass bestimmte Politiken in den Industrieländern erhebliche Auswirkungen auf Entwicklungschancen in den Entwicklungsländern haben, z.B. die Kürzung der öffentlichen Entwicklungshilfe oder hohe Zollschranken für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern.
Neu ist die Erkenntnis, dass Ereignisse in Entwicklungsländern kurzfristig und unmittelbar erhebliche Auswirkungen auf die Industrieländer haben können. Anschauliches Beispiel ist die Finanzkrise Asiens. Noch schockierender für die Industrieländer ist die Erfahrung, dass ein in einem rückständigen Entwicklungsland geplanter terroristischer Akt wie der des 11. Septembers eine weit gehende Neuorientierung westlicher Außen- und Sicherheitspolitik herbeiführt. Mit erschreckender Deutlichkeit ist der Welt vor Augen geführt worden, wie verletzlich sie überall und jederzeit geworden ist. Globale und nationale, äußere und innere Sicherheit sind unteilbar. Tiefe Unordnung und Aufruhr haben die Welt erfasst. Vielleicht wird die Geschichtsschreibung den 11. September einmal als Ausgangspunkt für die Errichtung einer neuen Weltordnung beschreiben.
Für die Entwicklungspolitik bedeutet die zunehmende Interdependenz in einer globalisierten Welt, dass ihre Wirksamkeit erheblich stärker als vorher angenommen von anderen Politikfeldern abhängt. Aber es ist auch eine andere Entwicklung zu beobachten: Nahezu alle Politikfelder nehmen Anteil an der internationalen Zusammenarbeit. Dabei befassen sich die internationalisierenden Ressorts in wachsendem Maße mit Themen, die schon seit langem von der Entwicklungspolitik bearbeitet werden.
Wenn es z.B. der Wirtschaftspolitik um ein investitionsfreundliches Umfeld in Entwicklungsländern und die Beachtung ökologischer und sozialer Standards für den Import aus diesen Ländern geht, so lässt sich sagen, dass diese Fragestellungen schon seit vielen Jahren in der Entwicklungspolitik mit vielfältigen Programmen und Projekten angegangen werden.
Wenn die Sicherheitspolitik sich um „Ruheräume“ für den Terrorismus sorgt und überlegt, wie man den Nährboden für Terrorismus austrocknen kann, so stößt sie rasch an Probleme wie krasse soziale Disparitäten, kulturelle Entwurzelung, Perspektivlosigkeit für ganze Generationen von jungen Menschen, Verletzung von Menschenrechten, Korruption und ein Ohnmachtgefühl gegenüber ausländischen Einflüssen. Dies ist ein insgesamt hochexplosives Gemisch, das aufnahmebereit für selbst ernannte Heilsbringer ist, die durch fundamentalistische Veränderungen die Wiederherstellung einer geordneten und harmonischen Welt versprechen. Die vielfältigen Ansätze der Armutsbekämpfung in der Entwicklungspolitik sind darauf gerichtet, diese Situation zu entschärfen.
Und wenn die Innenpolitiker sich Gedanken machen, wie man bei der notwendigen Zuwanderung die richtigen Fachkräfte erreicht, so sorgt die Entwicklungspolitik mit ihren Ausbildungsprogrammen in den Entwicklungsländern sowohl dafür, dass das Potenzial gut ausgebildeter Fachkräfte steigt, aber auch dafür, dass der schon immer bestehende „brain drain“ für die Entwicklungsländer verträglich gemacht werden kann.
Zwei Optionen
Vor dem Hintergrund einer wachsenden gegenseitigen Bezogenheit von Politikfeldern und einer rasch zunehmenden internationalen Zusammenarbeit hat sich die Entwicklungspolitik mit zwei Herangehensweisen auseinander zu setzen:
Sie kann versuchen, nachhaltige Entwicklung mit der weltweiten Armutsbekämpfung als zentrale Aufgabe zu erreichen, indem sie kontraproduktiven Auswirkungen anderer Politikfelder mit der Durchsetzung des Kohärenzgebots entgegenwirkt, wobei sie im Einzelfall entscheiden muss, wie kohärente Politik auszusehen hat. Diese Option birgt vor allem zwei Gefahren: die Entwicklungspolitik weist sich mit der weltweiten Armutsbekämpfung eine Aufgabe zu, die sie allein nicht bewältigen kann. Und zweitens muss bezweifelt werden, dass es der Entwicklungspolitik gelingt, ihre Kohärenzvorstellungen gegenüber den anderen Politikbereichen durchzusetzen.
