Titelthema

24. Febr. 2025

Kein Geld, kein Personal, keine Sicherheit

Ohne kriegsfähige Bundeswehr verabschiedet sich Deutschland aus dem Kreis relevanter Staaten des Westens – doch die Herausforderungen sind gewaltig.

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Bild: Vereidigung der Rekruten
Um die Zukunft der Bundeswehr nachhaltig zu sichern, braucht es nicht nur eine bessere Ausstattung, ­sondern auch mehr Personal, das die neuen Geräte bedienen kann: Rekruten bei der Vereidigung.
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Wenn nach den Bundestagswahlen künftige Regierungsparteien ihre Koalitionsgespräche führen, wäre zu hoffen, dass sich die Teams der Fachpolitiker besonders ernsthaft um den Bereich Sicherheit und Verteidigung kümmern werden. Denn: Die nächste Bundesregierung wird sich in einer internationalen Konstellation wiederfinden, die fundamentale deutsche Antworten auf eine außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Welt erfordern wird, die sich womöglich gänzlich verändert.

Werden die USA auch weiterhin europäische Macht bleiben und wenn nicht, wie kompensieren Deutschland und Europa den dann wegfallenden sicherheitspolitischen Schutz? Wie schützt man sich vor einem neoimperialistischen Russland und wie geht man mit einem militärisch immer aggressiveren China um? Dies sind nur einige Fragen, denen sich die Koalition ausgesetzt sehen wird und auf die sie angemessene Antworten finden muss.

Die Ausgangslage ist nicht besonders rosig. Neben den erwähnten tektonischen Verschiebungen in der internationalen Rahmenkonstellation finden sie eine Bundeswehr mitten im Umbruch vor, die aber chronisch unterfinanziert ist und zu wenig Personal hat. Sollte es die nächste Koalition mit dem Anspruch ernst meinen, Deutschland an die veränderte sicherheits- und verteidigungspolitische Lage aktiv anzupassen, dann hat sie eine Mammutaufgabe vor sich.

Zunächst einmal gilt es, die Finanzierung der Bundeswehr nachhaltig zu sichern. Dabei sind mehrere Parameter zu berücksichtigen. 

Durch das Sondervermögen, das der Bundeswehr für die Anschaffung von Großgerät zur Verfügung stand, sowie aus dem Verteidigungshaushalt sind in den Jahren 2022 bis 2024 Bestellungen getätigt worden, die auch in den Folgejahren Geld kosten werden (sogenannte Verpflichtungsermächtigungen). So ist kurz vor Ablauf der letzten Legislaturperiode die Beschaffung von vier neuen U-Booten bewilligt worden, die 2025 mit einer Milliarde Euro angesetzt wurden, die aber in den kommenden Jahren den Bund noch weitere drei bis vier Milliarden kosten werden. Wenn man die Beschaffungen aus dem Sondervermögen näher betrachtet, kann man durchaus mit der Daumenregel operieren, dass für die 100 Milliarden Euro mittels Verpflichtungsermächtigungen Dinge angeschafft werden sollen, die in den folgenden Jahren nochmal ca. 200 Milliarden Euro Folgekosten erzeugen. Diese Summe gilt es zu decken.

Die nächste Bundesregierung wird den Verteidigungshaushalt substanziell erhöhen müssen

Hinzu kommen noch Kosten, die durch die Übernahme der Verpflichtungen im Rahmen der Minimum Capability Requirements der NATO entstehen, von denen die Bundesrepublik traditionell immer 10 Prozent übernimmt. In diesem konkreten Fall geht es dabei um bis zu fünf Kampfbrigaden (inklusive Ausstattung) sowie Luftverteidigung. Auch dies wird sich nicht kostenneutral in künftigen Verteidigungshaushalten abbilden lassen.

Zudem gilt es das betriebswirtschaftliche Delta zwischen den laufenden Kosten der Bundeswehr (abgedeckt durch den Einzelplan 14) und den Kosten zu minimieren, die durch die Neuanschaffung von Großsystemen, Einstellung von mehr Personal und Weiterführung der durch das Sondervermögen beginnenden Vollausrüstung der Bundeswehr entstehen.

