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01. Dez. 2007

Mondsüchtig

Technologie

Plötzlich interessiert sich alle Welt wieder für den Erdtrabanten. Vor allem die aufstrebenden asiatischen Mächte wollen unbedingt hin

Nach der Apollo-Ära galt der Mond bald als langweilig. Die Wissenschaft wandte sich ferneren Zielen zu. Nun erlebt der Erdtrabant ein Comeback. Es geht ums Prestige. Stolz meldeten chinesische Nachrichtenagenturen Anfang November die erfolgreiche Positionierung des ersten Mondsatelliten Chang’e 1.

Der nach einer Göttin benannte Flugkörper wird nun alle zwei Stunden in etwa 200 Kilometern öhe um den Trabanten sausen, pausenlos Daten nach Schanghai funkend. 2012 will China einen Roboter hinaufschicken, zum Einsammeln von Proben. Später soll eine Raumstation folgen, doch noch fehlt die passende Rakete. Aber einen Namen hat sie schon: „Langer Marsch 5“.

Nur fünf Tage später unterzeichneten Russland und Indien ein gemeinsames Monderkundungsprogramm. Die Russen drücken aufs Tempo, weil es „gefährlich wäre, in Rückstand zu geraten“, heißt es bei der Raumfahrtbehörde Roskosmos. Russland will 2010 eine unbemannte Mission zum Mond starten, 2011 soll ein Fahrzeug folgen, das 400-Kilo-Gefährt Lunokhod. Indien steuert  hierzu eine Rakete und ein Flugmodul bei. „Die indisch-russischen Beziehungen werden in große Höhen wachsen“, prophezeit Premier Manmohan Singh, der nicht müde wird, die engen militärischen und nuklearen Bande zu preisen.

Japan hatte im Oktober die Mondsonde „Kayuga“ platziert. Langfristig will man eine Mondbasis bauen. Indiens Mondsonde soll im Frühjahr folgen. Korea arbeitet emsig an einem Raumfahrtprogramm. Auch George W. Bush kündigte 2004 eine Mondrückkehr an. Großbritannien will ebenfalls hinauf. Fehlt noch jemand? Ja: Auch Deutschland träumt von einem eigenen Mondorbiter. Beim Zentrum für Luft- und Raumfahrt spricht man von einem „weltumspannenden Wettrennen“. Die Regierung, sagt ihr „Raumfahrtkoordinator“ Peter Hintze (CDU), wolle Anfang 2008 entscheiden.

Im All sein, das ist schon etwas. Ein Zeichen nationaler Stärke und Überlegenheit. Welch ein Schock fürs amerikanische Ego war es, als die Russen vor einem halben Jahrhundert ihren Sputnik ins All schossen! Raketen in den Himmel feuern – das ist immer eine Demonstration. Als die Chinesen 1970 ihren ersten Satelliten hochschickten, dudelte dieser „Der Osten ist rot“. Wer groß sein will, muss ins All. Und am besten irgendwo landen. Der Mond ist hier das in jeder Hinsicht naheliegendste Prestigeobjekt. Gewaltig war die Faszination, als die USA dort 1969 die ersten Menschen absetzten. Die Sputnik-Scharte war ausgewetzt. Doch schon im Dezember 1972 war das „Mondrennen“ vorbei, das letzte Apollo-Team machte sich auf den Rückweg. Man griff nach viel weiter entfernten Himmelskörpern, sendete Sonden ans Ende unseres Sonnensystems, suchte Millionen Lichtjahre darüber hinauszublicken.

Gewiss: Den Staatschefs großer und aufstrebender Mächte geht es um potente Symbole und militärische Stärke. Doch auch in der Forschung erlebt der gute Mond eine überraschende Renaissance. Als sich Urs Mall, der Physiker am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, vor fünf Jahren dem Mond zuwandte, lächelten viele Kollegen noch: Zu nah, zu erforscht, meinten sie. Mall aber blieb stur: „Wenn man in der Physik etwas verstehen will, geht man an ein System heran, das relativ einfach ist. Der Mond ist relativ einfach.“ Der Mond, argumentiert der Forscher, sei spannend – weil er grundverschieden von Mutter Erde ist. Während die Erde ständig bebt und Magma speit und längst alle Spuren ihrer frühen Existenz ausgelöscht hat, sei auf dem Mond „eigentlich nichts mehr passiert seit seiner Bildung“. Weshalb er Wissen darüber enthalte, „was ganz am Anfang war“. Der Mond ist ein Archiv – „ein wesentlicher Beitrag zur Erklärung unserer eigenen Herkunft“.

Inzwischen herrscht Vollmond in Wissenschaft wie Politik. Überrascht bilanziert die Fachwelt, wie wenig sie weiß über den Mond. Wie kostbar solches Wissen zum Verständnis der Planetenentwicklung wäre. Zudem gilt unser kosmisches Beiboot als ideale Forschungsplattform: Keine Atmosphäre, kein Magnetfeld stören beim Blicken und Horchen ins All. Malls Kollegen vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg träumen von Flüssigkeitsfernrohren in den Kratern des ewig schattigen Mondnordpols. Andere Forscher wollen auf der Funkwellen-freien Mondrückseite ein Radioteleskop installieren, das bis zum Urknall zurückblickt.

Obendrein ist der Mond eine tolle Teststrecke. Hier kann man ungestört Gerätschaften ausprobieren – Landefähren, Fahrzeuge, Laboratorien. In Bremen entsteht bereits „Mona Lisa“, eine Art interstellarer Lastesel, der allerlei Apparaturen von der Erde auf den Mond bringen und dort auch versorgen und vernetzen kann. Und das „Astrolab“ – ein autonomes Experimentierlabor, in dem sich die Wirkung von Strahlung und Schwerelosigkeit auf die Biologie untersuchen lassen. „Das ist absolutes Hightech“, hält Sternenforscher Mall den Zweiflern entgegen. Es ginge um die Beherrschung von Technologien, um die Schaffung von Wertschöpfungsketten. „Man muss Anspruchsvolles tun“, sagt Mall, „das die Leute fordert, und das ich nachher brauchen kann.“ Auch das Apollo-Programm habe jede Menge Fachleute ausgebildet, „die später viele Sparten befruchtet haben“. Nur auf den Mond will er nicht. Warum? „Hier auf der Erde“, schmunzelt Mall, „haben wir den besten Platz in unserem Sonnensystem, nicht zu überbieten.“

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2007, S. 124 - 125.

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