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01. Juli 2006

Gereifte Erkenntnis

Auch die EU verstärkt ihr Engagement im Südkaukasus

Mit der Einbeziehung des Südkaukasus in ihre Europäische Nachbarschaftspolitik hat sich die EU zu einer Strategie der Anbindung dieser Region an Europa bekannt. Nach anfänglichem Zögern ist sie dabei, dort zusätzliche politische Veranwortung zu übernehmen. Zentrale Bedeutung hat die Frage, inwieweit die EU bereit ist, sich bei laufenden Bemühungen um eine Lösung der drei südkaukasischen Konflikte zu engagieren.

Fast 20 Jahre ist es nun her, dass der Südkaukasus mit dem Ausbruch des Konflikts in Berg-Karabach zu einer neuen Krisenzone der Weltpolitik wurde. Wenig später, 1991 und 1992/93, folgten Bürgerkriege in Südossetien und Abchasien, die das gerade unabhängig gewordene Georgien an den Rand des Zusammenbruchs brachten. Die daraus entstandenen Konflikte sind bis heute ungelöst – trotz andauernder Bemühungen und Einbeziehung internationaler Organisationen wie OSZE und UN. Sie bleiben ein Haupthindernis für die Stabilität der Region mit weit darüber hinausreichenden Wirkungen: für den schwierigen Prozess der Nationenbildung in den drei neu entstandenen südkaukasischen Staaten, für gedeihliche wirtschaftliche und soziale Entwicklung dort, für gutnachbarschaftliche Außenbeziehungen zwischen diesen Staaten und mit dem nach wie vor regional dominierenden Russland.

Stagnation und Eskalation

Die gegenwärtige Lage ist gekennzeichnet durch Stagnation und gibt wenig Anlass zu Optimismus: In Berg-Karabach haben sich Hoffnungen vorerst zerschlagen, die Lösung des Konflikts im ersten Halbjahr 2006, in dem sich ein „Fenster der Gelegenheit“ zu öffnen schien, einen entscheidenden Schritt voranzubringen. Eine mit großen Erwartungen befrachtete Begegnung zwischen den Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans, die am 10./11. Februar in Rambouillet stattfand, verlief ohne konkrete Ergebnisse. Seither ist man in offiziellen Verlautbarungen aus beiden Hauptstädten wieder zur Sprache der Konfrontation zurückgekehrt, und an der Frontlinie des Konflikts häufen sich blutige Zwischenfälle. Auch ein erneutes Treffen der Staatschefs Kotscharjan und Alijew am 4. Juni in Bukarest konnte keinen Beitrag zu einer Deeskalation der Spannungen leisten.

Bezüglich Georgiens ist die Lage kaum besser. Deutlich verschlechtert hat sich die Ausgangslage für eine Lösung des Südossetien-Konflikts, nachdem es im Herbst 2004, initiiert durch Georgien, zu einer militärischen Konfrontation in der Konfliktzone gekommen war. Eine über mehrere Jahre mühsam erarbeitete Grundlage an Vertrauensbildung zwischen beiden Konfliktparteien brach zusammen, und schon vereinbarte Verhandlungsrundenmussten zunächst verschoben werden. Keinen nennenswerten Fortschritt gibt es seit langen Monaten bei den unter Leitung der Vereinten Nationen stehenden Vermittlungsbemühungen um eine Lösung des Abchasien-Konflikts, obwohl überraschenderweise Mitte Mai 2006 erstmals seit über vier Jahren der Koordinationsrat, Hauptinstrument der Konfliktregelung zwischen beiden Parteien, wieder zu einer Sitzung zusammenkam.

Nach wie vor ein entscheidender Faktor für die Konfliktregelung im Südkaukasus ist die Position der Russischen Föderation. Umso besorgniserregender ist es, dass die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Georgien über die letzten Monate auf einen neuen Tiefstand zusteuerten. Russland steht in dem begründeten Verdacht, gegenüber den Sezessionsgebieten Abchasien und Südossetien eine Politik schleichender Annexion zu betreiben, indem es die Verleihung der eigenen Staatsangehörigkeit an die dort lebende Bevölkerung forciert. Das russische Interesse an der Konfliktregelung im Südkaukasus erscheint gegenwärtig nicht vorrangig zu sein.

