Gärtner gesucht
Als Erfinder von „Mars“ und „Venus“ ist er bekannt, dem Bild eines planetarischen Gegensatzes zwischen Amerika und Europa. Heute wagt Kagan die These, die stabile Ordnung seit Ende des Zweiten Weltkriegs sei eine historische Anomalie. Der Trend gehe in Richtung Verwilderung – die US-Politik unter Donald Trump verstärke diese Tendenz nur.
Kehrt die Geschichte zurück? „Ja“, meint Bob Kagan in seinem neuen Buch. Der amerikanische Rückzug aufgrund des relativen Machtverlusts der USA sowie der wachsende geopolitische Machtanspruch u.a. Russlands und Chinas bedeuteten die Rückkehr der klassischen Macht(balance)politik und beförderten damit das Ende der multilateralen Ordnung.
Kagan, der sich – typisch amerikanisch – seit Jahrzehnten zwischen US-Regierung, Thinktank-Welt und Journalismus bewegt, gilt als neokonservativ und beschreibt sich selbst als „liberalen Interventionisten“. Er war bis 2016 Mitglied der Republikaner, hat nach der Einsetzung Trumps jedoch die Partei verlassen und Hillary Clinton unterstützt. Mit Trump ging er nach dessen Inauguration hart ins Gericht, für manche Geschmäcker zu hart. Daher mag es überraschen, wie beiläufig er ihn in „The jungle grows back“ behandelt: eher als Katalysator denn als Motor einer Entwicklung, deren lange Linie er aufzeigen möchte.
Kagan schildert ausführlich die entscheidende Rolle der USA für Aufbau und Erhalt der liberalen internationalen Ordnung nach 1945. Vor allem am Beispiel Deutschlands und Japans macht er deutlich, wie durch die US-Politik der „Dschungel-Einhegung“ Demokratie und Wirtschaft aufblühen konnten und wie positiv sich das auf die jeweiligen Subregionen, Europa und Asien, ausgewirkt habe. Die Politik des Aufbaus einer liberalen Ordnung vor allem in der Wirtschaft sowie direkte bilaterale Unterstützung für Kernpartner waren laut Kagan „uneigennützig“ und führten zu einem Rückgang des US-Anteils am globalen BIP von 50 auf 25 Prozent in der Nachkriegszeit. Weniger uneigennützig agierte man auf strategischem Feld: Die dort von den USA diktierten Regeln galten nicht oder zumindest nicht durchgängig für Amerika selbst.
Auch in den Jahren nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei keine Phase des „kollektiven Internationalismus“ angebrochen. Wichtige Stimmen in den USA forderten bereits in den 1990er Jahren Konzentration auf die Innenpolitik und äußerten Kritik am Interventionismus der US-Regierung, verstärkt angesichts des „Irak-Desasters“ 2003. Eine Schwächung der Ordnung durch einen „Rückzug des Gärtners“ deutete sich bereits an. Letztlich habe die Wahl Trumps diesen Trend lediglich verstärkt: Außenpolitik und die US-Rolle in der Welt spielten in der Wahlentscheidung und im Wahlkampf 2016, so Kagan, eine untergeordnete Rolle. Der jahrzehntelange inneramerikanische Konsens über die globale Rolle der USA als Hüterin der liberalen Ordnung sei endgültig zerbrochen.
Parallel zum Abschied der US-Amerikaner von der eigenen Rolle als Garant der liberalen Ordnung erfolgte, so Kagan, die „Rückkehr der Geschichte“: Geografie, alte Gewohnheiten und Glaubenssätze kehrten als Leitmotive der Politik zurück. Gleichzeitig sei die durch den US-Rückzug geschwächte liberale internationale Ordnung nicht in der Lage, diese „autoritären Machtansprüche“ einzuhegen: Der Gärtner fehlt. Trump mit seiner Kritik am globalen Institutionengefüge, am Multilateralismus insgesamt und seinem Politikansatz „maximaler Stärke“ wirke wie ein Katalysator bei der Destruktion dieser Ordnung. Die heutige innere Verfasstheit der USA und ihrer Eliten stünde einer US-Außenpolitik, die im wohlverstandenen Eigeninteresse die liberale internationale Ordnung fördere, entgegen.
Die Kräfte der „Gegen-Aufklärung“, die weltweit Auftrieb hätten, wirkten mit Erfolg gegen die Aufrechterhaltung dieser Ordnung. Zusammengenommen seien dies die strategischen Megatrends, die den Aufwuchs des Dschungels beförderten. Kagan schließt mit einem Plädoyer für ein US-Engagement in Europa und starke transatlantische Bindungen. Sich selbst als „pessimistisch, aber nicht fatalistisch“ bezeichnend, prognostiziert er eine Entwicklung Richtung multipolarer, von Wettbewerb geprägter Weltordnung.
Kagan ist gut in der historischen Analyse. Er schreibt eingängig und in prägenden Bildern. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein ehemaliger Neo-Con sich auch wegen der Politik Donald Trumps zum leidenschaftlichen Verfechter einer liberalen Weltordnung entwickelt. Politikleitende Hinweise, wie die „Rückkehr des Dschungels“ verhindert werden kann, bleibt er aber weitgehend schuldig. Welche Pfeiler der internationalen Ordnung gilt es vornehmlich zu verteidigen? Wo sollte die internationale Gemeinschaft neue institutionelle und rechtliche Streben einziehen? Und wo müssen wir bei der Reform des globalen Institutionengefüges ansetzen, um möglichst viel Ordnung zu erhalten und die Mitwirkung bei der „Gartenpflege“ für aufstrebende Mächte attraktiv zu machen? Auch die gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Triebkräfte, die gerade im Westen zu einer Abwendung von globalem Engagement führen, sind bei Kagan etwas schwach ausgeleuchtet. Dennoch ein lesenswertes Buch.
Robert Kagan: The Jungle Grows Back: America and Our Imperiled World. New York: Knopf Doubleday Publishing Group 2018. 192 Seiten, 22,95 $
Sebastian Groth ist stellvertretender Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt in Berlin. Der Beitrag gibt ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Internationale Politik 6, November-Dezember 2018, S. 140-141