In einer zweiten Option akzeptiert die Entwicklungspolitik das wachsende internationale Zusammenwirken der übrigen Politikbereiche nach den ihnen jeweils zugrunde liegenden Interessen und Überlegungen. Die Entwicklungspolitik definiert sich als Kompetenzzentrum für nachhaltige Entwicklung, was sie aus jahrzehntelanger praktischer Erfahrung zweifellos sein kann. Sie bietet ihre Kompetenz den übrigen Politikbereichen an, damit deren Ziele nachhaltig erreicht werden können. Da nachhaltige Entwicklung im Kern sowohl Armutsminderung als auch Berücksichtigung der Eigeninteressen der Entwicklungsländer, also Partnerschaftlichkeit, beinhaltet, bedeutet dies für alle Politikbereiche, dass sie diese Grundaspekte, vermittelt durch die Entwicklungspolitik, angemessen berücksichtigen müssen, um in der internationalen Zusammenarbeit erfolgreich zu sein.
Die Entwicklungspolitik bewahrt sich ihre Kompetenz auch dadurch, dass sie weiterhin die Zuständigkeit für die Erstellung und Fortentwicklung der politischen Konzepte und die politische Steuerung der praktischen Entwicklungszusammenarbeit in den Entwicklungs- und Transformationsländern hat. Diese Option setzt voraus, dass sich die Entwicklungspolitik als einer von mehreren Bestandteilen einer letztlich auf nationale Interessen ausgerichteten internationalen Zusammenarbeit versteht. Damit wäre sie ein eigenständiger Teil der gemeinsamen deutschen Außenpolitik, allerdings mit gleichberechtigter Berücksichtigung und damit der Einbringung von Eigeninteressen der Entwicklungs- und Transformationsländer (deshalb konsequenterweise auch von der Entwicklungspolitik als „Partnerländer“ bezeichnet) in den politischen Prozess. Entwicklungspolitik grenzt sich damit nicht als eigenständiges Politikfeld ab, das möglichst viele Themenzuständigkeiten beansprucht, sondern öffnet sich gegenüber den anderen Politikfeldern und bietet Komplementarität an.
Diese zweite Option birgt ebenfalls eine Gefahr, nämlich die der Überdehnung des Entwicklungsbegriffs und somit die Gefahr der „Allzuständigkeitsfalle“. Sie eröffnet aber die Chance, die Relevanz der eigenen Inhalte über die anderen Politikbereiche zu transportieren und zu verstärken.
Auf der praktischen Durchführungsebene finden sich inhaltlich beide obigen Alternativen wieder. Die NGOs, insbesondere die Kirchen, beziehen ihre Legitimation aus der Pflicht zur Fürsorge für die Armen auf Grund der internationalen Solidarität oder/und des christlichen Menschenbilds. Die besondere Stärke ist dabei die Basisnähe und die unmittelbare Einwirkung auf und die Zusammenarbeit mit der Zielgruppe der armen und unterprivilegierten Bevölkerungsteile. Dieser Ansatz hat insgesamt allerdings keine ausreichend relevanten Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen. Um dennoch bei der Gestaltung der Globalisierung und der Friedenssicherung über Einzelfälle hinaus wirksam beteiligt zu sein, bedienen sich die NGOs einer Verteidiger- und Wächterrolle. Sie stellen für die Situation und die Belange ihrer Zielgruppen Öffentlichkeit her und versuchen, Einfluss auf die Entscheidungen zu gewinnen, die Rahmenbedingungen gestalten.
Praktische Umsetzung
Die staatlichen Durchführungsorganisationen sehen sich äußerst komplexen Fragestellungen gegenüber: Zum einen müssen sie sich mit der Gleichzeitigkeit von Ungleichzeitigkeiten auseinander setzen, sei es zwischen den Partnerländern, sei es innerhalb der Gesellschaft von Partnerländern.
