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29. Apr. 2008

Kleines Erdbeben

Trotz Berlusconi: Italien ist auf dem Weg, eine normale Demokratie zu werden

Also Berlusconi – noch einmal. Man kann sich die Frage stellen – und das tun viele, den Verfasser dieser Zeilen eingeschlossen – was es bedeutet, dass die Hälfte oder sogar über die Hälfte der italienischen Wähler seit Jahren für Berlusconi zu stimmen. In Deutschland könnte ein Pendant zu Berlusconi nicht Regierungschef werden, weil das Grundgesetz praktischerweise die Vereinbarkeit einer solchen Karriere mit unternehmerischen Aktivitäten verbietet. Aber in Italien gibt es keine ähnliche Norm.

Berlusconi verfügt zweifellos über gewisse Qualitäten als Wahlkämpfer. Es führt uns aber nicht weiter, wenn wir uns auf politisch-anthropologische Analysen einlassen, die doch hypothetisch und anfechtbar bleiben müssen; etwa: „Die Hälfte der Italiener mag Berlusconi, weil er Präsident des AC Mailand ist“, oder: „weil er reich ist“, oder: „weil er Witze erzählt“. Es lohnt allerdings, darauf hinzuweisen, dass die öffentliche Meinung in Italien, wie übrigens auch in Frankreich (anders als in Nordeuropa) seit 50 Jahren mehrheitlich konservativ eingestellt ist und dass in diesen Ländern das Mitte-Links-Lager die Wahlen nur dann gewinnen konnte, wenn es Risse im Mitte-Rechts-Lager gab.

Berlusconis Vorgängerregierung verfügte bekanntlich im Parlament über eine komfortable, im Senat aber nur über eine dünne Mehrheit. Zudem hatte die Regierung Prodi in der öffentlichen Meinung keinen guten Stand, gewiss nicht immer zu Recht. Ein wenig lag das wohl an mangelnder Kommunikationsfähigkeit, ein wenig auch daran, dass es unter Mitte-Links-Regierungen schwieriger ist, Steuerhinterziehung – neben dem Fußball der Lieblingssport der Italiener – zu betreiben. Weitaus schwieriger zumindest als unter einer Regierung Berlusconi, die in Sachen Steuerlegalität alles andere als fanatisch ist. Dieses Mal ist es dem Mitte-Rechts-Bündnis gelungen, eine Mehrheit der Sitze in beiden Kammern zu gewinnen, und das, ohne sich mit der Unione dei Democratici Cristiani e di Centro (UDC) zusammenzutun. Das „politische Angebot“ war sehr einfach: Wer nicht links wählen oder sich der Stimme enthalten wollte, hatte keine andere Wahl, als sich für Berlusconi zu entscheiden. Er war der Kandidat und der unumstrittene Anführer der Rechten. Weder Gianfranco Fini noch irgendjemand sonst konnten ihm seine Position streitig machen.

Drei Ergebnisse der Wahlen verdienen Aufmerksamkeit. Zunächst einmal hat sich das politische System Italiens verändert. Schon in der vergangenen Wahlperiode hatte die Nachfolgepartei des früheren Partito Comunista Italiano (PCI), mittlerweile eindeutig sozialdemokratisch ausgerichtet, einen Wandlungsprozess gestartet, der durch Fusion mit den Katholiken des Mitte-Links-Lagers zur Gründung des Partito Democratico (PD) führte. Der Chef dieser neuen Allianz, Walter Veltroni, ein Exponent des „alten“ PCI, steht wie kein zweiter für den Versuch, gegen die berlusconianische und postfaschistische Rechte an die demokratische und republikanische Vergangenheit des Landes anzuknüpfen. Zudem hatte Veltroni stets erklärt, dass seine Partei bei den Wahlen allein antreten würde, ohne Allianzen mit anderen Parteien oder Grüppchen und ohne Absprachen mit der radikalen Linken oder dem Zentrum. Diese mutige Entscheidung besiegelte seine Niederlage, brachte aber eine neue Dynamik in die demokratische Auseinandersetzung. Um seinem Konkurrenten das Feld der politischen Innovation nicht zu überlassen, beschloss Berlusconi eilig die Fusion der eigenen Forza Italia mit Gianfranco Finis postfaschistischer Alleanza Nazionale zum Popolo della libertá (PdL). Ein kleines Erdbeben, das dieses Mal noch im Rahmen des bestehenden Wahlgesetzes stattfindet.

