IP Special

03. Jan. 2022

Neue globale Gesundheitsarchitektur

Um bei der weltweiten Vorbeugung und Bekämpfung von Gesundheitskrisen weiterzukommen, müssen die Strukturen optimiert werden.

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Bild: Eine Covax-Lieferung in Kosovo
Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass die getroffenen Zusagen für Impfstoffe und medizinische Produkte eingehalten werden: Ankunft einer Impfstofflieferung am Flughafen von Pristina im Kosovo.
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Einmal mehr bildet Europa im Winter 2021/22 das geografische Epizentrum des Covid-19-Ausbruchs. Die Bekämpfung der Pandemie dominiert erneut die Tagesordnung. Wir haben das bereits in den vergangenen zwei Jahren erlebt: Je länger die Pandemie andauert, desto stärker wirkt sie sich auf die internationalen Beziehungen aus.



Covid-19 wird auch 2022 die Außenpolitik beeinflussen. Andere Krisen geraten durch Corona in den Hintergrund, manche gedeihen im Schatten der Pandemie, manche werden von ihr verschärft. Die Gleichzeitigkeit mehrerer Krisen stellt uns immer wieder vor besondere Herausforderungen. Diese Herausforderungen müssen gleichzeitig wahrgenommen und angegangen werden. Dazu bedarf es klarer Strukturen des ­Krisenmanagements und ­einer klaren Arbeitsteilung in der Regierung. Gleichzeitig ist eine Zusammenschau der ver­schiedenen Krisenherde unabdingbar. Hierbei fällt der Außenpolitik eine zentrale Rolle zu.



US-Außenminister Antony Blinken hat am 10. November 2021 auf dem von den USA initiierten Außenministertreffen erklärt: „Diese Pandemie hat uns gelehrt, dass Vorsorge und Reaktion auf Gesundheitskrisen nicht allein in der Verantwortung der Gesundheitsminister oder globaler Gesundheitsexperten liegt, weil die Pandemie nicht allein eine Gesundheitskrise ist. Es ist auch eine Krise der Sicherheit, eine wirtschaftliche Krise, eine humanitäre Krise. Deshalb müssen Außenminister aktiv werden und auch Führung übernehmen.“



Auslöser der Initiative war Präsident Joe Bidens Covid-19-Gipfel im September 2021 am Rande der UN-Generalversammlung. Damit hat er die Pandemieprävention zur Chefsache gemacht und eine Führungsrolle dabei übernommen, die globale Gesundheitsarchitektur anzupassen und zu verbessern.



Das Zeitfenster dafür ist eng, das Momentum aber perfekt: Die Staatengemeinschaft ist bereit, die Prävention zu verbessern. Doch das amerikanische Engagement wird nicht ewig andauern: Der Wahlkalender wird den Enthusiasmus, sich im internationalen Bereich zu exponieren, auf die erste Jahreshälfte 2022 begrenzen. Auch die Aktivitäten der französischen EU-Ratspräsidentschaft werden aufgrund dortiger Wahlen auf die ersten Monate 2022 beschränkt sein. Es ist an der neuen Bundesregierung, sich aktiv zu beteiligen. Sie wird sich zügig zu den internationalen Empfehlungen positionieren müssen. Ein enger Schulterschluss der EU mit den USA und anderen ähnlich Denkenden ist für eine Anpassung der globalen Gesundheitsarchitektur erforderlich.



Anpassung der Strukturen

In den kommenden Monaten wird es darauf ankommen, die Strukturen globaler Gesundheit mit dem Ziel einer besseren Pandemievorsorge zu reformieren. Das muss eng eingebunden sein in die Weiterentwicklung multilateraler Strukturen und Mechanismen der Krisenreaktion. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. WHO-­Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte dazu bei der Vorstellung des aktuellen Berichts des Global Preparedness Monitoring Board (GPMB) in Genf: Es mangele nicht an Berichten, Überprüfungen und Empfehlungen, es mangele an der Umsetzung.



In dem dritten Jahresbericht des GPMB hatten die Mitglieder des Gremiums darauf verzichtet, neue Vorschläge zu machen. Sie haben bestehende Vorschläge erneuert und eine Auflistung wesentlicher Maßnahmen vorgenommen. Die wichtigsten Vorschläge konzentrieren sich auf die Stärkung der globalen (Lenkungs-)Strukturen und die Frage der Finanzierung von Gesundheitssystemen, Vorsorge sowie der WHO. Ende Oktober 2021 bestätigten die Staats- und Regierungschefs der G20 in der Gipfelerklärung von Rom ihre Unterstützung für eine Stärkung der Pandemievorsorge und -reaktion.



