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01. Juni 2007

Selektive Partnerschaft

Russland und die USA müssen lernen zu wetteifern und zu kooperieren

Enttäuschte Erwartungen auf beiden Seiten nach dem Honeymoon der neunziger Jahre, aber auch Russlands Aufstieg zur Energiemacht und Amerikas Schwierigkeiten im Irak belasten das Verhältnis von Moskau und Washington. Was fehlt, ist ein institutionalisierter bilateraler Dialog. Beide Länder müssen lernen, zu wetteifern und zu kooperieren.

Die Rede des russischen Präsidenten Putin im Februar auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat heftige – sowohl positive als auch negative – Reaktionen ausgelöst; sie wurde von einigen gar als eine Neuausrichtung der russischen Außenpolitik interpretiert. Doch Wladmir Putin fasste darin auch Ansichten zusammen, die er und andere russische Politiker bereits seit längerem äußern: Er kritisierte die amerikanische Unipolarität, die „beinahe durch nichts gebändigte, übertriebene Anwendung von Gewalt“, und dass die USA in fast jeder Hinsicht „die nationalen Grenzen überschritten“ hätten. Zwar gab Verteidigungsminister Robert Gates in München eine zurückhaltende Antwort und versicherte, dass die USA keinerlei Rückkehr zum Kalten Krieg wünschten. Aber die Realität der derzeitigen russisch-amerikanischen Beziehungen wurde dennoch sichtbar: Seit dem Höhepunkt der bilateralen Kooperation nach den Terrorangriffen vom September 2001 haben sich die Beziehungen verschlechtert und sind brüchig geworden. Nun, da beide Länder in eine Wahlkampfperiode eintreten – sowohl was die Legislative als was die Exekutive betrifft – wird es besonderer Anstrengungen bedürfen, um die noch vorhandene Dynamik aufrechtzuerhalten. Wie kam es dazu und was steht im zukünftigen Verlauf der US-Russland-Beziehungen nach 2008 auf dem Spiel?

Widerstreitende Darstellungen in Washington und Moskau

Präsident Wladimir Putin trat sein Amt mit dem Ziel an, Russlands internationales Ansehen wiederherzustellen; denn die vom Westen vorgegebene Agenda der Jelzin-Jahre war in Moskau als demütigend empfunden worden. Putin erwies sich als Pragmatiker; er spielte das anfangs schwache Blatt recht erfolgreich aus. Die hohen Energiepreise der vergangenen Jahre festigten seine Position natürlich enorm. Sie ermöglichten es Russland, sich wieder internationale Geltung zu verschaffen. Seit seinem Amtsantritt hat sich Russlands Wirtschaftskraft verfünffacht. Putins Ziel ist es, Russland zu modernisieren und das Land in die Weltwirtschaft zu integrieren, ohne sich dabei seinen innenpolitischen Weg vom Westen vorschreiben zu lassen. Die USA und Russland sind geteilter Ansicht darüber, wie sich die Beziehungen entwickelt haben – vielleicht auch, weil sich die Erwartungen beider Seiten nach 2001 als unrealistisch erwiesen haben.

2001 werteten Beobachter die Unterstützung Putins nach 9/11 für den amerikanischen Krieg in Afghanistan und das russische Einverständnis mit der Einrichtung von US-Militärstützpunkten in Zentralasien als strategische Entscheidung der russischen Außenpolitik, als eine Neuabstimmung mit dem Westen nach den Schwierigkeiten der späten Jelzin-Ära vor allem während des Kosovo-Krieges. Rückblickend war das allerdings höchstens eine taktische Neuorientierung. Die USA und Russland einigten sich auf eine Auffassung des Antiterrorkampfs, nach der man Terroristen mit militärischen Mitteln bekämpfen könne; die Europäer dagegen waren viel skeptischer. Russland und die USA arbeiteten auf verschiedenen Ebenen zusammen, um die Taliban zu bezwingen. Putins Besuch in den USA im Jahr 2001, die Gründung eines neuen NATO-Russland-Rates, die -Unterzeichnung eines Abrüstungsabkommens (SORT – Strategic Offensive Reduction Treaty), die Installation eines russisch-amerikanischen Energiedialogs und Russlands Beförderung zu vollwertigem G-8-Status – all das waren Errungenschaften der neuen Partnerschaft.