Vor diesem Hintergrund werden kritische Stimmen immer lauter, die die Effizienz bisheriger Lösungsversuche infrage stellen. Sind die mit der Konfliktregelung befassten Mechanismen noch zweckentsprechend? Und, nachdem die Bemühungen von OSZE und UN bisher ohne durchschlagenden Erfolg geblieben sind, besteht Bedarf an zusätzlichen internationalen Vermittlern, um aus der gegenwärtigen Sackgasse herauszufinden? In jedem Fall erscheinen neue Impulse  dringend notwendig, um den für Lösungen erforderlichen politischen Willen unter den Konfliktparteien und allen Vermittlern zu stärken.

Wachsendes Interesse in der EU

Es ist kaum verwunderlich, dass sich bei dieser Konstellation viele Augen auf die EU richten. Für sie war der Südkaukasus über lange Jahre eine Art strategische Terra incognita. Insbesondere vermied es Brüssel tunlichst, in politische Bemühungen um Lösungen der drei Konflikte hineingezogen zu werden. Infolgedessen galt die EU bis vor kurzem in der Region als „der große Abwesende“ unter den internationalen Akteuren von Gewicht.

Bescheidene Ansätze eines erwachenden Interesses am Südkaukasus gab es erst seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. Damals eröffnete die Europäische Kommission ein Delegationsbüro in Tbilisi, das kurz darauf sogar Beobachterstatus in einer mit Wirtschaftsfragen befassten Untergruppe der Gemischten Kontrollkommission, einem Konfliktregelungsmechanismus für Südossetien, erhielt. 1999 folgte der Abschluss von Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit den drei südkaukasischen Staaten. Jedoch hielt sich das Interesse insgesamt in Grenzen. Hochrangige Besucher aus Brüssel blieben eine Ausnahme. Zu stark wurde die Aufmerksamkeit außerdem durch die dramatischen Vorgänge auf dem Balkan absorbiert. Demgegenüber erschien der Kaukasus fern; die dort seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion virulent gewordenen Konflikte schienen die EU kaum zu berühren.

Eine grundlegende Änderung dieser strategischen Sicht trat erst mit den Ereignissen des 11. September 2001 ein. Vor allem die USA entdeckten nun den Kaukasus als ein wichtiges geographisches Bindeglied zum Greater Middle East und der von dort ausgehenden weltweiten terroristischen Bedrohung. Die EU folgte nach gewissem Zögern mit dem Entwurf ihrer Europäischen Sicherheitsstrategie vom 12. Dezember 2003. Zum ersten Mal war nun die Rede davon, dass „wir uns stärker und aktiver für die Probleme des Südkaukasus interessieren sollten“. Schon zuvor, im Juli 2003, hatte der Europäische Rat durch Ernennung eines Sonderbeauftragten für den Südkaukasus (EUSB), der direkt dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana unterstellt wurde, eine praktische Schlussfolgerung gezogen. Im Mandat vom 7. Juli 2003 wurde ihm ausdrücklich aufgetragen, „bei der Konfliktlösung zu helfen“, wobei enges Einvernehmen mit der OSZE und den UN vorausgesetzt wurde.

Seither ist die Kaukasus-Debatte in der EU nicht mehr abgerissen. Sie erhielt frische Impulse durch die letzte Erweiterungsrunde der EU, die im Mai 2004 vollzogen wurde. Durch sie rückte der Kaukasus geographisch um ein erhebliches Stück näher. Im Mittelpunkt stand bald die Frage, ob der Südkaukasus in die von der EU neuformulierte Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) einbezogen werden sollte. Hierzu waren die Ansichten zunächst geteilt. Im Juni 2004 wurde diese Frage schließlich positiv entschieden, wobei das Drängen der deutschen Bundesregierung, aber auch der EU-Neumitglieder aus dem ehemaligen sowjetischen Einflussbereich, vor allem Polens und der baltischen Staaten, maßgeblich war. Mit dem Besuch des damaligen Präsidenten der EU-Kommission, Romano Prodi, in allen drei Hauptstädten des Südkaukasus im September 2004 signalisierte die EU auch nach außen hin die Ernsthaftigkeit ihres neuen politischen Interesses an der Region.

 Dieses Interesse ist seither eher noch gewachsen: Länderspezifische Aktionspläne für die drei Südkaukasus-Staaten, die als ausführende Instrumente der ENP konzipiert sind, befinden sich gegenwärtig im Schlussstadium der Verhandlung. Noch schärfer politisch profiliert wurde das Mandat des EUSB durch eine Anfang 2006 beschlossene Änderung, die ihn zu aktiver Mitwirkung bei einer Lösung der Konflikte auffordert. Der kürzlich neu ernannte EUSB für den Südkaukasus, Peter Semneby, interpretierte dies in Interviews als Beleg dafür, dass die eingefrorenen Konflikte nun höher als jemals zuvor auf der politischen Tagesordnung der EU stünden.

