Internationale Presse

31. Dez. 2010

Irland kaputt. Euro auch?

Deutschland ist der europäische Idealismus abhanden gekommen. Und jetzt?

Die Irland-Rettung wirft in den internationalen Medien die Frage nach der Zukunft des Euro auf. Deutschland erhält schlechte Noten – und tatsächlich: Statt des verächtlichen Blicks auf die „Pleite-Iren“ und Co. würde ein bisschen Idealismus nicht schaden.

„Was ist der Unterschied zwischen Island und Irland?“, lautete 2008 eine beliebte Scherzfrage, als der eine atlantische Inselstaat zum Auftakt der globalen Finanzkrise kollabierte und in kürzester Zeit in zuvor ungeahnten wirtschaftlichen Tiefen versank. Die Antwort damals: „Ein Buchstabe und zwei Wochen.“ Nun sind daraus zwei Jahre geworden, und alles ist ungleich gravierender. Zudem ist die europäische Gemeinschaftswährung, ja, vielleicht das europäische Einigungsprojekt selbst in Gefahr.

Es sind längst nicht nur Irlands Banken, von der Cowen-Regierung 2008 überhastet mit Bestandsgarantien ausgestattet, die sich gründlich verspekuliert haben. Die grüne Insel am Rande des Atlantischen Ozeans hat den schnellsten und schwersten Wirtschaftseinbruch eines westlichen Staates seit der Großen Depression von 1929 erlebt. Angesichts ins Bodenlose stürzender Preise wird ihr auch die fragwürdige Ehre zuteil, zum Schauplatz des „wohl größten Immobilienbooms und -krachs in der neueren Geschichte“ geworden zu sein, wie The Guardian unter der Überschrift „Irland: kaputt“ bereits im Oktober erklärte. Dass sich die Wettbürokette Paddy Power kurz vor der Verkündung des von EU und Internationalem Währungsfonds finanzierten Rettungsschirms als Irlands stärkste Finanzinstitution profilierte – weit vor den maroden Banken – passte da nur zu gut ins Bild.

Das Wirtschaftswunder, das der nun wieder zum Kätzchen mutierte keltische Tiger in den vergangenen knapp 20 Jahren erlebte, ließ das lange rückständige Land zeitweise zumindest wirtschaftlich ankommen. Am Ende ist dies den Iren und vor allem einer hoffnungslos verfilzten Politik- und Wirtschaftselite zu Kopf gestiegen – Cowens republikanische Partei Fianna Fáil regierte 75 der vergangenen knapp 90 Jahre –, der Volkszorn richtet sich zu Recht gegen sie. „Als der Aufschwung den Iren die Macht gab, den Einfluss ihrer früheren britischen Oberherrn nicht nur zurückzudrängen, sondern sie sogar manchmal zu überflügeln, verwandelte sich Irlands Euphorie in Irrsinn“, urteilte das amerikanische Magazin Time.

Seit zwei Jahren verflüchtigt sich der Traum vom allgemeinen Wohlstand und macht einer immer tristeren Realität Platz, die die Regierung von Brian Cowen aber stets nur häppchenweise akzeptierte. Als die EU Irland Ende November schließlich die rund 85 Milliarden schwere Rettung praktisch aufzwang, während die Regierung als Gegenleistung zugleich einen drakonischen Sparplan auf den Weg brachte, fielen für kurze Zeit die Weltmedien in Irland ein und sendeten die immergleiche Story. Die Irish Times titelte Ende November „Irland war arm, dann reich, dann arm. Hier kommt die Geschichte von einem Bettler“ und beschrieb dann, „wie es sich anfühlt, wenn man Gegenstand von Katastrophenzonenberichterstattung wird“.

Während die Krise den heimischen Medien überwiegend Futter für die seit Monaten laufende, allgemein als „traumatisch“ beschriebene Selbstbeschau bot, führte sie in ausländischen Zeitungen zu interessanten Vergleichen. Die New York Times etwa stellte fest, dass das Gehalt von Premierminister Cowen (228 000 Euro) immer noch um einiges üppiger ausgestattet ist als das seines britischen Amtskollegen David Cameron (164 000 Euro). Auch die Parlamentarier im irischen Dáil verdienen 30 Prozent mehr als britische Unterhausabgeordnete. Und während EU- und IWF-Vertreter im kleinen Dublin zu Fuß zu Regierungstreffen gingen, rauschten Irlands Minister im Dienstwagen an ihnen vorbei.

