IP

01. Mai 2005

Nach dem „annus horribilis“

Das Reformjahr 2005 muss die UN wieder zukunftsfest machen

In letzter Zeit wurden die Rufe nach einer umfassenden Neuordnung der Vereinten Nationen immer lauter. Mit seinen Vorschlägen zur Reorganisation ging UN-Generalsekretär Kofi Annan jetzt in die Offensive. Insbesondere die Zusammensetzung des Sicherheitsrats und nicht zuletzt die Rolle Deutschlands sind aber keineswegs unstrittig.

Kofi Annan war gut vorbereitet, als er am 21. März seinen Reformbericht „In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle“ präsentierte.1 Der Bericht fasst die Empfehlungen einer von ihm eingesetzten hochrangigen Expertengruppe zu den wichtigsten politischen Herausforderungen und zur institutionellen Reform sowie die des Berichts von Jeffrey Sachs zur Entwicklungspolitik zusammen. Damit berücksichtigt der UN-Generalsekretär die für den Norden wichtigeren Sicherheitsaspekte genauso wie die im Süden entscheidenden entwicklungspolitischen Fragen. So hat er erreicht, dass die Voraussetzungen für eine ernsthafte Reformdebatte weltweit als gegeben angesehen wurden – das ist mehr, als seine Vorgänger jemals geschafft haben.

Die Notwendigkeit für Reformen ergibt sich aber auch – unfreiwillig – aus dem „annus horibilis“ 2004 der UN und Kofi Annans selber, das sich bereits 2003 als Folge des Irak-Krieges andeutete und der Staatengemeinschaft die Handlungsunfähigkeit der Weltorganisation schmerzhaft vor Augen führte. Die Machtlosigkeit der Organisation in der Irak-Frage, das Versagen des UN-Sicherheitsrats in Krisengebieten wie Ruanda, Liberia oder Haiti, die Aufdeckung des Missmanagements im Öl-für-Lebensmittel Programm, der Rücktritt des Hohen Kommissars für Flüchtlingsfragen Ruud Lubbers sowie Berichte von sexuellem Missbrauch durch Blauhelmsoldaten an kongolesischen Zivilisten beeinträchtigten die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen massiv. Zudem sind nicht nur die Arbeitsmethoden, sondern auch die fehlende Leistungs- und Ergebnisorientierung in weiten Teilen des UN-Apparats Gegenstand der Kritik geworden.

Die vorliegenden Berichte, zu denen voraussichtlich auf dem UN-Gipfeltreffen im September einschlägige Beschlüsse gefasst werden, beinhalten einen umfassenden Katalog von konkreten Reformvorschlägen, die auf die Missstände der UN eingehen. Das Reformjahr 2005 muss als „window of opportunity“ genutzt werden, um die Akzeptanz der UN zu erhöhen und sie so dauerhaft zu sichern.

Die Krise der Institutionen

Der Sicherheitsrat, dem nach Artikel 24 der UN-Charta im Auftrag seiner Mitglieder die Wahrung des internationalen Friedens und der Sicherheit zukommt, steht im Zentrum der Kritik. Insbesondere seine nicht repräsentative Zusammensetzung und die Dominanz der „ständigen Fünf“ (USA, Russland, China, Großbritannien, Frankreich – Permanent Five/P5) auf Grund ihres Vetos wird von einer überwältigenden Mehrheit der heute 191 Mitgliedstaaten als überholt angesehen. Der Umstand, dass sich kein Land aus Afrika bzw. aus Lateinamerika unter den fünf ständigen Mitgliedern befindet, macht deutlich, dass er die heutige geopolitische Realität nur unzureichend repräsentiert. Das führt deshalb besonders im Süden zu einem wachsenden Legitimationsproblem. Vielen gilt der Sicherheitsrat als einseitiges Instrument, das genutzt wird, wenn es den Staaten des Nordens, besonders den USA, nützt, aber ignoriert, wenn dies nicht der Fall ist. Hierzu haben die ineffektiven oder zögerlichen Entscheidungen bei den Krisen in Ruanda, Kosovo, Somalia, Haiti oder jüngst in Darfur weiter beigetragen.

