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01. Apr. 2006

Milchstraße 78, 5. Stock

Trotz großem Lauschangriff: noch keine Neuigkeiten aus dem All

Ein Radioteleskop ist ein beeindruckendes Ding. Einmal stand ich in der San Augustin-Ebene im US-Bundesstaat New Mexiko. Rund um mich viel weites, leeres Land. Mittendrin, wie von einem Riesen verstreut, ragten 27 gewaltige Schüsseln auf, jede 230 Tonnen schwer. Das ist das VLA, das  Very Large Array – 27 auf Schienen verschiebbare Parabolantennen, die ein Y bilden, bis zu 36 Kilometer lang. Radioteleskope fangen elektromagnetische Wellen aus dem Kosmos ein, geben uns neben dem Blick durch optische Teleskope das beste Bild von fernen Nebeln und Galaxien. Sie werden auch verwendet, um die Daten von Raumsonden aufzufangen und ihnen Kommandos zu schicken. In dem weiten, flachen Tal war es fast so still wie im Weltall.

Mit solchen Schüsseln kann man auch ins All hineinlauschen, nach fernen, fremden Signalen suchen. Hallo, ist da wer? Die Disziplin nennt sich SETI, ein Akronym für „Search for Extraterrestrial Intelligence“. Schon rein rechnerisch ist es wahrscheinlich, dass wir im Universum nicht die einzige „intelligente“ Lebensform sind. Doch SETI-Forscher brauchen eine enorme Frustrationstoleranz. Sie haben beste Aussichten, ein Leben lang zu scheitern.

1960 startete am US-amerikanischen National Radio Astronomy Observatory in West Virginia das erste Projekt – Ozma genannt, nach der Prinzessin von Oz. Ein bisschen spinnert sind Sternengucker gerne. Projektleiter Frank Drake richtete das Teleskop auf die Sterne Tau Ceti und Epsilon Eridani, nicht allzu viele Lichtjahre entfernt, und zeichnete auch gleich merkwürdige Meldungen auf. War da etwas? Bald entpuppte sich das Zeichen aus der Ferne als Signal von Mutter Erde, militärischen Ursprungs.

Drake schuf später ein mathematisches Modell, die Drake-Gleichung – zur Berechnung der Wahrscheinlichkeit anderer Zivilisationen irgendwo da draußen. Das Modell ähnelt den Weisheiten unserer Volkswirtschaftslehre. Es hat so viele nach Gusto definierbare Faktoren, dass jeder das seinen Ansichten gemäße Ergebnis erzielt. So liegen die Annahmen über die Anzahl fremder Populationen zwischen Null und einer Million. Drake selbst schätzte einmal, dass es allein in unserer Galaxie wohl an die 10 000 besiedelte Planeten geben dürfte. Wo aber wohnen die Aliens? In der Milchstraße 78, 5. Stock?

1964 stiegen auch die Russen ein. SETI verhieß Ruhm und Ehre. Und extraterrestrische Alliierte haben noch keiner Weltmacht geschadet. Die Versuchsanordnungen wurden schnell komplexer. In den achtziger Jahren setzte ein wahrer Lausch-angriff aufs Universum ein. Der Harvard-Physiker Paul Horowitz schuf ein Gerät, dass 8,4 Millionen Radiokanäle gleichzeitig analysieren konnte. 1982 durfte er seinen „Suitcase SETI“, eine Art Lauschkoffer, beim größten US-Radioteleskop in Arecibo, Puerto Rico, einstöpseln. Die Ohio State University zog mit „Big Ear“ nach, die Uni Berkeley legte SERENDIP II auf, gefolgt von III und IV, mit nun schon 168 Millionen Kanälen. Selbst die NASA machte mit. Doch das All schwieg weiter.

Sind wir doch allein? Selbst wenn – SETI-Forschung berührt das ganz Grundsätzliche, unser Woher und Wohin und das Wesen des Universums. Manche suchen in der kosmischen Mikrowellen-Strahlung, in alten Felsen oder den Code-Strängen unserer DNA nach der alles offenbarenden Botschaft. Nun steht eine neue Welle von Lauschaktivitäten bevor. Bald geht das Allen Telescope Array (ATA) in Betrieb, benannt nach Microsoft-Mitgründer Paul Allen, der hierfür manche Million versenkt hat. Von Harvard aus soll ein neues Suchsystem nach Lasersignalen fremder Kulturen Ausschau halten, das All-Sky Optical SETI Telescope.

