Brauchen wir Eurobonds?
Franziska Brantner und Alexander Graf Lambsdorff über das Für und Wider Europäischer Anleihen
Pro
Europäische Anleihen sind eine Notwendigkeit
Von Franziska Brantner
Erstmals in ihrer Geschichte nehmen die EU-Staaten gemeinsam Anleihen an den Finanzmärkten auf, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden.
Das Wiederaufbauinstrument ist zeitlich und in seiner Anwendung klar begrenzt. Es umfasst 750 Milliarden Euro, ab 2027 müssen sie zurückgezahlt werden. Die EU-Kommission kann ohne neue politische Beschlüsse keine weiteren Anleihen zur Finanzierung gemeinsamer Ausgaben aufnehmen. Die Frage nach der Zukunft der europäischen Fiskalpolitik bleibt damit unbeantwortet. Doch für eine Verstetigung des Prinzips solcher Anleihen sprechen vier zentrale Argumente.
Erstens sollte die EU nicht in jeder europäischen Krise ein neues Notfallinstrument aufbauen. Wir brauchen einen Systemwechsel weg von kurzfristiger Schadensbegrenzung hin zu wirksamem Vorbereitet-Sein. Dafür muss das Prinzip des Wiederaufbauinstruments für ähnliche, alle Mitgliedstaaten betreffende Notsituationen verstetigt werden.
Zweitens braucht die EU finanzielle Handlungsfähigkeit nicht nur in Krisen – sie braucht sie auch zur Finanzierung der sozial-ökologischen Transformation unserer Wirtschaft. Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, wird massive Investitionen erfordern. Dafür braucht die EU vor allem eigene Einnahmen, etwa über einen Grenzausgleichsmechanismus für CO2, eine Ausweitung des EU-Emissionshandels und die Bekämpfung von Steuerflucht. Aber auch gemeinsame Anleihen sollten dabei kein Tabu sein, solange sich die EU derart günstig an den Märkten Geld leihen und sinnvoll einsetzen kann.
Drittens sind europäische Anleihen auch eine außenpolitische Notwendigkeit: Für eine eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik muss der Euro zu einer globalen Leitwährung weiterentwickelt werden. Ein tiefer, liquider Markt echter, sicherer EU-Anleihen ist dafür eine zwingende Voraussetzung. Ein starker Euro sichert der EU nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Handlungsfähigkeit und Souveränität.
Viertens wäre auch aus geldpolitischer Perspektive ein schlagkräftiges Fiskalinstrument sinnvoll. Die EZB kann nicht der alleinige Rettungsanker sein, weder für symmetrische Schocks wie jetzt die Pandemie oder asymmetrische. Eine gemeinsame Währung ist auf Dauer ohne gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik nicht möglich – und dazu gehört auch die Fähigkeit, sich gemeinsam zu verschulden.
Wir können die Frage nach einer handlungsfähigen und nachhaltigen EU-Finanzarchitektur nicht länger vor uns herschieben. Die neue Bundesregierung muss die richtigen Weichen stellen, bevor der nächste mehrjährige Finanzrahmen vorbereitet wird.
Dr. Franziska Brantner, MdB, ist Sprecherin für Europapolitik sowie Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Europaausschuss. Von 2009 – 2013 war sie Mitglied im Europäischen Parlament.
Contra
Mit Eurobonds würden massive Fehlanreize gesetzt
Von Alexander Graf Lambsdorff
Eurobonds sind das Murmeltier der EU: Seit über zehn Jahren tauchen sie regelmäßig auf, um sogleich wieder zu verschwinden. Dabei ist eine geradezu paradoxe politische Dynamik am Werk: Besonders linke Parteien folgen der Logik der globalen Finanzmärkte, die sich ein solches Instrument wünschen. Es ist ja auch zu reizvoll: Der größte Binnenmarkt der Welt begibt Anleihen mit höchster Sicherheit, weil am langen Ende Staaten für ihre Bedienung einstehen, deren haushaltspolitische Solidität ihnen eine exzellente Bonität verschafft hat.
Aber Eurobonds sind nicht „europafreundlich“, denn das Konzept ist so stark auf die Bedürfnisse der Finanzmärkte zugeschnitten, dass die Bedürfnisse der EU als politischer Solidargemeinschaft demokratischer Staaten und Völker dabei außer Acht gelassen werden. Sie täuschen europäische Solidarität vor, bewirken aber das Gegenteil. Denn was passiert, wenn ein Staat der Eurozone seine Schulden nicht bezahlen will oder kann?
Bei vergemeinschafteten Schulden müssten die übrigen Mitglieder einspringen. Diese zwingende Vorbedingung für die Einführung von Eurobonds lässt die Erkenntnisse der politischen Ökonomie völlig außer Acht, denn genau hier hakt es: Im Vertrauen darauf, dass Andere „einspringen“, werden die politischen und finanziellen Kosten für risikoreiches Handeln einzelner Staaten gesenkt. Regierungen könnten teure Wahlgeschenke versprechen, sich übermäßig verschulden und die Anpassung der sozialen Sicherungssysteme an die Demografie immer weiter aufschieben.
Die Haushaltsdisziplin ginge verloren, erst in einem, vielleicht zwei Staaten, doch dann würde eine solche Politik sich rasch ausbreiten. Welchen Anreiz gibt es noch für Haushaltsdisziplin, wenn der Nachbar alle Vorsicht fahren lässt? Kurz gesagt: Mit Eurobonds würden massive Fehlanreize gesetzt. Wissenschaftlich redet man von „moral hazard“, einer Gefahr für anständiges Verhalten. Diese Gefahr ist sehr real, für die Haushalte der Mitgliedstaaten der Eurozone, aber auch für kommende Generationen, denen eine Generation Eurobonds absehbar einen gigantischen Schuldenberg hinterlassen würde. Finanzpolitische Nachhaltigkeit und demokratische Generationengerechtigkeit sehen anders aus.
Realpolitisch ist mit Eurobonds ohnehin nicht zu rechnen: Von einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag ist Deutschland genauso weit entfernt wie die Eurozone von der Einstimmigkeit. Beide aber wären zwingend erforderlich für ihre Einführung. Und dennoch können wir uns darauf verlassen, dass das EU-Murmeltier auch im nächsten Jahr wieder hervorgeholt werden wird. Traditionen sind ja bekanntlich langlebig.
Alexander Graf Lambsdorff ist Mitglied des Deutschen Bundestags und stellvertretender Vorsitzender der FDP- Fraktion mit Zuständigkeit für Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik. Von 2004 – 2017 war er Mitglied im Europäischen Parlament.
Internationale Politik 3, Mai-Juni 2021, S. 108-109