Im Sprung gestoppt
Warum Spaniens Wirtschaft abgestürzt ist
Der Absturz war gewaltig. Nach dem Boom der spanischen Wirtschaft zwischen 1996 und 2005 traf die Krise 2008 das Land heftig. Nach wie vor neigt die Wirtschaft zur Immobilität, doch sie hätte das Zeug, international konkurrenzfähig zu werden – wären da nicht die Sparexzesse, die gute Ansätze in Bildung und Industrieförderung abwürgen.
Hinter dem Madrider Bahnhof Atocha liegt ein einfaches Wohnviertel, in dem die Schilder „Zu verkaufen“ an Türen, Balkons und Fenstern besonders häufig sind. Hier leben junge Familien, Rentner, Einwanderer, Menschen, die den Traum vom eigenen Heim träumten, den die spanische Immobilienkrise in einen Albtraum verwandelt hat.
Dort, in der Calle Embajadores, zwischen einem Geschäft für Badzubehör und einem billigen China-Restaurant, hat der spanische Verband der Kunden von Versicherungen, Banken und Sparkassen (ADICAE) seinen Sitz. Am Straßenrand versucht ein älterer Herr vergeblich, einen Parkschein zu ziehen. „Können Sie mir mal erklären, wie diese Dinger funktionieren“, bittet er. Kurze Zeit später steht er in der Schlange der Hilfesuchenden im Büro von ADICAE, wo Menschen beraten werden, die ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können oder sich von ihren Banken dubiose Geldanlagen haben aufschwatzen lassen. Man fragt sich unwillkürlich: Wie soll ein Mann hochriskante Papiere begreifen, der nicht mal einen Parkautomaten versteht?
Bei ADICAE bündeln sich die Geschichten über unseriöse Praktiken spanischer Banken. Seit Beginn der Krise hat sich die Mitgliederzahl des Verbands mehr als verdoppelt – auf 120 000. Während der Jahre des Immobilienbooms waren Geldhäuser äußerst freigiebig mit Hypothekenkrediten, nach Sicherheiten wurde kaum gefragt. Wer am Schalter vorsprach, dem wurden oft nicht nur ein Kredit für Haus oder Wohnung, sondern gleich noch einer für Auto und Flachbildfernseher hinterhergeworfen. „Kleinsparer wurden zu Spekulanten gemacht“, sagt Fernando Herrero, Generalsekretär von ADICAE. „Unsere Hauptaufgabe liegt darin, kritische Konsumenten zu schaffen.“ Die Spanier seien in den Boomjahren einfach zu vertrauensselig gewesen.
Es war eine Zeit der Raserei: Zwischen 1996 und 2005 hat sich Spanien stärker verändert als jedes andere europäische Land. In Phasen der Hochkonjunktur wurden mehr Wohnungen gebaut als in England, Frankreich und Deutschland zusammen. Die Bauwirtschaft entwickelte sich zu einer industriellen Monokultur mit kurzer Blüte. Das Pro-Kopf-Einkommen verdoppelte sich innerhalb eines Jahrzehnts, die Spanier schafften die Siesta ab, passten sich an europäische Arbeitsabläufe an und zogen in Reihenhaussiedlungen, die sich mangels eigenen Stils an holländischen, britischen oder dänischen Vorbildern orientierten.
Der Konsum explodierte, oft auf Pump, parallel dazu wurde das Sozialsystem mitteleuropäischen Standards angepasst. Kurz: Die Spanier taten, wie Europa sie geheißen hatte, denn die Angleichung der Lebensverhältnisse und des Kostenniveaus war ja gewünscht im Euro-Raum, nicht zuletzt, um einen Warenabsatzmarkt zu gewinnen. Von 1996 bis 2002 wurden in Spanien vier Millionen Arbeitsplätze geschaffen – und seit 2008 durch die Immobilienkrise und den Zusammenbruch der Bauwirtschaft wieder vernichtet.
Der kranke Mann Europas
Es ist ein gewaltiger Absturz. Nach dem EU-Beitritt 1986 schien „Spanien auf dem Weg des Fortschritts und Wohlstands“, schrieb der Philosoph Juan Goytisolo kürzlich in der Tageszeitung El País. „Es war die Ära des Ziegelsteins, des schnellen Kredits, der glücklichen Ankunft des Euro, der pharaonischen Projekte und des verschwendeten Geldes.“ Doch der Übergang von der Armut zum fiktiven Reichtum habe sich zu abrupt vollzogen, ohne Wandel in Kultur und Bildung. Und nun sei dieses „verschwenderische Land der Kaziken, Frucht der Megalomanie der Spekulanten, wieder der kranke Mann Europas“.
