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01. Febr. 2006

Globales Klima – deutsche Technik

Warum der Einsatz deutscher Energietechnik im Ausland sinnvoller ist als bei uns

Vermeidung von klimaschädlichen CO2-Emissionen ist hierzulande viel teurer als in Entwicklungsländern. Smarte Klimapolitik wäre es also, deutsche Energieeffizienz-Technologie in alle Welt zu exportieren: Davon profitierten nicht nur deutsche Unternehmen, sondern die ganze Umwelt. Es wird Zeit, dass die Politik diese Chance erkennt und fördert.

Der Klimagipfel in Montreal Ende vergangenen Jahres wurde buchstäblich in letzter Minute durch das Einlenken der USA vor dem Scheitern auf ganzer Linie bewahrt. Die Freude über die Rettung konnte nicht lange darüber hinwegtäuschen, dass das Problem keineswegs gelöst ist.

Der Klimawandel hat längst begonnen und ist nicht mehr aufzuhalten. Entscheidend ist die Frage, ob sich die Temperaturerhöhung so weit beschränken lässt, dass keine verheerenden Veränderungen für die globalen Ökosysteme und damit für die Lebensgrundlage ganzer Völker eintreten. Der allgemein anerkannte Intergovernmental Panel on Climate Change geht davon aus, dass ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um höchstens zwei Grad bis 2100 gerade noch verkraftbar wäre. Um diesen kontrollierten Anstieg nicht zu überschreiten, müssen die globalen Treibhausgas-Emissionen etwa auf heutigem Niveau eingefroren werden. Dieses Ziel ist angesichts der schnell wachsenden Volkswirtschaften Asiens viel ehrgeiziger, als es zunächst klingt. Und: Seine Einhaltung kostet viel Geld.

Die volkswirtschaftlichen Kosten des Klimaschutzes hängen ganz entscheidend von seiner konkreten Umsetzung ab. Nur wenn Klimagase dort vermieden werden, wo dies am billigsten ist, werden gravierende Wohlfahrtseinbußen für die Weltwirtschaft ausbleiben. Da sich atmosphärische Gase frei über Ländergrenzen bewegen, spielt es keine Rolle, ob eine Tonne Kohlendioxid in Brasilien, China oder hierzulande emittiert wird. Für das Klima ist es daher gleichgültig, wo Treibhausgase vermieden werden – nicht aber für die Kosten.

Es liegt auf der Hand, dass der CO2-Ausstoß leichter, sprich: billiger dort verringert werden kann, wo die industriellen Anlagen alt und ineffizient sind. Ein durchschnittliches deutsches Kohlekraftwerk hat einen Wirkungsgrad von 38 Prozent, d.h. 38 Prozent der eingesetzten Primärenergie wird in Strom verwandelt, der Rest verpufft ungenutzt als Wärme in den Turbinen. Chinesische Kohlekraftwerke setzen im Schnitt nur 23 Prozent der eingesetzten Energie in Elektrizität um. Rüstet man beide Kraftwerke auf modernsten technischen Standard von rund 43 Prozent Wirkungsgrad auf, so erspart diese Maßnahme der Atmosphäre in der chinesischen Anlage fast siebenmal mehr CO2 als in der deutschen. Geht man nun in dieser groben Abschätzung davon aus, dass die Umrüstung in beiden Ländern mit vergleichbaren Kosten verbunden ist, so wird deutlich, wie viel billiger die Vermeidung einer Tonne Kohlendioxid in Schwellen- oder Entwicklungsländern ist als hierzulande. Der Ökonom spricht von geringeren Grenzvermeidungskosten. Nun stößt die Forderung, das Gros der CO2-Einsparungen solle anderswo als in Deutschland erreicht werden, nicht nur auf Zustimmung. So scheint es vielen doch eine Frage des Anstands zu sein, zunächst und vor allem vor der eigenen Haustür zu kehren. Diese Kritik ist moralisch nachvollziehbar, aber den Zielen des Klimaschutzes abträglich. Die Aufgabe des Klimaschutzes ist eine globale, und die Minimierung der Kosten des Unterfangens kommt allen zugute. Je billiger die Vermeidung einer einzelnen Tonne Kohlendioxid die Weltwirtschaft zu stehen kommt, desto mehr Emissionen können insgesamt vermieden werden. Die Frage lautet also: Wie viel kostet die Einsparung etwa einer Tonne CO2 im Vergleich?

