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26. Juni 2024

Möglichkeiten und Grenzen der Abschreckung

Die militärische Stärke der NATO konnte Russland nicht von seinem Angriffskrieg auf die Ukraine abschrecken. Welche Bedrohungen, auch nukleare oder im Cyberraum, können überhaupt mit welchen Mitteln abgeschreckt werden? Die westliche Debatte darüber weist leider einige intellektuelle Schwächen auf.

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Bild: Test einer Interkontinentalrakete in Kalifornien, USA
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Während der Kuba-Krise 1962 entschied sich der amerikanische Regisseur Stanley Kubrick, mit seiner Familie nach Australien auszuwandern. Dort, so hatte er gelesen, würde bei einem nuklearen Schlagabtausch der Supermächte der radioaktive Fallout am geringsten sein. Als Kubrick, der für seine Reise bereits über hundert Kisten bestellt hatte, jedoch erfuhr, dass sich auf dem Schiff nach Australien zwei Kabinen ein Badezimmer teilten, gab er sein Vorhaben auf. Die Angst des von allerlei Phobien geplagten Filmemachers, mit wildfremden Menschen eine Toilette teilen zu müssen, schien plötzlich größer als die Angst vor dem Tod im nuklearen Inferno. Kubrick blieb in den USA – und verarbeitete seine Ängste vor einem Nuklearkrieg kurz darauf in seinem satirischen Meisterwerk „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“.

Der Freund, dem Kubrick diese peinliche Episode anvertraute, veröffentlichte sie erst nach dessen Tod. Dabei hätte sich Kubrick für sein widersprüchliches Verhalten gar nicht schämen müssen. Der fast schon spielerisch-fahrlässige Umgang mit dem Thema Abschreckung – nuklear ebenso wie konventionell – ist auch heute noch eines der Kennzeichen des westlichen Strategiediskurses. Denn auch wenn man vordergründig den Eindruck gewinnen könnte, dass dieses Konzept aufgrund der sich verschlechternden internationalen Sicherheitslage eine Renaissance erlebt, handelt es sich dabei zumeist nur um willkürlich aneinandergereihte Versatzstücke, mit denen man die eigene Position zu untermauern sucht. Für eine realistische Sicherheitspolitik in der „Zeitenwende“ ist dies eine denkbar schlechte Ausgangslage.  
 

Das Abschreckungskonzept im Wandel 

Das Konzept der Abschreckung, so Lawrence Freedman, der Doyen der britischen Abschreckungs­forschung, kommt den westlichen Demokratien sehr entgegen. Abschreckungs­strategien, so Freedman, seien für Regierungen deshalb so attraktiv, weil man damit defensiv, aber nicht schwach erscheine, und zugleich entschlossen, aber nicht rücksichtslos. Abschreckung impliziert, dass man unerwünschte Entwicklungen von sich fernhalten kann, indem man passiv bleibt: Die bloße Androhung von Gewalt ersetzt den Waffengang. Militärische Abschreckung ist deshalb im Wesentlichen ein Status-quo-Konzept. Es hat zwar logische Schwächen und wirft – gerade in seiner nuklearen Dimension – schwierige ethische Fragen auf. Wenn es jedoch funktioniert, überwiegen seine Vorteile bei Weitem seine Kosten.

Insbesondere seit dem Beginn des Nuklearzeitalters ist Abschreckung zum Studienobjekt der Wissenschaft geworden. Dabei wurde ein zunächst rein militärisch verstandenes Konzept zunehmend mit Erkenntnissen aus den Politik- und Wirtschafts­wissenschaften sowie aus der Verhaltenspsychologie angereichert. Dies führte unter anderem zu einem besseren Verständnis der Risiken und Grenzen von Abschreckung, schärfte aber vor allem den Blick für die Bedeutung des politisch-militärischen Kontexts, der über Erfolg oder Scheitern des Konzepts entscheiden kann. Auch wenn die abstrakt-hypothetische Natur des Forschungsgegenstands viele fragwürdige Analysen hervorbrachte, entstand im Laufe der Jahrzehnte ein Fundus an grundsätzlichen Erkenntnissen über das Konzept der Abschreckung, die als Leitlinien für die westliche Sicherheitspolitik dienten. 

