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01. März 2010

Gefährlicher Hegemon

Warum der Iran nicht Atommacht werden darf

In der internationalen Debatte rund um das iranische Atomprogramm setzt sich immer mehr die Auffassung durch, dass man eine Atommacht Iran eindämmen könnte. Dies wäre allerdings für die gesamte Region eine gefährliche Option und könnte zu Destabilisierung bzw. einem sehr fragilen Gefüge nuklearer Abschreckung führen.

Während sich der Iran Schritt für Schritt nukleare Kapazitäten aneignet und sich die Versuche der internationalen Gemeinschaft, dies zu verhindern, als wirkungslos, wenn nicht sogar völlig hilflos erweisen, hat die Debatte eine unmerkliche, aber gleichwohl beunruhigende Wendung genommen. Neuerdings spricht man davon, dass eine Politik der Eindämmung auch im Fall einer Atommacht Iran funktionieren könnte.1 Nun wäre es in der Tat verantwortungslos und töricht, keinen Plan B für den Fall zu entwickeln, dass der Iran sich tatsächlich nuklear bewaffnen könnte. Nur darf der Westen dabei keinesfalls den Eindruck erwecken, als habe er sich schon mit diesem Ausgang abgefunden. Würde man jetzt akzeptieren, dass der Iran Atomwaffen herstellen kann, dann würde man auch die Ernsthaftigkeit und Nachdrücklichkeit aller Maßnahmen unterminieren, die Teheran noch von diesem letzten Schritt abhalten könnten. Den Ernst der Lage spielt man dann noch weiter herunter, wenn man davon ausgeht, dass das Prinzip der Abschreckung oder eine Politik der Eindämmung auch für den Iran wirksam wäre. Eines Tages sollten wir uns tatsächlich mit dieser Frage beschäftigen. Noch aber ist die Zeit nicht reif dafür.

Sehen wir einmal von den Auswirkungen ab, die eine solche Diskussion auf die Entschlossenheit des Westens haben mag, die notwendigen Mittel und den politischen Willen für hartnäckige und vor allem erfolgreiche Verhandlungen mit dem Iran zu investieren – auch das Konzept der Eindämmung bedarf einer genaueren Betrachtung. Ist es das einzige oder das richtige Referenzsystem, in dessen Rahmen man die Gefahren eines nuklear bewaffneten Iran diskutieren sollte? Und selbst, wenn wir davon ausgehen können, dass sich der Iran von einem atomaren Schlag abschrecken lassen könnte – geht es dann nur um diesen Aspekt der Eindämmung?

Die Annahme, man könne die Gefahr eines nuklear bewaffneten Iran mit den Mitteln des Kalten Krieges bannen, ist trügerisch. Damit würde man Denkmodelle, die einer grundlegend anderen Epoche und völlig anderen Zusammenhängen entstammen, auf eine Gefahrenlage anwenden, die sich von der Situation des Kalten Krieges in ihrem Ausmaß und in der Dynamik, die sie entfalten kann, stark unterscheidet. Natürlich können wir davon ausgehen, dass die Atomstaaten den Iran von einem nuklearen Angriff abhalten können. Dieses Abschreckungspotenzial wird durch ein weiter ausgebautes und technologisch verbessertes Raketenabwehrsystem sowie ein nukleares Schutzschild verstärkt, den die USA und ihre Verbündeten vermutlich errichten werden.2 Das Argument, eine Eindämmung des Iran könnte genauso gut funktionieren wie einstmals die Eindämmung Chinas, verkennt jedoch die dramatischen Auswirkungen eines Atomstaats Iran innerhalb der Region. Die Islamische Republik verfolgt eine klare Politik regionaler Hegemonie und hat bereits sehr entschlossene Schritte in diese Richtung unternommen. Sie macht keinen Hehl aus ihren Ambitionen, nicht nur den Nahen und Mittleren Osten grundlegend zu verändern, sondern auch jegliche Entwicklung zu unterstützen, die Israels Existenzrecht so delegitimieren würde, dass es dann nur ein kleiner Schritt zu dessen Zerstörung wäre. Auch ziehen die Anhänger einer Politik der Abschreckung gegenüber dem Iran nicht in Betracht, welch verheerende Auswirkungen es auf das Nonproliferationsregime hätte, könnte sich der Iran mit seinen nuklearen Ambitionen tatsächlich durchsetzen. Das rechtliche Rahmenwerk des Atomwaffensperrvertrags und dessen Bedeutung würden ernsthaft beschädigt und die Staaten des Nahen und Mittleren Ostens fühlten sich ebenfalls bemüßigt, nuklear aufzurüsten. Und das zu einer Zeit, in der sich US-Präsident Barack Obama bemüht, den Abkommen für eine globale Rüstungskontrolle wieder verstärkte Bedeutung zukommen zu lassen und die Welt von einer Notwendigkeit einer völligen atomaren Abrüstung zu überzeugen.3