Wie geht es nun weiter? Die G20 haben eine „Joint Finance Health Task Force“ der Finanz- und Gesundheitsminister geschaffen, die Empfehlungen für umfassende Finanzierungslösungen erarbeiten soll. Solche Empfehlungen müssen vorhandene Überlegungen der Weltbank, aber auch des Versicherungssektors zusammenführen. Hinsichtlich einer Stärkung der WHO sind Vorschläge auf den Weg gebracht. Kernfrage wird sein, die Mitgliedstaaten zu einer Erhöhung ihrer nationalen Beiträge zu bewegen. Zur Frage der Anpassung der internationalen Gesundheitsvorschriften und eines rechtlichen Instruments liegen Empfehlungen vor.



Die Sondersitzung der World Health Assembly beschloss am 1. Dezember, im März 2022 Gespräche über Verhandlungen über ein solches rechtliches Instrument aufzunehmen. Zentrales Kriterium für das Gelingen eines solchen Instruments, auch als Pandemievertrag bezeichnet, wird es sein, ob die Staaten für eine schnellere Informationsweitergabe und einen zügigeren Zugang internationaler Experten zu Ausbruchsgebieten gewonnen werden können. Gleichzeitig muss eine Lösung für die Frage gerechter Verteilung von Impfstoffen und Medikamenten gefunden werden. Hinsichtlich des Zugangs zu Ausbruchsgebieten sind intensive Debatten zur Frage von Eingriffen in die nationale Souveränität der Staaten zu erwarten.



Die Frage der globalen Gesundheits­architektur geht über die WHO hinaus. Es wird wichtig sein, das Zusammenwirken der internationalen und UN-Organisationen zu verbessern, die neben der WHO im Gesundheitsbereich aktiv sind. Hier fängt die internationale Gemeinschaft nicht bei Null an. Auf deutsche Initiative hin wurde der SDG-3-Aktionsplan geschaffen (SDG/ Sustainable Development Goals), bei dem sich zahlreiche UN- und andere internationale Organisationen zusammengeschlossen haben, um ihre Aktivitäten bei der Stärkung der Gesundheitssysteme besser abzustimmen, Doppelungen zu vermeiden und Synergien zu ermöglichen.



Der Vorschlag eines Global Health Threat Council wurde bislang noch nicht in den UN diskutiert. Nach Vorstellung des IPPPR (Independent Panel on Pandemic Preparedness and Response) soll es sich dabei um ein Gremium auf Ebene der Staats- und Regierungschefs handeln. Ziel ist es, die Beteiligung der jeweils höchsten nationalen Entscheidungsebene bei krisenhaften Entwicklungen frühzeitig sicherzustellen. Der Vorschlag wird von der Erkenntnis geleitet, dass eine Pandemie die Autorität und die Möglichkeiten einer ganzen Regierung braucht, um angemessen reagieren zu können.



Bislang ist unklar, wo ein solcher Global Health Threat Council international eingebunden werden soll. Aufgrund der gewünschten Beteiligung von Staats- und Regierungschefs müsste er an ein entsprechend hochrangiges UN-Gremium angekoppelt sein. Es sollte vermieden werden, für jede krisenhafte Entwicklung gesonderte Gremien der Staats- und Regierungschefs zu schaffen. UN-Generalsekretär António Guterres hatte im September 2021 vorgeschlagen, eine „Emergency Platform“ zu schaffen, die in Reaktion auf komplexe globale Krisen zusammenkommen soll. Diese müsste mit den jeweiligen nationalen Krisenzentren verknüpft werden, um eine möglichst breite Beteiligung aller mit Krisenbewältigung befassten ­nationalen Behörden sicherzustellen.



