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01. Apr. 2009

Kassensturz am Kap

Südafrikas Zukunft wird sich an der Wirtschaftspolitik entscheiden

Wenige Wochen vor den Wahlen steht Südafrika vor einer ganzen Reihe politischer Herausforderungen. Gewalt, Korruption, Arbeitslosigkeit, Bildungsmängel, Defizite bei der Integration in die „Rainbow Nation“: Die Liste ist lang. In den Griff bekommen kann die Schwierigkeiten nur, wer die dahinter stehenden ökonomischen Probleme löst.

Werden die Parlamentswahlen in Südafrika Ende April, die vierten seit Ende der Apartheid, eine Formalie für den Präsidenten des African National Congress (ANC), Jacob Zuma? Noch bis vor rund vier Monaten schien das so. Der ANC verfügt über eine deutliche Mehrheit von 70 Prozent der Sitze im Parlament. Seitdem jedoch ist ihm neben der Democratic Alliance (DA) der Kapstädter Bürgermeisterin Helen Zille eine neue Konkurrenz erwachsen. Nachdem der ANC den bisherigen Staatspräsidenten Tabor Mbeki zum Rücktritt gezwungen hatte, spaltete sich eine Gruppe ab, die sich im Dezember 2008 zu einer neuen Partei formierte, dem Congress of the People (COPE). Eine Konkurrenz, die im Februar in gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen vorwiegend jugendlichen Anhängern beider Parteien mündete.

Probleme bereiten dem ANC auch die erneut aufgenommenen Ermittlungen gegen Jacob Zuma, die nicht unerheblich zu der Gewaltwelle bei-getragen haben dürften. Noch im September 2008 war eine gerichtliche Verfolgung der Korruptionsvorwürfe, die sich auf ein Waffengeschäft in den neunziger Jahren bezogen, wegen Formfehlern eingestellt worden. Die aggressiven Reaktionen einiger prominenter ANC-Vertreter auf die gerichtliche Auseinandersetzung waren nicht gerade geeignet, die Sorgen derer zu zerstreuen, die dem ANC ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat attestieren. Vor diesem Hintergrund sind die ökonomischen Probleme Südafrikas und die damit verbundenen Herausforderungen für eine neue Regierung zu betrachten.

Zunächst einmal besteht eine große Unsicherheit, wie die langfristige wirtschaftspolitische Strategie des ANC aussieht. Jacob Zumas Pläne scheinen noch sehr unklar. Sowohl marktwirtschaftliche Elemente, wie sie Präsident Mbeki mit großem Erfolg vor allem in der Makropolitik einsetzte, als auch eher sozialistische Experimente, wie sie die Gewerkschaftsbewegung COSATU und die Kommunistische Partei (ein Teil des ANC) einfordern, sind denkbar. Ein positives Signal immerhin war der Umstand, dass Übergangspräsident Kgalema Motlanthe erneut Trevor Manuel zum Finanzminister berufen hat. Manuel ist der Finanzminister mit der weltweit längsten Amtszeit und genießt einen hervorragenden Ruf.

Zudem verlangen die Probleme einen deutlichen Fokus auf eine kurz- und langfristig rationale Wirtschaftspolitik. Südafrika ist in den vergangenen Jahren sehr schnell gewachsen, hat dabei vor allem auf ausländisches Kapital gebaut und ein erhebliches Leistungsbilanzdefizit erwirtschaftet. Nun muss ein solches Defizit kein Krisensymptom sein, sofern das importierte Kapital wieder investiert wird. Die Regierung Mbeki hat zwar einen beeindruckenden makroökonomischen Stabilisierungskurs vorzuweisen, es aber gleichzeitig versäumt, die Strukturprobleme anzugehen. Insbesondere der Arbeitsmarkt, die Bildungspolitik und die Regulierung von Netzwerkindustrien liegen im Argen. Eine dauerhafte Lösung der ökonomischen Schwierigkeiten dürfte auch die politische Atmosphäre beruhigen.

Jeder Vierte ohne Job

Südafrika ist – wie andere Schwellenländer auch – stark von den Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen. Immerhin ist das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts seit 2002 von etwa drei Prozent auf knapp über fünf Prozent pro Jahr im Jahr 2006 angestiegen. Im vergangenen Jahr betrug es 3,8 Prozent, und selbst in diesem Jahr wird noch mit einem positiven Wachstum von etwa einem Prozent und für 2010 mit etwa drei Prozent gerechnet.