Als allerdings Putin anfing, seine Macht zu konsolidieren und seine früheren Kollegen aus dem Geheimdienst in die Ämter der präsidialen Administration zu hieven, begann sich die Auffassung des Kremls von den eigenen außenpolitischen Interessen zu ändern. Die traditionell russische Sichtweise vom Bedürfnis nach einem starken Staat, eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Haltung zu zwischenstaatlichen Beziehungen und der Glaube, dass der unter Boris Jelzin vernachlässigte postsowjetische Raum Russlands legitimer Einflussbereich sei, tauchten wieder auf. Nur wenige in Moskau glauben, dass die „bunten Revolutionen“ in Georgien, Kirgisien und in der Ukraine von Einheimischen auf den Weg gebracht wurden. Vielmehr ist man davon überzeugt, die Revolten seien vom Westen eingefädelt worden, dessen Endziel es sei, einen ähnlichen Regimewechsel in Russland selber herbeizuführen. Darüber hinaus denkt man in Moskau, dass die USA die russische Politik gegenüber der Hamas, Venezuela oder Syrien nur deshalb kritisieren, weil sie Russland seinen rechtmäßigen Platz auf der Weltbühne verweigern wollen.

Dieser Ansicht liegt die Überzeugung zugrunde, Russland habe nicht bekommen, was es für seine Unterstützung der USA nach 9/11 verdient hätte. Russland erwartete von den USA die Anerkennung seiner legitimen Interessen in Eurasien und erlebte stattdessen die Erweiterung der NATO und der EU um die baltischen Staaten sowie wachsenden US-Aktivismus in seiner Nachbarschaft. Darüber hinaus hoben die USA den Raketenabwehrvertrag auf, verweigerten sich ernsthaften Waffenkontrollverhandlungen und fielen in den Irak ein, wobei sie den UN-Sicherheitsrat umgingen, eines der wenigen internationalen Organe, in dem Russland und die USA eine gleichberechtigte Stimme besitzen. Als Reaktion darauf distanzierte sich Russland von den USA und ordnete seine außenpolitischen Interessen neu.

Die amerikanische Darstellung der Lage liest sich natürlich völlig anders. Aus der Perspektive der USA waren der amerikanische Feldzug in Afghanistan und die Vertreibung der Taliban durchaus im russischen Interesse, weil damit eine Hauptsicherheitsbedrohung an den südlichen Grenzen Russlands beseitigt wurde. Darüber hinaus hat Washington die russische Unterstützung für den Bau von iranischen Atomanlagen in Buschehr und die Rolle Russlands beim Rausschmiss der US-Militärbasis aus Usbekistan im Jahr 2005 – einer Schlüsselbasis für Antiterroroperationen – kritisiert. Mit Sorge beobachten die USA außerdem die Rückeroberung der Kommandogewalt des russischen Staates über den Markt und die Rückschritte hinsichtlich des politischen Wettbewerbs und der Redefreiheit.

Die momentane Lage

Die russisch-amerikanischen Beziehungen sind heute eine selektive Partnerschaft. Beide Länder kooperieren nach wie vor beim Antiterrorkampf, bei der Bekämpfung von Counterproliferation und von Drogenschmuggel. Enttäuscht sind die USA dagegen über Russlands mangelndes Interesse am Energiedialog: Dass die Murmansk-Export-Pipeline nicht in Angriff genommen wurde und Russland sich weigerte, US-Firmen als Teilhaber am gigantischen Shtokman-Gasfeld zuzulassen, hat Washington verärgert. Die Spannungsfelder zwischen Russland und den USA konzentrieren sich hauptsächlich auf Eurasien, wo Russland versucht, den Einfluss der USA zu begrenzen und zurückzudrängen, vor allem in der Ukraine und in Georgien. Außerdem fördert Washington den Bau von Energiepipelines, die Russland umgehen, um die Versorgungssicherheit des Westens zu garantieren. Obwohl die USA und Europa viele Sorgen in Bezug auf die russische Politik teilen, unterscheiden sich die Ansichten in Berlin oder Paris (allerdings nicht in Vilnius oder Warschau) darüber, wie mit Russland umgegangen werden sollte. Wie Außenminister Frank-Walter Steinmeier kürzlich in dieser Zeitschrift schrieb: „Russland ist für die EU ein unverzichtbarer Partner von strategischer Bedeutung“.1

