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01. Juli 2005

Gen-Schlachten

Stammzellforschung, Klonen – und wo bleibt die Ethik? Eine wahrhaft epische Frage

Immer wieder bricht die Debatte um Chancen und Bedrohungen biotechnischer Forschung auf. Gut 20 Jahre tobt sie schon. Doch zuweilen scheint es, als seien wir keinen Schritt weiter. Darf man Gene manipulieren? Soll man Menschen klonen? Wo beginnt das Leben? Mit welchen Zellen darf man forschen?

Gentechnologie – welch herrliches Schlachtfeld. Kaum ein Terrain ist besser geeignet für ideologische Stellvertreterkriege und Scharmützel, denn es ist riesig, unübersichtlich und – tatsächlich – noch voller Geheimnisse. Um Genforschung geht es dabei in den seltensten Fällen, eher darum zu demonstrieren, dass – je nach Lager – Wissenschaft alles kann/die Politik endlich handeln muss/die Industrie totale Freiheit braucht/Gott doch allmächtig ist.

Der Streit konzentriert sich auf die Stammzellforschung und das Klonen. Gegen die Nutzung embryonaler Stammzellen gibt es eine kurios breite Allianz. Sie umfasst die meisten Kirchen, Konservative, Grüne und etliche andere Kräfte, reicht sozusagen von Greenpeace bis George W. Bush. Auf der Pro-Seite stehen viele Naturwissenschaftler, die interessierte Industrie, aber auch sich als „modern“ begreifende Politiker wie Gerhard Schröder oder Tony Blair. Und kranke Menschen, die sich Heilung von neuen Verfahren versprechen.

Man kann der deutschen Demokratie nicht vorwerfen, das Thema verschlafen  zu haben. Bundestagsdebatten darüber gelten sogar als Schaustücke kluger und zivilisierter Auseinandersetzung. Das liegt auch daran, dass sie ohne Fraktionszwang laufen – denn der Streit geht quer durch alle Parteien. Schon 1984 richtete der Bundestag eine Enquetekommission „Chancen und Risiken der Gen-Technologie“ ein, 1998 folgte eine Enquetekommission zur Biomedizin. Im Mai 2001 schuf Bundeskanzler Schröder zusätzlich einen Ethikrat – er traute dem Parlament nicht so recht. Der Kanzler will mehr Freiheit für die Forschung. Prompt war die Bundestagskommission zur Medizinethik mehrheitlich gegen den Import embryonaler Stammzellen, der neue Ethikrat hingegen dafür, kontrolliert natürlich.

Die Gesetzeslage ist gleichwohl klar: Seit bald 15 Jahren gilt das Embryonenschutzgesetz, das Experimente an Embryonen und Manipulationen am menschlichen Erbgut verbietet. 2002 beschloss der Bundestag ein prinzipielles Verbot von Stammzellimporten, baute aber Ausnahmen für  „hochrangige Forschungsziele“ ein. Geforscht werden darf nur an Stammzelllinien, die vor dem 1. Januar 2002 hergestellt wurden. Diese Lösung ähnelt auffallend dem Reglement des George Bush, der, um seine Unterstützer im religiösen Lager zu befrieden, ebenfalls eine Stichtagsregelung durchgesetzt hat. Öffentliche Mittel bekommen hier nur Forscher, die mit Stammzellen arbeiten, die vor dem 9. August 2001 existierten.