Die 191 Staaten umfassende Generalversammlung (GV) – 140 mehr als bei ihrer Gründung – wurde geschaffen, um als „völkerrechtlicher Gesetzgeber“ richtungsweisende Empfehlungen von universeller Akzeptanz zu den wichtigsten Herausforderungen des internationalen Systems zu formulieren. Diese gestalterischen Möglichkeiten, die sich einst in für das Völkerrecht unerlässlichen Resolutionen niederschlugen, sind dem Gremium abhanden gekommen. Durch zunehmende Entscheidungsträgheit und eine zu umfassende und unflexible Tagesordnung hat die GV in den vergangenen Jahren rapide an Bedeutung verloren. Anstelle echter Dialoge und konstruktiver Arbeit stehen langwierige Diskussionen zu prozeduralen Fragestellungen und inhaltsleere, sich Jahr für Jahr wiederholende Debatten im Mittelpunkt.

Wenn auch die zentralen Institutionen in New York das „Haupt“ der UN sind, so werden die Organisation und ihr System maßgeblich geprägt durch die „Glieder“ – die spezialisierten Programme, Organisationen und Instrumente, in denen sich die Arbeit der UN „im Feld“ abspielt. Viele sind mit idealistischem und engagiertem Personal besetzt und leisten hervorragende Arbeit.

Doch die konstante Schaffung immer neuer Programme, Körperschaften und Sonderorganisationen führte zu einer Überlappung der Mandate, einer oftmals schlechten finanziellen Ausstattung, einer mangelnden Außenwahrnehmung und fragmentierten Zuständigkeiten.

So ist UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen und seit 1972 formal das zentrale UN-Gremium im umweltpolitischen Bereich, für die Wahrnehmung seiner Aufgaben nur unzureichend strukturiert und ausgestattet. Es steht zudem in einem Konkurrenzkampf mit der UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (Commission for Sustainable Development, CSD), die als zweiter Baustein eine wichtige Rolle in der UN-Umweltpolitik spielt.2

Auch der Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC) steht in ständiger Konkurrenz zu den Bretton-Woods-Institutionen (bestehend aus der Weltbankgruppe und dem Internationalen Währungsfonds, IWF) und ist in seiner ursprünglichen Funktion als Diskussionsplattform für Fragen der Weltwirtschaft und der sozialen Entwicklung längst von anderen Gremien wie der OECD, den G-7/G-8 oder den G-20 abgelöst worden.

Reform des Sicherheitsrats

Die Reform des Sicherheitsrats hat eine institutionelle und eine operative Seite. Institutionell muss eine bessere Repräsentanz der nichtständigen Mitglieder gewährleistet werden. Der Bericht der Expertengruppe schlägt zwei Modelle für die Erweiterung des Sicherheitsrats von 15 auf 24 Mitglieder vor. Während nach Modell A sechs ständige und drei nichtständige Mitglieder neu hinzukommen, schlägt Modell B keine weiteren ständigen Sitze vor, schafft dafür aber acht Sitze für einen Zeitraum von vier (statt bisher zwei) Jahren sowie ein weiteres Mandat für zwei Jahre. Modell B gilt als ungeeignet, die Diskussion fokussiert sich daher zunehmend auf Modell A, auch wenn Kofi Annan sich nicht auf eines der Modelle festgelegt hat.

Es liegt auf der Hand, dass die Staaten, die die Vereinten Nationen finanziell, militärisch und diplomatisch am meisten unterstützen, an deren Entscheidungen stärker beteiligt und bei der Zuweisung der Sitze bevorzugt behandelt werden sollten – dies betrifft Japan und Deutschland. Aus dem Süden gehören bevölkerungsreiche Staaten auf Dauer in das Gremium – Indien und Brasilien sind hier die wichtigsten Kandidaten. Dementsprechend haben sich diese Länder zur G-4 zusammengefunden und sind Treiber des Reformprozesses, zuletzt ermutigt durch die Unterstützung der USA für einen japanischen Sitz.

