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05. Mai 2014

Gesucht: Neue Ideen für alte Probleme

In der Zentralafrikanischen Republik fehlt es an Soldaten und an Geld

Nicht die Religionszugehörigkeit ist Hauptursache für die Konflikte in der Zentralafrikanischen Republik, sondern der wirtschaftliche Niedergang verursacht den Staatszerfall. Die bisherigen Entwicklungs- und Aufbauprogramme müssen dringend überprüft werden, damit Kämpfer entwaffnet und echte Stabilisierungsstrategien entworfen werden können.

Die Zentralafrikanische Republik trägt einen nüchternen, doch gerade in jüngster Zeit allzu treffenden Namen. Denn sie scheint tatsächlich zum Zentrum oder zumindest zum Ballungsraum all der vielfältigen Probleme geworden zu sein, unter denen der Kontinent seit langem leidet und von denen sich aber mittlerweile viele afrikanische Länder befreien können.

Da sind die Konflikte um den Abbau wertvoller Ressourcen, besonders von Diamanten. Aus einer kleinen Elite ist eine Reihe unfähiger politischer Führer hervorgegangen. Es mehren sich Konflikte zwischen nomadischen Stämmen und der sesshaften Bevölkerung, was Ursachen auch im Klimawandel hat, und zu neuen Konkurrenzen zwischen den beiden Bevölkerungsteilen führt. Aus Rivalitäten zwischen ethnischen Gemeinschaften erwuchsen blutige Kämpfe und neue Feindschaften: die altbekannte, berüchtigte Kombination von historischen Altlasten und politischem Opportunismus schuf Konflikte auf der Grundlage religiöser Gruppenzugehörigkeit, wie jetzt zwischen Christen und Muslimen.

Die schwierige Lage hat dem Land international eine erhöhte, aber nicht immer nützliche Aufmerksamkeit verschafft: des Nachbarlands Tschad, der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, von der Afrikanischen Union und von den Vereinten Nationen. Außerdem von multilateralen und Nicht­regierungs­organisationen, von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich und von weiteren internationalen Akteuren wie den Vereinigten Staaten, Südafrika, der Europäischen Union und unlängst auch von Deutschland. In kürzester Zeit ist die Zentralafrikanische Republik zu trauriger Berühmtheit gelangt. Doch so stark die Aufmerksamkeit auch gestiegen ist, so viel Wissen ist über dieses Land nachzuholen – Wissen, das man braucht, um vernünftig zu handeln.

Mein Kollege Thibaud Lesueur und ich haben in den vergangenen drei Jahren viele Monate in der Zen­tralafrikanischen Republik verbracht. Wir konnten vor Ort beobachten, wie der Staat erst allmählich, dann rasant auseinanderfiel. Wir verfolgten, wie ein französisches Expeditionskorps, die Operation Sangaris, den afrikanischen Truppen zu Hilfe kam, um noch eine Spur von Ordnung vor dem drohenden Chaos zu retten, wie es nur eine gut ausgestattete Berufsarmee kann. Wir sahen, wie aus der einst stabilen Bevölkerung eine Generation plündernder Krieger hervorging. Und wir erlebten, wie aus Bangui, der Hauptstadt am Ubangi Fluss mit 750 000 Einwohnern, ein Schauplatz von Lynchjustiz wurde, was 90 Prozent der muslimischen Bevölkerung in die Flucht trieb.

Ein Opfer dieser Selbstjustiz wurde auch Jean-Emmanuel Ndjaroua, ein Mitglied des nationalen Übergangsrats. Er machte im Februar den verhängnisvollen Fehler, öffentlich zu Toleranz und Frieden aufzurufen, und wurde auf offener Straße erschossen.

Die große Herausforderung besteht nun darin zu verhindern, dass aus Tausenden viele Zehntausende Tote werden. Noch besteht Hoffnung, dass ein solches Blutvergießen vermieden werden kann. Die neue Regierung unter Präsidentin Catherine Samba-Panza hat Potenzial, und die von der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft zügig entsandten – aber zu schwachen – Truppen hat man durch eine hoffentlich zielgerichtetere Mission unter Führung der ­Afrikanischen Union ersetzt. Unter der Federführung Frankreichs hat der UN-Sicherheitsrat am 10. April eine Resolution zum Einsatz einer neuen UN-Friedensmission beschlossen. Diese sieht vor, dass die Truppen der Afrikanischen Union im September 2014 unter das Kommando der Vereinten Nationen gestellt werden und die Zahl der internationalen Friedenssoldaten nahezu verdoppelt wird.

