Mit mehr Markt gegen Monopole
Wenn Europa seine Rohstoffabhängigkeit von Autokratien wie China und Russland reduzieren will, sollte es auf eine Ausweitung des internationalen Wettbewerbs setzen, nicht auf Protektionismus.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität im Jahr 2050 möchte die Europäische Union bis 2030 nicht weniger als 45 Prozent ihres Energiebedarfs aus Erneuerbaren beziehen. Um Energieimporte aus Russland schneller zu reduzieren, hat die EU-Kommission in ihrem „REPowerEU-Plan“ vom Mai 2022 die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren angehoben. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der Photovoltaik-Anlagen bereits um 47 Prozent gegenüber dem Vorjahr, auf 41 Gigawatt. Bis 2030 sollen jährlich 48 Gigawatt Photovoltaik und 36 Gigawatt Windenergie zugebaut werden. Dies entspricht der Installation von etwa 150 Millionen Solarpaneelen und 12 000 Windturbinen pro Jahr.
Das hat natürlich Folgen: Bis zum Jahr 2030 wird der Gesamtbedarf an Seltenen Erden in der EU um das Fünffache steigen. Auch die Nachfrage nach anderen Rohstoffen wird massiv wachsen. Da sich diese sogenannten „kritischen Rohstoffe“ in den Händen weniger Produzenten in China befinden, macht man sich in der EU Sorgen, dass durch die grüne Energiewende neue Abhängigkeiten entstehen werden oder schon bestehen. Wie groß ist das Problem – und kann der EU-Ansatz funktionieren?
Industrie- und sicherheitspolitische Ziele
Zunächst einmal dient der Ansatz, die Energiewende zu beschleunigen, dem Ziel, die EU schneller klimaneutral zu machen. Aber neben diesem klimapolitischen Ziel geht es bei dem „Critical Raw Materials Act“ und dem „Net Zero Industry Act“, die zum Green Deal der EU gehören, explizit um Industrie- und Sicherheitspolitik. Doch rechtfertigen Sicherheitsrisiken die erhöhten Kosten? Und werden so tatsächlich und nachhaltig neue Industrien und Jobs in Europa geschaffen?
Der Critical Raw Materials Act und der Net Zero Industry Act beschreiben, wie die ambitionierten grünen Ausbauziele erreicht werden sollen, ohne dabei neue wirtschaftliche Abhängigkeiten zu schaffen oder an Konkurrenzfähigkeit bei grünen Technologien einzubüßen. In beiden Gesetzesvorschlägen spielen nicht nur die Diversifizierung der Importe notwendiger Mineralien, Komponenten und Nettonulltechnologien eine entscheidende Rolle, sondern auch das Ziel, die Kapazitäten für Rohstoffabbau, -verarbeitung und industrielle Fertigung von Nettonulltechnologien in der EU zu steigern.
Sowohl für Nettonulltechnologien als auch für Rohstoffe bestimmt der Green Deal, dass maximal 65 Prozent der EU-Nachfrage aus einem einzigen Drittstaat importiert werden dürfen. Dieser Wert soll einseitige Abhängigkeiten verhindern, die aus EU-Sicht klima-, sicherheits- und industriepolitisch problematisch sind. Wichtige Instrumente sind EU-Partnerschafts-, Freihandelsabkommen, ein möglicher Rohstoffklub und einheimische Subventionen. Bisher bestehen etwa mit Japan und Vietnam Freihandelsabkommen, die Bestimmungen zu Rohstoffen enthalten. Die bislang nur vorläufig angewandten Abkommen mit Kanada und Chile würden zu einer stärkeren Zusammenarbeit bei der Entwicklung grüner Technologien und zu einem besseren Zugang zu kritischen Rohstoffen beitragen.
Über ein Freihandelsabkommen mit Australien, dem größten Lieferanten von unverarbeitetem Eisenerz, Bauxit und Lithium, wird noch verhandelt. Das EU-Abkommen mit Chile könnte dazu beitragen, etwa die Einfuhr von Kupfererz oder Lithium zu diversifizieren, die für die Photovoltaik-Produktion sowie den Ausbau der Verteilungsnetze und Speicher unerlässlich sind. Zur Diversifizierung der Einfuhr dieser Materialien in ihrer veredelten Form trägt sie aber nicht unbedingt bei, weil sich die sehr energie- und kapitalintensive Verarbeitung und Raffination von Kupfererzen sowie anderen Rohstoffen immer stärker auf China konzentriert.
Zudem hat die EU zahlreiche strategische Partnerschaften abgeschlossen. In den vergangenen beiden Jahren wurden Absichtserklärungen für die Zusammenarbeit bei Rohstoffen, Batterien und grünem Wasserstoff mit Kasachstan, Namibia und der Ukraine unterzeichnet, außerdem für eine grüne Partnerschaft mit Marokko und eine „Renewable Hydrogen Partnership“ mit Ägypten. Neue Partnerschaften sind mit Norwegen und Grönland, dem Kongo, Ruanda und Argentinien vorgesehen. Des Weiteren könnte ein Klub von Ländern, die ähnlich hohe Umwelt-, Sozial- und Governance-Standards wie die EU erfüllen, die Beschaffung von Rohstoffen in den kommenden Jahren erleichtern.
