Titelthema

29. Aug. 2022

„The Games must go on!“

Donald Trumps zweite Amtszeit, radikal beschnittene Grundrechte – und Frieden mit Russland? Die USA im Jahr 2028: ein Szenario.

Der Morgen des Freitag, 21. Juli 2028, war ein unangenehmer in Kalifornien, dabei war das Wetter ausnahmsweise mild. Waldbrände wüteten seit Tagen in dem US-Bundesstaat, und der steigende Meeresspiegel hatte mal wieder schwere Küstenflutungen verursacht. Aber es war nicht der Klimawandel, der am Eröffnungstag der 34. Olympischen Spiele für Spannungen sorgte, es war vielmehr die Politik.

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Die Nominierungen der Präsidentschaftskandidaten für die Wahl im November würden in den Wochen nach den Olympischen Spielen stattfinden, und bisher war der Wahlkampf sehr angespannt gewesen. Die Wunden der vergangenen vier Jahre unter der zweiten Amtszeit Donald Trumps (82) – wiedergewählt im Jahr 2024 – lagen offen zutage, und alle Kandidaten bohrten darin in der Hoffnung, Stimmen zu gewinnen. Trumps zweite Amtszeit waren Jahre voller Unruhen und Gewalt gewesen. Hungerstreiks, Sit-ins, Proteste, Amokläufe; aber auch Attentate auf Politiker, auf Aktivisten, Schauspieler und Sänger waren nunmehr Alltag. Erst am Vortag hatten Schüsse in einer Schule in Arizona sieben Menschen das Leben gekostet. „Mal wieder ein Fall, der belegt, dass Lehrer Waffen tragen sollen dürften“, tweetete der republikanische Präsidentschaftskandidat und Gouverneur von Florida, Ron DeSantis (47).



Seit 2015 hatte die Anzahl der Toten durch Schusswaffen in den USA immer neue Rekorde gebrochen. Demokratinnen wie die Kandidatin und Gouverneurin von New York, Alexandria Ocasio-Cortez (37), fanden, dies habe etwas damit zu tun, dass es der Oberste Gerichtshof schon im Jahr 2022 Bundesstaaten erschwert hatte, Waffenbesitz zu limitieren. Vor allem aber wurde Präsident Trump die Schuld gegeben, der ein Klima des Hasses ständig weiter geschürt habe.



Trump, der oberste Spalter

Der Präsident war natürlich nicht alleine in seiner Polarisierungsmission. Der Oberste Gerichtshof, dominiert von republikanischen Richtern, hatte in den vergangenen Jahren eifrig manche Uhr noch weiter zurückgedreht, und seit dem Ausscheiden von Richterin Elena Kagan nach kurzer, schwerer Krankheit im Jahr 2026 war das Gericht noch konservativer geworden. Schon 2025 hatte das Gericht entschieden, dass es gutes Recht privater Unternehmen sei, ihre Dienstleistungen homosexuellen Paaren zu verwehren; das führte prompt zu üblen Auswüchsen wie „Homos sind hier nicht willkommen“-Zeichen an Restaurants und Geschäften. Der Vergleich mit Nazideutschland ging mehr als einmal durch die Medien.



Dann war da die Entscheidung, dass Universitäten Minderheiten bei der Zulassung nicht mehr bevorzugen dürften, die zu schweren Unruhen auf Campussen im ganzen Land geführt hatte. Und nicht zuletzt gab es das Urteil, Bundesstaaten weitreichende Freiheiten einzuräumen, was landesweite Wahlen betraf – inklusive dem Abstecken von Wahlkreisen und der Nominierung von Wahlleuten. Die Furcht vor einem hässlichen Wahlausgang war deshalb weitverbreitet, und zwar in allen Teilen der Bevölkerung. Auch die Schlachten um Grundrechte waren noch nicht vorbei, denn DeSantis und Trumps Vize Nikki Haley (auch sie Kandidatin) versprachen, dass auch andere „Woke-Victories“ wie die gleichgeschlechtliche Ehe, das Recht auf Zugang zu Verhütungsmitteln oder auf Eheschließung verschiedener Ethnien nicht mehr sakrosankt sind.