Das materielle Engagement der Europäer in den Beziehungen mit Russland ist ungleich höher als der Einsatz der USA. Europa betrachtet Russland als einen Nachbarn und sieht aus geographischen, ökonomischen und politischen Gründen keinerlei Möglichkeit, die langfristige Partnerschaft mit Russland abzubrechen. Hinzu kommt, dass einige Europäer glauben, die USA trügen der besonderen Stimmungslage Russlands als ehemaliger Supermacht, die sich noch immer vom Zusammenbruch ihres Reiches und von der Demütigung der neunziger Jahre erholt, nicht genügend Rechnung. Die derzeitige Debatte über die Stationierung von Elementen eines Raketenabwehrsystems in Zentraleuropa verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven sehr klar.

Aus dem Blickwinkel Washingtons wird die russisch-amerikanische Agenda im nächsten Jahr von mehreren Kernpunkten bestimmt. Iran bleibt ein Schlüsselproblem: Ohne die Unterstützung Russlands kann die nukleare Frage nicht gelöst werden. Trotz der Schwierigkeiten, in den Vereinten Nationen eine gemeinsame Position zu finden, hat sich die Zusammenarbeit in den letzten Monaten verbessert, ebenso wie im Hinblick auf das nordkoreanische Atomprogramm. Eine weitere zentrale Herausforderung ist das Kosovo, und es ist durchaus offen, ob Russland die Position der EU und der USA zum zukünftigen Status des Kosovo letztlich doch unterstützen wird. Der Kampf gegen den Terror bleibt eine Priorität, aber auch hier ist die Bilanz der russisch-amerikanischen Kooperation durchwachsen. Andere Themen sind weniger umstritten im Weißen Haus – etwa Russlands Beitritt zur WTO. Dennoch ist noch unklar, ob der US-Kongress Russland den Status eines permanenten Handelspartners gewähren wird, indem er das Jackson-Vanik-Amendment aufhebt, ein Relikt des Kalten Krieges, das Russland den Meistbegünstigtenstatus verwehrt. Innerhalb der Vereinigten Staaten ähneln die Debatten über Russland denen in Europa.

Die Befürworter realpolitischer Ansätze betonen die beidseitige Interessenlage und möchten ein Hauptaugenmerk auf Russlands innenpolitische Entwicklung vermeiden. Andere beharren darauf, dass Werte von Bedeutung sind, dass man nicht nur Interessen verfolgen und Russlands Abdriften in Richtung Autoritarismus ignorieren dürfe. Aus diesem Grund ist die Frage der WTO-Mitgliedschaft von einer grundsätzlichen Infragestellung der russischen Politik gefährdet. Der Ausgang der WTO-Debatten wird davon abhängen, ob sich der Kongress, der Putins Innenpolitik höchst kritisch gegenübersteht, von den Argumenten der US-Wirtschaft, die für das Ende des Jackson-Vanik-Amendments Lobbyarbeit betreibt, überzeugen lässt.

Es gibt derzeit nur wenige Interessenvertreter, die auf engere Beziehungen zwischen den USA und Russland drängen und die gegenwärtigen Spannungen überwinden könnten. Während der Ära Clinton hatte die Gore-Tschernomyrdin-Kommission ein Netzwerk von verschiedenen Komitees aufgebaut, die interstaatliche Kommissionen bildeten. Der Kommission wurde zwar vorgeworfen, übermäßig bürokratisch zu sein, aber seit ihrer Abschaffung gibt es nur noch wenige Kanäle, die eine regelmäßige Interaktion ermöglichen. Präsident Bush und Präsident Putin unterhalten noch immer produktive Beziehungen, aber unterhalb der höchsten Ebene gibt es zu wenige Gelegenheiten für den Dialog. Die derzeitige Herausforderung an US-Politiker besteht darin, die bilateralen Beziehungen neu zu überdenken, und das in einer Situation, in der Russland auf die USA nicht wirklich angewiesen ist und auch wenig interessiert an einer Integration mit dem Westen zu sein scheint, sondern eher darum bemüht ist, seine eigene Einflusssphäre auszubauen, die auf seinen Energieressourcen und auf wirtschaftlichem Erfolg fußt. Eine realistische US-Politik sollte deshalb Russland einbeziehen, dessen Werte und Interessen oft von denen der Amerikaner abweichen, aber dessen Kooperation in einer Reihe von für die globale Sicherheit wichtigen Belangen notwendig ist. Präsident Putin hat in seiner Münchner Rede, in seiner Rede zur Lage der Nation und in seinen Handlungen der letzten Wochen klar gemacht, dass er Russlands Beziehungen zur EU und den USA insgesamt neu aushandeln möchte. Daher wird das westliche Engagement von einer anderen Basis als in den vergangenen 15 Jahren aus agieren müssen. Ausblick

