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01. Juni 2009

Gemeinsam gegen die Piraten

Die Atlanta-Mission der Europäischen Union auf Erfolgskurs

Die Kriegsschiffe der EU erledigen ihre Arbeit erfolgreich. Im Rahmen der Atalanta-Mission am Horn von Afrika verhindern sie die meisten Übergriffe von Piraten, die in einem immer größeren Areal aktiv werden. Deutschland hat als Exportnation ein existenzielles Interesse an der Sicherung dieser wichtigen Handelsroute zwischen Europa und Asien.

Seit dem 8. Dezember 2008 operieren Kriegsschiffe der Europäischen Union am Horn von Afrika zum Schutz der dortigen Seeschifffahrt; vom 19. Dezember 2008 an beteiligt sich Deutschland mit Seestreitkräften an dieser ersten Seeoperation der EU. An diesem Tag votierte der Bundestag mit der bemerkenswerten Mehrheit von 87 Prozent für eine deutsche Teilnahme an der Mission, die auf Rechtsgrundlage der so genannten Gemeinsamen Aktion der EU vom 10. November 2008 basiert. Dieses Mandat wiederum orientiert sich in der Aufgabenstellung nahezu wörtlich am Text der Resolutionen 1814, 1816 und 1836 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

Alle Erklärungen stellen den Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WEP) in den Vordergrund. In Somalia sind aktuell ca. 3,5 Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Schiffe des WEP haben allein in den ersten fünf Monaten der Operation Atalanta mehr als 150 000 Tonnen Hilfsgüter in somalische Häfen befördert. Nachdem in den Jahren 2005 bis 2007 mehrere Schiffe mit humanitären Hilfsgütern von Piraten überfallen und geplündert worden waren, reagierte der UN-Sicherheitsrat. Übereinstimmend beinhalten alle Resolutionen und Mandate drei Aufgaben:

  • Schutz der Schiffe des Welternährungsprogramms,
  • Schutz „anderer“ gefährdeter Schifffahrt,
  • Verhinderung / Ahndung von Akten der Piraterie und des bewaffneten Raubes zur See.

Deutschland hat sich verpflichtet, für die Operation eine Fregatte mit zwei Bordhubschraubern und einem „Vessel Protection Detachment“ zu stellen. Dieses zehnköpfige Team von Marineinfanteristen kann auf gefährdeten Handelsschiffen zu deren Schutz eingeschifft werden. Das deutsche Mandat erlaubt die Entsendung von bis zu 1400 Soldaten in die Operation Atalanta. Damit sollte die Option offengehalten werden, auch andere deutsche Einheiten in dem Seegebiet unter das besonders robuste Mandat Atalanta stellen zu können. Unter nationaler Kontrolle – außerhalb der Operation Atalanta – dürfen deutsche Einheiten nämlich nur Nothilfe im Sinne von Absatz 98 des Internationalen Seerechtsübereinkommens leisten.

Die Operation Atalanta steht unter Führung eines britischen Admirals, des „Commander European Forces Atalanta“. Dieser führt die Mission aus seinem Hauptquartier (Operation Head Quarters / OHQ) im britischen Northwood, wo ihm ein internationaler Stab von 95 Offizieren, Unteroffizieren und zivilen Mitarbeitern zur Verfügung steht. Dem OHQ untergeordnet ist das „Force Headquarter“ (FHQ) an Bord einer Fregatte im Einsatzgebiet. Dem auf taktischem Level führenden Kommandeur, dem „Commander European Naval Forces Atalanta“, unterstehen die seegehenden Einheiten der Operation ebenso wie die in Dschibuti, Mombasa und auf den Seychellen stationierten Seefernaufklärer. Aktuell beteiligen sich Spanien, Frankreich, Griechenland, Italien, Schweden und Deutschland mit 13 Schiffen und drei Flugzeugen an Atalanta.

Der Operationsplan sieht drei grundsätzliche Operationsarten vor:

  • In so genannten „Baseline Ops“ überwachen Kriegsschiffe mit Hilfe ihrer Radare, ihrer Hubschrauber und ihrer Ausgucks ein Seegebiet und greifen bei erkannter Piratengefahr ein.
  • In „Escort Ops“ begleiten Kriegsschiffe besonders gefährdete Handelsschiffe einzeln (z.B. Schiffe des WEP) oder in Gruppen („Group Transits“ im Golf von Aden).
  • In „Focus Ops“ wird gezielt präventiv gegen erkannte Piratenaktivitäten vorgegangen.