Unterschiedlich fiel das Echo auf die sich abzeichnende aktivere politische Rolle der EU im Südkaukasus aus. Uneingeschränkt positiv reagierten die USA; in ihrer Sicht waren die von der EU geplanten umfangreichen Unterstützungsprogramme komplementär zu den eigenen, ebenfalls verstärkten Bemühungen in den drei Südkaukasus-Staaten. Dabei steht im Mittelpunkt Georgien, das seit 2002 bedeutende US-Militärhilfe erhält und seit Mai 2004 in das Millennium-Challenge-Account-Förderprogramm einbezogen ist. Gleichfalls Zustimmung signalisierte die Türkei, wichtigster südlicher Nachbar Georgiens und Armeniens im Kaukasus. Insgesamt aufgeschlossen reagierte auch Russland, das bisher reibungslos mit dem EUSB zusammenarbeitet. Allerdings zeigt Russland deutliche Zurückhaltung gegenüber Vorschlägen, den EUSB in bestehende Mechanismen zur Lösung der drei südkaukasischen Konflikte einzubeziehen. Ablehnend stehen solchen Vorschlägen bisher auch die politischen Führungen in Abchasien und Südossetien gegenüber.

Zurückhaltung als Maxime

Für die EU ist das politische Engagement im Südkaukasus eine neue Herausforderung. Diese wird noch wachsen, wenn 2007, wie vorgesehen, Bulgarien und Rumänien der EU beitreten. Die Union wird dann zum direkten Anrainer des Schwarzen Meeres. Ist sie auf eine solche Aufgabe wirklich vorbereitet? Hat sie eine entsprechende, von allen gegenwärtig 25 Mitgliedsstaaten mitgetragene politische Vision?

Im Rückblick wird man kaum behaupten können, dass die EU eine politische Rolle im Südkaukasus mit Zielstrebigkeit und Konsequenz gesucht habe. Noch bis in die jüngste Zeit haben ihr manche Beobachter diesbezüglich einen Mangel an Strategie unterstellt. In der Tat hat es immer wieder auch der Anstöße von außen bedurft, um der EU die ihr zuwachsende politische Rolle im Südkaukasus bewusst zu machen. Von Bedeutung war hier insbesondere eine Entschließung des Europäischen Parlaments vom März 2002, die den Rat der EU nachdrücklich dazu aufforderte, „eine umfassende und langfristige gemeinsame Strategie für die Länder des Südkaukasus zu entwickeln und so rasch wie möglich umzusetzen“. Mit dieser Entschließung wurde ein Überlegungsprozess, der schließlich zur Nominierung eines EUSB für die Region führte, erheblich beschleunigt.

In den neunziger Jahren kompensierte die EU eine latente Abneigung, sich politisch im Südkaukasus zu engagieren, durch großzügige wirtschaftliche Entwicklungsprogramme, die sich inzwischen auf einen Gesamtbetrag von über einer Milliarde Euro für die drei betroffenen Länder belaufen. Aber der Eindruck, dass die EU in politischer Hinsicht ein bewusst niedriges Profil in der Region fahren wollte, wurde dadurch eher noch bestärkt. Dementsprechend schlecht war zunächst das Image der EU in der Region: Ihr wurden Entschlussschwäche und Mangel an politischer Vision unterstellt. Die Folgen sind bis heute nicht vollständig behoben.

In dieses Bild passte eine gewisse Halbherzigkeit, mit der die EU bei der Einrichtung des Amtes des EUSB für den Südkaukasus im Jahr 2003 verfuhr: Man konzipierte diesen schließlich als Reisebotschafter ohne festen Sitz in der Region – wohl auch aus der Befürchtung heraus, dass es sonst vor Ort zu einem Kompetenzgerangel mit dem residierenden Vertreter der EU-Kommission und dem diplomatischen Vertreter des amtierenden EU-Vorsitzes kommen könnte. Die Entwicklung seither hat deutlich gemacht, dass der EUSB die ihm aufgetragenen Funktionen ohne ausgedehnte längere Aufenthalte in der Region schwerlich erfüllen kann.