Nach dem Ende des Kalten Krieges spielte Abschreckung im westlichen Diskurs naturgemäß eine geringere Rolle, gelangte aber vor allem angesichts der zunehmend aggressiven Politik Russlands zu neuer Bedeutung. Gerade die deutsche Diskussion seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hat jedoch gezeigt, dass viele Diskutanten unter dem Schock der Ereignisse selbst grundlegende Prinzipien der Abschreckung zu ignorieren bereit sind.
 

Die Interessen des Gegners verstehen

Eine der grundsätzlichen Bedingungen erfolgreicher Abschreckung ist die Kenntnis über den Gegner und seine Interessen. Eine solche Analyse ist schwierig und spekulativ, insbesondere bei wenig transparenten autoritären Systemen. Sie ist aber unerlässlich, denn von der Einschätzung des Gegners hängt ab, wie man Abschreckung organisieren muss. Diese analytische Sorgfalt sucht man jedoch häufig vergebens. 

Ob Russland oder China, ob Iran oder Nordkorea – im Kontext der aktuellen Abschreckungs­diskus­sion werden diese Staaten häufig zu bloßen Karikaturen, die scheinbar nur ein Ziel ver­folgen: dem Westen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Dass diese Länder eigene – wenngleich aus der Sicht des Westens hochproblematische – Sicherheitsinteressen verfolgen könnten, wird kaum thematisiert. Ihr Streben gilt scheinbar ausschließlich der Zerstörung der vom Westen geschaffenen „regelbasierten Ordnung“. 

Eine solche eindimensionale Interpretation enthält gleich mehrere Fallstricke, die sich auf die Abschreckung des Westens auswirken. Zum einen schließt sie den Gedanken, dass der Westen eigene Fehler im Umgang mit diesen Staaten gemacht haben könnte, von vornherein aus – schließlich handelt es sich ja um strategische Autisten, deren Sicht der Welt als Nullsummenspiel keine Kompromisse zulässt. Damit entlässt sie zugleich den Westen aus der Verantwortung, eine konstruktive Politik für den Umgang mit diesen Staaten zu entwickeln, um Konflikte zu entschärfen, bevor sie sich militärisch entladen. Zum anderen bürdet eine Analyse, die den Westen in den Mittelpunkt stellt, der eigenen Politik eine so große Verantwortung für den Schutz der belagerten internationalen Ordnung auf, dass die Enttäuschung über den mangelnden Erfolg dieser Politik nahezu unausweichlich scheint. 
 

Die Bedrohung durch Russland 

In der aktuellen, hoch emotional geführten Ukraine-Debatte ist die Tendenz, dem Gegner nahezu alles zuzutrauen, besonders ausgeprägt. Russland wird zum notorischen Dauer-Imperialisten, dessen Expansionismus man nur Einhalt gebieten könne, indem man dem Land in seinem Krieg gegen die Ukraine eine empfindliche Niederlage zufügte. Andernfalls werde Moskau dazu ermutigt, die NATO anzugreifen. In dieser Interpretation handelt es sich beim Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht um einen postsowjetischen Konflikt, sondern um den Auftakt zu einem weitaus größeren imperialen Vorhaben. 

Für die Abschreckungsstrategie der NATO hat eine solche Interpretation Russlands und seiner Politik schwerwiegende Folgen. Denn wenn es sich bei Russland um ein opportunistisches Raubtier handelt, das zuschlägt, sobald die Wachsamkeit des Westens nachlässt, bedeutet dies, dass der Frieden in Europa ausschließlich von der militärischen Stärke der NATO abhängt. Mehr noch. Wenn selbst ein Bündnis aus 32 Staaten, das Russland um ein Vielfaches überlegen ist, Moskau nicht von einem Angriff abhalten könnte, müsste dies eigentlich zu dem Schluss führen, dass Russland nach menschlichem Ermessen überhaupt nicht mehr abschreckbar ist. Eine Aufstockung der militärischen Fähigkeiten der NATO, für die es viele gute Gründe gibt, bliebe dann wirkungslos. Stattdessen müssten die Regierungen der Bündnisstaaten ihre Bürger auf einen unvermeidlichen Krieg einschwören. 