Modell A krankt daran, dass die afrikanische Gruppe noch keine eindeutigen Kandidaten hervorgebracht hat: für die zwei Plätze werden Ägypten, Nigeria und Südafrika genannt. Klar ist, dass eine Nichtberücksichtigung Ägyptens in der islamischen Welt für erheblichen Unmut sorgen würde, die dann nach wie vor mit keinem Land vertreten wäre. Als Gegner der „natürlichen Kandidaten“, also der G-4 plus Afrika, hat sich der „Coffee Club“ etabliert,3 eine Gruppe von Ländern, die zwar selber keine Chance haben, berücksichtigt zu werden, aus jeweils regionalem Eigeninteresse jedoch eine Reform zu blockieren versuchen. Prominent sind hier Italien, das seit Jahren nichts unversucht lässt, um einen deutschen Sitz zu verhindern, Argentinien und Mexiko, die gegen Brasilien arbeiten, Südkorea, das gegen Japan ist und Pakistan, das sich gegen Indien positioniert.

Auch wenn es bei der Reform des Sicherheitsrats um diesen geht, so ist doch die Generalversammlung am Steuer, da sie allein mit Zwei-Drittel-Mehrheit – das sind derzeit 128 Staaten – Chartaänderungen herbeiführen kann. Den P5 kommt insofern eine besondere Rolle zu, als sie allesamt eine Chartaänderung ratifizieren müssen. Allerdings bedeutet dies, dass  ihr Veto erst im Ratifikationsverfahren greift, was politisch ein wesentlich schwächeres Instrument ist. Dies zeigte sich bei der ersten und bisher einzigen Erweiterung des Sicherheitsrats von 11 auf 15 Mitglieder 1963: Zwei Vetomächte (Sowjetunion und Frankreich) stimmten ausdrücklich dagegen, zwei, die USA und Großbritannien, enthielten sich, was damals als Nein-Stimme galt, nur China (damals Taiwan) stimmte für die Resolution. Trotzdem haben letztlich alle ständigen Mitglieder ratifiziert.

Trotz dieser insgesamt etwas schwächeren Position der ständigen Mitglieder war die Thematisierung des Vetorechts durch die Bundesregierung ein Fehler, denn an nichts haben die P5 so wenig Interesse wie an einer Diskussion ihres eigenen Status. Deutschland ist als Bewerber um einen ständigen Sitz in der Rolle eines „demandeur“, für den es nicht sinnvoll ist, diejenigen mit Forderungen zu überziehen, die seine Bitte erfüllen sollen. Das Vetorecht für mögliche neue Mitglieder wäre auch sachlich ein Fehler, denn die dadurch entstehenden Schwierigkeiten in der Entscheidungsfindung liegen offen zu Tage. Wenn Interesse an einer anderen Ausübung des Vetos besteht, so sollte dies von anderen Staaten als den G4 artikuliert werden.

Die institutionellen Reformen können jedoch nur ein erster Schritt zu einer effektiveren UN sein, die genau so den Ausbau der eigenen Handlungsfähigkeit zum Ziel haben müssen. Die Modernisierung der Blauhelmtruppen sowie die Schaffung effektiverer eigenständiger Mittel für Friedensmissionen und deren adäquate Finanzierung etwa aus dem Peacekeeping Reserve Fund haben hierbei besondere Bedeutung. Friedenseinsätze sind robust und multifunktional geworden. Seit den Einsätzen in Osttimor und im Kosovo spielen „exekutive Mandate“,4 also die Wahrnehmung politischer und administrativer Verantwortung eine wichtige Rolle. Erfolgreiches Krisenmanagement durch Blauhelme muss daher künftig neben der militärischen Komponente auch durch den Einsatz von Polizei- und Zivilpersonal mit klaren Mandaten gekennzeichnet sein.

Europa im Sicherheitsrat

Modell A schlägt vor, dass einer der neuen ständigen Sitze von Europa besetzt wird. Hieran knüpft sich die Forderung, ein solcher Sitz solle durch die Europäische Union wahrgenommen werden. Aus heutiger Sicht ist die EU für einen Sitz im UN-Sicherheitsrat jedoch weder rechtlich noch politisch ausgestattet. Rechtlich scheitert ein EU-Sitz an ihrer noch nicht vorhandenen Rechtspersönlichkeit, die erst mit dem Inkrafttreten der Verfassung im Jahre 2007 erreicht werden wird (sofern sie von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wird). Bis dato ist die EU nicht einmal Mitglied der UN, geschweige denn berechtigt, einen Sitz in ihrem höchsten Entscheidungsgremium anzunehmen.

