Porträt

02. Jan. 2024

Die ewige Premierministerin

Bereits vier Mal war Scheicha Hasina Wajed Regierungschefin in Bangladesch. Auf ihrer ­Habenseite stehen die Modernisierung des Landes und die Förderung von Frauen, 
auf der Sollseite ihr autoritärer Führungsstil. Wie lange bleibt sie noch im Amt?

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Bild: Porträt von Scheicha Hasina Wajed Regierungschefin in Bangladesch
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Wer nach Dhaka kommt, wird von Scheicha Hasina Wajed und ihrem Vater Scheich Mujibur Rahman begrüßt – ihre meterhohen Poster zieren die Hauptstadt. Mujibur Rahman gilt als Gründer Bangladeschs; unter seiner Führung löste sich das Land 1971 von Pakistan und wurde unabhängig.

Heute ist Hasina nicht nur eine der wenigen Frauen in Asien, die Regierungsverantwortung tragen, die heute 76-Jährige ist auch seit nunmehr 14 Jahren im Amt. Viele junge Menschen in Bangladesch kennen keine andere Regierungschefin.



Hasinas Markenzeichen ist ein heller Sari, der zugleich ihren Kopf bedeckt. Soziale Medien meidet sie, ganz im Gegensatz zu ihren Kindern. Ihre Tochter Saima wurde kürzlich zur Regionaldirektorin der Weltgesundheitsorganisation für Südostasien gewählt, und ihr Sohn Sajeeb Wajed lebt als IT-Unternehmer in den USA und berät die Regierung Bangladeschs. Aber keiner von beiden scheint derzeit als Nachfolger vorgesehen, sagt der Politikwissenschaftler Ali Riaz von der Illinois State University.

Kein Wunder also, meint Riaz, dass Hasina ihre Amtszeit fortsetzen möchte: Sie wolle ihre Partei als einzige politische Kraft etablieren. Dieser Ehrgeiz habe historische Wurzeln: „1975 änderte ihr Vater Scheich Mujibur Rahman die Verfassung und machte Bangladesch zu einem Einparteienstaat.“

1975 war auch das Jahr, in dem ein Ereignis geschah, das Hasinas Leben und vielleicht auch ihren Regierungsstil entscheidend prägen sollte. Bei einem Militärputsch gegen ihren Vater Mitte August wurden sie und ihre Schwester Rehana nur deshalb nicht wie die anderen Familienmitglieder ermordet, weil sie sich zu diesem Zeitpunkt in Deutschland aufhielten. Nach dem Massaker verhinderte die Militärregierung der Bangladesh Nationalist Party unter Ziaur Rahman (BNP) Hasinas Rückkehr in ihre Heimat. Es folgten Jahre im Exil, bis sie 1981 zur Präsidentin der von ihrem Vater gegründeten Partei Awami-Liga (AL) aufstieg.

 

Rasantes Wachstum

In ihrer Heimat wurde Hasina zu einer lauten Stimme gegen die Militärführung und mehrfach unter Hausarrest gestellt. 1990 trat der letzte Militärführer Bangladeschs nach einem von Hasina gestellten und von der Bevölkerung unterstützten Ultimatum zurück. Von 1996 bis 2001 war Hasina zum ersten Mal Premierministerin, 2009 kehrte sie zurück an die Macht.

In den folgenden Jahren gelang es Hasina nicht nur, die wiedererstarkten Islamisten und das einst dominante Militär zu bändigen, sie führte die Ökonomie der 170-Millionen-Nation, nach Indien die zweitgrößte Volkswirtschaft Südasiens, auch in eine Phase des rasanten Wachstums. In der Zeit von Hasinas Amtsantritt bis zum Jahre 2018 verdreifachte sich das Pro-Kopf-Einkommen in Bangladesch. Unter ihrer Ägide wurde die Privatisierung einiger Sektoren der Wirtschaft des Landes vorangetrieben.

Vor allem die Textilindustrie, seit den 1980er Jahren ein Haupt­exportsektor und eine wichtige Devisenquelle, florierte. Doch diese Dollar-Reserven schrumpften in den vergangenen Jahren. 2023 gewährte der Internationale Währungsfonds Bangla­desch aufgrund seiner Notlage ein Hilfsprogramm in Höhe von umgerechnet 4,3 Milliarden Euro.

International findet Scheicha Hasina viel Beifall. Sie zierte das Cover des TIME-Magazins als dienstälteste Regierungschefin der Welt; zudem erklärte das Magazin sie zu den einflussreichsten Menschen der Welt. Auf dem G20-Gipfel im benachbarten Indien, bei dem Hasina als Gast eingeladen war, entstand im September 2023 ein ikonisches Foto, als der britische Premierminister Rishi Sunak sprichwörtlich auf die Knie ging, um besser mit der sitzenden Hasina sprechen zu können, und im Anschluss an den Gipfel flog der französische Präsident Emmanuel Macron zum bilateralen Treffen mit seiner Amtskollegin nach Dhaka.