Und schließlich ist derzeit nicht abzuschätzen, welche Auswirkungen die von Donald Trump geforderten 5 Prozent Verteidigungsausgaben, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, im Rahmen der Beratungen der NATO-Mitglieder haben werden. Bereits heute sprechen sich zum Beispiel Polen und Litauen für mehr als 3 Prozent aus, während aus anderen Staaten die ­Bereitschaft signalisiert wird, das neue Minimum der Verteidigungsaus­gaben auf 3 Prozent festzulegen.


Wie kann das alles finanziert werden?

Mit all diesen Parametern scheint es nur logisch, dass die nächste Koalition um eine substanzielle Erhöhung des Verteidigungshaushalts und generell der Ausgaben für Sicherheit nicht umhinkommen wird. Allerdings stellt sich die Frage, wie diese Erhöhung finanziert werden kann. Dafür bieten sich drei Modelle an.

  • Man priorisiert Verteidigung vor allen anderen Aufgaben im Bundeshaushalt. Konkret bedeutet dies, dass an anderen Stellen in den Haushalten der kommenden Legislaturperiode massive Einsparungen erfolgen müssen. Allerdings würde dies bei einem geschätzten Haushalt von 500 Milliarden (im Vergleich zu 2023) auch bedeuten, dass allein ein Viertel für Verteidigung ausgegeben werden müsste. Ob die koalierenden Parteien den Mut haben, dies ihrer Wählerschaft und der Bevölkerung zuzumuten, darf bezweifelt werden.
     
  • Man nimmt Verteidigung aus der Schuldenbremse heraus; dies kann auch zusammen mit Investi­tionen in Infra­struktur erfolgen. Ein solches Vorgehen, das eine Änderung des Art. 109 Abs. 3 er­fordern würde, kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn es im nächsten Bundestag keine Sperrminorität radikaler Parteien gibt.
     
  • Man führt einen Solidaritätszuschlag für Verteidigung ein, der von allen Menschen entrichtet werden muss, die in Deutschland arbeiten. Ein solcher Soli könnte 1 bis 1,5 Prozent der Einkommensteuer betragen und würde anfallen, sobald die Höhe der Einkommensteuer die Freigrenze überschreitet. Dabei geht es nicht um die Entscheidung für eines der drei Modelle; vorstellbar ist auch eine Kombination aus allen dreien oder von zweien – aber eine Entscheidung über eine belastbare Finanzierung der deutschen Streitkräfte muss von der nächsten Koalition getroffen werden. Doch dies ist nicht die einzige Baustelle. Vielleicht noch wichtiger als eine nachhaltige Finanzierung gestaltet sich die Frage der Personalstärke der deutschen Streitkräfte. Denn eine vollausgestattete Bundeswehr wird nicht einsatzfähig sein, wenn es an Männern und Frauen fehlt, die diese Geräte auch bedienen können. War die Personalsituation in der Vergangenheit schon problematisch, so wird sie in Zukunft dramatisch werden, und zwar aus vier Entwicklungen heraus. 
     
  • Mit der möglichen Aufstellung von bis zu fünf neuen Brigaden wird die Sollstärke der Bundeswehr von 203 000 auf mindestens 230 000 anwachsen. Dem gegenüber stehen allerdings seit Jahren zwischen 180 000 und 182 000 dienende Männer und Frauen.
     
  • Auch in der Bundeswehr wird es in den nächsten Jahren eine überproportional große Pensionierungswelle geben. 
     
  • Im Zuge des russischen Aggres­sions­kriegs wurde erkannt, dass im Bündnisfall die Bundeswehr nicht auf­wuchs­fähig ist. 
     