Bei anhaltend hohen Energiepreisen ist es unwahrscheinlich, dass sich Russlands Außenpolitik im letzten Jahr von Putins zweiter Amtszeit ändern wird. Stabile Energieeinkommen, Instabilität im Weiteren Mittleren Osten und weltweite Zweifel an der US-Politik werden Russlands Rolle als alternatives Machtzentrum verstärken, allerdings nicht – wie in Zeiten des Kalten Krieges – auf Augenhöhe mit den USA. Für die nächste Amtszeit wird das Hauptaugenmerk weiterhin auf Eurasien und auf der Konsolidierung der wirtschaftlichen, militärischen und politischen Interessen Russlands in dieser Region ruhen. Gazprom und andere russische Energieriesen werden sich darum bemühen, ihre Position im europäischen Verbrauchermarkt zu festigen und eine russische Version von Energiesicherheit anzustreben, die aus Sicherheit der Nachfrage, Kontrolle der strategischen Bestände und Kontrolle der Exportpipelines besteht. Außerdem wird Russland mit den USA in den Wettbewerb treten, um die Gasversorgung aus Turkmenistan sicherzustellen und um den Bau einer US-betriebenen kaspischen Pipeline zu verhindern, die Russland ausbooten würde. Daher wird Energie weiterhin ein Instrument für Russland bleiben, seinen Einfluss in seiner Nachbarschaft und darüber hinaus geltend zu machen.

Da sich Russland auf Putins Nachfolge im Jahr 2008 vorbereitet, könnte die Innenpolitik die Außenpolitik einschränken. Es gibt keine klaren Regeln im Spiel um die Präsidentschaftsnachfolge in Russland, und es scheint, als könnten die Kreml-Verhandlungen um die Architektur der Nachfolge die Staatsführung derart beschäftigen, dass ihre Aufmerksamkeit von der Außenpolitik abgelenkt wird. Auch wenn die Nachfolge geregelt ist, dürfte es wenig Anreize für Russland geben, eine dem Westen entgegenkommende Politik zu verfolgen, dagegen starke Anreize, sein nationales Selbstbewusstsein zu stärken und seine Entschlossenheit, seinen eigenen Pfad zu verfolgen, sei es im Zusammenhang mit Demokratie und Menschenrechten oder beim Verkauf von Waffen an Gegner des Westens. Die Wahrnehmung der Schwäche Amerikas angesichts der Situation im Irak wird Russlands Neigung verstärken, sich selbst als alternatives Machtzentrum für einige Länder anzubieten.

Sobald Amerika, das derzeit stark beschäftigt ist mit den Problemen im Irak, Iran und im Weiteren Mittleren Osten und in einer lautstarken innenpolitischen Debatte über den Abzug der Truppen steckt, in seine eigene Wahlkampfphase eintritt, wird die Aufmerksamkeit für Russland noch weiter sinken. Die Debatte über umstrittene Punkte wird weitergehen, ebenso wie die Versuche, größere Unstimmigkeiten zu vermeiden, zum Beispiel hinsichtlich der Raketenabwehr und der INF-Verträge. Aber jedwede neue Initiative, besonders zur Rüstungskontrolle, die in den letzten sechs Jahren auf Eis gelegt wurde, wird wohl auf die nächsten Amtsinhaber im Kreml und im Weißen Haus warten müssen. Nach dem Jahr 2008 werden beide Länder in einen offenen Dialog miteinander treten und zu einer Beziehung übergehen müssen, in der sie weder Verbündete noch Gegner sind, sondern in der sie gleichzeitig miteinander kooperieren und konkurrieren können.

Prof. Dr. ANGELA STENT, geb. 1947, ist Direktorin des Center for Eurasian, Russian and East European Studies und Professorin der School of Foreign Service an der Georgetown University, Washington D.C.
 

  • 1Frank-Walter Steinmeier: Verflechtung und Integration, Internationale Politik, März 2007, S. 6–11.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2007, S. 94 - 99.

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Angela Stent

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