Dass es trotz gewaltiger Fördergelder aus Brüssel nicht gelang, Spaniens Wirtschaft international konkurrenzfähig zu machen, hat historische Gründe. Juan Goytisolo beschrieb bereits 1969 in seinem Standardwerk „Spanien und die Spanier“, wie sich erst durch die Inquisition und später den fortschrittsfeindlichen Nationalkatholizismus ein antiökonomisches Denken durchsetzte, durch das das Land den Anschluss an Aufklärung, Naturwissenschaften und industrielle Revolution verlor.
Die katalanischen Zuckerbarone, die im 19. Jahrhundert in der damaligen Kolonie Kuba reich wurden, steckten ihre Gewinne bevorzugt in Prachtbauten, anstatt sie zu reinvestieren. In Barcelona wuchsen repräsentative Viertel in die Höhe, die der Stadt heute ihren touristischen Reiz verleihen. Doch ansonsten verharrte Spanien in einem politischen und wirtschaftlichen immobilen Isolationismus, der bis in die Franco-Diktatur (1939–1975) dauerte. Die Ökonomie war vom Staat gesteuert. Franco verstärkte den ohnehin vorhandenen Hang zur Immobilität, indem er die Spanier durch gezielte Förderung zu einem Volk der Wohnungsbesitzer machte. Erst Ende der sechziger Jahre öffnete sich das Land für den Massentourismus, der seither die wichtigste Einnahmequelle geblieben ist.
Ein Land erfindet sich neu
Nach Francos Tod wurde Spanien demokratisch, liberaler, kreativer, offener und auch attraktiver für junge Europäer: Spanien ist das beliebteste Erasmus-Zielland. „Die Gesellschaft ist sozial schneller gereift als das Wirtschaftssystem und die Politikerkaste“, glaubt der Madrider Wirtschaftshistoriker Mauro Hernández. Das zeigte sich etwa in der ultraliberalen Politik des konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar (1996–2004), die die Immobilienblase aufpumpte. Sie zerplatzte in der Hand seines sozialistischen Nachfolgers José Luis Rodríguez Zapatero, der die Krise zwar vorausgeahnt hatte, sich aber nicht traute, den Boom zu stoppen.
Im Dezember 2011 statteten die spanischen Wähler den Konservativen Mariano Rajoy mit einer komfortablen Mehrheit aus, er gehört derselben Partei an wie Aznar. „Die Brandstifter wurden zum Löschen gerufen“, schrieb der Journalist und Essayist Enric Juliana. Rajoy glaubte, seine bloße Präsenz an der Staatsspitze würde die misstrauischen Märkte beruhigen, die Spanien durch immer höhere Zinsforderungen für Staatsanleihen dem Bankrott zutreiben. Doch das Gegenteil passierte. Im August 2012 gab Rajoy zu, dass die Krise es ihm nicht erlaubt hätte, seine Wahlversprechen zu halten, etwa die Mehrwertsteuer oder die Hochschulgebühren unangetastet zu lassen. Die spanische Ausgabe der Internetzeitung Huffington Post rechnete im September aus, dass es 39 Minuten dauern würde, wollte Rajoy sich nach dem Vorbild des britischen Liberalen Nick Clegg für nicht eingehaltene Zusagen öffentlich entschuldigen.
Da Spaniens drohende Pleite den Euro gefährdet, hat das „Brüsseler Direktorium“, wie Enric Juliana es nennt, dem Land einen harten Sparkurs verordnet. Das 100-Milliarden-Sparprogramm, das die Regierung Rajoy im Sommer 2012 verabschiedete, ist die Gegenleistung für die Rettung der maroden spanischen Banken, die Europa zugesagt hat. Zuvor bereits hatte Rajoy den „Arbeitsmarkt reformiert“, was nichts anderes hieß als Lockerung des Kündigungsschutzes. Das sollte Unternehmern Neueinstellungen schmackhaft machen, aber vorerst beschränken sich diese aufs Kündigen – was die Arbeitslosigkeit nochmal ordentlich in die Höhe getrieben hat.
