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01. Jan. 2016

Kooperation oder Konfrontation?

Putins Machtspiel in Syrien stellt den Westen vor neue Herausforderungen

Die Überraschung über die russischen Militäraktionen in Syrien zeigt wieder einmal, dass der Westen Russlands Machtansprüche noch immer unterschätzt. Es ist Zeit, dass die USA und ihre Verbündeten lernen, mit dem Russland umzugehen, das sie vorfinden, anstatt die vermeintliche Regionalmacht weiterhin zu isolieren.

Seit Ende September fliegt Russland Luftangriffe in Syrien, angeblich um terroristische Gruppen, vor allem den „Islamischen Staat“ zu bekämpfen. Die Luftschläge sind Russlands größte Intervention im Nahen Osten seit Jahrzehnten. Der unerwartete Militäreinsatz macht den Bürgerkrieg in Syrien zu einem Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland und hat die Einsätze im andauernden Kräftemessen zwischen Moskau und Washington erhöht. Dadurch ist es Präsident Wladimir Putin auch gelungen, die Aufmerksamkeit von der destabilisierenden Rolle Russlands im Ukraine-Konflikt abzulenken und es dem Westen unmöglich zu machen, den Kreml weiterhin zu isolieren. Russland ist nun ein zentraler Akteur im syrischen Bürgerkrieg. Die USA müssen einen Weg finden, damit umzugehen.

Wieder einmal wurde Washington kalt erwischt. Genau wie im März 2014, als Russland die Krim annektierte und begann, den Kampf prorussischer Separatisten gegen die ukrainische Armee in der Ostukraine zu unterstützen. Trotz seiner innenpolitischen Probleme – einer stagnierenden Wirtschaft, einer schrumpfenden Bevölkerung und einer hohen Abwanderung von Kapital und Fachkräften – zeigt sich Russland überraschend einflussreich nicht nur in seiner unmittelbaren Nachbarschaft, sondern auch darüber hinaus. US-Präsident Barack Obama mag Russland als Regionalmacht bezeichnen; doch die russische Intervention in Syrien zeigt den Anspruch des Landes, als Weltmacht bei allen wichtigen internationalen Entscheidungsprozessen eine Rolle zu spielen. Diese Diskrepanz wird nicht nur Obama, sondern auch seine Nachfolge im Weißen Haus lange beschäftigen.

Warum hat Washington so lange gebraucht, um die neue russische Realität zu erkennen? Putin hat aus seinen Absichten kein Geheimnis gemacht. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 äußerte er beispielsweise scharfe Kritik an der amerikanischen Außenpolitik: „Ein Staat – und natürlich zuallererst die USA – hat seine nationalen Grenzen in jeder Hinsicht überschritten“, warnte er. Seitdem hat Russland unzählige Male das Bild einer neuen Weltordnung heraufbeschworen, die die empfundene Bevormundung durch die USA beenden soll und in der der Westen die russischen Interessen respektiert. Rückblickend zeigt bereits der Georgien-Krieg im August 2008, dass Moskau nicht vor Gewalt zurückschreckt, um die Annäherung seiner Nachbarstaaten an den Westen zu verhindern und seinen Einfluss in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion zu behaupten. Aber die USA und ihre Verbündeten haben immer wieder unterschätzt, mit welcher Entschlossenheit Russland nach einer Revision der aktuellen Weltordnung strebt, die dem Land aus eigener Sicht nach dem Zerfall der Sowjetunion durch die westlichen Staaten aufgezwungen wurde.

Im Hinblick auf die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr sind die USA, was den Umgang mit Russland angeht, nun mit zwei zentralen Herausforderungen konfrontiert. Erstens müssen sie sich über Moskaus Ziele in Syrien und der Ukraine klar werden. Da Russland durch ein stark personalisiertes politisches System geprägt ist, müssen Obama und seine Nachfolge, zweitens, entscheiden, wie sie sich gegenüber Putin verhalten; keine leichte Aufgabe in einem Wahlkampf, in dem es vor allem darum geht, Stärke zu zeigen. Falls der nächste Präsident bzw. die Präsidentin mit dem Kreml in Dialog treten will, ohne dabei amerikanische Interessen aufgeben zu müssen, sollte er oder sie sich auf Themen konzentrieren, in denen beide Länder zusammenarbeiten können und müssen – insbesondere in nuklearen und konventionellen Sicherheitsfragen. Russland weiterhin zu isolieren, wird kaum möglich sein. Stattdessen sollte die nächste US-Regierung dem Kreml gegenüber die amerikanischen Interessen und Werte deutlich kommunizieren und gemeinsam mit ihren Verbündeten den russischen Versuchen standhalten, die nach dem Kalten Krieg etablierte Weltordnung ins Wanken zu bringen.