Einer der Vorschläge, die der Umsetzung harren, ist die Einberufung einer Sondergeneralversammlung der UN. Dort sollten sich die Staats- und Regierungschefs nach Vorstellung des IPPPR zur Pandemievorsorge verpflichten. Bereits 2016 hatte das infolge der Ebola-Krise in Westafrika vom damaligen UN-­Generalsekretär Ban Ki-moon – und auf Initiative Angela Merkels – eingesetzte hochrangige Gremium zur globalen Reaktion auf Gesundheitskrisen einen solchen Gipfel gefordert. Jetzt wäre der geeignete Zeitpunkt, um eine Sondergeneralversammlung durchzuführen. Das wäre auch der geeignete Ort, um Überlegungen einer verbesserten Krisenvorsorge umfassend zu diskutieren.



Innerstaatliche Weichenstellung

Teil des Guterres-Vorschlags zur besseren Krisenvorsorge der UN ist ein alle fünf Jahre zu veröffentlichender Bericht „Strategic Foresight and Global Risk Report“. Eine solche Vorausschau sollte auf nationaler Ebene und mittels eines ressortübergreifenden nationalen Berichts abgebildet und vorbereitet werden. Die Ergebnisse einer solchen Vorausschau, die Gesundheitsgefahren einschließt, sollten in eine künftige nationale Sicherheitsstrategie der neuen Bundesregierung einfließen.  

Der Global Health Threat Council kann das Engagement jedes einzelnen Staates nicht ersetzen. Er muss auf dem Engagement und den Erkenntnissen der Mitgliedstaaten aufbauen. Einen entsprechenden Beitrag kann Deutschland gemeinsam mit seinen EU-Partnern leisten: Regelmäßig erstellte nationale Vorausschauen können als Teil globaler Vorsorge in die strategische Vorausschau der EU eingehen. Deutschland kann im Rahmen seiner G7-Präsidentschaft 2022 darauf hinwirken, dass ein entsprechender Mechanismus bei Gestaltung der globalen Gesundheitsarchitektur und in der Entwicklung umfassender Krisensysteme verankert wird.  



Alle Vorsorgeplanungen auf globaler Ebene sind allerdings ohne konkrete Maßnahmen vor Ort wertlos. Die beste Vorsorge für eine bessere Krisenreaktion bleiben die Stärkung der Gesundheitssysteme und die Verbesserung lokaler und regionaler Strukturen. Hier kann die deutsche Entwicklungspolitik in enger Zusammenarbeit mit ihren europäischen und internationalen Partnern beispielhaft vorangehen. Die für die Entwicklungspolitik Verantwortlichen können dabei auf dem erwähnten SDG-3-Aktionsplan aufbauen. Sie sollten den Plan insbesondere dadurch unterstützen, dass sie Projekte zur Stärkung von Gesundheitssystemen an Leuchtturmprojekte des Aktionsplans in den Ländern knüpfen, mit denen die Umsetzung der verbesserten Zusammenarbeit vereinbart ist. Ein Beitrag könnte die Unterstützung beim Aufbau von Krisenwarnmechanismen sein.



Die deutsche Regierung sollte sich nachdrücklich dafür einsetzen, dass getroffene Zusagen für Impfstoffe und medizinische Produkte eingehalten werden. Zentral für den Erfolg aller Krisenmaßnahmen ist das Vertrauen der Bevölkerung. Glaubwürdigkeit und Vertrauen werden erreicht, wenn die Partner vor Ort eine spürbare Verbesserung ihrer Gesundheitssysteme erleben.



Die derzeitige Pandemie und ihre nationale Bewältigung sowie die Frage, wie sich die internationale Gemeinschaft für künftige Gesundheitskrisen aufstellen sollte, sind prioritäre Themen für die neue Bundesregierung. Diese muss sich frühzeitig damit beschäftigen und Entscheidungen fällen. Die Anpassung der Krisenreaktionsmechanismen und -vorsorge wird eine Kernaufgabe sein, bei der die verschiedenen internationalen Krisen und ihre Wechselwirkungen stärker berücksichtigt werden müssen. Die neue Bundesregierung ist gut beraten, an das amerikanische Engagement anzuknüpfen und – in enger Zusammenarbeit mit ihren europäischen Partnern – das Zeitfenster für gemeinsame Maßnahmen zur konkreten Verbesserung der globalen Gesundheitsarchitektur zu nutzen.      



Tobias Bergner ist Senior Fellow der DGAP. Von 2015 bis 2020 war er Koordinator für die außenpolitische Dimension globaler Gesundheitsfragen im Auswärtigen Amt.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik Special, Ausgabe 02, Januar 2022, S. 48-51

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