Vielen Betrieben bleibt auch nichts anderes übrig: Die klammen Banken vergeben kaum noch Kredite, und der Staat fällt als Auftraggeber aus. Die Einsparungen haben zwar viele Exzesse in den Verwaltungen bereinigt, leider aber auch gute Ansätze zunichte gemacht; so ist etwa die Solarförderung völlig zum Erliegen gekommen. Die Krise, so Ministerpräsident Rajoy, sei eine Folge der Tatsache, dass Spanien über seine Verhältnisse gelebt habe. Leider aber beherzigt die politische Klasse ihre eigene Rhetorik nicht. Erst im September 2012 hat die konservative Regionalregierung von Madrid dem US-Milliardär Sheldon Adelson genehmigt, eine gewaltige Kasinolandschaft namens „Euro-Vegas“ in die Einöde nahe der Hauptstadt zu stellen. Sie soll Tausende Billigarbeitsplätze schaffen, bringe das Land aber garantiert nicht auf den Weg der Innovation und Produktivität, kritisierte u.a. der frühere Regierungschef Felipe González.
Doch: Stimmt die These von der Schuld der Schuldner? „Was ist denn bitte daran falsch, seine eigene Wohnung haben zu wollen?“, fragt Vicente Pérez, Sprecher der „Plattform gegen Wohnungsräumungen“, die säumigen Schuldnern hilft, die von den Banken aus ihren Wohnungen geworfen werden sollen. In dem winzigen Büro nahe der großen Stierkampfarena in Madrid stapeln sich die Ordner. Eine Million Spanier sei von Zwangsräumung bedroht, sagt Pérez. Auch bolivianischen Immigrantenfamilien sei schier nichts anderes übriggeblieben, als sich auf riskante Käufe einzulassen, schließlich existiert in Spanien praktisch kein Mietmarkt.
Das müsse sich ändern, fordert Pérez. Er verlangt die „soziale Miete“ für Wohnungen, für die die Banken ohnehin kein Geld mehr bekämen. Unter der konservativen Regierung ist die Chance auf eine Durchsetzung dieser Forderung zwar gleich Null, sie wird aber von einer großen Zahl Menschen geteilt, die sich der Bewegung „15 M“ angeschlossen haben, die am 15. Mai 2011 als Reaktion auf die erste drastische Sparrunde an der Puerta del Sol in Madrid entstand. Sie schafft es derzeit als einzige politische Kraft, Hunderttausende zu mobilisieren. Streikende Bergarbeiter und Lehrer, notleidende Rentner und Studenten ohne Zukunftsperspektive füllen bei Aktionen des 15 M die Plätze Spaniens.
Die Bewegung 15 M hat allen Parteien die Gefolgschaft aufgekündigt. Das Parteiensystem ist erschüttert, die beiden großen Kräfte – Konservative und Sozialisten – sind diskreditiert, neue nicht in Sicht. Es ist ähnlich wie in Argentinien während des Krisenjahrs 2001/02, als die Menschen durch die Straßen von Buenos Aires zogen und – an ihre Politiker gerichtet – riefen: „Sie sollen alle abhauen.“ In sozialen Netzwerken wie Democrácia Real Ya (Wirkliche Demokratie Jetzt) wird eifrig diskutiert, ob es nicht besser wäre, zur Peseta zurückzukehren, als sich von Brüssel und Berlin Maßnahmen diktieren zu lassen.
Der Journalist Enric Juliana schreibt, Spanien müsse nach dem Konsumrausch zu einem moderaten Lebensstil zurückfinden. Das würde auch funktionieren, meint er, wenn Europa die Notwendigkeiten nachvollziehbar erklären würde, anstatt die Menschen des Südens zu demütigen. Diese überleben derweil mit Familiensolidarität und Schwarzarbeit, die nach Schätzungen fast ein Viertel des spanischen Bruttoinlandsprodukts ausmacht. Diesen Sektor in legale Bahnen zu überführen, würde Spanien binnen kurzem von einem Großteil seiner Probleme befreien. Doch der Regierung fehlen dazu die Kraft, der Wille und die Initiative. Kontrollinstanzen werden in Zeiten des Sparens eher abgebaut.