Erratische Außenpolitik

Auch außenpolitisch waren die letzten Jahre turbulent gewesen, wenngleich Trump die USA nicht, wie viele es vermutet hatten, aus der NATO herauslöste. Europa habe im Ukraine-Krieg bewiesen, dass es „militärisch was drauf“ habe, sagte Trump. Einer seiner ersten Amtsbesuche hatte Kiew gegolten, wo er Präsident Wolodymyr Selensky (50), der 2024 wiedergewählt worden war, zu seiner Rückeroberung des Donbass gratulierte. Er sicherte weitere militärische Unterstützung zu, damit auch die Krim zurückerobert werden könne, und kritisierte die EU dafür, dass die Ukraine noch immer kein Mitgliedstaat sei. „Sehr, sehr lahm“, schrieb der Präsident.



Die guten Beziehungen zur Ukraine wurden indes schnell untergraben, als Trump sich kurz darauf mit Russlands Präsident Wladimir Putin (75) traf und erklärte, „man muss auch mal vergessen können“. Selensky lehnte dementsprechend eine Einladung zur Eröffnungszeremonie in Los Angeles ab, ebenso wie viele andere europäische Staatsoberhäupter. Putin gab währenddessen zu Protokoll, er fliege nicht mehr gerne so lange Strecken, was neuerlich Anlass zu Spekulationen über seinen Gesundheitszustand gab.



Ähnlich erratisch hatte Trump sich in der Taiwan-Frage verhalten. Während des Wahlkampfs vier Jahre zuvor hatte er zweideutige Kommentare gemacht: „Ich bin mir nicht sicher, dass das Schicksal einer kleinen Insel so weit weg wirklich eine strategische Priorität für die USA ist … Ich meine, natürlich würde Amerika sich verteidigen, aber ich würde doch nicht unsere Söhne und Töchter ans Ende der Welt schicken, nur wegen so etwas.“ War dies der Satz, der Peking im Jahr darauf zum Versuch der Übernahme motivierte? Viele Demokraten sahen das so. Im Sommer 2025 begann die Chinesische Volksarmee, Taiwan sukzessive zu belagern, zunächst mit Angriffen auf IT- und Kommunikations­strukturen, dann mit U-Booten. Die nächste Etappe, so war sich die CIA sicher, wäre ein Raketenregen, der Taipeh zur Kapitulation zwingen würde. An diesem Punkt entschied Trump einzugreifen und entsandte dann doch die US-Marine. Auch wenn dies China – vorerst – zum Rückzug bewegte, führte es doch zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen und fror die Taiwan-Frage gleichsam neuerlich ein. Die nunmehr gleich großen Wirtschaftsblöcke trieben jedoch nach wie vor Handel miteinander.



Das Militär in Schwierigkeiten

Taiwan war nicht nur diplomatisch kompliziert, die Angelegenheit führte letztlich auch zu einer Debatte über das amerikanische Militär. Wenngleich die Olympischen Spiele mit einer spektakulären Nachstellung des Fackellaufs der Space Force eröffnet werden sollen, geht es den anderen Streitkräften eher schlecht. Die Verteidigungsausgaben sinken stetig, und die Ausgabenlast hat sich über die Jahre vor allem bei den Nuklearwaffen erhöht. Zwischen 2019 und 2028 wurde ein um 28 Prozent erhöhter Budgetbedarf festgestellt, und bis 2028 wurden zusätzliche 494 Milliarden Dollar ausgegeben. Problemverschärfend: Immer weniger Amerikaner wollen und können in den Streitkräften dienen, gerade 20 Prozent der Bevölkerung sind physisch fit genug und haben ein sauberes polizeiliches Führungszeugnis. Insgesamt fehlen der Armee fast 50 Prozent Rekruten, um ihre Truppenstärke beizubehalten. Der kritische Zustand des Militärs trägt dazu bei, dass Trumps „Ich bin der Mann der Stärke“-Motiv nicht mehr so zieht wie früher. Die Wahl hatte er, wie schon 2016, nicht nach einer Mehrheit der Stimmen gewonnen, sondern nach Wahlmännern – insgesamt war die Abstimmung aber regulär abgelaufen. Die mangelnde Zugkraft seines Gegenspielers Joe Biden machte es ihm leicht. Trumps stärkster Gegner war nicht Biden gewesen, sondern Ron DeSantis. Der hatte die vergangenen vier Jahre dazu genutzt, Trump systematisch als politischen Kindskopf darzustellen und die Partei so für sich zu gewinnen.



