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01. März 2005

Kein Ruhestand für die Weltbank!

Ökonomie

Die Institution, 60 Jahre alt, hat sich oft neu erfunden und wird weiter gebraucht

Weltbankpräsident James D. Wolfensohn hat kürzlich angekündigt, dass er zum Ende seiner zweiten fünfjährigen Amtszeit an der Spitze der Bank am 31. Mai 2005 in den Ruhestand gehen wird. Seither ist viel darüber spekuliert worden, wen die Bush-Administration als seinen Nachfolger nominieren würde. Nach Auskunft eines Sprechers vom US-Finanzministerium soll der Auswahlprozess eines amerikanischen Kandidaten, der vom Direktorium der Bank gebilligt wird, „offen, sachlich und transparent“ sein. Das wäre eine wesentliche Verbesserung im Vergleich zu früher, als die US-Kandidaten, die praktisch immer vom Direktorium automatisch bestätigt wurden, aus einem Auswahlverfahren innerhalb der US-Administration hervorgingen, das nur als verschlossen, geheim und undurchsichtig charakterisiert werden kann. Idealerweise würde diese wichtige globale Führungsposition natürlich in einem leistungsorientierten Auswahlprozess ausgesucht und mit dem weltweit besten Kandidaten besetzt werden.

Aber so wichtig der Prozess auch ist, wichtiger ist zu diesem Zeitpunkt die Frage: Wie soll die zukünftige Rolle der Bank aussehen? Einige in der derzeitigen US-Administration könnten darauf setzen – nach den radikalen Empfehlungen der Professoren Alan Meltzer und Kenneth Rogoff –, die Institution auf ein Minimum zu verkleinern, ihre Finanzhilfen für Entwicklungsländer mit mittlerem Einkommen abzuschaffen und sie auf die Funktion eines kleinen Zuschussfonds für die ärmsten Länder zu reduzieren. Das würde das Ende bedeuten für die Bank als die globale Entwicklungs-Finanzinstitution, wie wir sie bisher kennen. Bevor die USA und die anderen Anteilseigner der Bank sich in eine derart drastische Entscheidung stürzen – und bevor sie einen neuen Präsidenten ernennen, der es als seine Aufgabe betrachten würde, dies durchzusetzen –, sollte man einen Blick auf die Weltentwicklungsprobleme und die Evolution der Weltbank in den 60 Jahren seit ihrer Gründung Ende des Zweiten Weltkriegs werfen. Ich meine, dass jeder faire Beobachter zu vier Schlussfolgerungen kommen würde, deren Basis die Erkenntnis ist, dass die Bank mehr denn je ein zentraler Global Player bleiben sollte.

Die erste Schlussfolgerung ist, dass es in den vergangenen 60 Jahren entscheidenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt gegeben hat. Westeuropa und Japan sind wieder aufgebaut worden, der Kolonialismus ist zu Ende gegangen, das Sowjetimperium zusammengebrochen und Mittel- und Osteuropa sind friedlich in die globale Wirtschaft und Politik wieder eingegliedert worden; Lateinamerika hat recht erfolgreiche Demokratien aufzuweisen und Asien ist zum florierenden Zentrum der Weltwirtschaft geworden. In vielen Teilen der Welt haben sich die wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen verbessert, extreme Armut ist in den vergangenen 20 Jahren von 40 auf 20 Prozent zurückgegangen, die durchschnittliche Lebenserwartung in den vergangenen vier Jahrzehnten um 20 Jahre gestiegen, die Teilnahme an Bildungsprogrammen hat zugenommen und ganz generell hat sich die Wirtschafts– und Sozialpolitik in den Entwicklungsländern deutlich verbessert. Nichtsdestotrotz gibt es in der sich entwickelnden Welt weiterhin große Probleme wie das andauernde Bevölkerungswachstum – in den nächsten 25 Jahren wird die Weltbevölkerung um weitere zwei Milliarden Menschen wachsen –, den Druck durch begrenzte natürliche Ressourcen, Armut nicht nur in den ärmsten, sondern auch in den Entwicklungsländern mit mittlerem Einkommen; und die Fähigkeit der Entwicklungsländer, sich selbst zu helfen, wird weiterhin durch ungenügende Finanzreserven, schwache Institutionen und die allgegenwärtige Korruption beeinträchtigt.