Bildungssystem unter Druck
Besonders stark betroffen von Einsparungen ist das Bildungssystem. Mitte April erließ die Regierung ein Dekret „Sofortmaßnahmen zur Rationalisierung im öffentlichen Bildungswesen“, das 20 Prozent der gesamten 100-Milliarden-Sparsumme aufbringen soll. Landauf, landab drohen Bürgermeister, sie müssten Schulen schließen. Und an den Universitäten fällt, wenn das Sparpaket ganz umgesetzt wird, ein Drittel der Dozentenstellen weg. Das wilde Kündigen hat schon begonnen. Mitarbeiter der Universität König Juan Carlos in Madrid erfuhren von ihrem Rauswurf fast zufällig, am Geldautomaten: Man hatte ihnen ohne vorherige Ankündigung 10 000 Euro Abfindung überwiesen.
Es treffe vor allem den akademischen Nachwuchs, die Besten und Fleißigsten, die zehn und mehr Jahre Bildung hinter sich hätten und nun mit leeren Händen dastünden, schrieb Pedro José Gómez Serrano, Direktor der Fakultät für angewandte Wirtschaftswissenschaften an der Universidad Complutense von Madrid kürzlich in einem Brandbrief an El País. „Das Damoklesschwert hängt über der vielversprechendsten Generation Spaniens.“ Den Umkehrschluss spricht er nicht aus: nämlich, dass diejenigen, die ihre Posten behalten, oft die Bequemen und Arrivierten sind, mit den sicheren Verträgen aus alter Zeit.
Dabei war der konservative Bildungsminister José Ignacio Wert im Januar mit dem Versprechen angetreten, in Spanien „die Kultur der Mittelmäßigkeit und Bestrafung der Exzellenz“ zu beenden – er kündigte eine Strukturreform der Universitäten an, die nun allerdings ganz aufs Sparen hinausläuft. Professor Gómez Serrano zufolge existiert „eine bemerkenswerte Diskrepanz“ zwischen der Sparpolitik und dem „offiziellen Diskurs, der mehr Forschung, Qualität, Internationalisierung und individuelle Förderung fordert“. Erfolg versprechende Versuche, die Defizite des spanischen Bildungssystems zu korrigieren, würden zunichte gemacht. Das widerspreche „der Herausforderung unserer Zeit – der Konsolidierung unseres Ausbildungssystems, um unser Land fit zu machen für globale Herausforderungen“.
Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hatten schon die früheren Ausbildungsdefizite dazu beigetragen, dass Spaniens Wirtschaft international nicht konkurrenzfähig ist. Immer mehr junge Leute fliehen vor der Misere ins Ausland. Die Krise hat die spanische Jugend zur dynamischsten Europas gemacht. Das Interesse am Auslandsstudium ist laut Eurostat seit Juni 2011 um 156 Prozent gestiegen. Spanien ist bereits jetzt stärkstes Entsende-Land für Studenten, die mit einem Erasmus-Stipendium ins Ausland gehen.
40 Prozent der Absolventen technischer Studiengänge in Spanien wollen sich nach einer Stelle im Ausland umsehen. Das geht aus der größten Absolventenbefragung Europas hervor, die das Berliner Trendence-Institut jüngst veröffentlichte. Doch das ist nicht so leicht. „Was in Spanien ein Uni-Abschluss ist, taugt bei uns oft nur für eine Stelle als Facharbeiter“, sagt Guido Rebstock vom Arbeitsamt Schwäbisch-Hall, wo wegen des Fachkräftemangels zuletzt eine große Anwerbeaktion in Südeuropa gestartet wurde. Vielen Bewerbern fehlt der Praxisbezug. Nur 20 Prozent der Spanier sammeln praktische Erfahrung im Studium, in Deutschland sind es 60 Prozent.
Carlos Knapp-Boetticher vom Madrider Ableger des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) hat dennoch Hoffnung für Spanien. Die nachwachsende Generation sei weniger introvertiert als frühere, was heißen soll: Sie ist weltoffener, klebt weniger an der eigenen Scholle – und der eigenen Immobilie – als die heutige Elterngeneration. Der Wissensstand etwa von Ingenieuren beschränke sich überwiegend auf die Theorie. Jedoch: „Wenn man sie auf die Praxis loslässt, bringt das oft große Erfolge.“ Man müsse ihnen nur Gelegenheit dazu geben. Doch die besteht derzeit fast ausschließlich in der Emigration.
