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01. Juli 2017

„Man wächst mit seinen Aufgaben“

Interview mit Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen

Im Weißen Haus sitzt ein unsicherer Kantonist, die Briten verlassen die EU, und die Bundeswehr, mit der Teile der deutschen Gesellschaft bis heute fremdeln, diskutiert ihre Traditionslinien: Wie lässt sich in dieser Lage kluge Sicherheits- und Verteidigungspolitik betreiben? Wie Kontinuität sicherstellen und Europäisierung vorantreiben? Fragen in unruhigen Zeiten.

IP: Frau Ministerin, vor gut dreieinhalb Jahren haben Sie gemeinsam mit Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärt, Deutschland müsse künftig mehr Verantwortung übernehmen. Sind wir fit für die Aufgabe – angesichts eines völlig veränderten sicherheitspolitischen Umfelds und angesichts eines liberalen Hegemons, der nicht mehr so zuverlässig zu sein scheint?

Ursula von der Leyen: Man wächst mit seinen Aufgaben. In der Rückschau war es wichtig, dass wir 2014, wenige Wochen vor der Annexion der Krim und vor der Einnahme Mossuls durch den so genannten Islamischen Staat, den eindeutigen politischen Willen geäußert haben, mehr Verantwortung zu übernehmen. Dass so kurz darauf der Lackmustest kommen würde, wussten wir nicht. Man muss sich vor Augen halten, dass die Bundeswehr, die damals rasch schwierige Aufgaben übernommen hat – zum Beispiel als erstes Land die schnelle Speerspitze der NATO zu stellen –, aus einem 25-jährigen Schrumpfungsprozess kommt.

Dieses zur Routine gewordene „immer weniger, immer kleiner“ hat enorme Lücken hinterlassen bei Personal und Materialausstattung. Deshalb war es wichtig, den Tanker angesichts des Auseinanderklaffens von anspruchsvollerer Sicherheitslage und unzureichender Fähigkeitslage beherzt umzusteuern und Trendwenden auf den Weg zu bringen. Seit 2014 haben wir den Etat mehrmals erhöht. Als ich 2013 ins Amt kam, sollte der Etat in der Mittelfrist Richtung 32 Milliarden Euro sinken. Laut aktueller Haushaltsplanung soll er bis 2021 auf 42 Milliarden steigen. Dass die Bundeswehr wieder wächst, sieht man auch an der zusätzlichen Bewilligung von 18 000 Dienstposten. All dies soll uns fähig machen, die absehbaren Aufgaben gemeinsam mit unseren Verbündeten gut zu meistern, mit modernem Material, auch für die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten.

IP: Wo hapert es noch?

Von der Leyen: Ein Prozess, der sich über ein Vierteljahrhundert erstreckt hat, ist nicht in zwei oder drei Jahren völlig umkehrbar. Deshalb ist es so wichtig, dem Zuwachs über die kommenden Jahre Kontinuität zu verschaffen, beim Budget, bei der Rüstung, im Rahmen eines modernen Personalmanagements und mit einer verlässlichen, stringenten strategischen Grundausrichtung.

IP: Ist Kontinuität denn überhaupt herstellbar in einem System, das immer wieder Regierungswechsel vorsieht? Gehört dazu nicht auch ein tiefgreifender Mentalitätswechsel?

Von der Leyen: Natürlich. Am Anfang stand ja ein unglaublich schmerzhafter Prozess: die Karten auf den Tisch legen, Transparenz herstellen. Nach den ersten schlechten Erfahrungen, gerade in punkto Material, mussten wir dem Verteidigungsausschuss und damit auch der Öffentlichkeit darlegen, wo die Defizite sind, wo die Löcher sind und wie wir sie zu füllen gedenken. Das hat eine breite Debatte über die Defizite ausgelöst; eine Debatte, die notwendig war. Das Gleiche gilt für das Thema Personalmanagement. Auch hier zeigt sich, dass Investitionen ganz anders getätigt werden müssen. Im vergangenen Jahr haben wir einen Investitionsplan von 130 Milliarden Euro vorgelegt. Das ist das Minimum an Ausstattung, wenn wir die Aufgaben, die wir heute schon sehen, bis zum Jahr 2030 erfüllen sollen. Dazu kommt noch die Modernisierung. Wir haben eine neue Cyber-Teilstreitkraft aufgestellt. Auch das kostet natürlich Investitionen und erfordert ein ganz anderes Handeln, auf der personellen wie auf der materiellen Ebene und all das abgestimmt in NATO und EU.