Die Europäische Union hat derweil für Mai die Stationierung einer „Überbrückungsmission“ angekündigt. Diese Einsatzverpflichtungen sind mehr als bloße Versprechen, aber sie bleiben dennoch hinter dem zurück, was man als entschiedenes Handeln bezeichnen würde. Was also ist zu tun?

Vertrauen zwischen den Religionen

Es ist entscheidend, zwischen den Bevölkerungsteilen wieder Vertrauen aufzubauen. Der Imam, der Erzbischof und Vertreter der anderen christlichen Kirchen in Bangui arbeiten bereits eng zusammen, aber ihre Anstrengungen sind bisher auf die Hauptstadt begrenzt – aus der fast alle Muslime geflohen sind.

Ein interkonfessioneller Dialog und eine Versöhnungskampagne müssen an der Basis beginnen und mithilfe der Übergangsregierung und ihrer internationalen Unterstützer auf die Provinzen ausgeweitet werden. Die Bausteine dafür existieren bereits – im Westen des Landes beispielsweise sind die verbliebenen muslimischen Flüchtlinge mehrheitlich bei christlichen Missionen untergekommen.

Erinnern wir uns: Religiöse Gruppenzugehörigkeiten sind noch nicht lange eine Konfliktursache in der Zentralafrikanischen Republik. Zwei frühere Präsidenten, Bokassa und Patassé, konvertierten zum Islam, und diverse ethnische Gruppen setzen sich aus Christen und Muslimen zusammen. Bis heute sind im vorwiegend muslimischen nordöstlichen Distrikt, in dem sich auch viele aus Bangui vertriebene Krieger aufhalten, die Christen des Saraa-Stammes (zu dem auch viele Muslime gehören) nicht angegriffen worden, und auch nicht das zahlenmäßig große christliche Volk der Banda in Bria. In Bangui entstand als Reaktion auf die Morde eine Nichtregierungsorganisation, Les Frères Centrafricains, die über Aufkleber an Taxis zur Versöhnung aufrief. Junge Christen taten sich zusammen, um gemeinsam Moscheen vor Angriffen zu beschützen.

Ankurbelung der Wirtschaft

Die Wirtschaft des Landes muss neu belebt werden. Die wichtigsten Exportgüter des Landes sind Holz und Diamanten – und der Handel mit diesen Gütern setzt Sicherheit voraus. Von den fünf privaten Firmen, die bislang die Holzindustrie dominierten, arbeiten nur noch zwei. Ein Angestellter vor Ort erzählte uns, wie sein Betrieb zuerst Anfang 2013 von der Präsidentengarde durchsucht wurde, daraufhin von den muslimisch dominierten Séléka-Rebellen und schließlich von der prochristlichen Anti-Balaka-Bewegung, und wie alle von ihnen Fahrzeuge stahlen.

Der Diamantenhandel ist ebenfalls in eine schwere Schieflage geraten, denn die Händler waren fast ausschließlich Muslime. Mit Beginn des Gegenaufstands der Anti-Balaka-Milizen flohen sie aus den Städten, ihre Geschäfte wurden geplündert. Auf lange Sicht muss der Staat seine Kontrolle über die Diamantenfelder wiederherstellen und für die Sicherheit der Händler sowie die Transparenz der Handelswege sorgen. Dazu müssen Zivilbeamte und Polizei eingesetzt werden. Zum jetzigen Zeitpunkt können allein Friedenstruppen dafür sorgen, dass der Handel wieder sicher aufgenommen werden kann.

Der bedeutendste nicht exportorientierte Wirtschaftszweig des Landes ist die landwirtschaftliche Selbstversorgung. Auch sie leidet unter der problematischen Sicherheitslage, besonders dort, wo Nomaden und Farmer in Konkurrenz um Land aufeinandertreffen. Die Wanderungen der nomadischen Hirten aus dem Tschad im Norden in die Zentralafrikanische Republik müssen dringend unter eine von allen Seiten ausgehandelte Regelung gestellt werden, von der Art, wie sie in Niger und Tschad bereits erfolgreich ist.