Minderwertigkeitskomplex

Während des vergangenen Vierteljahrhunderts haben Moskau und Washington am erfolgreichsten zusammengearbeitet, wenn Moskau dabei den Eindruck hatte, als gleichwertig ernst genommen zu werden. Dies erklärt den Erfolg von Verträgen zur Rüstungskontrolle zwischen Russland und den USA wie New START, die dazu dienten, mit dem atomaren Erbe des Kalten Krieges umzugehen. In ähnlicher Weise arbeiteten beide Länder zusammen, als sie gemeinsam mit vier weiteren Weltmächten in einem langwierigen Prozess das Atomabkommen mit dem Iran aushandelten. Obama äußerte sich sogar ausdrücklich lobend für Putins Beitrag zum Abschluss des Abkommens.

Moskau und Washington konnten auch bei Themen kooperieren, bei denen sie klar definierte gemeinsame Interessen verfolgten. So unterstützte Russland im Herbst 2001 die USA bei ihrem ersten Einsatz in Afghanistan mit Geheimdienstinformationen und trug damit zum Sieg der USA über die Taliban bei. Der ehemalige russische Außenminister Igor Iwanow erklärte dazu: „Wir wollten eine internationale Anti-Terror-­Koalition wie die ­Anti-Nazi-Koalition. Sie sollte die Grundlage für eine neue Weltordnung sein.“

Dieses in der Tat überhöhte Ziel wurde nicht erreicht. Stattdessen hatten Russland und die USA Schwierigkeiten, ihre Anti-Terror-Kooperation aufrechtzuerhalten. Immer wieder bestand Uneinigkeit darüber, welche Gruppen als terroristische Organisationen einzustufen seien; ein Problem, das sich kürzlich im Zusammenhang mit den unterschiedlichen syrischen Oppositionsgruppen wieder stellte. Trotzdem haben Russland und die USA in anderen Sicherheitsbereichen durchaus kooperiert, beispielsweise bei der Räumung der Chemiewaffenlager des Assad-Regimes. In diesem Fall ergriff Russland die Initiative, nachdem die USA nur zögerlich handelten.

Ohne Erfolg war die Zusammenarbeit bei Themen, die Russlands Nachbarstaaten und die NATO betrafen. Zwar hat der Westen in den neunziger Jahren mehrfach versucht, Russland zu versichern, dass eine Erweiterung der NATO keine Bedrohung für Moskau bedeute. Allerdings ist es den USA und ihren Verbündeten nicht gelungen, eine Sicherheitsarchitektur zu errichten, in der sich Moskau ernst genommen fühlt. Angesichts der Bestrebungen Russlands, die Souveränität seiner Nachbarstaaten zu kontrollieren und mit seinen Interessen den Raum der ehemaligen Sowjetunion zu dominieren, wäre eine solche Weltordnung vermutlich ohnehin nicht durchzusetzen gewesen. Die Kriege in Georgien und der Ukraine sowie die Annexion der Krim sind zum Teil als Antwort Russlands auf die empfundene Ausgrenzung aus der europäischen Sicherheitsordnung nach dem Kalten Krieg zu verstehen. Die Wahrnehmung dieses Missstands erklärt auch Putins wiederholte Versuche, ein neues Verhältnis zwischen den Weltmächten herzustellen, in dem Russland mehr Einfluss auf Fragen der europäischen Sicherheit hat. Dabei strebt Putin insbesondere eine Vereinbarung an, die verhindern soll, dass weitere postsowjetische Staaten Mitglieder der NATO werden.