Das direkte Eskortieren ist die im Zusammenhang mit den Schiffen des Welternährungsprogramms bevorzugte Variante. Schiffe des WEP befahren in der Regel die Strecken Mombasa–Mogadischu (drei bis fünf Tage) oder Dschibuti–Berbera–Boosaaso (zwei bis drei Tage). Im Golf von Aden werden Gruppen-passagen für Handelsschiffe angeboten, die durch niedriges Freibord (unter 4 m) und/oder niedrige Höchstgeschwindigkeit (unter 18 Knoten) gefährdet sind. Während Schiffe des WEP und seit einigen Wochen auch jene der African Mission in Somalia (AMISOM) exklusiv durch EU-Kriegsschiffe begleitet werden, eskortieren zahlreiche Nationen und Organisationen Handelsschiffe entlang des „international empfohlenen Transitkorridors“. Fast täglich finden solche Gruppentransite jeweils nach Ost oder West in dem 450 Seemeilen (ca. 850 km) langen Korridor statt.

Stärken und Schwächen

Das Mandat für die Operation Atalanta beinhaltet die bislang weitestreichenden Einsatzregeln (Rules of Engagement / ROE) in der Geschichte internationaler Einsätze der Deutschen Marine. Bemerkenswert ist auch, dass Deutschland keine nationalen Einschränkungen der von der Europäischen Union vorgeschlagenen ROE vorgenommen hat. Deutsche Kommandanten können – im Rahmen der delegierten Befugnisse – mit umfangreichen Gewaltmitteln gegen der Piraterie verdächtige Personen und deren Fahrzeuge vorgehen. Es reicht dabei bereits ein „hinreichender Verdacht“, um Fahrzeuge anzuhalten, zu durchsuchen und gegebenenfalls zu beschlagnahmen.

Fehlende Abkommen zwischen der EU und den Anrainerstaaten über die Aufnahme und Behandlung festgesetzter Verdächtiger führten in den ersten Wochen dazu, dass zahlreiche Piraten nach ihrer Entwaffnung wieder freigelassen werden mussten. Grundsätzlich ist die Strafverfolgung von Piraten Sache der jeweiligen Nation – es gibt (noch) keinen EU- oder UN-Seegerichtshof. Wie unterschiedlich die Verfahren sind, zeigen folgende Beispiele: Der unter „Operation Enduring Freedom“ (OEF) operierende französische Zerstörer „Jeanne de Vienne“ hat am 3. Januar 2009 19 Piraten festgesetzt und sie schon zwei Tage später an die nordsomalische Teilrepublik Puntland ausgeliefert; die dänische Fregatte „Absalon“ hatte fünf am selben Tag im Zusammenhang mit dem Überfall auf ein Handelsschiff unter Flagge der Niederländischen Antillen festgesetzte Piraten sechs Wochen lang an Bord, bevor sie zur weiteren Strafverfolgung in die Niederlande ausgeflogen werden konnten. Russische Einheiten haben festgesetzte Piraten in der Vergangenheit an jemenitische Behörden übergeben – ein Beispiel, dem die EU wegen der dort praktizierten Todesstrafe nicht folgen kann.

Seit dem 6. März gibt es ein Abkommen zwischen Kenia und der Europäischen Union, das die Strafverfolgung festgesetzter Piraten durch kenianische Gerichte regelt. Seitdem konnten 52 Piraten an Kenia übergeben werden.

Amerikanische, britische, französische und russische Einheiten haben unter nationaler Führung etwa ebenso viele Piraten „aus dem Verkehr gezogen“. Die Clan-Ältesten von Hobyo und Haradere, den somalischen Piratenhochburgen, haben deshalb kürzlich eine Liste mit 128 Namen vermisster „Seeleute“ an die EU übergeben.

Wie wirksam ist Atalanta ?

Spätestens mit der Entführung des Supertankers „Sirius Star“ Mitte November 2008 war der Weltgemeinschaft klar, dass etwas geschehen musste: Bereits im Dezember operierten rund 20 Kriegsschiffe rund um das Horn von Afrika.