Die Chancen stehen gut für DeSantis, im August die Nominierung der Partei einzufahren. Aber auch er passt eigentlich nicht wirklich zur aktuellen amerikanischen Wählerschaft, die sich in den vergangenen zehn Jahren fundamental verändert hat. Nun sind Millennials und Gen Z (vorrangig demokratische Wählerinnen und Wähler) auch in früher typisch republikanischen Staaten wie Florida, Wisconsin, Georgia und North Carolina in der Mehrheit, und auch in Arizona wird dies 2032 erreicht werden. Auch wenn nach wie vor drei von vier Amerikanern weiß sind, verändert sich die ethnische Zusammensetzung der Bevölkerung sukzessive in Richtung einer gemischten Gesellschaft – gerade bei Millennials und Gen Z, wo jeweils nur noch 61 sowie 52 Prozent weiß sind.



Die USA sind also nicht im Begriff, hispanisch, asiatisch oder schwarz dominiert zu werden, sondern womöglich endlich der Schmelztiegel zu werden, der sie schon seit Jahrzehnten vorgeben zu sein.



Für die Präsidentschaftswahl bedeutet dies, dass das Wahlverfahren selbst immer mehr das Risiko birgt, zu einem nicht repräsentativen Ergebnis zu führen. War dies im vorigen Jahrhundert nie passiert, war es in diesem schon dreimal vorgekommen. Warum? Unter anderem, weil Landflucht dazu geführt hat, dass weniger bewohnten Bundesstaaten disproportional viele Wahlmänner eingeräumt werden und bevölkerungsstarke Staaten wie Kalifornien, Texas, Florida und New York dramatisch unterrepräsentiert sind. Auch das ist Thema des Wahlkampfs: Kandidat Pete Buttigieg (46) etwa hat es zum Teil seines Wahlversprechens gemacht, eine Veränderung des Wahlsystems anzustoßen, was dann auch die schon lange diskutierte Aufnahme Puerto Ricos und des Districts of Columbia (die Hauptstadt Washington) als Staaten ermöglichen würde. Die Republikaner sind in der Frage gespalten: Etwa die Hälfte ist für eine solche Veränderung, auch wenn sie vom existierenden System profitiert. Mit etwas Glück könnte dies bedeuten, dass die benötigte Zweidrittelmehrheit im Kongress durchaus möglich wäre, aber es gibt auch andere Optionen, das Wahlverfahren zu verändern. Politisch wäre eine überparteiliche Verfassungsänderung allerdings ein wichtiges Zeichen der Versöhnung. Alles hängt nun vom Wahlausgang im November ab.



Als Trump die Olympischen Spiele eröffnet, zitiert er ihr diesjähriges Motto: Together we create the future, gemeinsam schaffen wir die Zukunft. Und er behauptet, natürlich, niemand habe die USA so fit für die Zukunft gemacht wie er. „Mögen die Spiele beginnen!“, sagt Trump. Es ist nicht klar, ob er den olympischen Wettstreit meint – oder die Wahlen.   

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2022, S. 52-55

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Mehr von den Autoren

Dr. Florence Gaub ist deutsch-französische Politikwissenschaftlerin, Militärexpertin und Gründerin der Plattform Futurate Institute. Seit Mai 2022 berät sie den Europäischen Rat.

 

Sarah Kiparski ist COO des Futurate Institute, einer neu gegründeten Denkwerkstatt für politische Zukunftsfragen.

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