In den größeren Städten des Landes muss indessen Arbeit für die ­dortigen Kämpfer geschaffen werden. In der Hauptstadt Bangui herrscht Gewalt. Dort wird neben einer verbesserten Sicherheitslage dringend mehr Beschäftigung für die Jugendlichen gebraucht, damit diese eine Alternative zu den Milizen finden, die ihnen bisher „Arbeit“ verschafft haben. Die Hauptstadt und weitere Landesteile leiden unter infrastrukturellen Problemen, die durch beschäftigungsintensive Maßnahmen zu lösen wären, für die ungelernte und angelernte Arbeitskräfte eingesetzt werden können.

Sicherheit

Um die Sicherheit im Land wiederherzustellen, muss die Afrikanische Union mit den Vereinten Nationen zusammenarbeiten. Die neue UN-­Resolution will aus den 6000 AU-Soldaten UN-Blauhelme machen, aber Streit um Zuständigkeiten könnte die Umsetzung erschweren.

Auch Frankreich und die Europäische Union müssen eine Grundlage zur Zusammenarbeit finden. Hier wird vermutlich Deutschland eine Schlüsselrolle spielen. Die deutsche Koalitionsregierung hat den Versuch gestartet, die deutsch-französische ­Zusammenarbeit neu zu beleben, gerade auf außenpolitischem Gebiet. Im April sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel von Frankreich und Deutschland als „Motor“ der Beziehungen zwischen der EU und Afrika, und Frankreichs Staatspräsident François Hollande unterstrich die „besondere Freundschaft“ beider Länder.

Deutschland hat sich in bisher nicht gekannter Weise verpflichtet, in Mali und der Zentralafrikanischen Republik militärische Hilfen bereitzustellen – dies soll jeweils in enger Abstimmung mit Frankreich geschehen. Hinzu kommt eine bedeutsame entwicklungspolitische Unterstützung. Diese französisch-deutsche Führung hat aus einem vagen Plan ein handfestes Unternehmen gemacht; mittlerweile haben sich Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Polen, Portugal, Schweden, Spanien, Großbritannien sowie Georgien zur Mission bekannt. Der Großteil der Truppen wird von Estland, Frankreich, Georgien, Polen und Spanien gestellt. Deutschland legt seinen Schwerpunkt auf den strategischen Lufttransport, Großbritannien kümmert sich um logistische Fragen und Italien um die Technik.

Selbst wenn die EU-Überbrückungsmission Realität wird und sich die Beziehungen zur Afrikanischen Union verbessern, wird es für den ­Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und die UN-Organisationen sehr schwierig werden, erfolgreich eine Blauhelmtruppe in der Zentralafrikanischen Republik zu etablieren. Die Vereinten Nationen müssen die Frage beantworten, welche ihrer Mitgliedstaaten die Truppen stellen. Dabei sollten sie Tschad außen vor lassen. Das Land ist schon zu sehr in die Angelegenheiten der Zentralafrikanischen Republik verstrickt und hat seine Friedensmission Anfang April aufgekündigt, nachdem tschadische Soldaten beschuldigt wurden, für den Tod von Zivilisten verantwortlich zu sein. Die Befehlsgewalt über die Truppen wird zwar formal im September von der AU auf die UN übergehen. Aber praktisch wird die UN-Mission wahrscheinlich nicht vor Ende des Jahres in vollem Umfang anlaufen.

Dabei erfordert die Entwaffnung der Milizen schnelles Handeln: Die verbliebene muslimische Bevölkerung in Bangui hat sich in der PK5 genannten muslimischen Enklave bewaffnet, und auch die Anti-Balaka-Milizen haben bisher keine Probleme, in der Hauptstadt an Waffen zu kommen – obwohl Tausende französische und afrikanische Friedenssoldaten durch die Straßen der Hauptstadt patrouillieren. Der muslimische Bürgermeister von Banguis drittem Bezirk, zu dem auch PK5 gehört, sagte im März: „Wenn wir PK5 verlassen, um in ein benachbartes Gebiet zu gehen, werden wir noch am gleichen Tag getötet.“

Die Franzosen verpassten im Dezember und Januar die Gelegenheit zur weitgehenden Entwaffnung der Séléka-Truppen, als diese noch in vier Lagern festgehalten wurden. Eine UN-Mission wird es mit der Entwaffnung nicht leichter haben als die Franzosen. Der Plan der Vereinten Nationen sieht vor, dass zuerst Soldaten stationiert werden, dann eine funktionierende Polizei aufgebaut wird, und dann ein Justizsystem. Die größten Schwachstellen sind die Soldaten und Geld: Von beiden gibt es viel zu wenig.

