Kommentar

01. Sep 2021

Globale Gesundheit ist Teil der Außenpolitik

Ein Kommentar von Tobias Bergner

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Bild: Grafische Illustration eines Schwertes dessen Spitze in einen Stift übergeht
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Nur gemeinsam werden wir Covid-19 bewältigen: Internationale Zusammenarbeit ist der Schlüssel zum Erfolg. Dabei muss die Weltgemeinschaft die Mechanismen der Bekämpfung stetig anpassen – nur so kann sie für die gegenwärtige Pandemie und künftige Gesundheitskrisen fit gemacht werden.



Innen- und Außenpolitik müssen zusammen gedacht und entwickelt werden. Und es müssen nationale und globale Politiken aufeinander abgestimmt werden. Der Exekutivdirektor der WHO, Mike Ryan, erläuterte bei einer DGAP-Veranstaltung das Ineinanderwirken nationalen und internationalen Handelns mit folgendem Bild: Pandemiebekämpfung und -vorsorge seien wie der Bau einer Hängebrücke: Der Brückenbau müsse auf beiden Seiten zur gleichen Zeit beginnen und zur Mitte hin ausgerichtet werden: „Globale und regionale Instanzen und Lösungen müssen lokalen und nationalen Bedürfnissen gerecht werden – und nationale wie lokale Systeme müssen zur regionalen und globalen Sicherheit beitragen.“



Es liegen bereits 209 Vorschläge zur Verbesserung des Gesundheitskrisenmanagements vor. Mike Ryan unterteilt sie in drei Bereiche: Regierungsführung (für ihn das zentrale Element) und Koordinierung, Instrumente und Hilfsmittel sowie Finanzierungsfragen. Derzeit im Vordergrund steht die Bekämpfung der aktuellen Pandemie. Die Weltgemeinschaft muss alles daransetzen, sie bald zu beenden: nicht nur aus gesundheitspolitischen Gründen. Denn je länger sie anhält, desto mehr belastet sie nicht nur Gesundheits- wie Sozialsysteme und Wirtschaft, sondern auch die Beziehungen zwischen den Staaten und das multi­laterale System.

 

Kohärentes internationales Vorgehen gefordert

Die Herausforderungen durch Covid-19 gefährden die nationale wie internationale Sicherheit. Der Fokus der Öffentlichkeit und der Entscheidungsträger liegt auf den nationalen Kapazitäten zur Bekämpfung der Pandemie. Je höher die Infiziertenzahlen, desto stärker dominiert das Thema die Diskussionen und drängt damit wichtige internationale Entwicklungen in den Hintergrund.



Globale Machtkämpfe wirken sich auf die Bekämpfung der Pandemie aus, wie sich auch ihre Bekämpfung auf globale Machtkämpfe auswirkt. Covid-19 beeinträchtigt die Einsatzfähigkeit von UN-Missionen und behindert so die Bemühungen der Vereinten Nationen, Konflikte einzuhegen. Aufgrund der nationalen Kontingente der Missionen hat das Ausbruchsgeschehen Rückwirkungen auf die Streitkräfte stellenden Nationen. Die humanitären Bedarfe sind durch Covid-19 weltweit extrem gestiegen, gehen aber über das unmittelbare gesundheitliche Geschehen weit hinaus. Die Weltgemeinschaft muss bei allen Maßnahmen das humanitäre Geschehen im Auge behalten.



Besonderes Augenmerk müssen wir auf Staaten und Regionen in fragilen Kontexten legen. Die Auswirkungen der Pandemie sind für Bevölkerungen in Konfliktgebieten oder in Gebieten unter Kontrolle nichtstaatlicher Akteure noch größer. Zum einen sind dort in besonderem Maße vulne­rable Gruppen betroffen (Migranten und Flüchtlinge), zum anderen ist die medizinische Infrastruktur notleidend und betroffene Bevölkerungsgruppen sind schwer erreichbar. Diese Gesellschaften sind nicht nur in besonderer Weise ungeschützt, sondern Bemühungen, dortige Krisen unter Kontrolle zu bringen, werden untergraben. Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft führt dazu, dass staatlichen wie nichtstaatlichen Gruppen, internen wie externen, ermöglicht wird, die Pandemie für eigene Interessen auszunutzen – an die sozialen Aktivitäten von Hisbollah und Hamas sei erinnert. Je dezidierter die Staatengemeinschaft hilft, desto weniger Raum bleibt für solche ­Akteure.