IP: Mehr Geld ausgeben ist das eine, sicherzustellen, dass es vernünftig verwendet wird, ist das andere. Nun steht ausgerechnet das Beschaffungswesen seit Jahren massiv in der Kritik. Wie wollen Sie hier Effizienz schaffen?

Von der Leyen: Wir haben unter dem Stichwort „Agenda Rüstung“ schon tiefgreifende Reformen ins Werk gesetzt. Dazu gehört die Einführung eines modernen Risikomanagements, durch das Risiken benannt werden, bevor sie akut werden. Dazu gehört Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit und dem Parlament. Halbjährliche Rüstungsberichte, wie wir sie jetzt eingeführt haben, hat es vorher nicht gegeben. Und dazu gehört ein strukturierter Dialog mit der Industrie, in dem wir klarmachen, dass wir die Auftraggeber sind und die Industrie Auftragnehmer ist – aber auch über unsere Absichten informieren und somit Planungssicherheit geben.

Die Interessen müssen nicht zwangsläufig übereinstimmen. Wenn wir heute Verträge schließen, werden sie durchbuchstabiert bis ins letzte Detail. Es dauert also länger bis zum Vertragsschluss, die Verträge sind deutlich umfangreicher und die Kosten dafür erst einmal höher. Aber über die folgenden 10 bis 15 Jahre gerechnet, also den Zeitraum, den solche Verträge abdecken, macht sich das bezahlt. Es gibt dann nicht mehr dieses böse Erwachen, wenn plötzlich bei Verzögerungen ganz neue Kostendimensionen auftauchen, die vorher niemand ausgewiesen hat, oder wenn Risiken auftauchen, für die dann der Steuerzahler haftet, weil bei Vertragsschluss nichts festgelegt wurde.

IP: Das ist aber ein ziemlicher Mentalitätswechsel, im Grunde heißt es ja: Die Rüstungsindustrie stellt das her, was die Bundeswehr strategisch braucht, nicht das, was sie anzubieten hat.

Von der Leyen: Ja, und er hat auch schon stattgefunden: Historisch waren die Rüstungsindustrie und das Verteidigungsministerium eng verwoben. Und es war lange Zeit erklärte Priorität, Rüstungsarbeitsplätze zu erhalten, koste es, was es wolle. Nur: Das Geld haben wir in der Bundeswehr nicht mehr. Wir können nicht Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie subventionieren, sondern wir brauchen qualitativ hochwertige Waffensysteme zu einem wettbewerbsfähigen Preis. Die Rüstungsindustrie hat sich im Übrigen ihrerseits emanzipiert, nämlich europäisiert und globalisiert und dabei konsolidiert sie sich auch.

IP: Hat die Politik der neuen US-Regierung einer europäischen Verteidigung einen Schub verpasst?

Von der Leyen: Das Thema Lastenteilung stand schon lange vor der US-Wahl auf unserer Agenda. Das in Wales auch von der Bundesregierung bekräftigte 2-Prozent-Ziel der NATO taucht bereits 2002 in den Papieren auf. Aber die Unklarheit über die Außen- und Sicherheitspolitik des Weißen Hauses wirkt in der Tat beschleunigend. Der Konsens, für den ich schon länger werbe, ist heute klar. Abgesehen von unserem Interesse an starken und verlässlichen Vereinigten Staaten muss Europa seine Probleme selbst lösen und sich dafür auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik viel besser aufstellen. Wir haben den Start dazu übrigens schon vor der amerikanischen Wahl und direkt nach dem Brexit-Referendum gegeben, durch die deutsch-französische Initiative für eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion. Am Anfang gab es sehr viel Skepsis. Das hat sich dramatisch geändert. Im Augenblick des Wahlausgangs in den USA war klar, dass es Zeit ist, dass wir Europäer unsere Hausaufgaben machen müssen.

IP: Manche sprechen von einer neuen Unabhängigkeit von den USA.