In notleidenden Regionen wie La Mancha lädt man sogar gezielt Anwerber aus deutschen Regionen ein wie etwa dem Emsland, die Nachwuchs suchen. „Wir dachten zuerst, wir können denen doch nicht die Leute wegnehmen“, berichtet Dirk Lüerßen, Geschäftsführer der Wirtschaftsinitiative „Wachstumsregion Ems-Achse“. Doch dann sagte ihm ein Schulrektor aus Albacete: „Nehmen sie so viele sie können, und nehmen sie unsere Besten.“ Enric Juliana spricht bereits von der „Mexikanisierung Südeuropas“.
Es besteht zwar kaum ein Zweifel, dass die meisten Auswanderer – so wie ihre Großelterngeneration der sechziger Jahre – eines Tages mit neuen Kenntnissen nach Spanien zurückkehren werden, weil die Spanier an Heimat und Familie hängen. Doch trotzdem ist nicht jeder davon überzeugt, dass der Braindrain eine gute Sache ist. Im Baskenland, das wegen seiner gesunden Industriestruktur verhältnismäßig gut dasteht, wirbt die Energieanlagen-Firma Wattio mit einer pfiffigen Webseite um Nachwuchskräfte. Dort wird aufgeführt, was jungen Spaniern in Deutschland droht: Bierbauch, kühle Frauen und Entfremdung von der Familie. Die Alternative heißt deshalb: „Komm zu uns ins Baskenland.“
Was also braucht Spanien? Es braucht Zuversicht und Initiative. Und die gibt es, nicht nur im Baskenland. Ignacio Triana etwa ist gerade umgezogen. Die Adresse seines Büros lautet jetzt Calle Alcalá 96, beste Lage in Madrid, es ist größer als das alte, denn seine Firma expandiert, mitten in der Krise. Vor zwei Jahren hat er mit 20 Leuten begonnen, jetzt sind es 200. „Dabei haben mich damals alle für verrückt erklärt, einen festen Job aufzugeben, um etwas zu beginnen.“
Seine Firma Forus baut Sportstätten für die untere Mittelschicht. Keine pharaonischen Luxusobjekte, wie sie im Spanien der Immobilienblase in bald jedes Dorf gepflanzt wurden, sondern funktionale Breitensportanlagen. Das Besondere: Die Firma plant, designt und baut die Anlagen nicht nur selbst, sie betreibt sie auch. Es gibt dort alles, was das Sportlerherz erfreut, Laufbänder, Schwimmbecken, Krafträume, Wellness. Die Beiträge sind bewusst niedrig gehalten, um die 40 Euro im Monat, die Masse soll es machen. Und in der Krise wächst der Wunsch, Sport zu treiben. „Die Krise war der beste Moment, etwas zu beginnen“, sagt er. Die Konkurrenz sei gering, die Baufirmen froh über Aufträge.
Es werde zu hart mit Spanien umgegangen, findet Triana. „Hier wird verdammt viel gearbeitet, die letzte Siesta habe ich als Student gehalten.“ Er erinnert daran, dass Spanien seit den neunziger Jahren ein Dutzend Weltkonzerne hervorgebracht hat: Inditex zum Beispiel, dessen „Zara“-Klamotten die halbe Welt trägt. Oder die Energieversorger Iberdrola und Endesa. Oder den Ölkonzern Repsol. Oder die Telefónica, die über O2 auch auf dem deutschen Markt präsent ist. Oder die baskische Autozuliefererindustrie, die zweitgrößte Europas. Oder die Banken BBVA und Santander, die trotz Krise wegen ihrer ausgewogenen und relativ konservativen Geschäftsmodelle noch immer zu den gesündesten Europas gehören.
Alle diese Firmen haben eines gemeinsam: Sie sind stark im Lateinamerika-Geschäft. Spanien ist eine wachsende Exportnation. Der lahmende Binnenkonsum hat dem Land einen Überschuss im Außenhandel eingetragen, vor allem der enge Kontakt zu den ehemaligen Kolonien bewahrt die spanische Wirtschaft vor noch größeren Problemen. In Lateinamerika werden 30 Prozent der Wirtschaftsleistung erbracht. Das birgt auch für Europa Chancen, denn Spanien ist das Tor zu dem Wachstumsmarkt in Übersee. Die Zukunft Spaniens, so glaubt der Schriftsteller Enric Juliana, liegt jenseits des Atlantiks.
Sebastian Schoepp ist außenpolitischer Redakteur der Süddeutschen Zeitung und dort für Spanien und Lateinamerika zuständig.
Internationale Politik 6, November/ Dezember 2012, S. 68-75