Bei ihrem Versuch, Bangla­desch zu einem mittleren Einkommensland zu machen, werde sie durch den Klimawandel gebremst, hat Hasina einmal ­gesagt. Bei der Weltklimakonferenz im Dezember in Dubai betonte sie: „Wir sind kein großer Produzent, aber wir sind ein Leidtragender von Emissionen.“ Die verantwortlichen Länder forderte sie auf, sich finanziell beim Ausgleich für Verluste und Schäden von Klimafolgen zu verpflichten.

 

Eisiger Gegenwind

Innenpolitisch weht der 76-Jährigen zurzeit ein eisiger Wind entgegen. Ihrer Awami-Liga werden Korruption, Wahlmanipulation und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Kritiker stellen demokratische Rück-schritte fest und bemängeln Einschränkungen bei der Meinungs- und Pressefreiheit. Im Herbst gab es große Proteste in Dhaka, angeführt von der Opposition, die Hasinas Rücktritt forderte. „Bangladeschs internationale Partner sollten darauf bestehen, dass Wahlen nicht als fair eingestuft werden können, wenn die Opposition ins Visier genommen, schikaniert und hinter Gitter gebracht wird“, erklärte Meenakshi Ganguly, stellvertretende Asien-Direktorin bei Human Rights Watch.

Und dann ist da noch die Rohingya-Krise. Als vor sechs Jahren 750 000 Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch vertrieben wurden, bot Dhaka ihnen Schutz. Heute leben etwa eine Million Rohingya im Südosten Bangla­deschs bei Cox’s Bazar im größten Flüchtlingslager der Welt. Hasina bat seinerzeit um internationale Unterstützung, die Hilfsgelder kamen. Dafür wurde die Premierministerin gelobt, Kritik in anderen Bereichen verstummte. Doch bis heute ist das Dilemma nicht gelöst. Bangladesch zählt zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt. Geflüchtete werden geduldet, aber nicht integriert. Die Perspektive, dass sie eines Tages in ihre Heimat zurückkehren können, ist gering.

Die schwindende Pressefreiheit bedeutete auch, dass die ­Berichterstattung über die Rohingya-Krise eingeschränkt wurde. Journalisten und Vertreter der Zivilgesellschaft klagen über die mangelnde Meinungsfreiheit. Seit einer Gesetzesänderung kann „negative Propa­ganda“ mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft werden, was zu mehr Selbstzensur führe. Diese Entwicklung konterkariert den wirtschaftlichen Aufschwung.

Der Unmut über die angespannte Lage ist groß. Beschäftigte im Textilbereich zogen für gerechtere Löhne auf die Straße und konnten einen Teilerfolg erzielen, bis die Regierung sie in die Schranken wies. Kritiker sagen, die Wahl könne einer Krönung gleichkommen. Sie fürchten den Weg hin zu einem De-facto-Einparteienstaat. „Dies könnte die folgenreichste Wahl in der Geschichte Bangla­deschs sein“, sagt Ali Riaz. Vorwürfe wie der, dass die Awami-Liga die Terrorismusbekämpfung als Vorwand benutzt habe, um gegen islamistische Oppositionelle vorzugehen, wiegen schwer. Die derzeit größte Oppositionspartei BNP mahnt, dass in „Hasinas Bangladesch die Forderung nach demokratischen Reformen ein Verbrechen“ sei. Sie boykottierten die Wahlen 2014 und 2018. Jetzt droht die BNP erneut, den Wahlen fernzubleiben. Man werde sich nicht an einer Farce beteiligen, hieß es aus der Partei.

Hasina lehnt eine Übergangsregierung bis zu den Wahlen im Januar ab. Derweil häufen sich Berichte über die Verhaftung von Politikern, insbesondere allerdings aus der rivalisierenden BNP einschließlich des BNP-Chefs Mirza Fakhrul Islam Alamgir.

Eine Basis für freie und faire Wahlen sehen Beobachter wie Ali Riaz derzeit im Land nicht. Scheicha Hasina werde kritisiert, weil sie die demokratischen Errungenschaften seit 1991 zunichtemache, so Riaz. Das schwedische Forschungsinstitut V-dem bezeichnet Bangladesch als „Wahlautokratie“; in seinem Index der liberalen Demokratie (LDI) befindet sich das Land im unteren Drittel, ebenso auf dem Korruptionsindex von Transparency International.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2024, S. 9-11

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Mehr von den Autoren

Dil Afrose Jahan
Natalie Mayroth

Flucht vor den Fluten

Bangladesch leidet in vielfacher Weise unter den Folgen der Erderwärmung. llerdings entstehen aus der Not auch innovative Ideen in Sachen Anpassung, von denen Länder wie Deutschland lernen könnten.

Natalie Mayroth arbeitet als Korrespondentin in Südasien und Deutschland. Für ihre Berichterstattung über Gesundheit, Klima und Gender erhielt sie mehrere Stipendien, u.a. vom European Journalism Center.

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