Kritiker behaupten, die Anwesenheit der Kriegsschiffe habe keine Wirkung und rechnen vor, dass sich seitdem die Zahl der Piratenangriffe signifikant erhöht habe. Verkannt wird dabei aber, dass es sich um einen sprunghaften Anstieg erfolgloser Überfälle handelt. Tatsächlich wurden im Dezember 2008 „nur“ noch zwei Handelsschiffe entführt, im Januar 2009 waren es insgesamt drei Handelsschiffe, die in die Hände der Piraten fielen. Die Statistik (siehe Tabelle) zeigt: Waren im Sommer 2008 Piraten bei durchschnittlich 14 Angriffen in sechs Fällen erfolgreich, fiel die Erfolgsquote zum Jahreswechsel steil ab: Im Januar kam es zu 17 Angriffen mit nur drei erfolgreichen Entführungen. Die überwiegende Zahl der Überfalle fand dabei im Golf von Aden statt.

Aus Sicht der Piraten musste sich nun etwas ändern. Sie verlegten ihre Aktivitäten ab Mitte März 2009 in das „Somali Basin“, ein Seegebiet, das ca. vier Mal so groß ist wie der Golf von Aden. Atalanta musste reagieren und folgte mit seinen Operationen in das Basin. Im Golf von Aden entstand dadurch keineswegs ein Vakuum, waren in den ersten Monaten 2009 doch russische, chinesische, japanische und indische Einheiten unter nationaler Führung hierher verlegt worden. Zusammen mit der aus der OEF herausgelösten „Task Force 151“ und seit Mitte März mit der „Standing NATO Maritime Group 1“ befanden sich auch ohne die EU-Einheiten ständig ca. 15 Kriegsschiffe im Golf von Aden.

Nach der Entführung dreier deutscher Handelsschiffe im April 2009 verstärkte Deutschland seinen Beitrag zu Atalanta. Anfang Mai standen drei Fregatten, zwei Versorgungsschiffe und ein Seefernaufklärer der deutschen Marine unter EU-Kommando am Horn von Afrika.

Der britische Befehlshaber brachte die Herausforderungen, vor denen seine wenigen Einheiten stehen, auf den Punkt: „the terror of distance“. Das Operationsgebiet erstreckt sich in der Ausdehnung auf mehr als 2500 mal 500 Seemeilen, also fünf Seetage Transit in Nord-Süd-Ausdehnung und mehr als einen Seetag Transit in Ost-West-Richtung. Und schon reagiert die EU auf die Zunahme der Überfälle in den Gewässern um die Seychellen: Das Operationsgebiet soll künftig auch diese Gewässer abdecken.

Die signifikante Zunahme der Angriffe in den letzten Wochen lässt sich mit der bevorstehenden Monsunzeit erklären: Die Piraten füllen – ähnlich den Eichhörnchen vor dem Winter – ihre „Vorräte“ an Schiffen und Geiseln auf. Die während des Monsuns herrschenden Seegangsverhältnisse lassen Operationen auf Hoher See mit den offenen Booten der Piraten nicht zu.

Wirtschaftliche und strategische Dimensionen

In der Presse wird im Zusammenhang mit dem Mandat überwiegend von „Piratenjagd“ gesprochen; der eigentliche Schwerpunkt der Operation (der Schutzauftrag für die Schiffe des Welternährungsprogramms) bleibt häufig unerwähnt. Der öffentliche Druck – vor allem von den deutschen Reedern – ist groß, tatsächlich gegen die Piraterie im Golf von Aden vorzugehen. Deutsche Reeder betreiben die drittgrößte Handelsflotte der Welt, die vitale Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von Im- und Export ist hinlänglich bekannt. Tatsächlich ist Deutschland laut der aktuellen Statistik des Internationalen Maritime Bureau Kuala Lumpur das am meisten von der Piraterie am Horn von Afrika betroffene Land. Jede weitere Störung der Weltwirtschaft in der gegenwärtigen Wirtschaftskrise kann sich direkt auf die Preise für den Endverbraucher auswirken. Der Golf von Aden und der Eingang zum Roten Meer sind Dreh- und Angelpunkte der Weltwirtschaft, von deren reibungsloser Nutzung enorm viel abhängt.

Aber auch die deutsche Tourismusbranche ist betroffen: Jeden Monat passieren mehrere tausend deutsche Urlauber auf Kreuzfahrtschiffen den Golf von Aden. Man stelle sich vor, eines dieser Schiffe mit hunderten deutscher Urlauber an Bord geriete in die Hände der Piraten.