Putins großer Schritt

Putins Entscheidung, in Syrien militärisch einzugreifen, basiert auf ähnlichen Überlegungen zu Macht und Einfluss Russlands. Gerechtfertigt wird der Militäreinsatz mit dem Ziel, durch die Unterstützung des Assad-Regimes den Terrorismus zu bekämpfen. Nachdem die syrischen Regierungstruppen im Sommer 2015 Rückschläge einstecken mussten, erklärte Putin im Oktober: „Der Zerfall von Syriens offiziellen Autoritäten wird nur Terroristen mobilisieren. Statt ihre Macht zu untergraben, sollten wir die Institutionen in den Krisengebieten stärken.“

Auch wenn Moskau langfristig nicht an der Person Baschar al-Assad hängt, lehnt es Russland entschieden ab, die Herrschaft säkularer Diktatoren im Nahen Osten zu schwächen. So kritisierte Putin wiederholt die amerikanische Unterstützung oppositioneller Gruppierungen während der arabischen Revolutionen 2011 und den NATO-Einsatz in Libyen. Aus Putins Sicht zeigen das Chaos im Irak, in Syrien und in Nordafrika sowie der Aufstieg des selbsternannten Islamischen Staates die Unfähigkeit des Westens, sich über die Konsequenzen einer Schwächung autoritärer Regime in der Region klar zu werden. Dahinter steckt die Befürchtung, dass der Zerfall des Nahen Ostens islamistische Extremisten in den Staaten der ehemaligen Sowjetunion und in Russland selbst stärken könnte.

Gleichzeitig will Russland sicherstellen, dass Moskau in der Frage, wer in Syrien regieren wird, ein Mitspracherecht erhält – auch im Falle einer Zukunft ohne Assad. Mit seinen Militäreinsätzen sendet Moskau ein deutliches Signal an andere Mächte in der Region. Anders als die USA, die 2011 den ägyptischen Präsidenten Mubarak haben fallen lassen, wird Russland die Herrscher und Regierungen im Falle von Volksaufständen unterstützen und sie nicht im Stich lassen, wenn oppositionelle Gruppen versuchen, die Kontrolle zu übernehmen.

Russlands Einsatz in Syrien ist deshalb als Teil einer breiteren Strategie zu verstehen, wieder an Einfluss im Nahen Osten zu gewinnen. In der zweiten Hälfte 2015 besuchten die Staats- bzw. Regierungschefs von Ägypten, Israel, Jordanien, Kuwait, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten Moskau. Einige haben Vereinbarungen über den Kauf russischer Waffen unterzeichnet. Im Juli sicherte Saudi-Arabien Russland Investitionen von bis zu zehn Milliarden Dollar zu, vorwiegend im Bereich von landwirtschaftlichen Projekten. Sollte Riad Wort halten, wäre es die größte ausländische Einzelinvesti­tion im Land.

Auch Israel und Russland stehen im Dialog miteinander, seit sich die Krise in Syrien verstärkt, um Zusammenstöße zwischen russischen und israelischen Flugzeugen zu vermeiden. Denn auch Israel fliegt immer wieder Luftangriffe in Syrien, unter anderem um die libanesische ­Hisbollah-Miliz zu bekämpfen, die Tausende Bewaffnete zur Unterstützung Assads ins Land geschickt hat. Obwohl die Israelis kein besonderes Interesse an Assad haben, scheinen sie Russlands Perspektive zu teilen, dass das syrische Regime an der Macht bleiben sollte. So wurde in offiziellen Kreisen darauf hingewiesen, dass es an der syrisch-israelischen Grenze während der Herrschaft Baschar al-Assads nicht zu Konflikten gekommen sei. Ein Syrien ohne Assad könnte sich als Gefahr für Israels Sicherheit erweisen.

Auch innenpolitische Faktoren spielen für Putins Überlegungen eine Rolle. Die Sanktionen der USA und der EU nach der Annexion der Krim trafen Russland schwer, vor allem in Kombination mit dem globalen Ölpreisverfall und den strukturellen Problemen der russischen Wirtschaft. Entlastung suchte der Kreml in der Ostukraine durch das „Einfrieren“ des Konflikts im Donbass. Im Rahmen des Waffenstillstands, der seit Anfang September 2015 gilt, zogen sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch prorussische Separatisten schwere Waffen aus der Region ab. Berichte über Kampfhandlungen gibt es nur noch sporadisch. Putin rechnete damit, dass der Waffenstillstand und die Entscheidung der Separatisten, die lokalen Wahlen im Osten des Landes zu verschieben, eine partielle Aufhebung der EU-Sanktionen zur Folge hätten. Außerdem versucht Russland, die Ukraine-Krise als nahezu gelöst darzustellen, um seine außenpolitische Rolle als Konflikt­initiator ablegen zu können und stattdessen international als verantwortungsbewusste Führungsmacht im Kampf gegen den Terrorismus in Syrien wahrgenommen zu werden.