Von der Leyen: Es geht nicht darum, unabhängiger zu werden, sondern effizienter und handlungsfähiger im eigenen Interessenspektrum. Fähigkeiten, die die Europäische Union entwickelt, kommen ja auch der NATO zugute. Schaffen wir eine Logistikdrehscheibe in Europa, die den Namen auch verdient, dann profitiert davon auch die NATO. Bauen wir eine Eurodrohne, profitiert die NATO auch davon. Wenn Europa in Afrika für mehr Sicherheit sorgt, kommt das auch der transatlantischen Sicherheit zugute. Das heißt: Wir müssen transatlantisch bleiben, aber europäischer werden.

IP: Dass europäische Sicherheit auch transatlantisch ist, scheint ja im Weißen Haus zurzeit nicht immer vermittelbar zu sein …

Von der Leyen: Es gibt eine außergewöhnlich gute Zusammenarbeit mit dem Pentagon, die wir uns besser nicht wünschen könnten. Verteidigungsminister James Mattis ist besonnen, erfahren, er hat einen hervorragenden Ruf und denkt strategisch. Ich weiß, dass er das Ohr des Präsidenten hat, wir wissen aber auch, dass …

IP: … dieser Präsident offensichtlich viele Ohren hat …

Von der Leyen: … er von vielen Seiten Input bekommt. Auf der Ministerebene könnte es klarer und verlässlicher nicht sein. Das Weiße Haus ist für alle schwer einzuschätzen.

IP: Wenn wir schauen, wo die Zusammenarbeit in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wirklich funktioniert, dann sind das doch bislang eher kleine Inselchen. Wie schaffen wir es, von solchen Inseln zum Bau einer vernünftigen Verteidigungsarchitektur für den Kontinent zu gelangen?

Von der Leyen: Mit der gemeinsamen zivil-militärischen Kommandozentrale für Auslandseinsätze in Brüssel haben wir in diesem Jahr den ersten konkreten Schritt gemacht, der unmittelbar Wirkung entfaltet. Eine Vielzahl von weiteren Initiativen für eine europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik können sich im Rahmen der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit, bei der wir uns an den Namen – PESCO – gewöhnen müssen, bewegen. Die PESCO erlaubt es Staaten, die auf einem bestimmten Gebiet schneller vorangehen wollen als andere, sich zu kleineren Gruppen zusammenzuschließen. Etwa uns für Zukunftsfähigkeiten zusammenzutun wie bei der Eurodrohne, oder uns effizienter zu organisieren wie bei der europäischen Logistikdrehscheibe oder einem gemeinsamen Sanitätskommando, oder uns gemeinsam fokussierter für Missionen vorzubereiten, etwa mit einem Kompetenzzentrum für Ausbildungsmissionen, oder gemeinsam konkrete Schritte beim Megathema Cyber zu gehen.

Das sind Projekte, die wir vorgeschlagen haben, andere Länder werden andere Projekte ins Spiel bringen. Dazu wird mit dem Projekt CARD eine Harmonisierung der unterschiedlichen Planungsprozesse kommen, die es uns besser möglich macht, europäische Fähigkeitslücken zu erkennen, und mit dem Europäischen Verteidigungsfonds ein Instrument, um besser in gemeinsame Fähigkeiten zu investieren. Dies alles zusammen wird hoffentlich noch in diesem Jahr auf den Weg gebracht und europäische Verteidigung effizienter und relevanter machen.

IP: Viele bedauern den EU-Austritt der Briten auch deshalb, weil man sie für eine europäische Verteidigung gut hätte brauchen können. Andererseits haben sie traditionell bei allem gebremst, was für sie nach Schritten hin zu einer europäischen Armee aussah. Macht es der Brexit nun sicherheits- und verteidigungspolitisch leichter?