Nun dominieren in Italien zwei mittelgroße Parteien: PD und PdL. Sie repräsentieren zwei Drittel der Wählerschaft. Von den anderen Gruppierungen schafften nur wenige den Einzug ins Parlament. Auf der Rechten die Lega Nord und der Movimento per l’Autonomia (MpA), auf der Linken die Italia dei Valori und in der Mitte die UDC. Der Grund dafür liegt in der Gesetzesnorm, dass nur die Parteien, die mehr als acht Prozent der Stimmen zumindest in einer Region erhalten, Sitze im Senat bekommen, für das Parlament genügen vier Prozent.1 Im künftigen italienischen Parlament werden also nur sechs Parteien vertreten sein. Welch ein Unterschied zu der Ansammlung von Gruppen und Grüppchen, an die wir uns im Bel Paese der politischen Ineffizienz gewöhnt hatten. Am Ende wird das italienische Parlament noch dem Bundestag ähneln! Und es scheint sogar möglich, dass PdL und PD gemeinsam beschließen, das Wahlgesetz im Sinne eines echten Mehrheitswahlrechts zu ändern. So würde Italien eine Zweiparteiendemokratie.

Die zweite Erkenntnis betrifft Umberto Bossis Lega Nord. Sie hat gerade im Nordosten einige Erfolge erzielt. Berlusconi benötigt die Unterstützung der Lega, um eine stabile Regierung zu bilden. Eine Stimme für die Lega ist aber eine Proteststimme gegen Berlusconi, der sich in seiner Regierungszeit eher mit den eigenen Problemen beschäftigt hat als mit der Norditalien-Frage. Die Allianz zwischen den „deutschen“ Regionen des Nordostens und dem Süden verspricht politische Lähmung: Es ist schwer zu begreifen, wie man Interessen und Perspektiven teilen soll, wenn jegliches Nationalgefühl fehlt.

Schließlich ist noch, drittens, vom Verschwinden der radikalen Linken aus dem politischen System zu berichten: zweifellos ein weiterer Schritt Italiens Richtung Europa.

Natürlich, die Gefahr ist groß, dass das Ende der Fragmentarisierung des politischen Systems in Italien nicht mit einer guten Regierung einhergeht. Aber es steht nirgendwo geschrieben, dass demokratische Wahlen immer weise und politisch tugendhafte Regierungen hervorbringen müssen. Die Amerikaner haben 2004 George W. Bush wiedergewählt, am Ende waren 600 000 tote Iraker zu beklagen. Die Gefahr, dass eine schlechte italienische Regierung international ernsthaften Schaden anrichten kann, tendiert gegen Null. Am Ende gilt für alle Demokraten das Gleiche: „Wer der Grund für sein eigenes Unglück ist, der beweine sich selbst!“

Prof. Dr. PASQUALE PASQUINO, geb. 1948, ist Forschungsdirektor am Centre Nationale de la Recherche Scientifique (CNRS) in Paris und Professor of Law and Politics an der New York University.

  • 1Bei der Wahl von 2006 spielte diese Norm keine Rolle, weil es nur zwei große „allumfassende“ Koalitionen gab, Mitte-Rechts und Mitte-Links. Die kleinen Parteien waren Bestandteil dieser Koalitionen, und daher wurde keine von ihnen durch die Prozenthürden aufgehalten.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, May 2008, S. 94 - 95

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