Neues Abkommen, altes Misstrauen
Israels Regierung verurteilt das Abkommen mit dem Iran – zu Unrecht
In Israel stieß die mit dem Iran ausgehandelte Interimsvereinbarung auf scharfe Kritik. Teheran, so die Vermutung, werde weiter an seinem Atomprogramm festhalten. Dabei sind dem Iran alle Wege zur Bombe für sechs Monate versperrt. Diplomatie, Sanktionen und die Genfer Vereinbarung könnten dazu beitragen, dass dies auch so bleibt.
Die in Genf zwischen den drei europäischen Unterhändlern Großbritannien, Frankreich und Deutschland sowie China, Russland und den USA (E 3+3) und dem Iran geschlossene Interimsvereinbarung ist kein „historischer Fehler“, wie Israels Premierminister Benjamin Netanjahu meinte, da die iranische Regierung „dem Besitz der gefährlichsten Waffe der Welt entscheidend nähergekommen“ sei. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Interimsvereinbarung von Genf wird den Iran eher dazu zwingen, sich einen Schritt von der Fähigkeit zur Herstellung von Atomwaffen zu entfernen – falls und wenn Teheran sich dafür entscheidet. Dies gilt für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten, und dieser Zeitgewinn wurde möglich, weil die Vereinbarung zwei wesentliche Wege zum Bau einer Atomwaffe blockiert.
Der erste Weg führt über die Anreicherung von Uran. Dabei kommt das zu 20 Prozent angereicherte Uran aus der Anlage Fordo der Waffentauglichkeit von 90 Prozent am nächsten. Diese 20-prozentigen Anreicherungsprozesse werden durch die Unterzeichnung der Vereinbarung durch den Iran beendet. Weiter ist Teheran dazu aufgerufen, seinen derzeitigen Uranbestand zu vernichten. Die Herstellung einer auf angereichertem Uran basierenden Atomwaffe ist für die nächsten sechs Monate also nicht möglich.
Natürlich bleibt die Sorge bestehen, dass Teheran versuchen könnte, sich an den Inspektionen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) „vorbeizuschleichen“ und heimlich hochwertiges Uran für Atomwaffen in den Anlagen von Natanz und Fordo anzureichern.
Auch das jedoch macht das neue Abkommen fast unmöglich. Der Vereinbarung zufolge werden die zwei Anreicherungsanlagen täglichen Inspektionen der IAEO unterzogen. Eine solch hohe Frequenz von Inspektionen gab es noch nie im Iran. Natanz und Fordo werden in der nächsten Zeit wohl mehr Besucher verzeichnen als die meisten touristischen Ziele im Iran. Die ersten Inspekteure nahmen ihre Arbeit am 8. Dezember im Schwerwasserreaktor Arak auf.
Auch bleibt die Befürchtung, der Iran könnte in dieser Zeit einige Gaszentrifugen zu einer neuen geheimen Anreicherungsstätte bringen, um dort Waffen fertigen zu lassen. Das Abkommen verhindert diese Möglichkeit ebenfalls: Teheran hat zugestimmt, der IAEO Zugang zu seinen Montagewerken und Rotorkomponenten-Produktionsstätten für die Zentrifugen und zu den entsprechenden Lagern zu verschaffen. Dabei müssten diese Stätten in den Verpflichtungen gegenüber der IAEO gar nicht deklariert werden. Mit dem Interimsabkommen geht Teheran also über bestehende Verpflichtungen zur Offenlegung von Produktionsstätten der Gaszentrifugen noch hinaus.
Der zweite mögliche Weg zu einer Atombombe führt über Plutonium. Derzeit lässt der Iran den IR40-Reaktor errichten, der nach seiner Fertigstellung Schwerwasser zur Energieherstellung nutzen wird. Der Rückstand könnte genutzt werden, um Plutonium für die Herstellung zu gewinnen. Aber auch das wird durch die Vereinbarung blockiert. Das Abkommen verhindert in Übereinstimmung mit den Forderungen der Franzosen jeglichen Fortschritt auf diesem Weg. Teheran hat zugestimmt, den Bau des IR40-Reaktors zu beenden. Weiter heißt es im Abkommen, dass der Iran einwilligt, „keine weiteren Reaktorkomponenten in Arak zu installieren“. Zusätzlich wurde beschlossen, dass der Iran „die Produktion des Treibstoffs für den Reaktor in Arak unterbrechen“ und den IR40-Reaktor nicht in Betrieb nehmen wird.