In Deutschland haben sich gerade die Grünen für eine Klimaschutzpolitik stark gemacht, die vor allem auf nationale Maßnahmen setzt – ob beim Ausbau erneuerbarer Energien oder bei der Effizienzsteigerung industrieller Anlagen. Das ist ehrenhaft. Nun sind aber Klimaschutzmaßnahmen in Deutschland im internationalen Vergleich sehr teuer. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen bringen Effizienzmaßnahmen, wie oben am Beispiel eines Kohlekraftwerks dargestellt, meist nur noch kleine Verbesserungen, weil die Technik hierzulande oft schon weit fortgeschritten ist und eine relativ geringe Effi-zienzsteigerung sehr viel Geld kosten würde. Zum anderen sind die klimatischen und geographischen Voraussetzungen für erneuerbare Energien hierzulande nicht optimal. Sonne und Wind geben in unseren Breiten weit weniger her als etwa in Afrika oder am Pazifik.

Kosteneffizienz im Klimaschutz

Dies soll keineswegs heißen, dass die nationalen Klimaschutzanstrengungen vergebens sind. Eine Förderung der Erneuerbaren und Anreize für den effizienten Energieeinsatz sind unverzichtbar – schon allein weil nur so die Entwicklung und Marktreife innovativer Technologie in diesem Bereich beschleunigt werden können. Entscheidend ist aber, dass in gleicher Weise die Erschließung günstiger Vermeidungsoptionen weltweit vorangetrieben wird. Andernfalls werden die volkswirtschaftlichen Kosten langfristig ein sozial nicht durchsetzbares Niveau erreichen und damit Klimaschutz verhindern.

Wie entscheidend die Erschließung günstiger Potenziale in Entwicklungs- und Schwellenländern für die Kosteneffizienz im Klimaschutz ist, haben Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nachgerechnet:1 Würden die Industrieländer (einschließlich der USA) ihre Treibhausgasemissionen zwischen 2012 und 2050 um jährlich drei Prozent gegenüber einem Business-as-usual-Szenario verringern und dabei nur Maßnahmen in den Industrieländern durchführen, so lägen die Kosten bei rund 1000 Milliarden Dollar. Holte man die Entwicklungsländer mit ins Boot, würden die gleichen Emissionsminderungen nur die Hälfte kosten. Allein Europa könnte 200 Milliarden Dollar im Klimaschutz sparen! Und die Entwicklungsländer würden von einem solchen internationalen Emissionshandel sogar profitieren.

Nun stellt das Kyoto-Protokoll durchaus die richtigen Instrumente bereit, um Klimaschutz international kosteneffizient umzusetzen. Das Vertragswerk erlegt den Industrieländern Minderungsverpflichtungen auf, erlaubt den betroffenen Ländern aber gleichzeitig, sich für einen Teil der Emissionsreduktion im Ausland erzielte Minderungen anrechnen zu lassen. Diese so genannten flexiblen Mechanismen stellen damit zwei Dinge sicher: Erstens werden die Emissionen dort vermieden, wo dies am billigsten zu bewerkstelligen ist, und zweitens müssen die Investitionen dafür von den Ländern aufgebracht werden, die damit ihre Kyoto-Verpflichtungen einhalten, d.h. von den Industrieländern.

Die Länder, die das Protokoll ratifiziert haben und eine Minderungsverpflichtung eingegangen sind, können im Rahmen des internationalen Emissionshandels untereinander „mit Minderungen handeln“. Daher ist es für ein Land mit hohen Vermeidungskosten attraktiv, einem Land mit niedrigeren Kosten vermiedene Emissionen abzukaufen. Im Gegensatz zum internationalen Emissionshandel, der bisher nur zwischen Industrieländern vorgesehen ist, erlaubt der Clean Development Mechanism (CDM) Industrieländern, Minderungsprojekte in Entwicklungsländern durchzuführen und sich die erreichten Minderungen auf ihre Kyoto-Verpflichtungen anrechnen zu lassen. Die reichen Länder kehren also gewissermaßen vor anderen Haustüren und übernehmen die Kosten dafür – nicht im Alleingang, sondern in enger Kooperation und im beiderseitigen Interesse. Auf diese Weise werden nicht nur die Kosten des Klimaschutzes gesenkt, sondern auch Finanzierungsquellen für die Modernisierung industrieller Strukturen in diesen Ländern erschlossen.

Allerdings ist zu bezweifeln, dass die Kyoto-Mechanismen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung ausreichen, einen kosteneffizienten Klimaschutz zu garantieren. Die Schwellen- und Entwicklungsländer sind nicht in den internationalen Emissionshandel eingebunden, da im Rahmen des Kyoto-Prozesses bisher bewusst darauf verzichtet wurde, diesen Ländern Kyoto-Ziele aufzuerlegen. Der CDM-Mechanismus, also die gemeinsame Durchführung von Minderungsprojekten durch Industrie- und Entwicklungsländer, ist zwar in Kraft, kommt aber aufgrund diverser Hemmnisse nur schleppend in Gang.