Zum andern sind in Ländern wie Bosnien-Herzegowina oder Afghanistan, in denen es um einen Neuaufbau von Staat und Gesellschaft geht, andere Ansätze der praktischen Zusammenarbeit erforderlich als in den osteuropäischen Beitrittsländern der Europäischen Union. Während im ersten Fall protektoratsähnliche Strukturen mit einem großen Anteil von Ersatzvornahmen und die Herstellung einer einigermaßen leistungsfähigen physischen Infrastruktur im Vordergrund stehen und „ownership“ ein noch in weiter Ferne liegendes Ziel ist, geht es im zweiten Fall beispielsweise um Vermittlung von Strukturen und Wirkungsweisen administrativer und politischer Institutionen und Prozesse gegenüber einem leistungsfähigen, selbstbewussten Partner.
Die praktische Erfahrung, dass nur das Zusammenwirken der verschiedenen Ebenen in einer Gesellschaft Voraussetzungen für erfolgreiche Entwicklung schafft, verlangt von den staatlichen Institutionen Durchführungskompetenz sowohl auf der gesamtstaatlichen, die Rahmenbedingungen setzenden Makroebene, wie auf der vermittelnden institutionellen Mesoebene, ebenso auf der Mikroebene der einzelnen Aktivitäten an der Basis.
Außerdem muss die staatliche Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen, dass die Zusammenarbeit von Staat zu Staat nicht ausreichend ist, sondern dass in den Programmen und Projekten die übrigen relevanten Akteure von Entwicklung, nämlich privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche, einbezogen werden müssen. Zudem ist die ganze Breite der Sektorfachlichkeit gefragt, aber nicht nur der entsprechenden Tiefe, sondern vor allem in ihrem interdisziplinären Bezug. HIV/AIDS ist eben nicht nur ein Problem der Gesundheit, sondern ebenso eines der Bildung, der Wirtschaft und der wachsenden Mobilität. Schließlich muss die staatliche Entwicklungszusammenarbeit in Zeiten knappen Geldes der Öffentlichkeit noch stärker als bisher nachweisen, dass die Mittelverwendung wirtschaftlich geschieht und die Programme und Projekte auch einen relevanten Beitrag zur beabsichtigten Entwicklung leisten, also nachhaltig wirksam sind.
Ihre langjährigen Erfahrungen ermöglichen es der deutschen bilateralen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit, die neuen Herausforderungen erfolgreich anzugehen. Dabei steht nicht nur die Frage: was ist zu tun, sondern immer häufiger die Frage: wie ist etwas zu tun, im Mittelpunkt des Interesses und damit der daraus folgenden Aktivitäten. Die so beschriebene Kompetenz der staatlichen Durchführungsinstitutionen führt dazu, dass ihre praktischen Dienstleistungen jeder Form der internationalen Zusammenarbeit dienen können, die sich auch Nachhaltigkeit zum Ziel gesetzt hat.
Globalisierung und die Ereignisse des 11. Septembers haben auch zur Folge, dass sich die Bedeutung multilateraler Entwicklungszusammenarbeit erhöht hat. Die Erkenntnis wächst, dass globale Probleme nicht unilateral, sondern nur multilateral zu lösen sind und dass eine multilaterale Gestaltung der Globalisierung anzustreben ist. Dies kann neben der Verhandlung internationaler Regime einmal durch die Stärkung der multilateralen Institutionen, zum andern durch mehr Koordination und Komplementarität bilateraler Entwicklungspolitiken geschehen.
Hebelwirkung
Gerade bei den „bad performers“ oder „failing states“, denen man sich zuwenden muss, falls man den Nährboden des Terrorismus austrocknen will, ist wegen der tief greifenden notwendigen Veränderungen die starke Hebelwirkung multilateraler Organisationen notwendig.
Koordinierung und Komplementarität der europäischen bilateralen Entwicklungspolitiken erfolgen über die Europäische Union. Dabei gibt es noch ein erhebliches Verbesserungspotenzial. Auf der Durchführungsebene haben sich mit dem Konsortium EUNIDA (European Network of Implementing Development Agencies), einem Zusammenschluss wichtiger europäischer Durchführungsorganisationen der Technischen Zusammenarbeit, und mit der Partnerschaft der deutschen und französischen Finanzierungsinstitutionen KfW und Allocation de fonds de droit (AFD) viel versprechende Ansätze entwickelt, die dem Ziel von Koordinierung und Komplementarität ebenso dienen wie der Stärkung der Durchführungskompetenz der Europäischen Kommission.