Russland gibt seine Interven­tion in Syrien als Anti-Terror-Operation aus, die die Zahl der Flüchtlinge nach Europa reduzieren soll. Doch tatsächlich könnte der Militäreinsatz einen gegenteiligen Effekt haben: Im vergangenen November erhöhte sich die Zahl der syrischen Flüchtlinge laut dem zuständigen UN-Hochkommissariat um 26 Prozent. Die russischen Luftschläge könnten zum Anstieg der Zahlen beitragen und damit eine Rolle für die Verschärfung der europäischen Flüchtlingskrise spielen. Zudem könnte die militärische Unterstützung für das alawitische Assad-Regime, das u.a. von sunnitischen Extremisten als unrechtmäßig angesehen wird, dazu führen, die russisch-sunnitische Minderheit von 20 Millionen Menschen weiter zu entfremden und dem IS so zusätzliche Kämpfer in die Arme zu treiben (es kämpfen bereits mehr als 4000 Personen aus Russland und Zentral­asien für das Kalifat).

Putin beharrt darauf, dass Russland kein Interesse an einer Parteinahme in konfessionellen Auseinandersetzungen im Nahen Osten habe und nur den Extremismus bekämpfe. Innenpolitisch könnte diese Position allerdings schwer vermittelbar sein, da russische Muslime die Unterstützung eines Regimes infrage stellen, das seine sunnitische Bevölkerung bombardiert. Dabei hat Russland das brutale Vorgehen Assads gegenüber der syrischen Bevölkerung nie verurteilt oder zugestanden, dass dies ein Nährboden für islamistische Rekrutierungsversuche ist.

Die russische Intervention in Syrien birgt unterschiedliche Botschaften. Einerseits beschuldigte Putin die USA, erst die Bedingungen geschaffen zu haben, unter denen der IS entstehen konnte. Andererseits erklärte er sich bereit, sich den USA in einer Anti-IS-Koalition anzuschließen. Im Oktober 2015 sagte Putin: „Syrien kann ein Musterbeispiel für eine interessengeleitete Partnerschaft werden, die Probleme löst, die alle gleichsam betreffen, und ein System effektiven Risikomanagements entwickelt.“ Anders als in Afghanistan 2001 teilen Moskau und Washington jedoch nicht dieselbe Auffassung hinsichtlich der Definition ihres Gegners. Obwohl beide Seiten den IS als wesentliche Bedrohung sehen, bombardiert Russland syrische Oppositionsgruppen, die von den USA unterstützt werden, während die USA in der Herrschaft Assads eines der Hauptprobleme des Landes sehen. Aufgrund dieser Differenzen wird eine Zusammenarbeit zwischen Washington und Moskau in Syrien schwer zu erreichen sein. Im Moment scheinen es die USA vorzuziehen, Zusammenstöße im syrischen Luftraum zu verhindern, behutsam die Präsenz des amerikanischen Militärs am Boden zu verstärken, das russische Vorgehen von außen zu beobachten und abzuwarten, ob Russland sich selbst in eine Zwickmühle bringt. Zumindest ist es Putin aber gelungen, die USA zu einem Dialog mit Russland zu zwingen, obwohl Washington nach wie vor versucht, Moskau außenpolitisch zu isolieren.

Einige russische Experten konstruieren das Zukunftsszenario einer tripolaren Welt, in der China, Russland und die USA die wesentlichen Entscheidungen treffen. Falls eines der Hauptziele Putins eine Anerkennung der Rolle Russlands im Nahen Osten durch die Amerikaner sein sollte, stellt sich die Frage, ob dies Selbstzweck oder ein erster Schritt hin zu einer eben solchen tripolaren Weltordnung ist. Andererseits ist es ebenso möglich, dass die russische Intervention nicht etwa von einer alles überlagernden Militärstrategie bestimmt wird, sondern Putin überstürzt und ohne klare Vision eingegriffen hat.