Zweitens ist die Weltbank für ihre Anteilseigner ein wichtiges Instrument der Entwicklungsfinanzierung und -politik geblieben, weil sie die Transformation der Welt, die wir erlebt haben, aktiv unterstützt hat. Die Bank hat sich selbst unzählige Male neu erfunden, um für die sich verändernden globalen Bedürfnisse relevant zu bleiben. Aus einer Institution, die in den fünfziger Jahren den Nachkriegswiederaufbau unterstützte, hat sie sich in ein Institut verwandelt, das in den sechziger Jahren landwirtschaftliche, industrielle und Infrastrukturprojekte förderte und seit den Achtzigern groß angelegte marktorientierte Reformen in der ganzen Dritten Welt vorangetrieben hat, mit speziellem Akzent auf Armutsreduzierung, Umweltschutz und verbesserte öffentliche und private Institutionen. Die Bank förderte das asiatische Wirtschaftswunder, die Transformation in Mittel- und Osteuropa, den Wiederaufbau im kriegszerstörten Südosteuropa, in Osttimor und Afghanistan, die Stärkung marktgestützter Institutionen in Lateinamerika und den Kampf gegen Armut und HIV/AIDS in Afrika. Durch die Mitgliedschaft von China und den neuen Republiken der Ex-Sowjetunion ist die Bank nun weltweit repräsentiert. Über die Jahrzehnte ist die Bank transparenter und rechenschaftswilliger geworden, zudem effektiver in ihren finanziellen, analytischen und gutachterlichen Aktivitäten, und im Ergebnis als globales Entwicklungsfinanzinstrument legitimer als je zuvor. Als Institution ist sie gut geeignet, um die verbleibenden Probleme der Weltentwicklung anzupacken.

Drittens hat die Weltbank in Zukunft eine globale Rolle zu spielen. Sie muss sich weiterhin in den ärmsten Entwicklungsländern engagieren mit dem Ziel, größtmögliche Ergebnisse zu erzielen, was bedeutet, dass sie in Partnerschaft mit anderen Gebern für Programme der Länder selbst maximale Mittel einsetzen muss – Kredite, Darlehen, technische und institutionelle Beratung. Aber auch in den Ländern mit mittlerem Einkommen muss sie finanziell und beratend engagiert bleiben, weil diese in jüngster Zeit nur begrenzten Zugang zu privaten Finanzressourcen hatten und ebenfalls große Probleme bewältigen müssen. Und die Bank wird als Partner der Industrieländer gebraucht, weil sie ein effektives globales System der Entwicklungshilfe bereitstellt, sich mit globalen Gesundheits- und Umweltgefahren beschäftigt und sich mit wichtigen Aspekten der Bekämpfung des Terrorismus auseinander setzt.

Schließlich brauchen die Welt und die Weltbank eine starke, visionäre und engagierte Führung. In den vergangenen 30 Jahren hat die Bank zwei solche Präsidenten gehabt: Robert S. McNamara und James D. Wolfensohn. Unter ihrer Leitung hat die Bank erfolgreich auf die sich ändernden Bedürfnisse der Welt reagiert. Eine solche Führung wird auch in Zukunft wesentlich sein um zu gewährleisten, dass die Bank eine starke globale Kraft bleibt. Es liegt an der US-Administration, einen solchen Präsidenten zu finden, und es liegt am Direktorium der Bank – insbesondere bei den europäischen Direktoren – sicherzustellen, dass die USA ihrer Verantwortung gerecht werden.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2005, S. 78 - 79.

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