Die Wahrscheinlichkeit, dass auch anderswo Leben ist, bleibt hoch. Vor über 50 Jahren machten die Wissenschaftler Harold Urey and Stanley Miller ein großes Experiment. Sie packten ein paar simple Moleküle, wie sie in der frühen Erdatmosphäre existiert haben dürften, in einen Behälter und setzten die Brühe Stromschlägen von Blitzstärke aus. Ohne weitere Hilfe bildeten sich Aminosäuren und Zucker. Erste Ingredienzen für Leben! Andere Forscher simulierten später die Wirkung solarer und kosmischer Strahlung, mit ähnlichen Resultaten. Die Kirche war nicht verzückt. Die Wissenschaft schon.

„Ich glaube fest daran, dass irgendwo da draußen andere Lebewesen existieren“, sagt die Astrobiologin Margaret Turnbull von der Washingtoner Carnegie Institution. Sie filterte kürzlich aus 17 000 Sternen eine Art Top Ten für mögliches Leben; ihr Favorit heißt Beta CVn im Sternbild Jagdhunde. Allein unsere Milchstraße mit einem Durchmesser von etwa 100 000 Lichtjahren beherbergt 200 bis 300 Milliarden Sterne. Und es gibt wohl mindestens zehn Milliarden weitere Galaxien, wenn nicht sogar unendlich viele. Zu glauben, dass ausgerechnet wir das Beste sind, was dieses Universum je hervorbringen konnte, wäre, wie Physiker Horowitz einmal sagte, „das Mittelmaß schlechthin“.

Kontakt aber haben wir immer noch keinen. Radio Alien sendet nicht. Denn es gibt ein paar Probleme. Erstens: Wie das Signal entdecken, wie die Aliens verstehen? Kein Erdling ist fließend in Grünmännchenesisch. Problem Nummer zwei: unser winziges Zeitfenster. Das Menschsein hier auf Erden währt an die 10000 Jahre. Das klingt beachtlich. Tatsächlich sind es, grob geschätzt, nur 0,00006 Prozent des geschätzten Alters unseres Universums. Wie wahrscheinlich ist es, dass eine fremde Zivilisation anderswo gerade jetzt so weit ist, uns Signale zu funken, womöglich weil sie um uns weiß? Oder uns – mystisch, mystisch – einst gar geschaffen hat?

Problem Nummer drei: die gigantischen Distanzen. Selbst Licht braucht ewig lang, sie zu überbrücken. Frank Drake und sein Astro-Kumpan Carl Sagan schickten von Arecibo aus 1974 eine Botschaft ins All, mit 2 Gigawatt Power, gebündelt auf den Kugelsternhaufen Messier 13. Es ist ein Bild, 23 mal 73 Bildpunkte groß, mit den Zahlen 1 bis 10, den Ordnungszahlen der Stoffe, aus denen unsere DNS besteht: Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor, den Formeln ihrer Moleküle und einer Darstellung ihres Doppelstrangs. Dazu ein Schema unseres Sonnensystems, eine grobe Zeichnung des Menschen und die Zahl 14, die, multipliziert mit der Wellenlänge des gesendeten Signals, 176,4 Zentimeter ergibt – eine durchschnittliche Größe des Wesens Mensch; ganz zufällig auch die des Absenders Drake. Die grünen Männchen da draußen müssen schon mächtig intelligent sein, um dies zu dekodieren. Selbst wenn sie uns ihre Antwort sofort zurückbeamen – die intergalaktische Post ist langsam. Zu M13 und zurück braucht sie rund 50 000 Jahre. Bis dahin hat sich homo sapiens wohl leider längst ausgelöscht. Also: Beta CVn, bitte melden!

TOM SCHIMMECK, geb. 1959, schreibt als freier Journalist über Politik und Wissenschaft für Zeitungen, Magazine und fürs Radio.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2006, S. 116 - 117

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