Brief aus...

24. Juni 2024

Malediven: Der geopolitische Archipel

Seit Jahren konkurrieren China und Indien um Einfluss auf den Malediven. Nun hat Peking wieder die Nase vorn.

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Bild: Zeichnung Malediven
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Die Malediven, ein Ferienparadies mit Stränden aus weißem Korallensand und exklusiven Resorts, wenden sich nach fünf Jahren proindischer Politik wieder China zu. Seit Ende 2023 ist in Malé eine neue Regierung im Amt, die mit ihrem „Indien raus“-Kurs ernst macht.

Im März dieses Jahres verließ die erste Gruppe indischer Soldaten die Inselkette im Indischen Ozean. Sie übergaben auf dem Addu-Atoll Hubschrauber an eine indische Zivil­besatzung. Damit löst der neugewählte Präsident Mohamed Muizzu von der Partei People’s National Congress (PNC) eines seiner zentralen Wahlversprechen ein; sein Standpunkt „India Out“ hatte ihm bei den Wahlen im September 2023 den Sieg gegen Amtsinhaber Ibrahim Mohamed Solih von der Maledivischen Demokratischen Partei (MDP) eingebracht. Bereits die Regierung unter Abdulla Yameen, die von 2013 bis 2018 an der Macht war, verfolgte einen prochinesischen Kurs. Nun tritt der 46-jährige Muizzu in die Fußstapfen Yameens und führt sein politisches Erbe fort.

Bis zum 10. Mai waren auf den Malediven schätzungsweise 90 indische Soldaten stationiert, die Rettungs- und Aufklärungshubschrauber sowie ein kleines Flugzeug betrieben. Sie wurden für medizinische Einsätze genutzt. Nach dem Abzug fehlt es den Malediven nun an eigenem Personal für solche Einsätze. Im Januar starb ein Junge, da kein Flugzeug rechtzeitig zur Verfügung stand. Indien betonte, dass in den vergangenen fünf Jahren 523 Malediver bei Evakuierungen gerettet wurden. 

Dennoch scheint die Abkehr von Indien in der islamischen Republik auf Resonanz zu stoßen. Vor Ort ist ein Unbehagen gegenüber dem mächtigen Nachbarn zu spüren. Manche fordern mehr Stellen für die lokale Bevölkerung in der Tourismusbranche, in der bislang ein erheblicher Anteil der Arbeitskräfte aus Südasien kommt, darunter Indien. Viele von ihnen arbeiten jedoch zu niedrigeren Löhnen als die Einheimischen. Vor allem im Gesundheitsbereich sind indische Fachkräfte dagegen unverzichtbar. 

Kritik an der Kehrtwende kommt von der Opposition: Der MDP-Politiker Fayyaz Ismail betonte, dass die traditionell an Indien orientierte Politik für „Sicherheit und Stabilität des Inselstaats von entscheidender Bedeutung“ sei. Doch die aktuelle Regierung sieht Indien nicht mehr als vertrauenswürdige Schutzmacht.

Stattdessen schloss Präsident Muizzu ein Abkommen mit China. Allerdings schuldet Malé Peking bereits rund 1,3 Milliarden Dollar – ein Fünftel der gesamten Staatsschulden. Das Abkommen soll die Rückzahlung erleichtern, heißt es nach außen. Die Volksrepublik versprach zudem eine Finanzhilfe von 130 Millionen US-Dollar für Entwicklungsprojekte.

Muizzu, der sich als Nationalist betrachtet, konnte mit diesem Kurs auch bei den Parlamentswahlen im April 2024 einen Erfolg verbuchen. Seine Partei PNC gewann in einem Erdrutschsieg 66 der 93 Sitze. Die größte Oppositionspartei MDP schrumpfte dagegen von 65 auf 12 Sitze.


Machtkampf zulasten der Natur

Die strategisch gelegene Inselgruppe ist ­erneut zum Schauplatz eines geopolitischen Machtkampfs zwischen den Atomstaaten Indien und China geworden. Zuletzt profitierte China, das Indien in Südasien große Konkurrenz macht, was den Einfluss in der Region betrifft.

Für Indien wäre eine chinesische Militärpräsenz in der Region aufgrund der Nähe zu seinem Territorium bedrohlich. Die Malediven liegen auch an einer wichtigen Seehandelsroute. Als Affront empfand Delhi, dass die Malediven Anfang Februar 2024 dem chinesischen Forschungsschiff Xiang Yang Hong 3 die Erlaubnis zum Anlegen erteilten. Indien befürchtete, dass Daten für das chinesische Militär gesammelt wurden. Kurz darauf unterzeichneten die Malediven und China einen bilateralen Militärpakt. Muizzu bezeichnete Peking als einen der engsten „Verbündeten und Entwicklungspartner“. 

Neben China rückt nun auch Saudi-Arabien in den Fokus von Malé. Die beiden Länder unterzeichneten im Mai ein Entwicklungsabkommen über 150 Millionen US-Dollar, mit dem eine Flughafenerweiterung und der Bau neuer Krankenhäuser finanziert werden sollen.

Unterdessen haben sich die Beziehungen zwischen den Malediven und Indien stark abgekühlt – und Malé zieht weiter an. Bislang war es üblich, schwer erkrankte Patienten zur Behandlung nach Indien und Sri Lanka zu schicken. Die Regierung Muizzu plant, diese Praxis auf Thailand und die Vereinigten Arabischen Emirate auszuweiten, um die wachsende Abhängigkeit von Indien zu reduzieren – was jedoch teuer werden dürfte. Die Orientierung nach Peking alarmiert nicht nur Delhi, sondern auch Washington. 2023 haben die USA eine Botschaft in Malé eröffnet, um ihr Engagement vor Ort angesichts der chinesischen Ambitionen zu verstärken. 

Politische Beobachter im Land halten sich mit Kritik am Regierungskurs zurück. Aktivisten hingegen bemängeln vor allem Infrastrukturvorhaben wie den Bau weiterer Flughäfen und Landgewinnungsprojekte aufgrund der damit einhergehenden Umweltzerstörung, etwa die Abholzung von Mangrovenwäldern, aber auch die Zerstörung von Korallenriffen durch Sandabbau und Aufschüttungen. „Die Natur wird durch die Handlungen der maledivischen Regierung zerstört, noch bevor das der Klimawandel könnte“, sagt Humay Abdulghafoor von der Umweltkampagne „Save Maldives“. Auf der anderen Seite fehlt es der Bevölkerung an Wohnraum. Ob die Kritik Wirkung zeigt, ist ungewiss. Fest steht: Im Ringen der Großmächte auf den kleinen Malediven ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

Dieser Artikel ist in der gedruckten Version unter dem Titel „Der geopolitische Archipel" erschienen.

 

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2024, S. 114-115

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