Genau dies wird von vielen Teilnehmern der aktuellen Debatte gefordert. Es gehört jedoch zu den leidvollen Erkenntnissen früherer Diskussionen, dass manche der Maßnahmen, die man zur Stärkung der Abschreckung ergreift, die eigene Bevölkerung eher ängstigen als beruhigen. Es gilt also, „deterrence“ und „reassurance“ stets gegeneinander abzuwägen. Eine jahrelange Debatte um einen bevorstehenden Krieg wird in vielen westlichen Demokratien vermutlich nicht zu größerem Wehrwillen führen, sondern zu einer Akzeptanzkrise der etablierten Sicherheitspolitik. Was als Stärkung der Abschreckung gedacht war, würde dann paradoxerweise zu deren Schwächung führen und damit Russland in die Hände spielen. 


Fähigkeiten und Interessen

Der Versuch, die Interessen des Gegners einzuschätzen, ist nicht nur für den Verteidiger wichtig, um den potenziellen Angreifer zu beeinflussen. Zu den leider viel zu oft ignorierten Erkenntnissen der Abschreckungsforschung gehört auch, dass auch der Angreifer nicht allein die Fähigkeiten des Verteidigers in sein Kalkül einbezieht, sondern ebenso dessen Interessen einschätzt. Nur so ist zu erklären, weshalb Argentinien 1982 die zu Großbritannien gehörenden Falkland-Inseln besetzte, obwohl man um die militärische Überlegenheit der Nuklearmacht Großbritannien wusste. Man glaubte aber, das Interesse Londons an dieser Inselgruppe sei viel zu gering, um für ihre Rückeroberung eine aufwändige Militäroperation im Südatlantik durchzuführen. Die argentinische Einschätzung des britischen Kalküls erwies sich zwar als falsch, aber die britische Abschreckungsstrategie war gescheitert, weil man das fortgesetzte Interesse Großbritanniens an den Inseln nur unzureichend kommuniziert hatte. 

Die in der aktuellen Diskussion immer wieder zu vernehmende Behauptung, ein militärisch stärkerer Westen hätte Russland vor einem Angriff auf die Ukraine abschrecken können, missversteht daher die Lage von Grund auf. Zum einen war für Russland leicht zu erkennen, dass der Westen keinen Krieg für die Ukraine zu riskieren bereit war. Das Interesse Russlands, die Westorientierung der Ukraine zu verhindern, war stets größer als das Interesse des Westens, die Ukraine zur Not auch mit Waffengewalt zu verteidigen. 

Die militärische Überlegenheit der NATO spielte folglich im russischen Kalkül keine entscheidende Rolle, da sie ohnehin nicht zum Tragen kommen würde. Die Asymmetrie der Interessen war wichtiger als die militärischen Kräfteverhältnisse. Wer diesen Zusammenhang zwischen Abschreckung und Interessen nicht berücksichtigt, wird – wie Großbritannien 1982 oder die NATO 2022 – immer wieder überrascht werden, gleichgültig, wie viel er in seine Verteidigung investiert. 


Nukleare Drohkulisse

Das unzureichende Verständnis von Abschreckung ist nicht allein auf den Westen beschränkt. Auch Russland scheitert immer wieder bei dem Versuch, das Konzept für seine Ziele zu nutzen. So hat sich Russland schon vor seinem Überfall auf die Ukraine auf eine Rhetorik der nuklearen Drohungen kapriziert, mit der man die westliche Unterstützung für Kiew beschränken will. Untermauert werden diese Drohungen durch nukleare Übungen sowie die Stationierung von Nuklearwaffen im benachbarten Belarus. 