Politisch ist momentan nicht abzusehen, dass die beiden ständigen Sicherheitsratsmitglieder Großbritannien und Frankreich ihren Sitz zugunsten eines europäischen Sitzes aufgeben werden. Das aktive Sabotieren der deutschen Bemühungen durch den EU-Mitgliedstaat Italien ist ein weiterer Beleg dafür, dass eine gemeinsame Außenpolitik nach wie vor Ziel, nicht aber Realität Europas ist. Vor diesem Hintergrund ist auch zu fragen, wie sich der Botschafter der EU in der Irak-Frage hätte verhalten sollen.

Im Ergebnis ist Europa gefordert, einen Staat zu benennen, der den Sitz im europäischen Interesse wahrnimmt. Das kann nach Lage der Dinge nur Deutschland sein. Bereits vor zwei Jahren hat die Bundesrepublik den Anstoß für eine engere Koordinierung in Sicherheitsratsangelegenheiten im Sinne des Art. 19 Abs. 2 des EU-Vertrags5 gegeben. Deutschland steht zudem in der Tradition des Genscherschen Multilateralismus, auch wenn dieser letzthin zu oft zugunsten einer Direktoriumspolitik in den Hintergrund gedrängt wurde. Doch bietet kein anderes Land in Europa die Kombination aus wirtschaftlichem und militärischem Potenzial, europäischem Geist und UN-Engagement. Deswegen ist Deutschland der „natürliche Kandidat“ Europas.

Legitimität statt Souveränität

Die Reformanstrengungen innerhalb des UN-Systems müssen, um vollständig zu sein, eine größere Demokratisierung der UN insgesamt zur Folge haben. Das Problem in der GV besteht darin, dass sie auf der „Westfälischen Fiktion“ beruht, also dem Grundsatz, dass alle Länder aufgrund ihrer Souveränität auch gleichermaßen legitimiert sind. Diese Gleichsetzung von Souveränität und Legitimität führt dazu, dass in Wirklichkeit eine Gleichheit unter Ungleichen Geschäftsgrundlage ist, die immer wieder zu Problemen führt, sowohl in der Arbeitsweise als auch in der Akzeptanz der Entscheidungen der GV.

Was die Arbeitsweise angeht, so müssen Reformvorschläge die Generalversammlung wieder in die Lage versetzen, ihre beratende Funktion wahrzunehmen, die ihr insbesondere Artikel 14 der UN-Charta ermöglicht. Hiernach kann die GV Maßnahmen empfehlen, die nach ihrer Auffassung geeignet sind, das friedliche Zusammenleben der Völker dieser Erde zu fördern. In der Praxis werden jedoch sämtliche Friedensaktivitäten maßgeblich vom Sicherheitsrat vorgeschlagen und durchgeführt, was zum einen zur Marginalisierung der Generalversammlung, zum anderen zur Überlastung des Sicherheitsrats führt.

Eine bessere Arbeitsteilung im Rahmen der Befugnisse beider Institutionen muss durch Reformen ihrer angegliederten Programme, Fonds und Sonderorganisationen sowie durch einen neu zu bekundenden politischen Willen der Mitglieder erfolgen. Hierfür benötigt die Generalversammlung eine knappere Tagesordnung, bessere Strukturen der ihr angegliederten Ausschüsse und mehr Befugnisse für ihren Präsidenten. Eine solche Reform gestaltet sich jedoch schwierig, da veraltete Tagesordnungspunkte oft aus Gründen der Einfluss- und Gesichtswahrung beibehalten werden und die Streichung eines Tagesordnungspunkts nicht selten als diplomatische Niederlage des betroffenen Staates angesehen wird.6

Die Schwierigkeiten der Akzeptanz der UN wurden durch das Vergabesystem der Vorsitze in den einzelnen Gremien und Ausschüssen in aller Deutlichkeit aufgezeigt. Die jährlich durchgeführte Wahl der Vorsitze dieser Gremien erfolgt durch die Regionalgruppen innerhalb der UN. Dem Prinzip der Gleichheit folgend, erhielten Staaten wie Syrien, Libyen oder der Sudan den Vorsitz in der Menschenrechtskommission. Der Irak des Saddam Hussein hatte den Vorsitz in der Abrüstungskonferenz inne.