Eine Frage des Vertrauens
Es bleibt natürlich die Frage des Vertrauens. Und Befürchtungen der israelischen Regierung, dass die iranischen Unterhändler lügen und ihre Versprechen nicht einhalten könnten, sind nicht unrealistisch. Politiker lügen – das gilt im Übrigen auch für israelische Politiker. Präsident Hassan Rohani log, als er vor der UN-Vollversammlung behauptete, dass das iranische Atomprogramm schon immer „rein friedlichen Zwecken“ gedient habe. Nach Einschätzung des US-Geheimdiensts aber betrieb der Iran zwischen 2003 und 2007 ein aktives militärisches Atomprogramm. Und deshalb besteht weiterhin die Möglichkeit, dass der Iran sich nicht an seine Versprechungen hält. Genauso gut muss sich der Iran fragen, ob der Westen die versprochenen Zugeständnisse liefert.
Die Geschichte des postrevolutionären Iran hat uns gezeigt, dass Teheran allein nach seinen Interessen entscheidet, ob es sich an Abmachungen hält oder nicht. Sieht es seine Interessen nicht bedient, dann sind Worte bedeutungslos. So wurde die türkische Firma TAV 2004 mit dem Bau des Khomeini-Flughafens in Teheran beauftragt. Als sich in Übereinstimmung mit den Forderungen der Franzosen die Beziehungen zur Türkei verschlechterten und, noch wichtiger, weil sich die Revolutionsgarden in ihren wirtschaftlichen Interessen bedroht sahen, wurden die Türken kurzerhand – und vermutlich bis heute ohne finanzielle Kompensation – vor die Tür gesetzt. Ist den Interessen des Iran jedoch gedient, dann hält er sich getreu an Abmachungen, die andere wohl gebrochen hätten. Ein Beispiel wäre das Atomkraftwerk in Buschehr. Der russische Vertragspartner liegt bereits zwölf Jahre hinter dem Zeitplan und vier Milliarden Dollar über dem vereinbarten Budget und verursacht dem Iran damit zusätzliche 24 Milliarden Dollar Opportunitätskosten (man hatte sich erhofft, jährlich zwei Milliarden Dollar Ölkosten durch Atomkraft zu sparen). Jedes andere Land hätte dem russischen Vertragspartner schon längst gekündigt. Aber die iranische Regierung behält sie im Land, weil gute Arbeitsbeziehungen mit der russischen Regierung in ihrem Interesse liegen; selbst wenn das bedeutet, sich mit einem der wohl schlechtesten Verträge abfinden zu müssen.
Ein Vertrag im Interesse des Iran?
Mit der Genfer Vereinbarung verhält es sich ähnlich. Es ist unwahrscheinlich, dass der Iran sich nicht daran hält, denn sobald Betrugsversuche bekannt würden, könnten weitere Wirtschaftssanktionen gegen Teheran verhängt werden und das Regime in bislang beispiellosem Maß bedrohen – aus einem einfachen Grund: Das iranische Regime kann ohne sein Atomprogramm leben, aber nicht ohne seine Wirtschaft.
Mit der Genfer Vereinbarung ist es gelungen, die iranische Regierung zu bewegen, das zu tun, was die israelische Regierung möchte: die für den Bau einer Atomwaffe nötigen Aktivitäten für sechs Monate einzufrieren, während weitere Verhandlungen stattfinden. Von beiden Seiten, eben auch vom Iran, wird mehr erwartet – vor allem mehr Transparenz in allen seinen bislang heimlichen und verdächtigen Aktivitäten. Dies wird ein wichtiger Teil eines finalen Abkommens sein.
Es ist falsch, diesen Vertrag einfach so abzutun wie Israels ehemaliger UN-Botschafter Dore Gold. Kaum war er unterschrieben, da konstatierte er bereits: „Wir werden sehen, dass der Iran sich genau so verhält, wie er es in der Vergangenheit immer getan hat – er wird seine Verpflichtungen umgehen und diesen Vertrag verletzen.“
Man sollte immer davon ausgehen, dass Lügen zum politischen Alltag gehören. Auch Israel „umgeht Verpflichtungen“, nicht zuletzt in seiner Siedlungspolitik. Die Frage ist doch, wie man Anreize setzen und welche glaubwürdigen „Strafen“ man androhen kann, um die andere Seite zur Einhaltung ihrer Verpflichtungen zu bewegen. Diplomatie, Sanktionen und die Interimsvereinbarung von Genf könnten genau das leisten.
Meir Javedanfar ist ein iranisch-israelischer Autor und Mitverfasser von „The Nuclear Sphinx of Tehran: Mahmoud Ahmadinejad and the State of Iran“.
Internationale Politik 1, Januar/Februar 2014, S. 88-90