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01. Juli 2006

Implosion eines Traumes

Immer wieder kommt es zu Ausbrüchen der Gewalt. Wird Osttimor zu einem humanitären Dauerpflegefall?

Im Mai 2006 landete erneut eine internationale Eingreiftruppe in Osttimor,
um eine Welle der Gewalt zu beenden. Im Unterschied zu 1999
sind die Ursachen des Konflikts heute hausgemacht. Australien fürchtet
in Osttimor einen humanitären Dauerpflegefall. Zudem kühlt das Verhältnis
Canberras zu Indonesien durch die Ereignisse in Westpapua weiter ab.

Machete-schwingende Banden, Häuser in Flammen und tausende Menschen auf der Flucht: Die jüngsten Bilder aus der osttimoresischen Hauptstadt Dili erinnern an das blutige Ende der indonesischen Besatzung im September 1999. Die ehemalige portugiesische Kolonie versinkt wieder in Chaos und Anarchie. Doch verantwortlich für die Unruhen sind heute die Timoresen selbst. Noch während die Ministerien brennen und die UN-Berater evakuiert werden, steht für die Bevölkerung der Sündenbock bereits fest: die Regierung von Premierminister Mari Alkatiri. Die timoresische Führung um den Präsidenten und ehemaligen Guerrillachef Xanana Gusmão und den Außenminister und Friedensnobelpreisträger José Ramos Horta steht vor einem Scherbenhaufen. Die eilig herbeigerufenen ausländischen Truppen unter australischer Führung wissen, dass sie dieses Mal auf unbestimmte Zeit bleiben werden. Doch als pazifische Feuerwehr sieht sich Australien zunehmend überfordert.1 Das vorläufige Scheitern Osttimors als selbstständiger Staat könnte sich auch als Dämpfer für die Unabhängigkeitsbewegung in der indonesischen Provinz Westpapua erweisen.

Vom UN-Musterland zum Failed State?

Im April 2005 beschloss der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1599, die letzten Blauhelme aus Osttimor abzuziehen.2 Übrig blieb ein politisches Verbindungsbüro, was nicht ganz den Empfehlungen von Kofi Annan entsprach. Der UN-Generalsekretär hatte sich für den Verbleib von knapp 180 Militärbeobachtern ausgesprochen.3 Doch der Sicherheitsrat entschied, dass Osttimor von nun an selbst für seine Sicherheit sorgen sollte. Nach den Desastern in Somalia, Bosnien und Ruanda sowie angesichts des ungewissen Ausgangs der Missionen in Westafrika und im Kosovo brauchten die UN jetzt dringend eine Erfolgsstory.

Osttimor war nach dem Rückzug der Kolonialmacht Portugal im Dezember 1975 von Indonesien besetzt worden. Es folgte ein schmutziger Krieg gegen eine kleine Guerilla, der über die Jahre mehr als 200 000 Menschen das Leben kostete. Am 30. August 1999 entschieden sich 78 Prozent der Osttimoresen in einem UN-Referendum für die Abspaltung von Indonesien. Ende 1999 übernahmen die UN die Kontrolle über das Gebiet. Es folgte ein in der Geschichte der Organisation beispielloser Kraftakt: Aus dem Nichts wurden in einem Gebiet, wo es weder Infrastruktur noch eine Verwaltung gab, ein Staat und eine Nation geschaffen. Mit einer Heerschar internationaler Berater wurden die UN und ihre Unterorganisationen zum Geburtshelfer für Parlament, Ministerien, Justiz, Armee und Polizei. Internationale Hilfsorganisationen sicherten die medizinische Grundversorgung, leisteten Aufbauhilfe beim Bildungssystem und übernahmen die Wasser- und Stromversorgung. Am 20. Mai 2002 wurde Osttimor in einem Festakt in die Unabhängigkeit entlassen.

Schon damals äußerten viele internationale Experten Skepsis: Wovon sollte der Ministaat in Zukunft leben? Nach der Euphorie der Unabhängigkeit breitete sich Katerstimmung in Osttimor aus. Für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage gab es keine Anzeichen. Weder eine industrielle noch eine nennenswerte landwirtschaftliche Produktion konnten die Subsistenzwirtschaft ersetzen. So hoffte man auf Tourismus und die Ölvorkommen vor der Küste. Doch ausländische Investoren kamen nicht – und sind auch bis heute dem Land ferngeblieben. Die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft wiederum fließen nicht direkt in den wirtschaftlichen Kreislauf, sondern zunächst in einen Zukunftsfonds, der die nachhaltige Entwicklung des Landes sichern soll. Die Regierung fährt eine rigide Sparpolitik, bilaterale Kredite oder Weltbank-Anleihen werden prinzipiell nicht aufgenommen. Angesichts dieser Stagnation war die Zuspitzung der sozialen Lage unausweichlich.