„Superpower“ Iran

Ein Iran mit Atombombe würde den gesamten Nahen und Mittleren Osten in Unruhe versetzen; die Bedrohungsperzeptionen in dieser Region würden sich grundsätzlich ändern. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass aufgrund der hegemonialen Absichten Teherans nicht nur Israel, sondern die gesamte Region betroffen wäre. Ein atomar bewaffneter Iran könnte mit Hilfe der von ihm unterstützten Hisbollah und Hamas noch wesentlich ungestörter Unruhe in der Region stiften. Wie sehr Teheran bereits jetzt über diese zweifelhafte Fähigkeit verfügt, hat es in jüngerer Vergangenheit erst wieder demonstriert: Im zweiten Libanon-Krieg vom Sommer 2006, der ausbrach, nachdem die libanesische Hisbollah israelische Soldaten entführt hatte; in der Operation „Gegossenes Blei“ vom Dezember 2008 bis Januar 2009, als Israel auf einen fortgesetzten Raketenbeschuss durch die palästinensische Hamas reagierte; und schließlich in der andauernden Unterstützung terroristischer Organisationen. Seine hegemonialen Absichten versucht der Iran dabei mit Hilfe von Verbündeten auszutragen, die dann die unmittelbaren Kosten des Konflikts zu tragen haben, während Teheran peinlich genau darauf achtet, selbst nicht in Aktivitäten außerhalb seines Staatsgebiets verwickelt zu werden.

Am deutlichsten zeigte Ägypten im vergangenen Jahr seine Besorgnis über Irans aggressive hegemoniale Absichten und Einmischungen in interne Angelegenheiten. Aber auch der andauernde Disput Teherans mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und die Sorge, dass Teheran die schiitische Bevölkerung aufwiegeln könnte, umtreibt die arabischen Staaten von Nordafrika bis in den Persischen Golf. Wird der Iran Atommacht, dann dürfte schon das neue Image der Islamischen Republik als „Supermacht“ das Verhalten aller Staaten am Persischen Golf ändern. Die unmittelbar an den Iran grenzenden Golf-Staaten werden sich vermutlich nicht allein auf amerikanische Sicherheitsgarantien verlassen wollen und sich deshalb den Wünschen Teherans beugen. Der Einfluss des Iran über die Region verstärkt sich gewissermaßen von selbst. Darüber hinaus werden einige Staaten ihre eigenen nuklearen Ambitionen intensivieren wollen, sei es aufgrund von Sicherheitsbedenken oder weil sie einer Vormachtstellung des Iran etwas entgegensetzen möchten. Dies gilt vor allem für Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei.

Was Israel betrifft, so müsste es – neben der Gefahr, die unmittelbar durch den Iran drohen könnte – auch bei jeder Reaktion auf andere Bedrohungen seiner Sicherheit die Reaktion des Iran einbeziehen. Damit würde eine wichtige Säule der israelischen Nuklearpolitik wegbrechen – nämlich dass kein Nachbarstaat ebenfalls nukleares Potenzial erlangen sollte. Ohne Zweifel würde dies in Israel ein tiefes Gefühl der Verwundbarkeit verursachen. Es ist ganz und gar nicht unrealistisch anzunehmen, dass sich dann langsam eine Dynamik beständiger Spannungen entfalten würde, die im Nahen und Mittleren Osten auf ein Gefüge gegenseitiger Abschreckung hinausläuft, dessen Pole Israel und der Iran sind. Es ist genau dieses Gefüge gegenseitiger Abschreckung, das viele dazu verleitet, die Gefahr eines nuklear bewaffneten Iran herunterzuspielen. Da die Supermächte während des Kalten Krieges dieses nukleare Gleichgewicht zu halten vermochten, sollte dies, so das Argument, ja auch im Nahen und Mittleren Osten möglich sein. Nun mag es wohl in Israel wie im Iran starke Anreize geben, ein solches Gleichgewicht herzustellen – doch stünde es auf äußerst brüchigem Grund. Man kann wohl kaum davon ausgehen, dass es im Mittleren Osten mit seinen zahlreichen Spannungsgeflechten sehr haltbar wäre. Es erklärt sich von selbst, dass Israel unter diesen Umständen nicht auf eine nukleare Abschreckungsfähigkeit verzichten würde. Allein die Vision Obamas von einer völligen atomaren Abrüstung würde dann schon schwer vorstellbar – von ihrer Umsetzung in die Realität ganz zu schweigen. Es würde nur allzu deutlich werden, dass eine umfassende Rüstungskontrolle auf der Basis einer globalen Agenda scheitern muss, wenn es schon nicht gelingt, zur Proliferation entschlossene Staaten zu reglementieren oder wenn eine solche Agenda nicht einmal berücksichtigt, wie eine solche Bedrohung in der Region wahrgenommen wird und welche Sicherheitsbedenken dadurch entstehen.

