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01. Juli 2020

Geopolitik im Miniaturformat

Chips sind ins Zentrum der Großmachtkonkurrenz gerückt. Die USA wollen Chinas Technologieambitionen einhegen; Peking aber will schnellstens aufholen.

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Bild: Chiplabor in China
Ambitioniert: Ob und wann China es schafft, eine Chipindustrie auf globalem Spitzenniveau zu entwickeln, ist offen. Klar ist jedoch, dass Peking dafür keine Kosten und Mühen scheuen wird.
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Das kalifornische Silicon Valley ist zum Symbol für Innovationsfähigkeit, erfolgreiche Technologieunternehmen und horrende Mietpreise geworden. Doch ursprünglich hat das „Valley“ seinen Namen von dem meistgenutzten Halbleitermaterial in der Herstellung von Chips: Silicium. Kaum so groß wie ein Fingernagel, sind Chips von zentraler Bedeutung bei der Entwicklung elektronischer Geräte. Ob Mobiltelefone, Laptops oder Militärraketen: Chips nehmen die Funktion ihres „Gehirns“ ein. Somit entfalten Chips ihre große Bedeutung erst im Zusammenspiel mit weiteren Technologien.



Gemessen an dieser Rolle haben Chips bis vor Kurzem überraschend wenig Aufmerksamkeit auf dem Schachbrett der Geopolitik erhalten. Dies hat sich jedoch schlagartig geändert, seit die Chipindustrie zu einem zentralen Schauplatz der Großmachtkonkurrenz zwischen den USA und China geworden ist. Das Ziel der chinesischen Führung, im Bereich der Hochtechnologie global „aufzuholen und zu überholen“, dient nicht nur dazu, an wirtschaftlicher und militärischer Stärke zu gewinnen, sondern ist ebenfalls eng mit dem angestrebten Wiederaufstieg Chinas als Großmacht verbunden.



Chips sind ein wichtiges Puzzlestück in der Realisierung von Pekings weitreichenden Technologieambitionen in Bereichen wie der Künstlichen Intelligenz (KI), dem autonomen Fahren und 5G. Dem steht jedoch seine aktuelle Position in globalen Chiplieferketten entgegen. Obwohl China ein Produktionsstandort für Chiphersteller aus anderen Ländern ist, liegen die Produkte chinesischer Firmen mehrere Generationen hinter den Weltmarktführern zurück. Für weltweites Aufsehen sorgen statistische Angaben, dass die Volksrepublik für den Import von Chips mehr Geld ausgibt als für den Import von Erdöl. Deshalb versucht man bereits seit Jahren, die Abhängigkeit von Chipimporten zu reduzieren und eigene wettbewerbsfähige Kapazitäten aufzubauen.



Nachdem die USA sowie andere Länder lange die Innovationsfähigkeit Chinas infrage gestellt hatten, befürchtet Washington nun, seinen technologischen Vorsprung gegenüber Peking zu verlieren. Aufgrund der chinesischen Abhängigkeit von Chipimporten und der Marktmacht der USA sieht die Regierung Trump darin einen vielversprechenden Hebel, um globalisierte Wirtschaftsbeziehungen strategisch zu nutzen. Das theoretische Kalkül: Unterbindet man den Export von Chips und Equipment, das zur Herstellung von Chips notwendig ist, lässt sich Chinas technologischer Aufstieg verlangsamen. Doch in der Praxis stellt sich die Frage, wie die Rivalität der Großmächte die globale Chipindustrie langfristig verändern wird.



Chips sind über die Jahrzehnte immer kleiner, komplexer und leistungsfähiger geworden. Wie im ersten Mooreschen Gesetz aus den 1960er Jahren festgehalten, hat sich die Anzahl von Transistoren (ein zentrales Halbleiter-Bauteil), die auf einen Chip passen, alle 18 Monate verdoppelt. So ging bisher mit jeder Chipgeneration eine bedeutende Effizienz- und Leistungssteigerung einher. Doch wie durch das zweite Mooresche Gesetz beschrieben, haben sich auch die Kosten für die Chipherstellung alle vier Jahre verdoppelt. Wenngleich sich die Zyklen der Mooreschen Gesetze verlangsamt haben, sind die Entwicklung und Herstellung von Chips hochkomplex und äußerst kapitalintensiv. Diese Eigenschaften erfordern laufende Weiterentwicklung, hohe Investitionen von Herstellern und schaffen Barrieren für den Markteintritt neuer Anbieter. So sank über die Jahre die Zahl der Herstellern in der Chipindustrie und es kam zu einer Restrukturierung. Heute sind neben US-Unternehmen Firmen aus Südkorea, Taiwan und Japan in der Entwicklung führend.