Technologietransfer durch Exportförderung

Was also ist zu tun? Zweifellos sollten die Anstrengungen, die USA und China mit ins Boot des internationalen Klimaschutzes zu holen, intensiviert werden – sei es innerhalb des Kyoto-Protokolls oder im Rahmen eines neuen Vertragswerks. So wichtig dieses Unterfangen ist, es braucht Zeit und sein Gelingen ist unsicher. Angesichts der drohenden humanitären Folgen und volkswirtschaftlichen Kosten des Klimawandels darf die Politik nicht abwarten und auf den Erfolg des Post-Kyoto-Prozesses hoffen.

Es gibt einen anderen entscheidenden Hebel, der von Klimaschützern in den letzten Jahren viel zu wenig beachtet worden ist: Technologietransfer durch Exportförderung. Wenn es gelingt, die modernsten Energietechnolo-gien schnell dort verfügbar zu machen, wo ihr Einsatz den größten Klimaschutzeffekt hat, so könnte dies einen entscheidenden Beitrag zum globalen Klimaschutz leisten. Da Deutschland bei vielen Klimaschutz-Technologien weltweit zu den Technologieführern gehört, liegen in der Verbesserung des Technologietransfers große Chancen für Klimaschutz und Standortförderung gleichermaßen.

Obgleich die Konkurrenz in den letzten Jahren spürbar zugenommen hat: Deutschland ist in den Bereichen erneuerbare und Energieeffizienz-Technologien noch immer Weltspitze. So ist Deutschland bei Windkraftanlagen Technologieführer, allein das Unternehmen Enercon besitzt 40 Prozent der weltweiten Patente in diesem Bereich. Bei der Solarenergie stehen deutsche und japanische Technologien an der Spitze. Auch im Bereich Biomasse liegen deutsche Unternehmen vorne, insbesondere bei der Nutzung von Sondergasen wie Deponie- und Klärgas. Ähnlich ist es bei den Energieeffizienz-Technolo-gien: Deutsche Unternehmen nehmen beispielsweise bei hocheffizienten Kraftwerkstechnologien eine Spitzenstellung ein. Dies gilt für hocheffiziente Gas- und Dampfturbinen ebenso wie für Wasserkraftturbinen, aber auch beispielsweise für die Entwicklung hochfester Werkstoffe, die eine entscheidende Rolle bei der Erhöhung des Wirkungsgrads spielen.

Wie schnell allerdings die deutsche Vorreiterrolle bei umweltfreundlichen Technologien auch unter Druck geraten kann, zeigt das Thema Clean Coal. Unter diesem Schlagwort werden neue Ansätze der emissionsarmen oder -freien Kohleverstromung zusammengefasst. Insbesondere werden hier seit einigen Jahren innovative Verfahren der Kohlendioxid-Abtrennung und späteren -Lagerung erforscht. Ob und wann diese Technologien zur Mark-treife gelangen, ist eine offene Frage. Ein anderer Ansatz ist die kontinuierliche Steigerung des Wirkungsgrads von Kohlekraftwerken. Vor allem in der Erhöhung der Verbrennungstemperatur – Stichwort „700-Grad-Kraftwerk“ – liegen noch erhebliche Potenziale. In den USA wurde ein großes Programm zur Förderung der Technologieentwicklung im Bereich Clean Coal aufgelegt. Hier müssen deutsche Unternehmen, vor allem aber auch die europäische und nationale Politik aktiv werden, um die Technologieführerschaft nicht an die Amerikaner abzugeben.

Angesichts der immer noch unangefochtenen Vorreiterrolle auf vielen Technologiefeldern würde man erwarten, dass der Export grüner Spitzentechnologie aus Deutschland ein Selbstläufer ist. Dies ist jedoch nur in einigen Bereichen der Fall, vor allem dort, wo große Konzerne einen klaren Vorsprung bei einzelnen Technologien haben und diesen auf Auslandsmärkten auch geltend machen können. Anders sieht es in weiten Bereichen der erneuerbaren Energien, aber auch bei innovativen Effizienztechnologien aus, die eher von kleinen und mittleren Unternehmen angeboten werden. Die Exportquote der Branche wächst zwar, ist aber noch immer auf überraschend niedrigem Niveau. So lag sie im Bereich der regenerativen Energien 2004 nur bei rund 20 Prozent.2 Zum Vergleich: Die durchschnittliche Exportquote im deutschen Maschinen- und Anlagenbau liegt bei rund 70 Prozent.