Das Regelwerk der Nichtverbreitung bricht zusammen

Sollte der Iran eine nukleare Kapazität erlangen, hätte dies auch ernsthafte Auswirkungen auf das Regime der Nichtverbreitung. Nur zu offen würde zu Tage treten, dass die internationale Gemeinschaft jahrelang alle diplomatischen Künste aufbot – von Überredungskraft über Zwang bis zur Schmeichelei – um den Iran zur Einhaltung des Nichtverbreitungsvertrags zu bewegen – während Teheran die Welt unverhohlen belog und betrog und sein militärisches Atomprogramm ungerührt fortsetzte. Nicht nur, dass der Iran am Ende ungeschoren davonkam, sondern dass er sein Atomprogramm gewissermaßen unter dem Schutz des NVV und seines Inspektionsregimes fortführte, würde den NVV schwer beschädigen. Steht die IAEO erst einmal als Papiertiger da, dem es nicht gelungen ist, einem zur Proliferation fest entschlossenen Staat den Weg zur Atommacht zu verwehren, dann ist die Organisation eines nennenswerten Einflusses beraubt. Der ehemalige Generaldirektor der IAEO, Mohammed El-Baradei, der wiederholt keine klaren Beweise für die iranische Entwicklung nuklearer Militärkapazitäten zu erkennen vermochte, stünde bestenfalls als außerordentlich naiv da – oder man müsste ihm gefährliche politische Absichten unterstellen.

Die Bemühungen der Obama-Regierung um eine Atomwaffenkontrolle scheinen diese Realitäten zu verkennen. Die USA legen die Schwerpunkte ihrer Abrüstungspolitik derzeit auf entschiedenes Handeln bei der Durchsetzung des Vertrags zum Verbot der Produktion von Spaltmaterial für Nuklearwaffen (Fissile Material Cut-Off Treaty/FMCT), auf die Ratifizierung des Kernwaffenteststopp-Vertrags, (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty/CTBT) und eine Stärkung des Nichtverbreitungsvertrags während der Überprüfungskonferenz im Mai dieses Jahres. Der Versuch, das Prinzip der Nichtverbreitung von Atomwaffen zu retten, ist jedoch zum Scheitern verurteilt, wenn die USA nicht einsehen, dass es absolut vorrangig und von essentieller Bedeutung ist, zur Proliferation entschlossenen Staaten wie dem Iran Einhalt zu gebieten. Es wäre wesentlich nachteiliger für das Projekt der Abrüstung, wenn solche Staaten sich durchsetzen können. Die Tatsache, dass die USA im Laufe des Jahres 2010 den CTBT nicht ratifizieren würden oder dass der FMCT nicht auf den Weg gebracht werden könnte, fiele dagegen wesentlich weniger ins Gewicht.4

Entspanntere Verhandlungen mit neuer Regierung?

Ein Wort zu den innenpolitischen Entwicklungen im Iran und wie sie sich auf eine nukleare Proliferation auswirken könnten: Seit den Präsidentschaftswahlen vom Juni 2009 wurden wir Zeuge schwerwiegender und anhaltender Unruhen im Iran. Aus der ursprünglichen Empörung über den unverhohlenen Wahlbetrug, den man Präsident Achmadinedschad vorwarf, hat sich eine breite Oppositionsbewegung entwickelt, die einen wesentlich tiefgründigeren Wandel, wesentlich größere politische Freiheit und die Einhaltung der Menschenrechte einfordert. Dass mittlerweile auch der Geistige Führer Ali Khamenei zum Ziel der Proteste geworden ist, kann man sicherlich als Novum in der iranischen Geschichte bezeichnen, die das ganze Ausmaß der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Regime zeigt. Der iranischen Oppositionsbewegung mag es derzeit noch – und das ist vielleicht ihr größter Schwachpunkt – an einer klaren Führung fehlen. Doch immer mehr Beobachter halten es nicht für gänzlich ausgeschlossen, dass die Unruhen im Iran letztlich auch zu einem Regimewechsel führen könnten. Die Frage sei nicht mehr ob, sondern wann er stattfinden könnte.5

Diese Entwicklungen dürften sich auch auf den Atomstreit mit dem Iran auswirken. Das Problem einer nuklearen Proliferation steht in engem Zusammenhang mit der Verfasstheit des jeweiligen Staates – seinen politischen Zielen, der Art der Bedrohung, die er darstellt, und seinem Verhalten im regionalen und internationalen Kontext. Ein nuklear bewaffneter Iran würde uns weniger Sorgen bereiten, wenn er eine geringere Gefahr für seine Nachbarn und die Region wäre. Selbstverständlich können wir nicht davon ausgehen, dass ein Regimewechsel zwangsläufig eine Kehrtwende in der Atompolitik des Landes mit sich bringen würde. Doch mit einem weniger bedrohlichen Regime könnte man Verhandlungen in einer entspannteren Atmosphäre führen. Hochdramatische Bedrohungsszenarien, die eine ebenso dramatische Reaktion nach sich ziehen könnten, wären dann jedenfalls weniger wahrscheinlich.