Nach dem jüngsten Human Development Report des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) ist Osttimor seit der Unabhängigkeit immer ärmer geworden.4 Fast alle Indikatoren weisen einen negativen Trend aus: Das Pro-Kopf-Einkommen lag 2005 bei nur 370 Dollar. Die Mehrheit der Timoresen muss mit weniger als einem halben Dollar am Tag auskommen, die Kindersterblichkeitsrate ist im regionalen Vergleich alarmierend hoch. Im Human Development Index kam Osttimor 2005 nur auf Platz 140 von 177 Staaten und steht somit hinter Bangladesch an letzter Stelle der asiatischen Länder.5

Begleitet wird die Krise von zunehmender Korruption sowie einem dysfunktionalen Justiz- und Gefängniswesen. In einem Bericht von Human Rights Watch wird auf die gravierenden Missstände bei der Polizei und im Strafvollzug hingewiesen. Folter sei an der Tagesordnung.6 Der demographische Wandel verschärft zudem die Lage. In kaum einem anderen Land wächst die Bevölkerung so schnell wie in Osttimor, wo mehr als die Hälfte jünger als 15 Jahre ist.7 Nach einer unveröffentlichten Studie der International Organization for Migration nimmt die Landflucht zu: Viele junge Leute zieht es angesichts der Perspektivlosigkeit in die Hauptstadt Dili, deren Einwohnerzahl sich in den letzten Jahren fast verdoppelt hat. In den Außenbezirken sind bereits erste Slums entstanden. Gruppen gelangweilter Jugendlicher prägen immer mehr das Straßenbild Dilis. Die Wirtschaftsblase, die von den tausenden UN-Soldaten und Entwicklungshelfern geschaffen wurde, ist nach deren Abzug geplatzt. Es gibt kaum noch Arbeit. Und so ist der Unmut über die Regierenden und ihre UN-Berater überall spürbar.

Die Lage eskaliert

In dieser explosiven Stimmung traf die Regierung im Frühjahr 2006 einen folgenschweren Entschluss: Sie entließ 600 streikende Soldaten fristlos – mehr als ein Drittel der nur knapp 1600 Mann starken Streitkräfte Ost-timors (Forças de Defesa de Timor-Leste, FDTL).

Mit ihrem Streik wollten die Soldaten auf strukturelle Missstände in der Armee aufmerksam machen. Nach der Unabhängigkeit waren die Befehlsränge ausschließlich mit ehemaligen Freiheitskämpfern aus dem Ostteil des Landes besetzt worden. Dort war der Widerstand gegen die indonesische Besatzung am stärksten. Zum Ausgleich wurden Männer aus den westlichen Distrikten in die Armee aufgenommen, allerdings nur als Rekruten. Die Bewohner des Westens (Loro Monu) werden von denen des Ostens (Loro Sae) allgemein mit Misstrauen beäugt. Unterstellt wird ihnen Nähe zu Indonesien, seiner Sprache und Kultur.

Im Gegenzug gingen die obersten Dienstränge der Polizei an Loro Monu, unter ihnen auch an ehemalige Mitglieder der indonesischen Besatzungspolizei und der Milizen. Somit entwickelte sich innerhalb der Armee sowie zwischen den Streitkräften und der Polizei eine wachsende Rivalität. Ende April wurden bei einer Demonstra-tion fünf der entlassenen Soldaten erschossen. Die Lage eskalierte weiter, nachdem Teile der Armee der Polizei eine Unterstützung der Rebellen vorwarfen. Nach einem Massaker an zehn Polizisten durch Soldaten am 25. Mai 2006 übernahmen rivalisierende Banden die Straßen der Hauptstadt.