Warum sind deutsche Klimaschutztechnologien nicht noch präsenter auf dem Weltmarkt? Für die meisten kleinen und mittleren Technologieunternehmen und -Dienstleister ist der Schritt ins außereuropäische Ausland mit großen Kosten und Risiken verbunden. Dies beginnt schon im Vorfeld beim Aufbau von Know-how zum Markteintritt in Ländern wie China und Indien. Ein kleines Unternehmen gerät bei einer solchen Aufgabe schnell an personelle und finanzielle Grenzen. Existiert einmal der Business Plan für den Schritt ins Ausland, so ist in der Regel zusätzliches Kapital aufzunehmen – auch dies bekanntlich für einen Mittelständler mit dünner Eigenkapitaldecke kein leichtes Unterfangen.

Die Politik hat den Exportförderungsbedarf im Bereich grüner Technologien prinzipiell erkannt. So hat der Deutsche Bundstag 2002 die Exportinitiative Erneuerbare Energien ins Leben gerufen und die deutsche Energieagentur (dena) mit ihrer Umsetzung beauftragt. Das Programm soll Unternehmen der Branche durch Netzwerkbildung und Know-how-Vermittlung bei Export und Auslandsmarkterschließung unterstützen. Ein vergleichbares Programm für Effizienztechnologien gibt es bisher noch nicht. Beobachter vermuten aber, dass eine entsprechende Initiative bereits in der politischen Pipeline ist. Dies wäre zu begrüßen, reicht aber noch nicht aus. Die Exportinitiative der dena setzt vor allem auf Information und Beratung. Für viele Unternehmen entwickeln sich aber zunehmend die Finanzierung und Risikoabsicherung zum Hauptproblem jedes Exportprojekts. Daher ist es entscheidend, dass Förderbanken und Versicherungsunternehmen entsprechende Finanzprodukte entwickeln. Konzepte dafür wurden von internationalen Organisationen wie der OECD und der Weltbank bereits entworfen. Hier muss die europäische und nationale Politik auf eine schnelle Umsetzung drängen.

Die Wirtschaft selbst kann auch aktiv werden, um Netzwerke zu schaffen und das Umfeld für Exporte zu verbessern. Deutschlands drittgrößter Energieversorger, die Energie Baden Württemberg AG(EnBW), arbeitet unter dem Konzeptnamen „EnyCity“ seit einiger Zeit intensiv an der Entwicklung ganzheitlicher Konzepte für die nachhaltige Energieversorgung der Stadt von morgen. Im Vordergrund des Ansatzes steht dabei der Gedanke, energieeffiziente Spitzentechnologien aus Deutschland zu einem modular aufgebauten Gesamtprodukt zusammenzufügen – einer Art flexibel anpassbarem Baukasten zur urbanen Energieversorgung. Bausteine sind dabei hocheffiziente fossile Kraftwerkstechnologien ebenso wie erneuerbare Erzeugungstechnologien.

Um aus dem Ganzen mehr als die Summe seiner Teile zu machen, wurde besonderes Augenmerk auf die Optimierung des Gesamtsystems aus Erzeugungsanlagen, Versorgungsnetzen und optimierter Gebäudetechnik beim Endverbraucher gelegt. EnBW hat das Konzept exemplarisch für die Planung einer Industriestadt in China nahe Schanghai erarbeitet, die derzeit am Reißbrett entsteht. Es erwies sich als besonders reizvoll, hier die Umsetzung einer optimalen nachhaltigen Energieversorgung gleichsam auf der grünen Wiese zu verwirklichen. China plant derzeit Dutzende solcher Städte mit Einwohnerzahlen in Millionenhöhe.

Die innovative Herausforderung des Projekts liegt in der bisher erstmaligen interdisziplinären Zusammenführung einzelner Module und Segmente der Energieversorgung. Modernste Technologien werden derart kombiniert, dass in der Summe mehr Energie eingespart wird als durch Insellösungen. Derzeit werden mögliche Umsetzungskonzepte und Modelle für die Bildung eines Konsortiums entsprechender Unternehmen geprüft. Damit adressiert die EnBW genau das Problem vieler mittelständischer Unternehmen in diesem Bereich: Es fehlen Netzwerke, Kooperationen und integrierte Produktangebote. Hier können Politik und Wirtschaft gemeinsam Lösungen entwickeln, um die riesigen Potenziale internationaler Zusammenarbeit im Klimaschutz zu erschließen.

JÜRGEN HOGREFE, geb. 1949, leitet als Generalbevollmächtigter der EnBW Energie Baden-Württemberg AG seit Mai 2003 den Bereich Wirtschaft, Politik und Gesellschaft der Holding mit Sitz in Berlin. Der gelernte Journalist (M.A. Publizistik) war zuvor 18 Jahre lang Redakteur beim Spiegel.

  • 1DIW Wochenbericht Nr. 31/2005: Klimapolitik mit China und den USA nach 2012.
  • 2Deutsche Energieagentur, 2005.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, Februar 2006, S. 72 - 76

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