Dadurch verkommen sowohl die UN als Ganzes als auch ihre Organe im Einzelnen zur Farce und fügen ihrem eigenen Ansehen großen Schaden zu. Um eine Demokratisierung der UN erfolgreich zu gestalten, dürfen Souveränität und Legitimität nicht gleichgesetzt, sondern müssen getrennt betrachtet werden.

Unter den zahlreichen Reformvorschlägen sind die engere Zusammenarbeit im Rahmen der Interparlamentarischen Union (IPU) und der nach dem Leiter und ehemaligen brasilianischen Präsidenten Fernando Cardoso benannte Bericht „We the Peoples: Civil Society, the United Nations and Global Governance“ vom Juni 2004 zur stärkeren Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Arbeitsweise der UN die am häufigsten diskutierten. Der Bericht schlägt die Einrichtung globaler Ausschüsse vor, um nationalen Parlamentariern auf internationaler Ebene eine größere Rolle einzuräumen. Dabei könnte auch auf die Strukturen der IPU aufgebaut werden.

Solche Vorschläge vollziehen die Trennung von Souveränität und Legitimität jedoch nicht, lassen den Kern des Übels also unangetastet. Dieses Versäumnis hätte in Zukunft zur Folge, dass in einer „parlamentarischen Kammer“ der UN Bundestags- und Europaabgeordnete neben „Parlamentariern“ aus Kuba, China, dem Sudan und Nordkorea säßen – ein Umstand, der die Akzeptanz der UN kaum erhöhen dürfte.

Um derartiges künftig zu verhindern, sollten die Demokratien innerhalb der Vereinten Nationen eine funktionierende Zusammenarbeit etablieren, um beispielsweise den Sudan nicht weiterhin als moralisches Äquivalent zu Schweden erscheinen zu lassen. Ausgangspunkte einer entsprechenden Initiative könnte die im Jahr 2000 gegründete informelle „Community of Democracies“ werden. Diese Initiative der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright stand außerhalb der UN und wurde daher skeptisch beäugt, anstatt konstruktiv aufgenommen und innerhalb der UN zu einem neuen Machtzentrum umgewandelt zu werden.

Der beste Weg zur Demokratisierung der UN führt nicht über nationale Parlamente, sondern über die Bildung eines „Caucus of Democracies“ in der Generalversammlung als demokratisches Pendant zu anderen Zusammenschlüssen. Seine wichtigste Aufgabe sollte neben aktiver Demokratieförderung in UN-Aktivitäten die Überprüfung der Ergebnisse des Vergabeverfahrens nach dem regionalen Schlüssel sein, um Fehlbesetzungen wie in der Vergangenheit zu verhindern. Denn anders als die IPU oder parlamentarische Ausschüsse könnte ein solcher „Caucus“ reale Macht besitzen, wenn er genug Länder in Abstimmungen vereint, die die undemokratischen Verirrungen im System der UN verhindern – die Zeichen hierfür stehen gut, denn am ersten Treffen der „Community of Democracies“ nahmen 106 Staaten teil.

Die UN stärken

„Das Utopische ist fundamental für die Identität der Vereinten Nationen“7 – das gilt auch für jeden Reformversuch der Weltorganisation und besonders für den Wunsch Deutschlands nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Dieses Streben ist berechtigt, allerdings könnten die Voraussetzungen besser sein, denn in der deutschen Öffentlichkeit wird nur ungenügend thematisiert, welchen Mehrwert für die UN Deutschland als ständiges Mitglied hätte.

Konkret formulierte Vorschläge, wie Deutschland der rapide zunehmenden Gefahr einer Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, dem internationalen Terrorismus, der Bekämpfung von Armut, Krankheiten und Seuchen oder der Intensivierung des Kampfes um Rohstoffe zu begegnen gedenkt, sind bisher Mangelware, ebenso wie ein konstruktiver Beitrag zur Verbreitung von Freiheit und Demokratie im Sinne des Annan-Berichts, der nicht zufällig den Titel „In größerer Freiheit“ trägt. Hinzu kommen transatlantische Verstimmungen als Nachhall des Irak-Kriegs, die ohne Not angefacht wurden durch das verfehlte Eintreten des Bundeskanzlers für die Aufhebung des europäischen Waffenembargos gegen China. Hier hat sich die Bundesregierung sehenden Auges zwischen zwei P5-Stühle gesetzt, denn im Fall eines Misserfolgs wird Peking, im Erfolgsfall dagegen Washington verstimmt sein.