Rund ein Vierteljahrhundert hatten sie gemeinsam gegen Indonesien gekämpft, nun standen sich die Timoresen aus Ost und West feindlich gegenüber. Doch die Lage ist komplexer: Viele nutzen die Anarchie für Plünderungen und begleichen alte Rechnungen. Es dürfte kein Zufall sein, dass versucht wurde, die Einrichtungen der Wahrheits- und Versöhnungskommission zu zerstören, und dass Akten zu Verbrechen der indonesischen Besatzungszeit aus dem Büro des Generalstaatsanwalts verschwunden sind. Auch nach ihrer Ankunft Ende Mai konnten die internationalen Truppen die Lage nicht beruhigen. Außenminister Ramos Horta übernahm zusätzlich das Verteidigungsministerium und somit die schwierige Aufgabe, Armee und Polizei zu reformieren. Die Frustration und Wut der Bevölkerung konzentriert sich auf Premierminister Alkatiri. Ungeachtet seiner tatsächlichen Schuld an der Krise hätte der während des Unabhängigkeitskampfs im Exil lebende Politiker mit seinem Rücktritt den Konflikt zumindest entschärfen können. Doch der Premier weigert sich und verweist auf die Wahlen im Frühjahr 2007.

Angesichts der Krise wird deutlich, dass die internationale Gemeinschaft sich voreilig auf die Schultern geklopft hat. Noch im vergangenen Jahr hatte eine Weltbankstudie Osttimor unter neun Post-Konflikt-Staaten auf den ersten Platz bei Entwicklung und Stabilität gesetzt.8 Und erst im April, wenige Wochen vor Ausbruch der Unruhen, hatte Weltbank-Präsident Paul Wolfowitz in Dili die Errungenschaften der Regierung gepriesen: „I am pleased to say, this country stands out as an exception.“9 Nun wird deutlich, dass wichtige Fragen im Nation-Building-Prozess unter den Teppich gekehrt worden sind. So war die Straflosigkeit der Verbrechen in der Zeit der indonesischen Besatzung von 1975 bis 1999 ein schlechtes Beispiel für das spätere Verhalten von Justiz und Polizei in einem Rechtsstaat. Auch die strukturellen Probleme in der Armee und der Polizei und das damit einhergehende Konfliktpotenzial waren den UN längst bekannt. Vor allem muss gefragt werden, warum eine Lösung  der dramatischen sozialen Lage nicht zur obersten Priorität gemacht wurde.

Schwierige Nachbarn für Australien

Der Ministaat im Norden bereitete der australischen Regierung um Premierminister John Howard zunehmend Kopfschmerzen. Besonders beim Aufbau des Sicherheitsapparats hatte sich der mächtige Nachbar engagiert. Noch bis vor kurzem waren australische Militärberater für die Ausbildung der FDTL zuständig. Nach dem Kollaps fürchten nun jedoch viele, dass Australien langfristig die Kosten eines verfrühten UN-Rückzugs tragen muss. Einige Beobachter sehen in Osttimor bereits „Australiens Haiti“.10 In diesen Kontext passt auch der jüngste Appell Canberras an die UN und an andere asiatische Nationen, sich an der internationalen Friedenstruppe zu beteiligen. Ein zerfallendes Osttimor ist ein Sicherheitsrisiko für die gesamte Region. Australiens Armee –  auf den Salomonen, im Irak und in Afghanistan im Einsatz – ist an die Grenzen ihrer Kapazität gelangt.

Die Osttimor-Frage stand des Weiteren schon immer im Schatten der Beziehungen zum mächtigen Nachbarn Indonesien. Stets hatte Australien die Integrität des Inselreichs anerkannt und nach 1975 Osttimors Annexion durch Indonesien als unwiderruflich betrachtet – nicht zuletzt aus eigenem Interesse. In der Timorsee wurden schon damals große Ölvorkommen vermutet, und Australien verhandelte mit Jakarta über die Förderrechte. Doch als nach 1999 australische Soldaten die Sicherung der Grenzen Osttimors übernahmen, standen sie dem indonesischen Militär direkt gegenüber. Die Beziehungen zwischen Jakarta und Canberra erreichten ihren historischen Tiefpunkt. Seitdem betrachten viele Indonesier Osttimor als australisches Protektorat – die aktuellen Ereignisse dürften diesen Eindruck nur verstärken. Erst nach den verheerenden Bombenanschlägen auf Bali im Oktober 2002 kam es vor allem im Rahmen des Antiterrorkampfs wieder zu einer intensiveren Zusammenarbeit; normalisiert haben sich die Beziehungen aber nicht.