Manche einheimische Medien nahmen das Rettungspaket mit einem Aufatmen an. „Dieses Land hat schon so viele schreckliche Monate durchlebt, dass wir an einem kollektiven ‚Gebeutelter-Bürger-Syndrom‘ leiden“, schrieb der Kolumnist Ian O’Doherty im Independent. „Wird es funktionieren? Die Antwort ist leicht: Es muss.“ Und dann, nach der Rettung: „Zumindest kennen wir jetzt die böse Wahrheit. Uns stehen Jahre der Not bevor. Endlich mit Gewissheit ausgestattet und unter Einsatz letzter Reserven an Mut und Widerstandskraft können wir es aber schaffen.“

Ganz anders sah das der beliebte linksgerichtete Kolumnist der Irish Times, Fintan O’Toole. Das Rettungsabkommen sei „der längste Erpresserbrief der Geschichte: Tut, was wir euch sagen, und, nach einer gewissen Zeit, bekommt ihr euer Land zurück“, schrieb er. Irlands Demokratie sei einer „Zombie-Regierung“ zum Opfer gefallen – und da diese sich ja bereits von den „Rüpeln in Westentaschenformat“ an den Spitzen irischer -Banken habe einschüchtern lassen, habe sie auch gegen IWF und EZB nie eine Chance gehabt. Der Verlierer aber sei nicht die schamlose regierende Klasse, sondern das irische Volk, „dessen Sinn für demokratisches Bürgerbewusstsein rüde zur Seite“ geschoben worden sei. Die politischen Institutionen und die Führung der EU seien zu „bloßen Marionetten europäischer Banken und der EZB“ geworden: „Selbst Angela Merkel sah am Ende machtlos aus.“

Während das Land nun sehr harten Sparzeiten und anstehenden Neuwahlen entgegensieht, hat die abermals von Unstimmigkeiten überschattete Rettung der „Pleite-Iren“ (Bild) in der internationalen Presse für große Kritik gesorgt. Das Paket laufe Gefahr, alle Ziele zu verfehlen, schrieb beispielsweise die konservative polnische Tageszeitung Rzeczpospolita: „Erstens ist die so genannte Irland-Hilfe tatsächlich eine Hilfe für westliche Banken – und zwar hauptsächlich für die deutschen und britischen [die auf einem Großteil der irischen Schulden sitzen]. ... So ist für gewisse Zeit Ruhe. Doch wie lange? Zweitens geht es darum, der Öffentlichkeit zu zeigen, dass die europäischen Organe in der Lage sind, die Finanzkrise in Europa zu besiegen. Es bleibt jedoch offen, ob die Europäer das auch glauben … Das dritte Ziel ist, die Finanzmärkte zu beruhigen. Aber das ist bislang nicht gelungen.“ Europäischen Geist bewies wohl nur noch Frankreichs Le Figaro: „Europa ist es zum zweiten Mal in weniger als sechs Monaten gelungen, Stärken zu bündeln und Zwist zu überwinden, um einem Mitgliedstaat in Not zu helfen. Der Rettungsplan … zeugt vor allem vom gemeinsamen Willen, die Unversehrtheit der immer stärker bedrohten Eurozone zu gewährleisten – um jeden Preis.“

In jedem Fall hat die Irland-Krise die Debatte um die Zukunft des Euro vollends ausbrechen lassen – in Irland selbst interessiert diese Frage eher am Rande. Brigid Laffan, Vorstandsmitglied des Dubliner Institute of International and European Affairs, sah in einer der wenigen über den Tellerrand schauenden Betrachtungen in der Irish Times Deutschland in der Pflicht. „Keine deutsche Regierung wird den Euro leichtfertig aufgeben. Um ihn zu erhalten, müssen Deutschland und andere Eurostaaten die Serie von Staatsinsolvenzen aber als europäische und nicht als teileuropäische begreifen.“