Das Hauptquartier in Northwood führt für die EU das „Maritime Security Centre Horn of Africa“ (www.MSCHOA.eu). Hier finden Reeder und Kapitäne Empfehlungen für das Verhalten im Seegebiet, Informationen über die aktuelle Lage bis hin zu Sofortmeldungen über Angriffe. Schiffe können für die Passage registriert werden – sie erscheinen dann in der täglichen „Vulnerable Shipping List“, die an alle Kriegsschiffe im Einsatzgebiet verteilt wird. Von Piratenangriffen betroffen sind insbesondere Schiffe mit niedrigem Freibord und geringen Geschwindigkeiten oder entsprechend wertvoller Ladung. Diese stehen in der Gefährdungskategorie ganz oben und werden durch die am Horn von Afrika operierenden Schutzkräfte besonders überwacht.

Die vier Kategorien heißen „low risk“ (schnelle Schiffe mit hohem Freibord), „moderate risk“ (Schiffe ab 18 Koten mit mittlerem Freibord), „substantial risk“ (Schiffe zwischen 12 und 17 Knoten mit mittlerem oder niedrigem Freibord) und „severe risk“ für Schiffe mit niedrigem Freibord und / oder unter zwölf Knoten. Für die letzten beiden Kategorien wird durch die EU eine Teilnahme an einer geführten Gruppenpassage empfohlen.

Mittlerweile ist eine Zunahme des Verkehrs rund um Afrika, um das Kap der Guten Hoffnung, messbar. Die derzeit aufgrund der Weltwirtschaftskrise fallenden Frachtraten machen die drei Wochen längere Passage zu einer vertretbaren Alternative, zumal auch die Versicherungsprämien für Schiffe und Ladungen, die den Golf von Aden passieren, wieder auf höchstes Niveau angestiegen sind. Daraus erwächst eine neue Gefahr: Die Wohlfahrt und damit die Stabilität Ägyptens sind in hohem Maße abhängig von den Einnahmen aus den Gebühren der Suez-Kanal-Passagen. Die Kanalgesellschaft sah sich schon gezwungen, die Gebühren zu senken, um der Attraktivität der Alternative „Kap der Guten Hoffnung“ entgegenzuwirken.

Erste Erfolge

Seit Beginn der Operation Atalanta ist die Zahl der erfolgreichen Piratenangriffe auf Handelsschiffe und Privatyachten im Golf von Aden deutlich erkennbar zurückgegangen. Wie viele Angriffe Atalanta-Kriegsschiffe durch ihre bloße Anwesenheit verhindert haben, kann naturgemäß nicht beziffert werden. Die Überwachung der Handelsschifffahrt sowie die regelmäßigen Gruppenpassagen durch MSCHOA haben mutmaßlich ebenfalls zur Erhöhung der Sicherheit für die Seeschifffahrt im Golf von Aden beigetragen.

Dass die relativ hohe Anzahl an Kriegsschiffen durch eine zentrale Koordination deutlich effektiver wirken könnte, ist unstrittig. Hier muss auf politischer Ebene ein Weg gefunden werden, die vorhandenen Kräfte zu bündeln. Aber auch bei den Reedern und Kapitänen ist ein Umdenken erforderlich: „Wer geschützt werden soll, muss sich auch schützen lassen wollen!“ Noch immer sind weniger als die Hälfte aller Schiffe, die den Golf von Aden passieren, bei MSCHOA registriert. Und nach Analyse der Entführungsfälle seit Dezember 2008 lässt sich fest stellen: Die Mehrzahl der entführten Schiffe wäre nicht in die Hände von Piraten gefallen, wenn sich Reeder und Kapitäne an die dem Verband Deutscher Reeder und dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie vorliegenden Empfehlungen der EU gehalten hätten.

Das Problem der Piraterie ist jedoch nur ein kleiner Teil der Herausforderungen am Horn von Afrika. Es lässt sich dauerhaft auch nicht durch die gegenwärtigen Operationen auf See oder begrenzte Landoperationen im Sinne der UN-Resolution 1851 ausmerzen. Somalia braucht dringend eine funktionierende Staatsgewalt – ohne eine solche gibt es auf Dauer keine Sicherheit und Stabilität in der Region. Hier ist die internationale Gemeinschaft gefragt, Somalia endlich aus dem Randbereich des Interesses in den Fokus zu rücken.

Die nächste Katastrophe deutet sich bereits an: Die UN-mandatierten und überwiegend von der EU finanzierten AMISOM-Friedenstruppen der Afrikanischen Union stehen in ihrem Kampf gegen aufständische Gegner der erst im Januar neu gewählten Regierung in Mogadischu kurz vor einer Niederlage.

ANDREAS UHL, Fregattenkapitän, ist Einsatzführer EU NAVFOR ATALANTA im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2009, S. 56 - 62.

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