Die Stärkung des multilateralen Bereichs ist ungleich schwieriger und wird auch unterschiedlich beurteilt. Während ein Großteil der Entwicklungsländer, aber insbesondere auch die nordischen Industrieländer, davon ausgehen, dass es eine gemeinsame Auffassung hinsichtlich der globalen Fragestellungen geben sollte und die Weltgemeinschaft wegen der gegenseitigen Abhängigkeit und aus internationaler Solidarität verpflichtet ist, entsprechende Beiträge zu leisten, sehen insbesondere die USA, Frankreich, Japan und andere den multilateralen Bereich als das Forum an, auf dem die globalen Fragestellungen aus der jeweiligen nationalen Sicht und Interessenlage diskutiert, definiert und die Lösungswege dementsprechend ausgehandelt werden.
Diesen verschiedenen Betrachtungsweisen liegt eine unterschiedliche Perzeption der künftigen Weltordnung zugrunde. Damit ist die Richtung der Einwirkung auf multilaterale Institutionen wie UN-Organisationen, Weltbank und IWF auch unterschiedlich. Während die einen, vereinfacht gesagt, nationale Interessen möglichst ausgeklammert wissen möchten und die multilateralen Institutionen als am „common sense“ eines weltumspannenden Gemeinwohls ausgerichtete Grundstruktur einer künftigen Weltordnung sehen, versuchen die anderen, die multilateralen Institutionen als Instrumente zu nutzen, um ihre nationalen Interessen auf Weltebene zur Geltung zu bringen.
Für die Durchführungsebene spielt dieser unterschiedliche Ansatz bezüglich der multilateralen Ebene eine untergeordnete Rolle. Einerseits zeigt die Erfahrung, dass nachhaltige Entwicklungserfolge in der Realität nur zu erzielen sind, wenn die Interessen der Betroffenen ausreichend berücksichtigt werden. Diese Erkenntnis wird umgesetzt durch partnerschaftlichen Umgang sowie partizipative Planung, Umsetzung und Monitoring der Entwicklungsvorhaben. Andererseits unterliegen auf der abstrakten Ebene erreichte Gemeinsamkeiten in der Regel dann, wenn sie konkret umgesetzt werden, einem Interessenkampf.
Es ist einfach nicht zutreffend, dass sich z.B. die Weltbank in konkreten inneren Interessenkonflikten der Empfängerländer – weil das Weltbankstatut es erfordert – neutral verhält. Ihre Entscheidungen sind vielmehr geprägt von den ökonomischen, politischen und kulturellen Einflüssen, denen man ausgesetzt ist, wenn der Sitz einer Institution in Washington ist. Die deutsche bilaterale staatliche Zusammenarbeit richtet ihre konkrete Parteinahme darauf aus, wie das vereinbarte Ziel am ehesten erreichbar ist. Die politischen Vorgaben der Bundesregierung sind auch geprägt von den deutschen ökonomischen, politischen und kulturellen Erfahrungen und berücksichtigen die wohlverstandenen deutschen Nationalinteressen.
Die Notwendigkeit, den Anschein zu erwecken, nicht in die konkreten innenpolitischen Auseinandersetzungen der Entwicklungs- und Transformationsländer einzugreifen und sich neutral zu verhalten, erklärt zum Teil die offensichtliche Schwäche multilateraler Organisationen bei der praktischen Umsetzung von Strategien und Politiken. Der Verweis auf den Anspruch der betroffenen Länder, die Vorhaben dann eben in eigener Verantwortung umzusetzen, greift zu kurz. Dies wird besonders bei Programmen und Projekten zur Terrorismusbekämpfung deutlich, weil diese in der Regel Länder betreffen, bei denen die Voraussetzungen zur Übernahme von Verantwortung noch gar nicht vorhanden sind, diese vielmehr erst noch geschaffen werden müssen. Das gilt darüber hinaus aber ebenso für den Großteil unserer Partnerländer.
Die Stärke insbesondere deutscher bilateraler Durchführungsorganisationen bei der praktischen Umsetzung ermöglicht ihnen deshalb, gerade bei der Umsetzung der neuen Strategien und Politiken im multilateralen Bereich eine wichtige Rolle zu spielen.
Internationale Politik 11, November 2002, S. 9 - 16.