Der Kolumnist Roger Cohen von der International Herald Tribune ging vor allem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel hart ins Gericht. Zwar habe Merkel Recht, wenn sie darauf bestehe, dass private Verluste nicht unendlich „sozialisiert“ werden dürften. „Doch wie oberflächlich, armselig und kleinlich ist die deutsche Reaktion auf die Eurokrise ausgefallen?“ Der Europa-Gedanke sei in Deutschland der Verachtung gegenüber den „Eurozonen-Sündern“ gewichen. Dabei liege der Euro nun in Berlins Verantwortung; Deutschland müsse mehr konsumieren, weniger meckern und in größeren Dimensionen denken. „Sonst drohen Staatspleiten innerhalb der Eurozone.“ Die Deutsche Mark könnte zurückkehren, schlug Gerard Baker, stellvertretender Chefredakteur des Wall Street Journal, in der britischen Spectator im Juni vor. Das Cover zeigte den deutschen Adler beim Verlassen des warmen Euronestes.

„Don’t do it“, riet nun Anfang Dezember der Economist eindringlich und zeigte einen Mann mit einem Euromünzen-Kopf auf dem Titelblatt, der sich eine Pistole an die Schläfe hält. Ein Auseinanderbrechen der Gemeinschaftswährung – durch einen Ausstieg schwächerer Mitglieder wie Griechenland, Irland, Portugal oder Spanien oder durch eine Wiedereinführung der D-Mark, an der sich womöglich die Niederlande und Österreich beteiligen – sei nicht nur mit enormen Kosten verbunden, sondern würde zudem eine Kettenreaktion in Gang setzen, die den gemeinsamen Markt und die EU selbst im Kern bedrohe. „Wenngleich viele Länder bedauern mögen, dem Euro beigetreten zu sein, ergibt ein Austritt heute keinen Sinn“, argumentierte das Blatt. „Die Tatsache, dass der Euro überleben soll, bedeutet nicht, dass das auch geschieht. Wenn Europas Politiker nicht weitreichender und schneller handeln, kann es passieren, dass der Euro nicht überlebt. Der Untergang des Euro ist nicht undenkbar, nur sehr teuer.“

In der Financial Times warnt der außenpolitische Chefkommentator Gideon Rachman vor den internationalen Folgen einer solchen Möglichkeit: „Die traurige Wahrheit ist, dass die ganze Welt einen wirtschaftlichen Zusammenbruch innerhalb der EU zu spüren bekommen würde.“ Sollte die Eurozone auseinanderbrechen, hätte das weit über die EU hinaus Folgen. So war die Währung etwa in reichen Golf-Staaten als Alternative zum Dollar sehr willkommen und galt als sicherer Anlagehafen. Auch der Einfluss von Ländern wie China oder den Golf-Staaten könne sich drastisch verändern: China habe sowohl Portugal als auch Griechenland schon konkrete Hilfen angeboten, und die Golf-Staaten könnten schon bald Besucher aus Europa empfangen, die anderes im Sinn hätten, als kalten Wintertemperaturen zu entgehen.

Moises Naim, früherer venezolanischer Handelsminister und langjähriger Chefredakteur des Washingtoner Magazins Foreign Policy, befürchtete in der New York Times sogar „eine Welt ohne Europa“. Das europäische Projekt wirke heute oft mehr wie ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Mittelklasse des Kontinents denn wie ein Ideal, das Hoffnung weckt und Menschen begeistert. Das bedeute aber nicht, dass eine Welt ohne ein integriertes und einflussreiches Europa nicht „für jeden schlechter“ würde: „Ich weiß nicht, ob das ambitionierte Projekt der europäischen Integration die enormen Hürden überwinden wird, vor denen es steht“, schrieb Naim. „Aber ich weiß, dass bei seinem Scheitern die ganze Welt den Preis zahlt.“

Dr. HENNING HOFF arbeitet als Korrespondent in London.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2011, S. 124-127

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