Die konservative Regierung Howard will jede neue Belastung in den Beziehungen zu Indonesien sowie eine weitere Destabilisierung der Region vermeiden. Dabei könnte die Entwicklung im benachbarten Westpapua zu einem weiteren Stolperstein werden.

Westpapua als neuer Testfall

Der Konflikt in der unmittelbar nördlich von Australien gelegenen indonesischen Provinz war international längst in Vergessenheit geraten. Als jedoch im Februar erstmals Flüchtlinge aus Papua australisches Festland erreichten, stand die Regierung in Canberra vor einem Dilemma: Sollte sie die Flüchtlinge zurückschicken, wie es Indonesien forderte, oder ihnen als politisch Verfolgten Asyl gewähren? Hier standen plötzlich die Beziehungen zu Jakarta wieder auf dem Spiel. Australiens Regierung konnte aber angesichts des öffentlichen Drucks die Internationalisierung des Konflikts in Papua nicht weiter ignorieren.

Lange hatte die Krise im westlichen Teil der Insel Neuguinea geschwelt. Das nach der Gründung Indonesiens bei Holland verbliebene Westpapua war erst durch den von den UN und Indonesien organisierten Act of Free Choice von 1969 zur indonesischen Provinz Irian Jaya, später Papua, geworden. Das damals manipulierte Referendum wird bis heute von der Mehrzahl der Einwohner Papuas nicht anerkannt. Seitdem leistet die zahlenmäßig kleine Freiheitsbewegung OPM (Organisasi Papua Merdeka) hartnäckig Widerstand gegen die indonesische Administration. Immer wieder kommt es zu Repressalien, Folter und Mord. Der Konflikt hat jedoch nicht die Intensität der Auseinandersetzungen in Osttimor erreicht.11 Nach den politischen Umwälzungen in Indonesien seit der Asien--Krise 1997 und den Ereignissen in Osttimor nach 1999 ist die Unabhängigkeitsbewegung stärker geworden. Der Unmut richtet sich vor allem gegen die unverhältnismäßige Militärpräsenz und die von einem US-Konsortium im Herzen Papuas betriebene Freeport-Mine.

Die größte Goldmine der Welt ist eine wichtige Geldquelle für Indonesiens Regierung. Seit Jahren trägt sie knapp zwei Prozent zum indonesischen BIP bei. Allein 2005 belief sich die Summe direkter und indirekter Zahlungen auf eine Milliarde Dollar.12 Von diesem Geld sehen die Einwohner Papuas jedoch nichts, dafür umso mehr von den enormen Umweltschäden. Regelmäßig kommt es zu Protesten. Die in der Nähe der Mine stationierten indonesischen Soldaten, die von den Minenbetreibern Schutzgeld erhalten, reagieren dabei in gewohnt brutaler Manier. 2001 wurde der Unabhängigkeitsführer Theys Eluay von der notorischen Eliteeinheit Kopassus verschleppt und ermordet. Im selben Jahr verabschiedete die indonesische Regierung ein Sonderautonomiegesetz für Westpapua, das unter anderem größere politische Selbstständigkeit, einen teilweisen Abzug des Militärs und eine größere Beteiligung der Papuas an den Freeport-Einnahmen vorsieht. Bis heute besteht es jedoch nur auf dem Papier.

Als die australische Einwanderungsbehörde den 42 Papua-Flüchtlingen, in ihrer Mehrzahl Angehörige verfolgter OPM-Mitglieder, im März schließlich politisches Asyl gewährte, spürte die Bewegung Aufwind. Aktivisten im In- und Ausland feierten die neue internationale Aufmerksamkeit. Ein im australischen Exil lebender OPM-Führer sprach von einem „goldenen Zeitalter“ für Westpapua, da „die Entscheidung der australischen Regierung unsere Rechte anerkennt“.13 In den australischen Medien wurden Parallellen zur Unabhängigkeit Osttimors gezogen.