Trotz solcher Zögerlichkeiten kann man feststellen, dass sich die EU der ihr zukommenden Verantwortung im Südkaukasus heute mit neuer Entschlossenheit stellt. Dabei sind ihr zwei Faktoren besonders zustatten gekommen:

  • Im Unterschied zu Russland und auch den USA ist die EU unverdächtig, in der Region nationale politische Interessen durchsetzen zu wollen.
  • In Gestalt der drei Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 1999, der ENP von 2004, der vor dem Abschluss stehenden Aktionspläne für die drei Südkaukasus-Staaten sowie mit dem Mandat für den EUSB verfügt die EU wie kein anderer Akteur über ein umfassendes strategisches Konzept für den Südkaukasus. Es verbindet in flexibler Weise die Förderung demokratischer und rechtsstaatlicher Reformen mit wirtschaftlichen Unterstützungsmaßnahmen sowie dem Angebot einer aktiven Mitwirkung bei Lösung der eingefrorenen Konflikte. Ausgeklammert ist allerdings die Frage einer EU-Beitrittsperspektive.

In diesem Entwurf einer breiten Kooperation fehlt allein der militärische Aspekt. Ein Ansatzpunkt hierfür wurde 2005 geschaffen, als die EU in Nachfolge der OSZE ein Programm zur Überwachung der Grenze zwischen Georgien und der Russischen Föderation, gepaart mit Ausbildungsmaßnahmen für die georgische Grenzpolizei, übernahm. Eine Diskussion über weiterführende Schritte, diesmal bezogen auf mögliche Konfliktnachsorge in Berg-Karabach, hat bereits eingesetzt. Sie gilt insbesondere der Frage, ob nicht im Falle einer Regelung dieses Konflikts die EU eine Rolle bei der Friedenserhaltung übernehmen könnte. Konkret wird hierbei an eine Mission im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) gedacht. Dies könnte in enger Zusammenarbeit mit der OSZE geschehen, die hierzu mandatiert ist, aber bisher auf diesem Gebiet über keinerlei praktische Erfahrung verfügt.

Mehr Kompetenzen für den EUSB

Kernstück einer politischen Rolle der EU im Südkaukasus bleibt bis auf weiteres der EUSB. Sein Mandat gibt ihm ausgiebigen Handlungsspielraum, den er nun nutzen sollte. Nach der zuletzt vorgenommenen Änderung zielt dieses Mandat mehr als je zuvor auf eine aktive Einschaltung bei einer Lösung der drei festgefahrenen Konflikte in der Region. Das Instrument des EUSB könnte in folgender Hinsicht noch gestärkt werden:

  • Ständige Stationierung im Südkaukasus, und zwar – um jeden Verdacht einer geographischen Präferenz auszuräumen – rotierend in allen drei Hauptstädten. Ohne einen solchen Schritt ist seine Befassung mit Einzelfragen der Konfliktregelung, aber auch die notwendige Vor-Ort-Abstimmung mit den betroffenen Regierungen und Konfliktparteien sowie mit den mit der Vermittlung beauftragten internationalen Organisationen schwer vorstellbar.
  • EU-intern zweifelsfrei geregelt sein sollte die Kompetenzabstimmung zwischen EUSB auf der einen Seite sowie Kommissionsvertretung und EU-Präsidentschaft vor Ort auf der anderen. Die jetzt im Mandat dazu enthaltene Formulierung stellt auf eine Bemühensklausel ab, die breiten Interpretationsspielraum lässt. Kein Zweifel sollte an der primären Zuständigkeit des EUSB für alle politischen Fragen, die die Konfliktregelung betreffen, bestehen.
  • Um bei der schwierigen Aufgabe der Konfliktregelung kompetent und gleichberechtigt mitwirken zu können, sollte der EUSB direkten Zugang zu den für die drei Konflikte bestehenden Verhandlungsmechanismen erhalten: der Minsk-Gruppe im Falle Berg-Karabach, dem Koordinationsrat der Georgischen und Abchasischen Parteien im Falle Abchasiens und der Gemischten Kontrollkommission im Falle Südossetiens. Wünschenswert ist auch seine Beteiligung an den Beratungen der zum Abchasien-Konflikt eingesetzten Gruppe von Freunden des Generalsekretärs, der bisher Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Russland und die USA angehören.