Die Unternehmen in der Chipindustrie lassen sich in drei Bereiche unterteilen: das Design, die Fertigung sowie das Zusammensetzen, Testen und Verpacken von Chips. Nur wenige Unternehmen sind sogenannte „Integrated Device Manufacturers“, die Chips selber designen und herstellen. Dazu gehören das US-Unternehmen Intel und Samsung aus Südkorea. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die verschiedenen Schritte alle in den Ländern stattfinden, in denen die Firmen ihre Hauptsitze haben. So produziert Intel seine Chips neben den USA auch in Irland, Israel und China und testet und verpackt sie in China, Malaysia und Vietnam.



Die Spezialisierung von Firmen ist ein gängiges Modell geworden. Eine Reihe von Unternehmen designen nur die Chips, sogenannte „Fabless“-Unternehmen wie Apple, Qualcomm und Huawei’s Tochtergesellschaft HiSilicon. Die Auftragsfertigung übernehmen hingegen „Foundries“, darunter die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC), welche über die Hälfte aller Chips, die von anderen Firmen weltweit designt werden, herstellt.



Hochkomplexe Lieferketten

Diese simplifizierte Darstellung soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit jedem dieser Bereiche weitere hochkomplexe Lieferketten verbunden sind, die eine eigene Geografie aufweisen. Dazu zählt Spezialsoftware, die für das Design von Chips benötigt wird. Die drei größten Softwareanbieter – Synopsis, Cadence und Mentor Graphics – sind US-Unternehmen.



Hervorzuheben ist außerdem das Equipment für die Fertigung. Laut TSMC belaufen sich die Kosten ihrer Fabrikationsstätte für die neueste Chipgeneration auf rund 20 Milliarden Dollar. Die benötigten Maschinen, sogenannte Lithografie Systeme, deren Entwicklung wenige Unternehmen in den USA, den Niederlanden und Japan anführen, machen dabei den größten Anteil aus. Doch nur die niederländische Firma Advanced Semiconductor Material Lithography (ASML) verkauft die am weitesten entwickelte Technologie, EUV-Lithografie, mit der sich die Strukturverkleinerung in der Chipindustrie fortsetzen lässt. Aufgrund dieser Führungsrolle ist ASML bereits zu einem Nebendarsteller in der Großmachtrivalität zwischen den USA und China geworden.



Die Chipindustrie Chinas ist eine große Hürde für die Realisierung der Hightech-Komponente des „chinesischen Traumes“. Trotz massiver staatlicher Investitionen, Joint Ventures und Versuchen, Chip- und Equipmenthersteller im Ausland zu akquirieren, ist es bisher nicht gelungen, zu den globalen Marktführern aufzuschließen. Auch die fortschrittlichsten chinesischen Chiphersteller liegen heute mehrere Generationen hinter Firmen wie Samsung und TSMC zurück. Derzeit werden nur 16 Prozent des Chipbedarfs in der Volksrepublik produziert. Wenn es nach der Regierung in Peking geht, soll sich dies rasch ändern: Bis 2025 sollen 70 Prozent des Bedarfs national gedeckt werden können.  



Die US-Regierung sieht die chinesische Abhängigkeit als eine Möglichkeit, um Pekings Technologieambitionen einzuhegen. Dies spiegelt sich nicht nur im „Blacklisting“ der umstrittenen chinesischen Firmen ZTE (2016) und Huawei (2019) in den USA wider, denen so de facto der Zugang zu amerikanischen Chipherstellern verwehrt wurde. Huawei hat folglich versucht, fehlende Importe aus den USA durch Hersteller in anderen Ländern zu ersetzen.



Doch mit einer sehr viel gewichtigeren Maßnahme versuchen die USA nun, Huawei ebenfalls den Zugang zu alternativen Zulieferern zu erschweren. Laut einer neuen Regelung vom Mai 2020 müssen künftig auch nichtamerikanische Hersteller, die Chips mit US-Software designen oder US-Equipment herstellen, eine Lizenz beim US-Wirtschaftsministerium beantragen, um Chips an Huawei verkaufen zu können. Von dieser Regelung ist auch die Auftragsfertigung von TSMC für Huaweis Tochtergesellschaft, das „Fabless“-Unternehmen HiSilicon, betroffen.



Doch weitere Schritte deuten darauf hin, dass es der US-Regierung nicht ausschließlich um die Schwächung einzelner chinesischer Firmen geht. Kürzlich wurde bekannt, dass Washington große Anstrengungen unternommen hat, um den Verkauf von Chipequipment des niederländischen Herstellers ASML an die größte chinesische „Foundry“, Semiconductor Manufacturing Technology Corporation, zu verhindern. Da die USA zwar global eine wichtige Position in der Chipindustrie, beim zur Chipherstellung notwendigem Equipment jedoch kein Monopol haben, sind so auch die Niederlande ins geopolitische Kreuzfeuer geraten.