Diese Drohkulisse hat bislang jedoch nicht die beabsichtigte Wirkung entfaltet. Denn auch der Westen macht seine Entscheidungen nicht allein von russischen Verlautbarungen abhängig, sondern von seiner Einschätzung der russischen Interessen. Ähnlich wie Moskau zu dem Schluss gelangte, dass der Westen die Ukraine nicht verteidigen würde, kommt man im Westen zu der Einschätzung, dass ein Nuklearwaffeneinsatz nur dann wahrscheinlich würde, wenn existenzielle russische Interessen auf dem Spiel stünden. Da eine solche Lage noch in weiter Ferne liegt, hält man eine Ausweitung der Unterstützung der Ukraine – auch durch Waffen längerer Reichweite – für vertretbar. Die russischen Drohungen laufen also ins Leere, weil der Westen nicht in erster Linie die Rhetorik Moskaus, sondern die – vermuteten – russischen Interessen zum Maßstab des eigenen Handelns macht. 

Mehr noch. Durch den ständigen Verweis auf „rote Linien“, die der Westen jedoch ohne Konsequenzen überschreitet, untergräbt Russland seine eigene Glaubwürdigkeit und damit zugleich seine Abschreckung. Der Eindruck der Entschlossenheit, den Moskau zu vermitteln sucht, weicht einem Bild der Hilflosigkeit, weil die Drohung mit Massenvernichtungswaffen in keinem Verhältnis zu den eigenen politisch-militärischen Zielen steht, die man mit diesem Krieg verfolgt. 

Problematisch wird es allerdings, wenn die westliche Politik, wie von vielen Diskutanten gefordert, über die Sicherung des Überlebens der Ukraine hinausgeht und eine Niederlage Russlands anstrebt. Die nuklearen Drohungen Moskaus bekämen dann eine völlig neue Dimension. Eine der klassischen Erkenntnisse der Verhaltenspsychologie lautet, dass die Furcht, etwas zu verlieren, Menschen dazu bringt, größere Risiken einzugehen als die Aussicht, etwas zu gewinnen. Im Kontext der Abschreckung bedeutet dies, einen nuklear bewaffneten Gegner nicht in eine Lage zu bringen, in der er glaubt, er habe nichts mehr zu verlieren. 


Westliche Ukraine-Politik: Zaudern oder Vorsicht?

Es ist genau diese Erkenntnis, die die Politik des Westens in der Ukraine-Frage leitet. Man verstärkt kontinuierlich die Unterstützung für Kiew, ohne dabei einen Krieg zwischen dem Westen und Russland zu provozieren, der möglicherweise eine nukleare Dimension annehmen könnte. Dass diese Politik viele Beobachter, die eine schnellere und umfassendere Hilfe für die Ukraine fordern, frustriert, liegt auf der Hand, weil sie Kiew bestimmte militärische Optionen vorenthält. Entsprechend häufig wird manchen Regierungen des Westens vorgeworfen, sie erlägen ihrer unbegründeten Furcht vor einem russischen Gegenschlag („Selbstabschreckung“), oder ließen sich gar von Putin erfolgreich manipulieren. 

Es ist durchaus möglich, dass der Westen von Anfang an eine resolutere Politik hätte betreiben können, ohne eine russische Vergeltung zu provozieren. Allerdings wären damit die Risiken für den Westen erheblich gestiegen. Aus diesem Grund steuern vor allem die USA – die ohnehin die Hauptlast der westlichen Unterstützung für die Ukraine tragen – einen vorsichtigen Kurs. In Washington werden die nuklearen Aktivitäten Russlands nicht nur sehr genau verfolgt, man achtet auch darauf, keine missverständlichen Signale zu senden. Dass konservative Kritiker bereits die Verschiebung eines amerikanischen Raketentests kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine als Zeichen der Schwäche brandmarkten, zeigt jedoch einmal mehr, dass bei manchen das diffuse Bedürfnis, Stärke und Entschlossenheit zu zeigen, das Risikobewusstsein in den Hintergrund drängt. Handelten beide Seiten nach diesem Muster, wäre eine direkte militärische Konfrontation nahezu vorprogrammiert.