Ein nuklear bewaffneter Iran ist also nicht nur für den Nahen und Mittleren Osten eine äußerst gefährliche Option. Falls Teheran seine hegemoniale Zielsetzung durch seinen Status als Atommacht untermauert, würden die negativen Folgen sehr schnell offenkundig. Ein Blick auf die Rhetorik, die konkreten Aktionen des Iran und auf die Atom-, Raketen- und Raumfahrtprogramme im Iran veranschaulicht das Wesen dieses Regimes und seiner Prioritäten. Welche politischen Absichten der Iran in der Region verfolgt und wie er anderen Staaten innerhalb seines Einflussgebiets begegnen würde, ist nicht allzu schwer zu enträtseln. Zudem würde der Aufstieg des Iran zur Atommacht jeglichen atomaren Abrüstungsbemühungen einen herben Rückschlag versetzen. Und selbst, wenn die Schwäche des internationalen Proliferationsregimes durch einen iranischen „Erfolg“ gänzlich offenbar würde, so bleibt doch unklar, welcher Staat in der Lage wäre, diese äußerst missliche Situation zu korrigieren und wie lange man ungeachtet eines vielleicht sogar vorhandenen politischen Willens für ein solches Unterfangen brauchen würde. Welche Maßnahmen dann auch immer ergriffen werden: Im Fall des gefährlichsten nuklearen Proliferators kämen sie zu spät. 

EMILY B. LANDAU ist Direktorin des Arms Control and Regional Security Program, Institute for National Security (INSS), Tel Aviv University.

  • 1Zur möglicherweise ersten hochrangigen Einschätzung dieser Art gelangte Gen. (ret.) John Abizaid, „World Could Live with Nuclear Iran“, Huffington Post, September 17, 2007. Im Sommer 2009 drückte Außenministerin Clinton indirekt ihre Unterstützung für diese Ansicht aus, als sie sagte, dass ein Schutzschild für die Verbündeten im Nahen Osten zur Abschreckung des Iran errichtet würde, falls die Verhandlungen scheitern sollten.
  • 2Zweifel an der Effektivität auch dieser Form von Eindämmung gegenüber einem atomaren Angriff des Iran erweckt Barry Rubin, „Containment of a Nuclear Iran: Sounds Good but it’s Risky and Possibly Losing Strategy“, Rubin Report, blog, 28.10.2009.
  • 3Siehe Obamas Abrüstungsprogramm entsprechend seiner Rede in Prag am 5. April 2009: www.whitehouse.gov/the_press_office /Remarks-By-President-Barack-Obama-In-Prague-As-Delivered
  • 4Der Vorsitzende des Washingtoner Center for Arms Control and Nonproliferation beispielsweise, Lt. Gen. Robert Gard, sprach in einer Bewertung des ersten Amtsjahres von Barack Obama die Empfehlung aus, der Präsident müsse die Politik der Abrüstung entschlossen zu Ende führen. Dann zählte er neun notwendige Schritte auf, darunter erfolgreiche START-Verhandlungen mit Russland, eine erfolgreiche NVV-Review-Konferenz und einen offensiv angelegten Plan zur Ratifizierung des CTBT. Der Punkt „erfolgreiche Verhandlungen mit dem Iran und Nordkorea zur Beendigung ihrer Atomwaffenprogramme“ wurde zuletzt erwähnt. Falls dies ein Indiz für die amerikanische Prioritätensetzung bei der Waffenkontrolle ist, dann beweist es die fehlgeleiteten Prioritäten. Siehe die Internetpräsenz des Centers „Obama at One Year: ‚A‘ for Transforming Nuclear Policy, Incomplete for Execution“, 19.1.2010,www.armscontrolcenter.org/audience/media/011910_obama_at_one_year_nucle….
  • 5Siehe Nazenin Ansari and Jonathan Paris: The Future of Iran’s Green Movement, Atlantic Council, 14.1.2010. Siehe auch Richard N. Haass: Enough is Enough, Newsweek, 22.1.2010.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2011, S. 32 - 39

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