  • In einem internen Papier des Bundesministeriums der Verteidigung war bereits vor der Übernahme ­neuer Verpflichtungen im Rahmen der NATO die Rede von der Notwendigkeit einer bis zu 440 000 Soldaten starken Armee. Im 2+4-Vertrag hat sich Deutschland jedoch verpflichtet, die Obergrenze seiner Armee bei 350 000 festzusetzen. In der alten Koalition wurden die Notwendigkeit neuer Rekrutierungsformen im BMVg gesehen und entsprechende Vorschläge unterbreitet, die am Ende jedoch am Bundeskanzler scheiterten, der von „überschaubaren“ Personalproblemen bei der Bundeswehr sprach. Deshalb legte Verteidigungsminister Boris Pistorius ein Modell vor, das im Kern die Freiwilligkeit des Dienstes mit mehr Anreizen vorsieht. Angesichts der oben genannten Zahlen ist jedoch absehbar, dass dieses Modell die Personalprobleme der Bundeswehr nicht lösen wird. Also kommt auf die nächste Bundesregierung die Aufgabe zu, nach Wegen und Möglichkeiten zu suchen, die Rekrutierungsbasis für die künftige ­Sollstärke der Bundeswehr sowie ihre Aufwuchsfähigkeit zu verbessern. Meh­rere Ideen bieten sich hier an.

Für die Rückkehr zur alten Wehrpflicht fehlen die Strukturen, deren Aufbau Milliarden kosten würden

  • Die Einführung des schwedischen Modells: Dieses von Verteidigungsminister Pistorius präferierte Modell sieht vor, dass alle Männer eines Jahrgangs gemustert werden und diejenigen, die sich für einen Wehrdienst interessieren, weitere Tests durchlaufen. Die Bundeswehr definiert nach ihrem Bedarf eine jährliche Zahl „zu ziehender“ Soldaten und beruft diese aus dem Pool ein. 
     
  • Die Rückkehr zur alten Wehrpflicht: Dies würde bedeuten, dass die im März 2011 vom Bundestag ausgesetzte allgemeine Wehrpflicht wieder eingesetzt wird. Man muss jedoch sagen, dass für einen solchen Schritt die komplette Infra­struktur fehlt (angefangen von Kreiswehrersatzämtern über Unterkunftsmöglichkeiten bis hin zu Kasernen, ­Material und Ausbildern). Berechnungen aus dem Verteidigungsministerium beziffern die Summe, die man bräuchte, um diese Strukturen aufzubauen, auf einen mittleren zweistelligen Milliardenbetrag. 
     
  • Des Weiteren muss sich die nächste Koalition die Frage stellen, ob sie die Rekrutierungsbasis verbreitern sollte. Dazu gehören die Fragen, ob das Grundgesetz dahingehend geändert werden sollte, dass der Wehrdienst auch für Frauen verpflichtend sein sollte, und ob man die Bundeswehr auch für die rund 90 000 Schulabgänger pro Jahr ohne deutschen Pass öffnen sollte. Insbesondere in eher sehr konservativen Kreisen in den Streitkräften und in der deutschen Bevölkerung wird der zweite Punkt sicherlich für einen Aufschrei sorgen, da man dort der Auffassung anhängt, dass nur deutsche Staatsbürger in der Lage seien, Deutschland zu verteidigen. Dabei wird häufig übersehen, dass zum einen andere Streitkräfte (allen voran die amerikanischen) mit solchen Modellen sehr gute Erfahrungen gemacht haben und dass es zum anderen eine historische Funktion von Streitkräften ist, zur Integration ihrer Gesellschaften beizutragen.


    Für eine kriegsfähige Bundeswehr

    Vielleicht mag es den Leserinnen und Lesern merkwürdig vorkommen, dass dieser Beitrag sich ausschließlich auf die Frage von Geld und Personal konzentriert und andere Themen wie die Zukunft der NATO, europäische Sicherheit oder die Abschreckung Russlands nicht thematisiert. Diese Entscheidung entsprang der Einsicht, dass Deutschland das Fundament seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik erneuern muss. Und das ist nun mal eine kriegsfähige Bundeswehr. Ohne sie sind alle anderen Überlegungen dazu, wie Sicherheits- und Verteidigungspolitik im internationalen Umfeld zu gestalten und mitzubestimmen wären, Makulatur. Wenn die nächste Koalition die hier angesprochenen Probleme nicht löst, wird Deutschlands Einfluss sowohl im trans­atlantischen als auch im europäischen Umfeld dauerhaft sinken. Dann wird sich die Bundesrepublik aus dem Kreis jener Staaten des Westens verabschieden müssen, die die Zukunft internationaler Sicherheits- und Verteidigungspolitik ­bestimmen werden.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2025, S. 24-27

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Prof. Dr. Carlo Masala lehrt Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München.