Ein Wachstum in dieser Größenordnung dürfte allerdings zu gering sein, um das gravierende Beschäftigungsproblem zu lösen. Die Arbeits-losigkeit liegt bei etwa 25 Prozent (die Daten weichen je nach Quelle stark voneinander ab) und betrifft vor allem junge Schwarze und schlecht Ausgebildete. Immerhin hat die Beschäftigung seit 2000 wieder zugenommen und 2007 sogar ein historisches Hoch erreicht. Die südafrikanische Wirtschaft ist also in der Lage, Arbeitsplätze zu schaffen. Das Hauptproblem dürfte in einer verfehlten Bildungs-politik liegen. Begleitet war das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre von einer Phase fiskalischer und monetärer Stabilität. Der öffentliche Haushalt weist für die Jahre 2002 bis 2005 sowie 2008 ein geringes Defizit von im Durchschnitt unter zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf, in den Jahren 2006 und 2007 wurde ein leichter Überschuss erzielt. Für das laufende Jahr erwartet das Finanzministerium ein Defizit in der Größenordnung von etwa 3,5 Prozent. Der südafrikanische Schuldenstand liegt bei 30 Prozent des BIP, bei abnehmender Tendenz; der Anteil der Verschuldung in Fremdwährung ist gering.

Ebenfalls erfreulich ist die Entwicklung der Inflationsrate seit 2002; sie wurde erst Ende 2006 ein wenig eingetrübt. Zwischen 2003 und 2006 gelang es der Zentralbank sogar, die Rate zwischen drei und sechs Prozent zu halten. Im Durchschnitt des Jahres 2008 betrug sie dann 11,5 Prozent, zuletzt lag sie wieder unter zehn Prozent. Hinter dieser Entwicklung stand vor allem eine enorme Erhöhung der Energie- und Lebensmittelpreise, die seit Ende 2008 wieder zurückgehen.

Angst vor dem „sudden stop“

Ein Thema, das viele Beobachter mit Sorge erfüllt, ist die südafrikanische Zahlungsbilanz, insbesondere das seit 2002 stetig steigende Leistungsbilanzdefizit. Betrug es 2003 noch 1,1 Prozent des BIP, so stieg es bis 2008 auf knapp acht Prozent an. Wie eine Studie des South African Institute of International Affairs (SAIIA) zeigt,1 ist das Defizit in erster Linie auf stark zunehmende Privatinvestitionen am Kap zurückzuführen; Investitionen, die in einem zunehmenden Ausmaß durch ausländisches Kapital finanziert waren. Dieser Kapitalzufluss bewirkte zunächst eine reale Aufwertung des Rand, erhöhte die südafrikanische Kaufkraft und damit die Nachfrage nach inländischen und ausländischen Gütern. Und diese Nachfragesteigerung wiederum erzeugte das Leistungsbilanzdefizit.

Für ein Urteil, ob ein Leistungsbilanzdefizit dieses Ausmaßes wirklich ein Problem darstellt, kommt es darauf an, ob die Kapitalzuflüsse für den Verbrauch, also konsumtiv, oder investiv verwendet werden. Da Letzteres in Südafrika der Fall war, kann man durchaus von einer nachhaltigen Zahlungsbilanzentwicklung sprechen. Dennoch ist Vorsicht geboten. Mit Hilfe der Investitionen wurde in Südafrika der Strukturwandel hin zu einem höheren Anteil von Dienstleistungen beschleunigt. Fallen die Kapitalzuflüsse kurzfristig aus (der so genannte „sudden stop“), könnte es zu einer Reduzierung der inzwischen gesamtwirtschaftlich notwendigen Importe oder zu einer Expan-sion der Exporte kommen, was zu einer späteren Überhitzung beitragen könnte. Abgesehen davon könnte sich ein „sudden stop“ auch negativ auf die kurzfristige Geldversorgung auswirken.

Die Lage ist also in der Tat ernst, aber nicht aussichtslos. Der zukünftigen Regierung bleiben genug Instrumente und Spielräume, auch kurzfristig auf weitere Schocks reagieren zu können. Dabei ist die fiskalische Stabilität der Vergangenheit ein weitaus besseres Vorbild als die im Wahlkampf vom ANC geäußerten Vorschläge, die Stabilität für kurzfristige Beschäftigungsprogramme zu opfern; eine Aussage, die auch in einer Rezession Gültigkeit besitzt. Die Regierung sollte auf dem makroökonomischen Stabilitätspfad bleiben.

Das Leistungsbilanzdefizit als eine makroökonomische Unsicherheit stellt zugleich die Verbindung zur Mikro-politik in Südafrika dar. In der Tat lässt sich festhalten, dass sich seit dem Ende der Apartheid die Bedingungen für Investoren deutlich verbessert haben. Das betrifft zum einen die rechtsstaatlichen Grundlagen, zum anderen die Berufschancen bislang diskriminierter Südafrikaner. Für die berufliche Förderung schwarzer Südafrikaner etwa wurde das Black Economic Empowerment (BEE)-Programm aufgelegt; ein Programm, das allerdings neben Chancen auch erhebliche Risiken birgt. Denn es schafft eine neue Diskriminierung: die des weißen, vergleichsweise gut ausgebildeten Mittelstands. Ein signifikanter und teurer Exodus dieser Bevölkerungsgruppe nach Australien, Neuseeland und anderswo ist die Folge.

Außerdem trägt BBE nichts dazu bei, die Bildungsprobleme der Geringqualifizierten zu lösen, weil es sich vornehmlich an gut ausgebildete Schwarze richtet. Immerhin: Dass die Strategie kein Allheilmittel für die bestehenden Probleme ist und, ganz im Gegenteil, neue schafft, hat auch der Präsidentschaftskandidat Jacob Zuma bereits angedeutet. Einher damit geht die Notwendigkeit einer Bildungsoffensive, die den Zugang der Ärmsten zur Primärausbildung garantiert. Kein finanzielles, sondern ein institutionelles Problem, wie eine Studie des Trade Law Centre for South Africa zeigt, in der auf die schlechte Ausstattung der Schulen und niedrige Motivation der Lehrer vor allem in den Townships hingewiesen wird.

Kap der schlechten Leitung

Neben der Beschäftigungspolitik ist die Regulierung der Netzwerkindus-trien eine Schwachstelle Südafrikas. Sowohl die Elektrizitätsversorgung als auch Verkehr und Telekommunikation sind hochgradig reguliert bzw. monopolisiert. Mit der Folge, dass die Preise oftmals zu hoch sind und die Qualität der Dienstleistungen zu niedrig ist. So sind Stromausfälle am Kap der guten Hoffnung keine Seltenheit. Dies behindert nachgelagerte Industrien erheblich, wie ein OECD-Bericht im vergangenen Sommer gezeigt hat. Aber auch in anderen Sektoren zeigt der Bericht Potenziale einer Marktöffnung auf. Die Erfahrungen der OECD-Länder mit der Liberalisierung und Regulierung von Netzwerkindustrien weisen der zukünftigen Regierung den Weg: Marktöffnung und Wettbewerb, etwa auch durch die außenwirtschaftliche Öffnung der Dienstleistungsmärkte, sind ein probates Mittel, die südafrikanische Wirtschaft international wettbewerbsfähig zu halten.

Leider geht die gegenwärtige Regierung einen anderen Weg. Im Rahmen des National Industrial Policy Framework (NIPF) wird eine tradi-tionelle sektor-spezifische Industrie-politik zugunsten weniger – zumeist durch ausländische Konkurrenz bedrohter – Industrien vorgenommen. Derartige Programme haben in der Regel gleich eine ganze Reihe von Nachteilen. Zum einen sind die Regierungen zumeist damit überfordert, die künftige Entwicklung der Märkte vorherzusehen, zum anderen behindern solche Maßnahmen andere Sektoren indirekt – über Wechselkurseffekte und „Vergeltungs“-Maßnahmen. Sie laden zum so genannten rentensuchenden Verhalten ein und wirken lähmend auf die unterstützten Industrien.

Wohlstand für viele

Neben den drängenden Strukturproblemen mit langfristigen Auswirkungen wird die kommende südafrikanische Regierung bei der Überwindung der Rezession gefordert sein. In -Rezessionszeiten könnte es noch schwerer sein, die Strukturprobleme zu lösen, weil es politisch unmöglich ist, die Rufe nach kurzfristiger Unterstützung – sei es durch Subventionen, durch Zollmauern oder durch Wechselkursmanipulationen – zu -ignorieren.

Eine starke Regierung hätte auf der anderen Seite die Möglichkeit, die Krise als Chance zu sehen und die nötigen Strukturreformen in Angriff zu nehmen. Es kommt sehr darauf an, ob und wie die zukünftige Regierung es schafft, den Arbeitsmarkt zu beruhigen und so Forderungen von Seiten der Gewerkschaften nach mehr keynesianischer Politik abzuwehren. Gelingt es zudem, die Industriepolitiker im Zaum zu halten, dürfte es wirtschaftlich weiter bergauf gehen. Und wenn breite Bevölkerungsschichten am Wohlstand teilhaben, dürfte sich auch die politische Lage weiter beruhigen.

Prof. Dr. ANDREAS FREYTAG ist Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Jena.

  • 1Peter Draper und Andreas Freytag: South Africa’s Current Account Deficit, Trade Policy Report 25, SAIIA, Johannesburg 2008. Andreas Freytag: Balance of Payments Dynamics, Institutions and Economic Performance in South Africa: A Policy Oriented Study, TIPS Working Paper 4/2008, Pretoria.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2009, S. 81 - 86.

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