Selber machen
Zusätzliche Handelsabkommen allein werden aber nicht ausreichen, um Importe zu diversifizieren. Weltweit müssten die Kapazitäten zur Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe an neuen Standorten noch deutlich ausgebaut werden, um die Monopolstellung Chinas bei Veredelungsprozessen anzufechten. Die Kommission möchte die Global-Gateway-Initiative deshalb verstärkt zur Förderung von Investitionen in Projekte im Bergbau und bei der Verarbeitung kritischer Rohstoffe in Drittländern nutzen. Auf der diesjährigen Projektliste finden sich bereits mehrere zur Förderung der Herstellung von Methanol in Nordafrika oder zur Herstellung grünen Wasserstoffs in Mittel- und Südamerika. Wie groß und signifikant diese Initiative für die Diversifizierung des weltweiten Abbaus von Rohstoffen insgesamt ist, ist unklar. Der Ansatz, Abbau in Drittländern zu fördern, ist aber begrüßenswert.
Eine zweite zentrale Maßnahme ist der Ausbau der Kapazitäten für Rohstoffabbau, -verarbeitung und der industriellen Fertigung von Nettonulltechnologien in der EU. Laut dem Net Zero Industry Act soll die Produktionskapazität ab 2030 ausreichen, um 40 Prozent des Jahresbedarfs an Nettonulltechnologien zu decken. Dasselbe Ziel gilt für die Verarbeitungskapazität von Rohstoffen. Eine Schwelle von 10 Prozent der Jahresnachfrage wird für die Förderkapazität von kritischen Rohstoffen in der EU angestrebt. 15 Prozent der Nachfrage an jedem Rohstoff sollen durch Recycling in der EU gedeckt werden. Der verbleibende Bedarf müsste über diversifizierte Importe bezogen werden. Unklar bleibt aber, was das Ziel heimischer Produktion sein soll und warum heimische Produktion der Produktion in Drittländern vorzuziehen ist.
Bedingt wirtschaftlich
Der Aufbau einer heimischen Produktion grüner Technologien erfordert Subventionen, um die chinesischen Kostenvorteile auszugleichen. Damit würde die EU zum Teil auf den Vorteil günstiger chinesischer Importe verzichten. Um die Energiewende finanzieren zu können, ist es aber entscheidend, dass die erneuerbare Technologie günstig zu finanzieren ist. Die Kosten in der Photovoltaik-Produktion liegen laut einer Studie der Internationalen Energieagentur in Europa um 35 Prozent höher als in China. Das ist nicht auf unterschiedliche Kosten von kritischen Rohstoffen zurückzuführen, die ja international gehandelt werden. Neben höheren Energiekosten ist es höheren Neben-, Investitions- und Arbeitskosten geschuldet.
Derzeit beheimatet die EU mit einer Kapazität von 8 Gigawatt rund 1 Prozent der weltweiten Kapazität zur Herstellung von Solarmodulen. Bis 2030 soll die operative Photovoltaik-Produktionskapazität auf 30 Gigawatt ansteigen und über 40 Prozent des Jahresbedarfs decken. Das einzige hier weltweit führende Unternehmen mit Sitz in der EU ist die deutsche Firma Wacker, die Polysilizium herstellt. Doch die sehr energieintensive Produktion der Firma, die jährlich rund 0,8 Prozent des deutschen Stroms und 0,5 Prozent des Gases bezieht, ist durch die hohen Energiekosten gefährdet.
Um die Abwanderung solcher Unternehmen zu verhindern, wird nun die Zahlung von Einzelbeihilfen bis zur Höhe der Subventionssumme zugelassen, die für eine gleichwertige Investition in einem Land außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums angeboten wird. Die gelockerten EU-Staatshilferegeln sollen bis 2025 gelten, um Mitgliedstaaten die Förderung der Herstellung von Nettonulltechnologien zu ermöglichen. Sollten Energie-, Arbeits- und Bürokratiekosten in der EU strukturell höher bleiben als in anderen Ländern der Welt, dann ist eine kostenintensive Subventionierung der heimischen Produktion energieintensiver Unternehmen nicht wirtschaftlich. Sie müsste dann über sicherheits- oder industriepolitische Argumente begründet werden.
Sollten sicherheitspolitische Bedenken gegen Importe aus China sprechen, wäre es zunächst sinnvoll, kostengünstigere Drittländer für die Produktion von Solarmodulen in Betracht zu ziehen, etwa Vietnam, Thailand oder Malaysia. Die Gesamtkosten für die Herstellung von Photovoltaik-Modulen liegen hier nur etwa 5 Prozent höher als in China. Denkbar wäre es, die Herstellung von Teilen der PV-Wertschöpfungskette in Drittstaaten zu fördern, um die Monopolstellung Chinas zu schwächen und gleichzeitig übermäßig hohe Subventionen im Inland zu verhindern.