Abhängigkeiten reduzieren

Die Maßnahmen der USA haben die Verwundbarkeit Chinas und seine Abhängigkeit von Chipimporten noch einmal verdeutlicht. Insbesondere das „Blacklisting“ von ZTE, das die Existenz des Unternehmens bedroht hat, wird als Schock für Peking beschrieben. Um diese Abhängigkeit schneller zu reduzieren, wollen Chinas Regierung und Unternehmen mit massiven Investitionen ihre Anstrengungen, „High-end“-Chips selbst herzustellen, beschleunigen. Wie dringlich dies ist, zeigt die Tatsache, dass laut Medienberichten sogar trotz Lockdown in der Corona-Krise die Produktion des Chipherstellers Yangtze Memory in Wuhan weitergeführt wurde. Chinesische Unternehmen arbeiten außerdem unter Hochdruck an der Entwicklung spezialisierter Chips für KI-Anwendungen, um in diesem Bereich eine mögliche Nische für China zu schaffen.



Doch auch die USA sind durch globale Lieferketten verwundbar. Einige amerikanische Hersteller exportieren große Teile ihrer Chips nach China, auch an Huawei. Die Firma Micron hat infolge des „Blacklistings“ einen Absturz ihrer Einnahmen bekanntgegeben, da Exporte an Huawei 13 Prozent dieser Einnahmen ausmachen. In einer kapitalintensiven Industrie wie den Chips könnten solche Ausfälle langfristig die Innovationsfähigkeit bremsen.



US-Firmen fürchten außerdem, dass sie auch für chinesische Unternehmen, die zurzeit nicht auf der US-„Blacklist“ stehen, weniger attraktiv werden könnten. Die US-Chipindustrie hat bereits ihre Bemühungen verstärkt, um eine Kursänderung der Regierung zu erwirken.



Zusätzlich leidet die Attraktivität des Technologiestandorts USA. Kürzlich hat TSMC zwar bekanntgegeben, mit Unterstützung der US-Regierung eine neue „Foundry“ in Arizona zu bauen. Doch die USA haben auch den ersten Fall von „Technologieflucht“ zu verzeichnen: Die Stiftung RISC-V, welche die Entwicklung einer auf Open Source basierenden Mikroprozessor-Architektur koordiniert, will ihren Hauptsitz von Delaware in die Schweiz verlegen. Dieser Entscheidung liegt wohl die Annahme zugrunde, dass die Arbeit von RISC-V von den steigenden geopolitischen Spannungen zwischen den Großmächten beeinflusst werden könnte.



Die Chipindustrie zeigt die Zielkonflikte einer möglichen „Entkopplung“ von USA und China. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine Schwachstelle Chinas; aber sie kann auch den USA und weiteren Ländern teuer zu stehen kommen. Mit der Zuspitzung der Großmachtkonkurrenz ist der politische Wille der USA gewachsen, hohe Kosten in Kauf zu nehmen, um Chinas Technologieambitionen einzuhegen. Die Kosten tragen jedoch nicht allein amerikanische Unternehmen, sondern auch Firmen aus anderen Ländern wie TSMC und ASML. Bisher fehlt es den USA an einer Strategie, um die negativen Rückwirkungen ihrer Maßnahmen für die Industrie aufzufangen und deren Innovationsfähigkeit langfristig sicherzustellen.



Die nächsten Schachzüge Washingtons im Chipbereich werden die zukünftige Struktur der Industrie maßgeblich prägen: Bleiben die US-Maßnahmen primär gegen einzelne chinesische Firmen gerichtet oder führt die Regierung breitere Exportkontrollen ein? Handeln die USA unilateral oder können sie mit weiteren Staaten, die in der Chipindustrie eine wichtige Rolle spielen, kooperieren?



Ob – und wenn ja, wann – China es schafft, eine wettbewerbsfähige Chipindustrie auf globalem Spitzenniveau zu entwickeln, bleibt ebenfalls offen. Die amerikanischen Maßnahmen haben sicherlich noch einmal die Notwendigkeit und den Willen der chinesischen Führung verstärkt, die Abhängigkeit von Importen schneller zu reduzieren. Ob sich die Entwicklung der chinesischen Chipindustrie durch die getroffenen Gegenmaßnahmen tatsächlich beschleunigen lässt, bleibt abzuwarten.



Klar ist jedoch, dass die chinesische Regierung keine Kosten und Mühen scheuen wird, um diesem Ziel schnellstmöglich näher zu kommen. Zu viel steht für Peking auf dem Spiel.

Sophie-Charlotte Fischer ist Doktorandin am Center for Security Studies der ETH Zürich.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2020; S. 70-75

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