Ein strategischer Fahrplan

Die Übergangsregierung der Zentralafrikanischen Republik wie auch die internationale Gemeinschaft brauchen dringend einen Plan. Auf nationaler Ebene hatte es Ende vergangenen Jahres einen gegeben – einen mangelhaften, aber immerhin etwas. Die neue Regierung unter Catherine Samba-Panza ist die dritte Regierung innerhalb eines Jahres, aber sie ist vielversprechend. Die meisten wichtigen Ministerien sind mit Technokraten statt mit Parteigenossen besetzt. Präsidentin Samba-Panza hat bereits zu Beginn ihrer Amtszeit die Bedeutung von Justiz und Versöhnung betont. In einem Gespräch im April mit Crisis-Group-Präsidentin Louise Arbour bestätigte sie dies und unterstrich, dass ihr Land auf die Hilfe ausländischer Richter angewiesen sei, um ein effektives Justizsystem aufzubauen. All dies gibt Anlass zur Hoffnung.

Was man jedoch für die erweiterte internationale Intervention braucht, sind eine kohärente Führung, strategisches Denken sowie einen gemeinsamen Stabilisierungsplan, der es der Übergangsregierung ermöglicht, mittel- und langfristige Prioritäten zu setzen. Die internationale Kontaktgruppe sowie der jüngste Bericht des UN-Generalsekretärs betonen zu Recht, wie wichtig es ist, die Sicherheit im Land wiederherzustellen, die staatlichen Dienste zu reaktivieren und Wahlen vorzubereiten.

Aber sie gehen nicht auf die tieferliegenden Probleme ein, insbesondere nicht auf den wirtschaftlichen Niedergang, der die Hauptursache für den Staatszerfall ist. Jemand – beispielsweise die EU oder Mitglieder der internationalen Kontaktgruppe – sollte dafür sorgen, dass die bisherigen Entwicklungs- und Aufbauprogramme überprüft werden. Eine solche Überprüfung ist aus zwei Gründen wichtig: erstens um zu verstehen, was bei der Reform des Sicherheitssektors, bei der Entwaffnung und Demobilisierung von Kämpfern sowie den Reintegrationsmaßnahmen schiefgelaufen ist. Und zweitens, um eine Stabilisierungsstrategie zu entwerfen, die die Wirtschaft in den Mittelpunkt stellt und das bietet, was zurzeit fehlt: neue Ideen für alte Probleme sowie eine langfristige Roadmap für die nationalen und internationalen Akteure.

Auf diese Weise hätte man eine Grundlage für die angedachte Geberkonferenz im späteren Jahresverlauf und es wäre einfacher, eine sinnvolle Aufgabenverteilung unter den internationalen Akteuren zu verabreden. Ein solcher Rahmen ist unverzichtbar, um der neuen Regierung ein Fundament für ihre Herkulesaufgabe zu geben, nämlich aus dem Land wieder einen funktionierenden Staat zu machen und die Wirtschaft wieder aufzubauen, die Grundlage eines jeden zukunftsfähigen Staates. Bei dieser Überprüfung sollte man keine Zeit verlieren. Denn wie schon in der Vergangenheit könnte das ­Interesse der in­ternationalen Gemeinschaft an der Zentralafrikanischen Republik wieder schwinden. Gerade dies war in der Vergangenheit ein Hauptgrund dafür, dass sich die Probleme des Landes so häufig wiederholten.

Geschieht das nicht, könnte es passieren, dass die geplante Überbrückungsmission schon in einem Jahr nur noch eine vage Erinnerung ist, dass der Fall Zentralafrikanische Republik Frankreich aufgebürdet wird, dass die afrikanischen Staaten gerade genug Mittel haben, um einzuschreiten, aber zu wenig, um irgendetwas langfristig zu stabilisieren, und dass die Übergangsregierung dann nur noch damit beschäftigt ist, die Fassade eines Staates aufrechtzuerhalten.

Thierry Vircoulon 
ist Projektleiter für Zentralafrika bei der International Crisis Group.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2014, S. 112-117

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