Unterdessen steuern die Beziehungen zwischen Australien und Indonesien auf ihre größte Krise seit der Landung australischer Truppen in Osttimor 1999 zu. Die indonesische Regierung unter Präsident Susilo Bambang Yudhoyono wirft Canberra unverhohlene Sympathie für ein unabhängiges Westpapua und somit eine Schwächung Indonesiens vor. Der Botschafter in Canberra wurde zurückgerufen. Yudhoyono warnte, Australien solle nicht mit Indonesien spielen. Immer wieder kommt es zu antiaustralischen Protesten in Jakarta und anderen indonesischen Städten. John Howard, der sich von der Asyl-Entscheidung der Einwanderungsbehörde distanzierte, reagierte schnell: In einem Interview am 6. April betonte der australische Premier, Westpapuas Geschichte sei „sehr verschieden“ von der Osttimors. Australien würde „keine wie auch immer geartete Unabhängigkeitsbewegung“ in Westpapua unterstützen.14 Für den 26. Juni wurde ein Krisengipfel zwischen Yudhoyono und Howard auf der indonesischen Insel Batam anberaumt.

Von Osttimor lernen

Durch die Ereignisse in Osttimor ist die Papua-Krise zunächst in den Hintergrund gerückt. Der vorläufige Kollaps des Vorbilds Osttimor dürfte den Bestrebungen nach Unabhängigkeit in Westpapua einen empfindlichen Rückschlag erteilt haben. Die Howard-Regierung hat nun ausreichende Argumente, um die Entstehung eines weiteren schwachen Ministaats in unmittelbarer Nähe nicht zu dulden. Doch nach Ankunft der Flüchtlinge und angesichts des geweckten öffentlichen Interesses kann Australiens Regierung die Westpapua-Frage gleichzeitig nicht mehr als eine innere Angelegenheit Indonesiens abtun. Sie würde den selben Fehler begehen wie vor 1999, als der Konflikt in Osttimor eskalierte. Australien hätte damals viel früher diplomatisch aktiv werden und seine guten Beziehungen zu Jakarta nutzen müssen. In Indonesien sieht sich derweil aber auch Präsident Yudhoyono gezwungen, angesichts des wachsenden nationalistischen Drucks nach dem Verlust Osttimors und nun auch nach dem Friedensabkommen in Aceh im letzten Jahr wieder mehr Stärke zu zeigen. Die bevorzugte militärische Vorgehensweise Indonesiens in solchen Situationen wird die Krise in Westpapua jedoch nur weiter verschärfen. Der Mittelweg für beide Regierungen zur Lösung der Krise ist somit die Umsetzung des Autonomiegesetzes von 2001 durch Indonesien.

Was die Unruhen in Osttimor angeht, so wird es wahrscheinlich wieder eine größere UN-Mission geben, die sich auf ein längeres Mandat einstellen dürfte. Zwar ist es verfrüht, den Nation-Building-Prozess in Osttimor als gescheitert zu bezeichnen. Die staatlichen Institutionen funktionieren weiterhin, und die bald zur Verfügung stehenden Erdöleinnahmen werden dringend benötigtes Geld in die Wirtschaft spülen. Doch zumindest bis zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im kommenden Jahr ist die Präsenz eines Blauhelm-Kontingents unabdingbar. Die Sicherheit des Landes darf dabei nicht ausschließlich Aufgabe Australiens und der ehemaligen Kolonialmacht Portugal bleiben. Beide werfen sich gegenseitig vor, sich zu sehr in die inneren Angelegenheiten Osttimors einzumischen. Selbst in Osttimor glauben nicht wenige, die Unruhen seien von Australien gezielt geschürt worden, um sich des seit den harten Verhandlungen um die Förderrechte in der Timorsee in Canberra unbeliebten Alkatiris zu entledigen. Andere Länder der Region – mit Ausnahme Indonesiens aus historischen Gründen – sind hier gefragt. Malaysia hat bereits Truppen geschickt, Thailand, Japan und Singapur wären dazu bereit. Schließlich würde den Timoresen gezeigt, dass sie sich in solchen Situationen nicht einseitig auf Australien verlassen müssen. ASEAN, der Südost-asiatische Staatenverbund, könnte sich beispielsweise in solchen Missionen engagieren. Im Idealfall könnten so in Zukunft auch Krisen wie solche zwischen Canberra und Jakarta vermieden werden.

Abschließend bleibt zu hoffen, dass sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit auch die Europäische Union im Rahmen des jüngst unterzeichneten AKP-Cotonou-Abkommens stärker in Osttimor engagiert.

TILL SKROBEK, geb. 1977, ist Politikwissenschaftler. Im Rahmen des Stiftungskollegs für internationale Aufgaben 2005 u.a. Aufenthalte bei der Weltbank in Indonesien und bei der International Organization for Migration in Osttimor.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2006, S. 115‑120

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