Von der Leyen: Die Briten hatten sich in der Tat konsequent allem in den Weg gestellt, dabei ging es gar nicht um eine europäische Armee. Die will in der letzten Konsequenz niemand. Die Briten haben sogar etwas so Harmloses blockiert wie das European Medical Command, weil das Wort „European“ darauf steht. Aus dieser Negativhaltung ergibt sich jetzt ein kleiner Vorteil: Da es sicherheitspolitisch wenig europäisch Gewachsenes gibt, müssen wir jetzt, im Unterschied zu allen anderen Bereichen, kaum etwas trennen. Aber wir wollen weiter eine starke, gute, verlässliche Beziehung zu Großbritannien in der NATO haben. Und die pflegen wir weiter. Ob und wie Großbritannien eingeladen wird, an Projekten europäischer Sicherheit zukünftig mitzuwirken, werden wir sehen. Ich würde gerne die sicherheitspolitische Expertise Londons für Europa nutzbar halten – im gegenseitigen Interesse.

IP: Wenn man Europas Bürger fragt, wo sie am stärksten „mehr Europa“ wollen, dann wird die Sicherheitspolitik genannt. Gerade für Deutschland aber gilt: Man ist stolz auf Europas Soft Power, tut sich aber schwer mit der Einsicht, dass zur Befriedung auch Hard Power gefragt ist. Wir haben viele Friedensforschungsinstitute, aber kaum eine zivil-militärische Debatte. Ist da nicht ebenfalls ein Mentalitätswechsel vonnöten?

Von der Leyen: Unsere Zurückhaltung, was diese Diskussion angeht, hat natürlich mit unserer schwierigen Geschichte zu tun. In den vergangenen Jahren sind aber meines Erachtens wieder neue Facetten in die Debatte gekommen, gerade mit dem Einsatz gegen den „Islamischen Staat“ und infolge der Flüchtlingskrise: Jetzt wird darüber diskutiert, dass wir uns gerade wegen unserer Geschichte auch sicherheitspolitisch stärker engagieren müssen. Ein Land mit der politischen und wirtschaftlichen Bedeutung Deutschlands kann nicht wegschauen, wenn der IS wie 2014 den Versuch unternimmt, einen Genozid an den Jesiden zu verüben.

An diesem Punkt haben wir zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Waffen in ein Krisen- und Konfliktgebiet geliefert. Dabei haben wir uns allerdings, und das war für die Menschen sehr wichtig, in einem partnerschaftlichen Rahmen engagiert und einen vernetzten Ansatz gewählt. Man weiß, dass man gegen den IS ohne Militär nicht ankommt; der verhandelt nicht, der köpft. Aber man weiß auch, dass in dem Moment, in dem der IS militärisch geschlagen ist, die Arbeit der Stabilisierung beginnt. Wirtschaftlicher Aufbau, Versöhnung zwischen den Gruppen, gute Regierungsführung, politische Stabilität. Das eine gehört mit dem anderen untrennbar zusammen.

IP: Bleibt die Frage nach einer Einbettung der Bundeswehr in die deutsche Gesellschaft. Sie haben einmal den früheren Bundespräsidenten Walter Scheel zitiert, der in den 1970er Jahren gesagt hat, dass die (west-)deutsche Gesellschaft die Existenz der Bundeswehr zwar schweigend akzeptiert, sie aber noch nicht angenommen habe. Mittlerweile hat die Bundeswehr ganz neue Aufgaben zu erfüllen. Darin war sie auch erfolgreich, aber sie merkt: Das kommt in der Gesellschaft nicht so recht an.

Von der Leyen: Ja, aber hier müssen wir unterscheiden. Zum einen halten die Menschen in Deutschland unsere Sicherheit in den Händen der Bundeswehr für gut aufgehoben. Das spricht sehr für unsere Soldatinnen und Soldaten. Zugleich dominiert Besonnenheit, wenn es darum geht, die Bundeswehr in Einsätze zu schicken. Das ist richtig.

Was wir aber dringend brauchen, ist eine viel breitere Debatte. Das mag jetzt wie ein Gemeinplatz klingen. Aber in der aktuellen Diskussion darüber, inwiefern die Wehrmacht für die Bundeswehr traditions- und identitätsstiftend ist, ist mir aufgefallen, dass ein Narrativ über stolze 61 Jahre Bundeswehr bei uns schlicht nicht vorhanden ist. Dabei gäbe es da einiges zu erzählen: Eine nach den Untiefen von Weltkrieg und Shoa mit Weitsicht und Sensibilität aufgebaute, bald bei unseren Nachbarn und Verbündeten hoch anerkannte deutsche Streitkraft, verpflichtet in all ihrem Tun der Demokratie, Menschenwürde und Freiheit. Der Übergang vom Kalten Krieg in die Armee der Einheit, die ersten Auslandseinsätze, aber auch der große internationale Respekt, den die Bundeswehr genießt. Diese Geschichten müssen wir erzählen. Die Menschen, die dies getragen haben, müssen wir ins Licht stellen. Die Gefallenen, die Verwundeten, aber auch die Erfolge müssen wir würdigen, denn all das ist für uns traditions- und identitätsstiftend.