Abschreckung in der Grauzone hybrider Konflikte

Dass die einfache Gleichung, wonach mehr militärische Stärke generell zu mehr Abschreckung führt, nicht aufgeht, zeigt sich auch bei dem Versuch, das Konzept der Abschreckung auf Angriffe unterhalb der militärischen Schwelle anzuwenden. So hat die NATO in den vergangenen Jahren auch sogenannte hybride Angriffe wie Cyberattacken, Desinformationskampagnen oder Sabotageakte als Bedrohungen qualifiziert, die den Bündnisfall auslösen könnten. 

In der Praxis jedoch zeigen die unverminderten hybriden Aktivitäten gegen NATO-Staaten, dass eine solche Drohung hybride Akteure unbeeindruckt lässt. Sie kalkulieren – zu Recht –, dass die NATO, die fast nur über militärische Instrumente verfügt, auf nichtmilitärische Angriffe nicht mit einem Waffengang reagieren wird. Versuche einiger Analytiker, mit kreativen Wortschöpfungen („deterrence by entanglement“) das Abschreckungsprinzip auch auf die Grauzone hybrider Konflikte auszudehnen, laufen deshalb ins Leere. 

Problematisch an dieser Diskussion ist zum einen, dass man das Konzept der Abschreckung desavouiert, wenn man es auf eine Lage anwenden will, in der es nahezu zwingend scheitern muss. Zum anderen ist die im Kontext des Ukraine-Krieges oft zu vernehmende Behauptung, Russland führe bereits seit Langem einen hybriden Krieg gegen den Westen, nicht nur völkerrechtlich heikel; sie verleitet manche Beobachter auch zur Forderung nach härteren westlichen Gegenmaßnahmen, einschließlich des Einsatzes militärischer Mittel. 

Wer allerdings auf nichtmilitärische Nadelstiche militärisch antworten will, verlässt den Bereich der Abschreckung zugunsten einer extrem risikoreichen „Tit for tat“-Strategie (Wie du mir, so ich dir-Strategie), denn auch der Gegner wäre dann versucht, militärisch zu reagieren. Die Antwort auf derartige Bedrohungen liegt daher nicht in militärischer Abschreckung, sondern in einer Verstärkung der Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft.  
 

Ein besseres Verständnis von Abschreckung 

Die aktuelle westliche Debatte, in der Abschreckung gleichzeitig über- und unterschätzt wird, zeigt, dass die vorgebliche Wiederentdeckung dieses Konzepts unvollständig geblieben ist. Vor allem der Schock des russischen Angriffs auf die Ukraine hat deutlich gemacht, dass viele Diskutanten zwar die wachsende Bedeutung von Abschreckung erkannt haben, dieses Konzept aber nur selektiv und sogar widersprüchlich anwenden, um ihre eigenen Positionen zu stützen. Zwar ist Abschreckung keine exakte Wissenschaft und bietet folglich auch keine präzisen Handlungsanleitungen. 

Angesichts einer Neuorientierung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die sich unter anderem in einer erheblichen Aufstockung des Verteidigungsetats niederschlagen soll, erscheint es jedoch nicht nur geboten, sondern dringlich, sich darüber bewusst zu werden, welche Bedrohungen man mit welchen Mitteln abschrecken kann – und welche nicht. Ohne eine differenzierte Betrachtung der Möglichkeiten und Grenzen von Abschreckung bleibt der von der „Zeitenwende“ suggerierte sicherheitspolitische Paradigmenwechsel unvollendet.

Die von einigen Beobachtern erhobene Forderung, den „nuklearen IQ“ in Deutschland zu erhöhen, ist daher notwendig, aber nicht hinreichend. Auch und gerade in seinen nichtnuklearen Dimensionen verdient das Konzept der Abschreckung weitaus mehr analytische Aufmerksamkeit, als ihm bislang zuteilwurde. 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik, online exklusiv, 26. Juni 2024

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Mehr von den Autoren

Michael Rühle arbeitete 32 Jahre im Internationalen Stab der NATO, u.a. im Bereich Politische Planung und Reden, Energie- und Klimasicherheit sowie hybride Bedrohungen.

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