Beim Thema Klonen verlaufen die Fronten weltweit ähnlich. Die Ablehnungsfront scheint noch breiter, vor allem beim reproduktiven Klonen, der Erzeugung von Klonbabys also. Auf Seiten der Befürworter kämpft zuvörderst die Lobby der Reproduktionsmediziner, einer Branche, die hier ein gewaltiges Geschäft wittert – mit Wunsch-nachwuchs für reiche Klienten, die sich in einem perfekten Abbild zu perpetuieren wünschen. Dagegen zu sein, fällt nicht schwer. Ich durfte vor vier Jahren einer exotischen Konferenz beiwohnen. In einem etwas abgeschrammten Hörsaal in Rom saß die internationale Crème solcher Reproduktionsgenies beieinander und schwor sich gegenseitig, bald das erste Klonbaby der Welt zu kreieren. Wortführer war der Arzt Severino Antinori, dessen Berufung es ist, selbst Frauen jenseits der 60 noch Kinder zu schenken. Als eine Gruppe junger Ärzte in den Saal trat, um gegen die Absichten der Kollegen zu protestieren, endete die Veranstaltung in Geschrei. Neben mir saß der Harvard-Doktor Richard Seed, ein freundlicher alter Herr, der vor sich hinmurmelte. Als alle Weißkittel zu brüllen begannen, sprang er plötzlich auf und schrie mit breitem Ostküstenakzent: „Ich werde meine Frau klonen, ich werde meine Frau klonen!“

Aber wie steht es um das therapeutische Klonen, mit dem eines fernen Tages vielleicht perfekte Ersatzorgane hergestellt werden könnten? Im März scheiterte der Versuch der UN, ein weltweites Klonverbot zu beschließen. Die Generalversammlung verabschiedete eine nicht bindende und damit folgenlose Erklärung. 84 Staaten stimmten dafür, 34 dagegen, 37 enthielten sich. Viele streng katholische Länder von Italien über Polen bis Costa Rica stehen hier für die harte Con-tra-Linie, auch die USA. Interessanter ist die Allianz jener Staaten, die sich für die Erforschung des therapeutischen Klonens stark machen: Skandinavien und das Baltikum sind komplett dabei, Großbritannien (wo das „therapeutische Klonen“ seit 2001 gestattet ist), Belgien, Frankreich und Spanien (das die Seiten wechselte), auch Tschechien, Kanada, Kuba, Brasilien, dazu Indien und eine Phalanx aus Fernost, die große Hoffnungen in das wirtschaftliche Potenzial künftiger Anwendungen setzt: Südkorea, Japan, China, Singapur und Thailand.

Um den südkoreanischen Wissenschaftler Hwang Woo Suk, dessen Team 2004 das Klonen von menschlichen Embryonen gelang, wird ein regelrechter Starkult gepflegt. Im Mai vermeldeten die Koreaner, sie hätten elf embryonale Zelllinien gewonnen. Hierzulande würde dem Mann eine Haftstrafe drohen.

Deutschland tut sich eingedenk seiner NS-Vergangenheit besonders schwer mit der Ethikdebatte. Wie wird eine Merkel-Regierung mit dem Thema umgehen? Die FDP ist für Stammzellforschung und Klonversuche, die CDU dagegen.

Der Druck von Wissenschaft und Industrie wächst. Vor kurzem stimmte eine große Mehrheit im Washingtoner Repräsentantenhaus dafür, die Bush-Restriktionen bei der embryonalen Stammzellforschung abzuschaffen. In Kalifornien werden Milliarden Dollar in solche Forschung gesteckt. Auch die Investitionen in Südkorea, Singapur und China sind enorm.

Was die Euphoriker gern verschweigen: Die Forschung steckt noch immer in ihren Anfängen. Die Wissenschaft weiß hier nur sehr bedingt, was sie tut. Auch hat es furchtbare Rückschläge gegeben. Erinnert sei etwa an die Arbeit der Pariser Forscher um Alain Fischer, die elf Kinder mit SCID-X1 behandelten – einer schweren, genetisch bedingten Immunkrankheit. Zunächst wurden die Erfolge gerühmt. Dann bekamen zwei Kinder Leukämie. Das neue Gen war neben einem krebserregenden Gen „gelandet“, das so aktiviert wurde. Anfang 2003 wurde der Versuch abgebrochen. Auch die US Food and Drug Administration stoppte alle geplanten Experimente. Die größten ethischen Dilemmata stehen noch vor der Tür. Ein Beispiel: Sollte es in vielen Jahren gelingen, aus Stammzellen neue Organe zu züchten – wer soll die kostbaren Ersatzteile bekommen?

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7, Juli 2005, S. 106 - 107

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