Russischer Realismus

Die amerikanisch-russischen Beziehungen werden während Obamas verbleibender Amtszeit von Spannungen in der Syrien-Politik und dem Ukraine-Konflikt geprägt sein. Kurzfristig ist ein „eingefrorener Konflikt“ in Form eines Waffenstillstands die beste Lösung für die Ukraine, auch wenn das Ringen um die Kontrolle im Donbass zwischen Moskau und Kiew weiterhin anhält. Von den USA ist höchstens eine Fortsetzung der bescheidenen ökonomischen und politischen Unterstützung der ukrainischen Regierung zu erwarten, die sich ihrerseits schwer tut, die wirtschaftlichen Probleme des Landes in den Griff zu bekommen und die Korruption zu bekämpfen. Obwohl Teile der US-Regierung für eine Ausweitung der wirtschaftlichen und militärischen Hilfen plädieren und dabei auch Waffenlieferungen in Erwägung ziehen, lehnt Obama solche Pläne konsequent aus Angst ab, Russland weiter zu provozieren. Ein Kurswechsel der USA in diesem Jahr ist unwahrscheinlich.

Die amerikanisch-russische Zusammenarbeit im Kampf gegen den IS in Syrien wird eine fortwährende Herausforderung für beide Seiten bleiben. Angesichts der innenpolitischen Ablehnung eines stärkeren militärischen Engagements, vor allem im Licht der Einsätze in Afghanistan und im Irak, verfügt Washington nur über sehr begrenzte Möglichkeiten. Zwar diskutieren die USA und Russland mit anderen Staaten wie dem Iran und Saudi-Arabien über einen Ausweg aus dem syrischen Bürgerkrieg und eine Abkehr von den alten Machteliten des Regimes. Doch eine Einigung über eine Neuordnung in der Post-Assad-Ära bleibt trotz des von US-Außenminister John Kerry initiierten Dialogs in weiter Ferne. Da eine direkte militärische Kooperation in Syrien als höchst unwahrscheinlich gilt, gibt es wenig Aussichten auf eine Zusammenarbeit beider Länder, die über eine Vermeidung von Störungen ihrer jeweiligen Militär­operationen hinausgehen würde.

Selbst eine effektive Antwort der USA auf Moskaus Alleingänge in Syrien oder gar eine direkte Kooperation mit Russland in der Region garantieren nicht, dass Putin nicht anderswo versuchen würde, seine Militärpräsenz offensiv zu behaupten. Er hat den Westen in den vergangenen Jahren zweimal überrascht und hat möglicherweise noch weitere Ambitionen. Der Irak hat angedeutet, Russland um Unterstützung im Kampf gegen den IS zu bitten. Auf die Frage, ob Russland im Irak intervenieren würde, antwortete Putin im vergangenen Oktober, er habe noch keine offizielle Anfrage aus Bagdad erhalten. Russland hat auch deutlich gemacht, dass es nicht zuschauen werde, falls sich die Situation in Afghanistan drastisch verschärfen sollte, weil ein offener Konflikt im direkten Umfeld Russlands eine Destabilisierung des zentralasiatischen Raumes zur Folge haben könnte.

Obamas Nachfolger wird die amerikanischen Interessen in Syrien und in der Ukraine definieren müssen und zugleich festlegen, in welchem Maße Washington auf russische Destabilisierungsversuche in diesen Ländern und anderswo reagieren muss. Er oder sie wird entscheiden, wann und wo die USA mit Russland kooperieren; und ermessen, ob der Westen bereit ist anzuerkennen, dass Putin in Syrien wie auch in der Ukraine die Spielregeln erfolgreich zu seinen Gunsten verändert hat.

Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben vier US-Präsidenten versucht, die Beziehungen zu Russland „auf Null zu stellen“ und einen produktiveren Umgang mit Moskau zu finden. All diese Versuche sind letztlich gescheitert. Russland hat sich in den neunziger Jahren nicht so entwickelt, wie der Westen glaubte. Die Vereinigten Staaten müssen nun aber mit dem Russland umgehen, das sie vorfinden, denn sie können sich keines wünschen. Auf absehbare Zeit sollte Washington davon ausgehen, dass die Beziehungen zu Russland weniger von Kooperation, sondern von Spannungen und Feindseligkeit geprägt sein werden.
 

Prof. Angela Stent ist Direktorin des ­Center for Eurasian, Russian, and East ­European Studies an der Georgetown University, Washington D.C.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/ Februar 2016, S. 68-74

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