Das Versäumnis, die Bevölkerung in fragilen Kontexten zu unterstützen, führt nicht nur zu erhöhter Gefährdung der Menschen vor Ort, sondern verhindert auch, das Covid-19-Geschehen weltweit unter Kontrolle zu bekommen. Hier trifft in besonderer Weise zu, was WHO-Generaldirektor Tedros am 28. Juli vor der UN-Generalversammlung erklären ließ: „Pandemien beginnen und enden in den örtlichen Gemeinden. Unsere Vorsorge muss auf lokaler Ebene beginnen.“

 

Impfstoff-Diplomatie und -Allianzen

Die Versorgung mit Hilfsmitteln, Impfstoffen und Medikamenten ist zu einer hochsensiblen außenpolitischen Frage geworden und hat Auswirkungen auf die bilateralen und multilateralen Beziehungen. Schlagworte wie „Masken-Diplomatie“ oder „Impfstoff-Diplomatie“ bringen das zum Ausdruck. Einzelne Staaten nutzen den von ihnen entwickelten Impfstoff, um diesen in ihren Beziehungen zu anderen Ländern zu instrumentalisieren. Aber je mehr Impfstoffe auf den Markt kommen, desto weniger werden einzelne Produzenten oder Staaten die Vakzine zur Verfolgung eigener Ziele instrumentalisieren können. Vorausgesetzt: Gleichberechtigter Zugang zu Impfstoffen ist sichergestellt – als ein globales öffentliches Gut.



Eine positive Entwicklung zeigt sich in der staatenübergreifenden Initiative von ACT-A und COVAX. Aber diese Initiative ist nur so erfolgreich, wie Staaten zum Beispiel COVAX Impfstoffe zur Verfügung stellen. Die großen westlichen Geber ­sollten alles dafür tun, um eine weltweite, faire Impfstoffversorgung sicherzustellen, damit sich der Begriff „Impfstoff-Ungleichheit“ nicht verfestigt. Damit würden die Bemühungen um globale Lösungen und Stärkung des Multilateralismus ­konterkariert.



Neben multilateralen Initiativen führt die Pandemie auch zu neuen bilateralen Partnerschaften. Staaten und Akteure entdecken gemeinsame Interessen und Maßnahmen, was sich auf geostrategische Entwicklungen auswirkt. Inwieweit solche bilateralen „Impfstoff-Allianzen“ von Dauer sind, bleibt abzuwarten. Dennoch: Solange dies nicht Partnerschaften sind, die die Zusammenarbeit mit Dritten ausschließen, zeigt sich, dass Covid-19 sogar Chancen bieten kann – durch Hilfsmaßnahmen, die nicht an Bedingungen geknüpft sind, können demokratische Länder Solidarität beweisen.



Ein weiteres Thema sind Einreiseregelungen. Grenzschließungen beziehungsweise selektive Öffnungen für bestimmte Gruppen sind ein unmittelbarer Eingriff in die Reise- und Bewegungsmöglichkeit der Menschen, aber auch in den Handels- und Wirtschaftsaustausch. Die Politik ist gefordert, ihre Maßnahmen transparent und nachvollziehbar zu gestalten, um ihre Akzeptanz und Einhaltung sicherzustellen. Nationale Alleingänge und Grenzschließungen auch innerhalb Europas bereits zu Beginn der Pandemie haben die Sensibilität dieses Themas unterstrichen. Einreise­regelungen und Maßnahmen müssen nachvollziehbar sein. Bei aller Unwägbarkeit haben sich in den letzten anderthalb Jahren auch Konstanten abgezeichnet, die kohärente Strategien erlauben. Dies schafft für internationale Partner Verlässlichkeit und Berechenbarkeit. Nationale Strategien, genauso wie ihr Fehlen, senden immer auch ein Signal nach außen und wirken sich auf internationale Beziehungen aus.



Globale Gesundheit ist Bestandteil der Außenpolitik und muss eng mit der Entwicklungspolitik verzahnt sein. Es wäre eine wichtige Lehre aus dieser Pandemie, wenn das Verhältnis von Innen und Außen und die Wechselwirkungen zwischen den Politikfeldern neue Aufmerksamkeit erhalten. Ziel sollte die Stärkung einer integrierten, sektorübergreifenden Außenpolitik sein.

 

Tobias Bergner ist Senior Policy Fellow der DGAP. 1988 trat er in den Auswärtigen Dienst ein. Von 2015 bis 2020 war er Koordinator für die außenpolitische Dimension globaler Gesundheitsfragen im Auswärtigen Amt.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2021, S. 110-111

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