IP

01. Mai 2008

Grün lackierter Irrsinn

Die Verheißung klang so herrlich, doch die Biosprit-Euphorie hat fatale Folgen

Nun häufen sich die schlechten Nachrichten: In Swaziland droht Hunger. Weil das kleine südafrikanische Königreich aus seinem Grundnahrungsmittel Cassava neuerdings Biosprit gewinnt. In Haiti gab es im April blutige Massenproteste – wegen explodierender Lebensmittelpreise. Wie zuvor in Indonesien, Burkina Faso, Marokko, Senegal, im Jemen und und und. In Bangladesch verteilt die Armee Reis, weil die Leute ihn nicht mehr bezahlen können. Die Welternährungsorganisation FAO spricht von einer „ernsthaften Krise“ und meldet: Die weltweiten Nahrungsvorräte sind auf dem niedrigsten Stand seit 1980. Wie immer kommt vieles zusammen. Nicht alle Ernten sind gut ausgefallen in den letzten Jahren, auch aufgrund von Klimaproblemen. Die Zahl der Esser steigt weiter. Derzeit wächst die Besatzung auf Mutter Erde um etwa 87 Millionen Menschen pro Jahr. Die Essgewohnheiten ändern sich: Inder und Chinesen verlangen mit wachsendem Wohlstand nach immer mehr Fleisch und Milchprodukten, die deutlich mehr Land und Getreide benötigen.

Ein herausragender Grund aber ist der Boom des so genannten Biosprits Ethanol. Von vielen Regierungen gefördert, um die CO2-Bilanz anzuhübschen und die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern. Die indonesische Regierung will die Palmölproduktion vervierfachen, dafür noch viel mehr Regenwald abholzen, im Wettkampf mit Malaysia. Brasilien expandiert den Zuckerrohranbau. Auch Indien und Südafrika forcieren die Ethanol-Produktion. In den USA stellen die Großbauern en masse um. George Bushs Energy Act diktiert, dass der US-Autofahrer binnen zehn Jahren mindestens 36 Milliarden Gallonen Biosprit verfahren soll, etwa das Achtfache der aktuellen Menge. Ein Goldrausch für das Agrobusiness. Was prophezeite einst die grüne Landwirtschaftsministerin Renate Künast? Die Bauern seien die „Ölscheichs von morgen“.

Nachwachsende Rohstoffe? Klingt gut. „Bio“ sowieso. Doch das Etikett ist Augenwischerei. Gewiss, das Wachstum der Pflanzen ist ein biologischer Vorgang. Doch dafür kommen Unmengen Schädlingsbekämpfungs- und Düngemittel zum Einsatz. Die gigantischen Flächenrodungen für den Sprit-Ackerbau setzen massenhaft Kohlendioxid und andere Treibhausgase frei. Anbau, Ernte, Produktion konsumieren viel Energie. Der Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen hat vorgerechnet, dass aus Mais produziertes Ethanol mehr zur Erderwärmung beiträgt als klassisches Benzin. Fataler noch: Je mehr Ackerland von Pflanzen okkupiert wird, die Treibstoff für die gierigen Tanks unserer Autos produzieren, desto weniger bleibt für die Nahrungsmittelproduktion übrig. Die Rekord-Maisernte der USA 2007 wurde bereits zu einem Drittel zu Sprit verarbeitet.

Nun sind alle ganz erschrocken. Biosprit frisst vielen buchstäblich die Nahrung weg. Sollten wir, wie geplant, bald 20 Prozent unseres wachsenden Ölbedarfs mit Biosprit decken, meint Nestlé-Boss Peter Brabeck-Letmathe, „wird nichts zu essen übrigbleiben“. Jean Ziegler, Sonderberichterstatter der UN, spricht von einem „Verbrechen gegen die Menschheit“. John Beddington, Chief Scientific Adviser der britischen Regierung, warnt, der Wettlauf ums Öl vom Acker gefährde das Leben von Milliarden Menschen. Selbst der IWF fürchtet plötzlich die Zerstörungskräfte des Marktes und mahnt, Biosprit könne die Nahrungsmittelpreise weiter in die Höhe treiben.

Schon passiert. Die Weltgetreidevorräte sind knapp wie nie. Der Maispreis hat sich letztes Jahr verdoppelt, der Weizenpreis kletterte um 50 Prozent. Die Fleischpreise steigen, weil das Viehfutter teuerer wird. Wie alles Futter: Weltweit stiegen Nahrungsmittelpreise in drei Jahren um 83 Prozent. Weil es in Mexiko schon mehrere Unruhen gab, sprechen Ökonomen bereits vom „Tortilla-Effekt“. Die Weltbank rechnet vor: Mit 200 Kilo Mais kann man einmal den Tank eines jener Minikampfpanzer füllen, die gerade in Großstädten so gern gefahren werden. Oder einen Menschen ein Jahr lang ernähren. Lester Brown, Präsident des Worldwatch Institute, sagt: „Der Konkurrenzkampf um Getreide zwischen den 800 Millionen Autofahrern der Welt, die mobil bleiben, und den zwei Milliarden Ärmsten, die schlicht überleben wollen, nimmt epische Ausmaße an.“

Zur Klarstellung: Nicht alle Biotreibstoffe sind Unsinn. Biogas etwa, aus Speiseresten, Gülle, Restholz und Ernteabfällen gewonnen und lokal verarbeitet, ist eine gute Sache. Künftige Techniken der Sprit-Gewinnung, die nicht essbare Rohstoffe verwerten, könnten eine gute Umweltbilanz haben. Der Anbau von Nutzpflanzen zur Energieproduktion aber bietet keinen echten Ausweg. Auch nicht der in Deutschland so beliebte Biodiesel, vermarktet unter Namen wie „Flower Power“. Das Umweltbundesamt hat längst errechnet, dass so „maximal etwa fünf Prozent des im Verkehrssektor benötigten Dieselkraftstoffs ersetzt und ein bis vier Prozent der Treibhausgasemissionen in diesem Bereich vermieden“ werden. Und nur, wenn 50 Prozent der deutschen Ackerfläche dafür vergeudet werden.

Wir sind zu kurz gesprungen. Dieser Plan war dumm. Lobbyisten und manche Politiker predigten uns: Wir müssen gar nichts ändern an unseren Gewohnheiten, wir holen unseren Sprit jetzt einfach vom Feld, hurra. Sie wiesen uns den scheinbar schmerzfreien Ausweg: keine Kriege mehr ums Öl und weiter tüchtig Auto fahren. Für manche ist diese Strategie heute ein sicheres -Geschäft. Aber sie löst keine Probleme. Sie schafft nur neue.

TOM SCHIMMECK, geb. 1959, schreibt als freier Journalist über Politik und Wissenschaft für Zeitungen, Magazine und fürs Radio.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, Mai 2008, S. 126 - 127

Teilen

Mehr von den Autoren