Über strategische Partnerschaften und den Ausbau eigener Abbau-, Verarbeitungs- und Produktionskapazitäten könnte die EU in einem kostspieligen und langwierigen Verfahren Abhängigkeiten von China reduzieren. Durch die Förderung der Abbau-, Verarbeitungs- und Produktionsprozesse für Nettonulltechnologien und die dafür nötigen Rohstoffe in Drittstaaten wäre das aber günstiger zu haben.
Überschaubare Sicherheitsrisiken
Wie groß sind die Sicherheitsrisiken, die aus dem Import chinesischer Nettonulltechnologien resultieren? Die europäische Energieversorgung wäre durch einen Abbruch der Lieferungen von Nettonulltechnologien aus China nicht gefährdet. Die in Nutzung befindlichen Solarpaneele haben eine durchschnittliche Haltbarkeit von 25 bis 30 Jahren. Ein Stopp aller Lieferungen dieser Paneele durch China würde die Produktion von grünem Strom daher nicht sofort betreffen. Es bliebe Zeit, die eigene und die Drittland-Solarpaneeleproduktion auszubauen. Und ob China wirklich auf die profitablen Ausfuhren grüner Technologieprodukte verzichten oder Marktanteile an Konkurrenten abtreten möchte, ist ebenfalls zweifelhaft.
Nettonulltechnologien, die ans nationale Stromnetz angeschlossen werden, könnten andere Sicherheitsrisiken bergen. So können sie Daten über den nationalen Verbrauch erfassen und ein potenzielles Ziel für Cyberattacken oder Angriffe auf intelligente Stromnetze sein. Diese Risiken sind aber nicht spezifisch an diese Technologien gekoppelt, sondern an alle modernen digitalen Wirtschaftssysteme.
Eine hohe Importabhängigkeit von China bei grüner Technik ist also nicht offensichtlich eine Gefahr für Europas Energieversorgung. Es mag Produkte geben, bei denen erhebliche Sicherheitsrisiken bestehen. Das würde aber nicht eine allgemeine Reduktion von grünen Importen aus China und einen hochsubventionierten Ausbau der heimischen Produktion rechtfertigen. Das Erreichen der europäischen Klimaziele dürfte durch eine Abkopplung von China teurer werden.
Nettonulltechnologien sind ein wichtiger Zukunftsmarkt. Die Photovoltaik-Exporte aus China allein haben schon jetzt einen Wert von rund 30 Milliarden US-Dollar. Andere grüne Märkte sind zwar kleiner, wachsen aber stärker. Europa sollte sich bemühen, auf diesen Zukunftsmärkten mitzumischen. Dabei sollte die Politik in erster Linie Rahmenbedingungen schaffen, die der Privatwirtschaft optimale Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Gleichzeitig bleibt es notwendig, in einem gewissen Grade zu subventionieren, wenn bei neuen Technologien Wettbewerbsbedingungen durch ausländische Subventionen massiv verzerrt werden. Um einen Subventionswettlauf innerhalb Europas zu vermeiden, sollten diese Subventionen idealerweise auf EU-Ebene organisiert sein.
Europa ringt ebenso wie die USA mit einer adäquaten Antwort auf die Dominanz Chinas bei den grünen Technologien. Die USA haben mit dem „Inflation Reduction Act“ (IRA) stark auf Subventionen und heimische Produktion gesetzt. Europa hat nun innerhalb kurzer Zeit eine eigene Antwort geliefert. Dabei wird ebenfalls stark auf heimische Produktion und Diversifikation von Lieferketten abgestellt. Für einige Technologien hat Europa aber erhebliche Kostennachteile gegenüber den USA, sodass der langfristige Erfolg der Subventionen begrenzter sein dürfte.
Insgesamt sind die Sicherheitsrisiken bei den Importen chinesischer grüner Technologie geringer als oft behauptet. Trotzdem sollte die extrem hohe Marktmacht Chinas durch eine Diversifizierung von Lieferketten in kostengünstigen Drittländern reduziert werden. Gerade bei kritischen Rohstoffen und ihrer Veredelung beherrscht China den Markt zu deutlich; Europa sollte mit Abkommen und Subventionen in Drittländern das weltweite Angebot vergrößern. Subventionierte heimische Produktion mag in gewissem Umfang sinnvoll sein, sollte aber auf neue Märkte setzen und Produkte, in denen Sicherheitsrisiken erheblich sind. Insgesamt sollte Europa den internationalen Wettbewerb stärken und so größere Diversifizierung erreichen. Ein protektionistisches Abschotten der heimischen Industrie wird kaum die notwendigen Kostensenkungen und Produktivitätsfortschritte bringen, die die Klimawende erfordert.
Internationale Politik Special 4, Juli 2023, S. 55-59