Voraussehbar wird es gegen eine solche Einbeziehung des EUSB Widerstände geben. Sie sollten in geduldigen Gesprächen mit allen Seiten, einschließlich der Konfliktparteien, überwunden werden. Dass dies möglich ist, zeigt das Beispiel des Transnistrien-Konflikts: Nach langen Bemühungen wurde im Oktober 2005 endlich die EU zusammen mit den USA als Beobachter in das dort maßgebliche Fünf-Parteien-Verhandlungsformat aufgenommen. Der EUSB für den Südkaukasus ist kraft seines Mandats zu enger Koordinierung mit denjenigen internationalen Organisationen aufgefordert, die, wie UN und OSZE, dort bereits seit Jahren Mandate zur Konfliktregelung haben und auf dieser Grundlage bereits eine Vielzahl an Lösungsvorschlägen ausgearbeitet haben. Diese Klausel bleibt von besonderer Relevanz, denn das Ausspielen internationaler Organisationen gegeneinander, wie auch „forum shopping“ seitens der Konfliktparteien, haben in der Vergangenheit zu manchem Rückschlag in den Bemühungen um Konfliktregelung geführt. Hier sind beharrliche weitere Anstrengungen notwendig. Für den EUSB sollte es nicht darum gehen, das Rad neu zu erfinden. Er sollte, wo immer möglich, initiativ werden, um bei den Konfliktparteien den Aufbau politischen Willens zu unterstützen mit dem Ziel, laufende Verhandlungsprozesse zu beschleunigen und Lösungsentwürfen zum Durchbruch zu verhelfen.

Perspektiven der EU-Politik

Mit einem Spannungspotenzial, das jederzeit auf ganz Europa übergreifen kann, bleibt der Südkaukasus ein unberechenbarer Krisenherd in unserer Nähe. Die EU ist auf dem Weg, dort eine wichtige politische Rolle zu übernehmen. Sie hat sich zu diesem Zweck in den vergangenen Jahren ein flexibles Instrumentarium gegeben. Dabei rücken Maßnahmen immer mehr in den Mittelpunkt, die auf eine aktive Mitwirkung bei einer Regelung der seit über 15 Jahren ungelösten Konflikte gerichtet sind.

Damit hat sich die EU auf eine komplizierte Aufgabe eingelassen – und dies in einer Region, in der andere gewichtige Akteure schon präsent sind: Russland als traditionelle regionale Vormacht, zunehmend auch die USA und ebenfalls die Türkei und der Iran als Nachbarn im Süden. Bei ihrem weiteren Vorgehen wird sie sorgfältig zu berücksichtigen haben, dass sich diese Akteure heute im Südkaukasus in wachsendem Maße als geopolitische Rivalen begegnen. Insbesondere sind hier die Folgen für die Politik gegenüber Russland abzuwägen, das nach wie vor einen Schlüssel für die Regelung der Südkaukasus-Konflikte in Händen hält. Dabei verfolgt es jedoch Lösungskonzepte, die sich mit denen der mandatierten internationalen Vermittler nicht immer decken. Die EU ist auch in dieser Hinsicht gefordert. Der Erwartungsdruck wird erheblich sein.

Jedoch sind die Weichen nun gestellt. Die seit längerem EU-intern geführte Debatte über die Frage, welcher Stellenwert dem Südkaukasus im außen- und sicherheitspolitischen Gesamtzusammenhang  gegeben werden sollte, wird trotzdem weitergehen. Nicht alle EU-Mitgliedsländer sind bisher der Meinung, dass bei einer Destabilisierung des Südkaukasus auch die Sicherheit der EU auf dem Spiel steht, oder, in den Worten des damaligen Kommissionspräsidenten Prodi aus dem Jahr 2004, dass der „Ring von Freunden“, mit dem sich die EU umgeben sollte, bis in den Südkaukasus reichen muss. Hier wird es weiterer Überzeugungsarbeit seitens derjenigen Länder bedürfen, die sich die geänderte strategische Sicht voll zu Eigen gemacht haben, darunter Deutschland. Für die Bundesrepublik wird die Zeit der EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 Gelegenheit bieten, hierzu noch größeres Einvernehmen herzustellen.

Schon in den nächsten Monaten wird die EU vor der Aufgabe stehen, den neuen Kurs bezüglich des Südkaukasus in glaubwürdige, nachhaltige Politik umzusetzen und ihm im Rahmen ihrer Nachbarschaftspolitik auch die erforderliche Priorität einzuräumen. Eine Konsequenz daraus sollte sein, den Themenpunkt Südkaukasus-Konflikte künftig an vorderer Stelle der Tagesordnung von EU-Gipfelbegegnungen, insbesondere solcher mit Russland, zu platzieren. Nur dann wird dieser Politik Erfolg beschieden sein.