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01. Apr. 2007

Mehr Frankreich für Deutschland

Ökonomie

Was wir von unseren Nachbarn lernen können

„Wenn es Deutschland nicht gäbe, würde Frankreich es erfinden“, schreibt Friedrich Sieburg in seinem wunderbaren Buch „Gott in Frankreich?“. Umgekehrt gilt das vielleicht noch mehr: Wann immer in Deutschland nach einem abschreckenden Beispiel gesucht wird, wie man etwas gefälligst nicht machen soll, schweift der Blick ins westliche Nachbarland. Und zwar nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen, wie sie derzeit in Sachen Energie und Luftfahrt wieder kontrovers diskutiert werden, sondern durchaus auch bei strukturellen Grundfragen der Politik.

Kritik am deutschen Föderalismus? Aber der französische Zentralstaat ist doch noch viel schlimmer? Zu schwache Exekutive in Deutschland? Wo zuviel Macht der Regierung hinführt, könne man ja nach zwölf Jahren Chirac bewundern. Volksabstimmungen in wichtigen Fragen? Wie unreif und unkundig das Volk ist, hat ja der Ausgang des EU-Referendums in Frankreich gezeigt. Es ist für uns Deutschen eine unbequeme Wahrheit, aber genau bei diesen drei Themen sollten wir Deutschen endlich von den Franzosen lernen. Deutschland braucht mehr Zentralstaat, weniger Parlament und mehr direkte Volksrechte – um auf diesem Wege endlich zu einem effizienteren Staatswesen zu gelangen.

Ohne Frage: Es gibt – nicht nur aus Sicht der Ökonomen – kaum ein besseres Regierungssystem als den Föderalismus. Weil der auf dem Prinzip des Wettbewerbs aufbaut. Genau dieser Wettbewerb ist in Deutschland aber völlig ausgeschaltet. Was wir de facto haben, sind 16 kleine, eigensinnige Staaten und ein großer, die sich fast untrennbar ineinander verkeilt haben. Nicht nur durch ein absurdes System der Mischzuständigkeit für Steuern, sondern vor allem durch ein weitgefasstes Mitspracherecht im Bundesrat bei Fragen nationalen Interesses. Diese institutionelle Sklerose wird auch die aktuell diskutierte Föderalismusreform nicht kurieren. Weil wir aber in Deutschland keinen echten, kompetitiven Föderalismus wie beispielsweise in der Schweiz leben, brauchen wir auch nicht die kostspieligen Strukturen mit Länderparlamenten, -regierungen und -verwaltungen zu finanzieren. Hierzulande gibt es rund 170 000 politische Wahlämter, die turnusmäßig gefüllt werden wollen – davon nur etwa 600 auf Bundesebene. Den Rest teilen sich Länder, Kreise und Kommunen. Deutschland sollte sich ehrlich machen und sich von seinem unheilbar kranken föderalistischen System verabschieden.

Mehr Zentralstaat hätte drei große Vorteile. Erstens bekämen wir endlich wieder eine handlungsfähige Regierung. Die Kanzlerin müsste keine Bücklinge mehr machen vor Landesfürsten, die im Zweifel gerade mal ein Prozent der deutschen Bevölkerung repräsentieren und zudem als Nettoempfänger im Finanzausgleich notorische Kostgänger des Steuerzahlers sind. Zweitens wären Heerscharen von Beamten und Politikern überflüssig, weil man die kostenintensiven Parallelstrukturen in Bund und Ländern schleifen könnte. Drittens schließlich würde das deutsche Gewicht in Brüssel deutlich steigen, wo bisher 16 Zwerge in ihren opulenten Repräsentanzen Hof halten, um den EU-Entscheidern ihre Partikularinteressen zu soufflieren.

Frankreich hat einen zu starken Präsidenten, wir haben eine zu schwache Kanzlerin. Das liegt nicht an den jeweils handelnden Akteuren, sondern am System. Hierzulande treten wir fast sämtliche politischen Eigentumsrechte an den Bundestag ab. Und müssen dann vier Jahre ohne jede Einredemöglichkeit ertragen, was die Abgeordneten in Berlin tun oder – schlimmer noch – unterlassen. Dieses „Legitimationsmonopol“ der Legislative gibt es in Frankreich nicht, da der Präsident direkt gewählt wird. Und das ist auch richtig so. Schädlich ist das in Deutschland praktizierte „Legitimationsmonopol“ des Parlaments noch aus einem weiteren Grund. Es schließt den Bürger in der Legislaturperiode komplett von der politischen Willensbildung aus, selbst bei Fragen von höchster Wichtigkeit. Besonders augenfällig wurde dies bei der Diskussion über die EU-Verfassung, wo in Frankreich via Referendum das Volk befragt wurde, in Deutschland hingegen, wohl gegen die Meinung einer Mehrheit der Wahlberechtigten, das Parlament die Verfassung annahm. Dabei muss es in jeder Demokratie einen – wenn auch mit erheblichen Hürden versehenen – Weg geben, auf dem der Wähler seine politischen Institutionen und deren Entscheidungen hinterfragen kann. Den gibt es in Frankreich, in den USA, in Italien, in der Schweiz. Nur eben in Deutschland nicht. So hat der deutsche Bürger noch nicht einmal die Chance, gegen den Willen des Parlaments die Verfassung zu ändern. So kann es Reformen, die den Interessen der Abgeordneten zuwiderlaufen, von vornherein nicht geben. Die Diskussion über echte, tiefgreifende institutionelle Reformen dreht sich deshalb in Deutschland zwangsläufig im Kreise.

Derzeit führen die Energiedebatte, die Krise beim Flugzeugbauer EADS sowie die deutsche EU-Präsidentschaft dazu, dass sich Deutschland und Frankreich höchst aufmerksam belauern. Und jeden Zug des Nachbarn registrieren und kommentieren. Leider richten sie dabei das Hauptaugenmerk darauf, das jeweils Fehlerhafte und Unvollkommene zu entdecken. Es würde beide Länder weiterbringen, wenn sie sich stattdessen mutig daran machten, wechselseitig das Überlegene anzuerkennen und bestenfalls zu kopieren.

Dr. KLAUS SCHWEINSBERG, geb. 1970, ist Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Capital und Herausgeber des Unternehmermagazins Impulse.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2007, S. 64 - 65.

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