Kriminelles Wachstum
Buchkritik
Wer sind die Gewinner der Globalisierung? Die Volkswirtschaften in China, Indien und Korea? Gewiss. Doch nicht nur die ehrlichen Geschäftsleute dieser Länder haben vom Zusammenbruch des Kommunismus und der Liberalisierung der Weltwirtschaft kräftig profitiert. Sondern auch das organisierte Verbrechen weltweit, wie Misha Glenny zeigt.
Egal, ob russische Schutzgeldkartelle, brasilianische Internetbetrüger oder chinesische Menschenhändler: Sie alle nutzen offene Grenzen, Gesetzeslücken, die Armut der Bevölkerung und die Habgier der Beamten, um ungestört und hochprofitabel mit Drogen, Waffen oder Diamanten zu handeln. Schätzungen zufolge gehen etwa 20 Prozent des globalen Bruttosozialprodukts auf das Konto dieser illegalen Schattenwirtschaft.
Nach den Recherchen des Südosteuropa-Experten und ehemaligen BBC-Korrespondenten Misha Glenny steigt die kriminelle Wachstumskurve rasant weiter. Was nicht allein daran liegt, dass es für die finanziell, personell und technisch unterversorgten Strafverfolgungsbehörden immer schwieriger wird, zwischen legalen und illegalen Transaktionen, dreckigem und sauberem Geld zu unterscheiden. Sondern auch damit zusammenhängt, dass außer den üblichen Verdächtigen aus dem Milieu eine immer breitere Schicht unbescholtener Bürger westlicher Länder Kokain schnupft, Bordelle mit Zwangsprostituierten besucht und günstige Lebensmittel genießt, die von illegal eingeschmuggelten Arbeitskräften angebaut und geerntet werden.
Die Quintessenz aus Glennys Gesprächen mit Gangstern, Opfern und Polizisten rund um den Globus ist aber vor allem, dass den „fantasielosen Politikern (...) entweder der Weitblick oder das Interesse fehlt, sich mit den großen strukturellen Ungleichgewichten in der Weltwirtschaft zu beschäftigen, von denen Verbrechen und Instabilität leben“.
Kein Wunder, haben doch östliche wie westliche Regierungen das organisierte Verbrechen mit der Deregulierung ihrer Finanz- und Warenmärkte unfreiwillig angelockt und genährt. Und dabei wie in Dubai „Kapitaldrehscheiben“ geschaffen, wo illegal erworbene Profite in ehrliche Projekte fließen, also unvorstellbare Summen Geld gewaschen werden. In den vergangenen 20 Jahren ist das Wechselspiel zwischen geregelten und ungeregelten Wirtschaftskreisläufen so vielschichtig und undurchsichtig geworden, dass die restlose Zerschlagung der staatlich oftmals protegierten Gangsterkartelle vermutlich ein unvorhersehbares Chaos auslösen würde – politisch wie ökonomisch.
Das kann freilich nicht heißen, dem illegalen Treiben weiterhin tatenlos zuzusehen und dafür milliardenschwere Steuerverluste und eklatante Menschenrechtsverletzungen in Kauf zu nehmen. Glennys Analyse der unterschiedlichsten Verbrechensmethoden und -mentalitäten zeigt eines ganz deutlich: Das globalisierte Verbrechen ist letztlich nur noch global zu bekämpfen. Der Handlungs- und Bewegungsspielraum der Gangstersyndikate wird nur dann enger, wenn die von ihnen ausgebeuteten Nationen zusammenarbeiten und gesetzlich wie polizeilich höhere Hürden errichten. Doch wird ein Regelwerk zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens zwischen den Staaten mindestens ebenso schwer auszuhandeln sein wie ein international verbindlicher Verhaltenskodex für eine gerechte Globalisierung. Denn wenn man eines nach der Lektüre von Glennys Buch gelernt hat, dann, dass ökonomische und kriminelle Habgier zwei Seiten einer Medaille sind – und die heißt Gewinnmaximierung.
Misha Glenny:McMafia. Die grenzenlose Welt des Verbrechens.München: DVA 2008, 528 Seiten, 24,95 €
JÖRG VON BILAVSKY lebt als freier Journalist und Lektor in Berlin. Dieses Frühjahr erscheint von ihm bei Rowohlt eine Monografie über Joseph Goebbels.
Internationale Politik 2, Februar 2009, S. 105 - 106.