Es ist also noch nicht sicher, ob die Reform gelingt und ob es einen deutschen (und japanischen) Anteil an ihr gibt. Allerdings zeigen das offene chinesische Auftreten gegen einen japanischen Sitz einschließlich „spontaner“ Demonstrationen in Peking, die Sabotageversuche des „Coffee Club“ und die bewusst unklaren und widersprüchlichen Einlassungen der USA („Ja“ zum japanischen Sitz, aber im „breiten Konsens“), dass die Diskussion jetzt in die heiße Phase eintritt, die Vorlage einer SR-Reformresolution in der Generalversammlung in greifbare Nähe rückt, die Deutschland, Japan, Brasilien, Indien sowie zwei afrikanischen Ländern einen ständigen Sitz zusprechen könnte.

Andererseits sind auch erste Überlegungen für den Fall eines Scheiterns der Reform anzustellen, um die Kosten einer Nichtberücksichtigung Deutschlands und Japans zu verdeutlichen. Ein kritikloses „weiter so“ kann es dann sinnvollerweise nicht mehr geben, auch Berlin und Tokio werden sich überlegen müssen, welche Aspekte des UN-Systems sie noch unterstützen und welche Programme und Sonderorganisationen für unsere Länder nachrangig sind. Natürlich ist zu hoffen, dass es hierzu nicht kommt, allerdings kann man dem Steuerzahler weder in Deutschland noch in Japan auf Dauer zumuten, für undemokratische, erfolglose und dabei reformunfähige Organisationen Beiträge zu zahlen.

Doch noch ist der Druck für eine umfassende Reform der Vereinten Nationen in diesem Jahr glücklicherweise vorhanden. Er muss zu einem Ergebnis führen, um der Weltorganisation selber, aber auch um ihrer Mitgliedstaaten willen. Denn das elementare Ziel der Reform ist, die UN selber zu stärken. Es geht nicht um die Befriedigung spezifischer nationaler Ambitionen, sondern um die dringend benötigte Modernisierung der einzigen Institution, die effektiven Multilateralismus in globalem Maßstab verwirklichen kann. Vor allem aber liegt ein Erfolg der Reformanstrengungen im Interesse der Menschen in Krisen- und Konfliktregionen, die sich von handlungsfähigen Vereinten Nationen Schutz, Hilfe und Nahrung versprechen. Ihre Hoffnungen dürfen nicht enttäuscht werden.

1 Auszüge aus dem Reformbericht sind abgedruckt in der Dokumentation auf S. 138 ff.

2 Vgl. Sven Bernhard Gareis, Johannes Varwick: Die Vereinten Nationen, Opladen 2002, S. 236.

3 So genannt nach der Cafeteria im UN-Generalsekretariat, wo man sich zum ersten Mal traf.

4 Winrich Kühne: UN-Friedenseinsätze verbessern – Die Empfehlungen der Brahimi-Kommission, Sabine von Schorlemer (Hrsg.): Praxishandbuch UNO – die Vereinten Nationen im Lichte internationaler Herausforderungen. Berlin 2003, S. 718.

5 Art. 19 Abs. 2 EUV: „Die Mitgliedstaaten, die auch Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen sind, werden sich abstimmen und die übrigen Mitgliedstaaten in vollem Umfang unterrichten. Die Mitgliedstaaten, die ständige Mitglieder des Sicherheitsrats sind, werden sich bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ungeschadet ihrer Verantwortlichkeiten aufgrund der Charta der Vereinten Nationen für die Standpunkte und Interessen der Union einsetzen.“

6 Helmut Vogler: UN-Reform ohne Charta-Revision?, in: von Schorlemer (Anm.3), S. 744.

7 Ramesh Thakur: Wieder vereinte Nationen?, Internationale Politik, Januar 2005, S. 106.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2005, S. 114 - 121.

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren