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01. Jan. 2016

Kampf der Königskinder

Wie in einem Land der Tabus Bilder und Gerüchte Debatten verhindern

Im Schloss zu Versailles war seinerzeit jedem klar, wann und weshalb der Sonnenkönig nicht gestört werden durfte: Le roi danse. Die Bilder des tanzenden Louis XIV. erregen noch heute die Fantasie – auch dank der Verfilmung mit Benoît Magimel. In Thailand hingegen spielt der König Saxophon. Oder Golf.

Oder hebt gerade ein Fernglas an die Augen, um die Resultate seiner im Norden des Landes angesiedelten „King Projects“ zu betrachten: Erdbeerplantagen statt Opiumfelder. Oder Majestät wird dabei abgelichtet, wie er taucht, reitet oder sich mit Winkel und Metermaß über eine Karte beugt, um Infrastrukturentwicklern wichtige Ratschläge zu geben.

Das Königreich Thailand ist trotz oder gerade wegen seiner filigran kaschierten Instabilität keine Diktatur wie Nordkorea, und die überall im öffentlichen Raum sichtbaren, großformatigen Königsfotos werden mit echter Zuneigung betrachtet. Auch die Nationalhymne, vor jeder Blockbuster-Aufführung in Bangkoks hypermodernen Multiplex-Kinos gespielt, wird mit der gleichen Ehrfurcht gesungen wie man sich das Dokumentarfilmchen zuvor anschaut: der König bei oben erwähnten Aktivitäten, nun jedoch in bewegten Bildern. Jeder Thai weiß indessen, aus welcher fernen Vorzeit sie stammen: Es waren die sechziger Jahre, als der seit 1946 herrschende König das bettelarme Land nach vorn brachte und zugleich vor jenen Desastern bewahrte, die im benachbarten Kambodscha und Laos zuerst blutige Bürgerkriege, dann amerikanische Flächenbombardements und schließlich kommunistische Einheits­parteien zeitigten. Dass Thailand dafür mit dem Preis unzähliger Militärputsche und Verschwundener zahlte, wird bis heute verdrängt, denn noch immer gilt: Ohne den geliebten König wäre alles noch schlimmer gekommen.

Majestät, 88-jährig, hinfällig und im Rollstuhl sitzend, spielt schon lange nicht mehr Saxophon und Golf; seine Plakate sind vom Tropenregen aufgeweicht, von der Sonne ausgebleicht. Gerade in Thailand, dessen „Debattenkultur“ sich darin erschöpft, Tabu­themen kunstvoll zu umschreiben, mag man darin ein Symbol sehen: Ende einer Ära, das freilich nicht als solches benannt werden darf.

Dabei haben sich die Konflikt­linien jüngst noch einmal verändert: Wurde in den Jahren zuvor der Straßen- und Institutionenkampf zwischen den „Gelbhemden“ und „Rot­hemden“ ausgetragen, scheint sich jetzt alles um die Nachfolge im Königshaus zu drehen. Der 2006 gestürzte Ex-Premier Thaksin, ein autoritärer Reformer mit undurchsichtiger Agenda, wartet im Dubai-Exil ab; und auch seine 2011 zur Ministerpräsidentin gewählte, Anfang 2014 ebenfalls aus dem Amt geputschte Schwester und Platzhalterin Yingluck denkt diesmal nicht daran, die als „arme Bauernmassen“ bezeichneten „Rot­hemden“ erneut über die Geschäftsstraßen von Bangkok ziehen zu lassen – wo sie sich einst mit den großstädtischen, königsnahen „Gelbhemden“ Gemetzel geliefert hatten.

Innerroyale Konfliktlinien

Da auch englischsprachige Tageszeitungen wie die Bangkok Post oder The Nation von der Militärregierung zensiert werden, bietet sich erneut eine aufmerksame Bildbetrachtung an. Mit „Bike for Dad“ sind riesige Poster betitelt, die vor allem an den Gebäuden der Bangkoker Polizeistationen hängen und den eher unpopulären 63-jährigen Kronprinzen Maha Vajiralongkorn beim Radfahren zeigen. Im Spätsommer 2015 hatte man sich dies ausgedacht, um Dynamik und Volksnähe zu suggerieren.

Die Gegenpartei wird von der populären, allerdings unverheirateten Kronprinzessin Maha ­Chakri angeführt, die im Falle eines Machtwechsels für ein Weiter so stehen würde. Doch was hieße dies in Thailand, das immer noch den Status eines Schwellenlands hat? Wo lokale Produkte wenig attraktiv für den internationalen Markt sind? Der Militärregierung fällt nichts anderes ein, als Schüler jeden Morgen dubiose „zwölf Grundwerte“ aufsagen zu lassen und massenweise junge Filipino-Lehrer für den Englisch­unterricht anzuheuern, da die einheimischen Lehrer nicht up to date sind. Wie kann die thailändische Wirtschaft, deren Kapitäne auf ministerielle und royale Fingerzeige warten, ihre Lähmung überwinden, wenn nicht frei gesprochen werden darf? Es ist absurd: Der alte König und seine Kinder dürfen als Bilder an den Fassaden der Hotels und Shopping-Malls bewundert, aber nicht namentlich ­benannt werden.

Währenddessen geht der wuselige Kleinhandel auf den Tag- und Nachtmärkten weiter, tauchen betrunkene massige Europäer an der Silom Road in die Schar wartender Prostituierter, wird mit einer Seite aus der Bangkok Post ein ­Fake-Label-T-Shirt ein­gepackt. Streicht man sie glatt, liest man in sehr verklausuliertem Englisch vom plötzlichen Tod eines hohen Polizeioffiziers, der wegen Majestäts­beleidigung angeklagt war und sich in seiner Zelle erhängt habe. „Man not good friend with Prince and Prince very often angry“, wird geflüstert. Ein Zukunftsmodell sähe wahrlich anders aus.

Marko Martin lebt als Schriftsteller in Berlin. Soeben ­erschien von ihm „Madiba Days. Eine südafrikanische Reise“ (Wehrhahn Verlag).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2016, S. 128-129

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