Deshalb beginnen wir jetzt für die Weiterentwicklung des zuletzt vor 35 Jahren klug gefassten Traditionserlasses mit einer breit angelegten Diskussion. So wie wir eine Debatte um das Weißbuch geführt haben, die wir, durchaus zur Verwunderung unserer Partner, breit angelegt haben, anstatt etwas vorzulegen und dann zu sagen: Jetzt debattiert mal schön.

IP: Der Weißbuch-Prozess war in der Tat wichtig, weil er viele mit einbezogen hat. Aber letztlich ist er ein Thema für eine kleinere außenpolitische Community geblieben. Wenn man diesen Sinnstiftungsdiskurs über die Bundeswehr wirklich ernst nimmt, wird man dann nicht irgendwie Wege finden müssen, ihn in eine breitere Gesellschaft zu tragen?

Von der Leyen: Das muss man mit diesem wie mit anderen Themen, die die Bundeswehr betreffen. Man kann nur nicht sagen: „Wir verlangen mehr Wertschätzung durch die Gesellschaft.“ Wir selber müssen unsere Geschichte und damit Sinn und Charakter unseres Tuns möglichst breit in der Gesellschaft diskutieren. Wir haben hier in Berlin mit einem Workshop für Brigadegeneräle angefangen, wo wir Themen aus 61 Jahren Bundeswehr finden wollten. Wir gehen aber auch in die regionalen und lokalen Standorte und laden dort die Communities von der Kirche über den Gemeindeverband bis hin zu den NGOs ein, damit sie vor Ort mit den Soldatinnen und Soldaten über diese Themen diskutieren können. Wir haben ja nicht nur Bürger in Uniform, wir haben auch Soldaten in zivil. Dabei müssen wir akzeptieren, dass nicht jeder Soldat, der öffentlich etwas sagt, „der“ Repräsentant für „die“ Bundeswehr ist, sondern dass die Bundeswehr eine breite Vielfalt an Soldatinnen und Soldaten hat mit einer noch breiteren Vielfalt an Meinungen.

IP: Aber was entgegnen Sie denjenigen, die Ihnen Bilderstürmerei vorwerfen und sagen, es gehe im Grunde um die Umbenennung von Kasernen? Man denke nur an die heftige Debatte, die sich an der Frage entzündete, ob man ein Bild von Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform abhängen dürfe und, wenn ja, was man an dessen Stelle hängen solle.

Von der Leyen: Helmut Schmidt in Bundeswehruniform zum Beispiel? Den gibt es ja durchaus. Genau diese Debatte müssen wir führen. Im übertragenen Sinne gesprochen sind da, wo die Wehrmachtsbilder abgehängt wurden, jetzt weiße Wände. Und da muss die Bundeswehr vor allem die eigenen stolzen 61 Jahre abbilden.

Das Gespräch führten Joachim Staron und Sylke Tempel.

Dr. Ursula von der Leyen ist seit dem 17. Dezember 2013 die erste Frau an der Spitze des Bundesverteidigungs-
ministeriums. Zuvor war sie Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005–2009) sowie Arbeits- und Sozialministerin (2009–2013). Sie studierte zunächst Volkswirtschaft in Göttingen, Münster und London und später Medizin in Hannover. Es folgten u.a. Stationen als Krankenhausärztin und Wissenschaftlerin in Hannover und Stanford. 1990 trat sie in die CDU ein, 2003 wechselte sie als niedersächsische Landtagsabgeordnete in die Politik. Seit 2004 ist sie Mitglied des Präsidiums der Bundes-CDU.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli-August 2017, S. 17 - 23

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