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01. Juli 2016

Freund und Helfer

Das BKA unterstützt den Aufbau einer bürgernahen Polizei in Nordafrika

Mit der polizeilichen Aufbauhilfe des Bundeskriminalamts will Deutschland dazu beitragen, die Arbeit nordafrikanischer Polizeibehörden zu verbessern; Tunesien ist hierbei ein Schwerpunktland. Denn eine Verbesserung der Sicherheitslage ist eine der Voraussetzungen für stabile Entwicklung in der Region.

„Heute hat jeder eine Kalaschnikow, früher wurden wir höchstens mit Fäusten bedroht“, berichtete ein tunesischer Polizeibeamter 2013 der amerikanischen Wissenschaftlerin Querine Hanlon. Dieser Satz macht deutlich, wie massiv sich die Sicherheitslage in Nordafrika in den vergangenen Jahren verändert hat. Die Auswirkungen zeigen sich aber auch in Europa: Neben den Aktivitäten krimineller Schleusernetzwerke in Richtung Südeuropa gibt es die Bedrohung durch radikalisierte und fanatisierte Syrien-Rückkehrer, insbesondere Marokkaner und Tunesier. In Deutschland wachsen daher das Verständnis und die Bereitschaft, neben der traditionellen Entwicklungszusammenarbeit auch den Sicherheitssektor für die aktuellen Herausforderungen zu ertüchtigen.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat sich mit seiner Nordafrika-Strategie frühzeitig auf diese Entwicklungen eingestellt. Neben einer Analyse der jeweiligen Ländersituation wurde ein flexibles Konzept erstellt, mit dem die kriminalpolizeilichen Fähigkeiten vor Ort verbessert werden sollen. So wird seit 2012 versucht, die Professionalisierung der Polizeibehörden in Nordafrika voranzubringen.

Bereits seit den achtziger Jahren unterstützt das BKA mit polizeilichen Aufgaben betraute Sicherheitsbehörden im Ausland durch Ausbildung und Ausstattung. Was zunächst mit vereinzelten Maßnahmen in Asien zur Bekämpfung der organisierten Rauschgiftkriminalität begann, ist heute ein umfassendes Unterstützungskonzept, auf dessen Grundlage das BKA allein im vergangenen Jahr in fast 50 Staaten etwa 250 Maßnahmen selbst umsetzte bzw. deren Umsetzung und Finanzierung koordinierte. Ein Schwerpunkt liegt seit 2010 auf dem afrikanischen Kontinent, speziell auf Nordafrika. Polizeiliche Aufbauhilfe des BKA soll professionelle Polizeiarbeit auf der Basis rechtsstaatlicher Strukturen unter demokratischen Rahmenbedingungen und Achtung der Menschenrechte fördern. Die hinter dieser Aufbauhilfe stehenden Interessen sind nicht nur polizeilicher Natur; sie sind zugleich ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik: Die so genannte Vorverlagerungsstrategie zielt darauf ab, den Auswirkungen organisierter, grenzüberschreitender Kriminalität auf Deutschland möglichst frühzeitig entgegenzuwirken. Dies soll vor allem dadurch geschehen, dass Deutschland die Kapazitäten der Polizeibehörden auch in den nordafrikanischen Herkunfts- und Transitländern stärkt. Ein weiteres Ziel besteht darin, den Austausch sicherheitsrelevanter Informationen – unter anderem mit den nordafrikanischen Staaten – zu erleichtern.

Voraussetzung: Offenheit für rechtsstaatliche Sicherheitskonzepte

Die Voraussetzungen, die ein Zielland von polizeilicher Aufbauhilfe mitbringen muss, sind Stabilität, Bereitschaft und Struktur: Die politische Stabilität muss einen möglichst gefahrlosen Einsatz der deutschen Polizeibeamten gewährleisten; die Sicherheitsbehörden müssen offen sein für demokratische, rechtsstaatliche Sicherheitskonzepte; und das Partnerland muss über grundlegende funktionierende Polizeistrukturen verfügen, damit Unterstützungsmaßnahmen überhaupt Wirkung entfalten können und das BKA seine kriminalpolizeilichen Fachkenntnisse adressatengerecht vermitteln kann. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt eine Unterstützung durch das BKA in Betracht. Grundsätzlich wird der Schwerpunkt auf Ausbildungshilfe gelegt, Unterstützung im Bereich Ausstattung erfolgt dementsprechend vor allem ausbildungsbegleitend. Die Lieferung von oder die Schulung an Waffen ist ausgeschlossen.

Welche Form der Unterstützung das BKA anbietet – ob Lehrgänge, Hospitationen, Beratung oder technische Ausstattung – und welche Themen dabei im Vordergrund stehen – ob Fachwissen zu Tatortarbeit oder Ermittlungsmethoden, Beratung im Hinblick auf organisatorische Abläufe und Strukturen oder spezielles Wissen zu einem bestimmten Kriminalitätsphänomen – hängt vom Wissensstand und konkreten Bedarf des Partnerlands ab. Grundsätzlich sollten die Maßnahmen möglichst langfristig angelegt sein, um nachhaltige Wirkung zu erzielen. Dabei gilt es, die politische Entwicklung eines Landes immer im Blick zu behalten bzw. Kooperationsbeschränkungen zu beachten, um die polizeiliche Aufbauhilfe im Bedarfsfall anzupassen. Eine zentrale Rolle spielen hier die Verbindungsbeamten des BKA in den deutschen Botschaften, die aufgrund ihrer regelmäßigen Kontakte zu den dortigen Innenministerien, Polizeiführungen und Polizeischulen den Bedarf des Partnerlands einschätzen können, die bei der Umsetzung der Maßnahmen helfen und die politische Entwicklung vor Ort beobachten.

Terrorismus, Drogen- und Waffenhandel

Repressionen durch die jeweiligen Sicherheitsbehörden waren einer der Hauptgründe für die Aufstände in der arabischen Welt. Zugleich stellt die angespannte Lage diese Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen. Zahlreiche regionale und überregionale extremistische und terroristische Gruppierungen nutzen Nordafrika als Operations- und Rückzugsgebiet. Das zeigte sich an den Anschlägen auf das Bardo-Museum in Tunis, auf das ­Hotel „Riu Imperial“ nahe Sousse, auf einen Bus der Präsidentengarde im vergangenen Jahr sowie durch den Angriff von etwa 100 IS-Kämpfern auf die tunesische Stadt Ben Gardane an der libyschen Grenze im März 2016. ­Jeder Anschlag forderte Dutzende Todesopfer unter Zivilisten und Sicherheitskräften. Zurückkehrende IS-Kämpfer gelten in allen nordafrikanischen Staaten als erhebliches Bedrohungspotenzial.

Nordafrika ist darüber hinaus Anbau- und Transitgebiet für Rauschgift: Marokko ist der weltweit größte Canna­bisproduzent und -exporteur und zugleich bedeutendster Haschischlieferant für den europäischen Markt. Überdies ist Nordafrika Herkunfts- und Transit­region für große irreguläre Migrationsströme aus Subsahara-Afrika in die EU.

Auch die aktuelle Situation in Libyen verschärft die angespannte Sicherheitslage: Islamistische Gruppierungen profitieren vom unkontrolliert kursierenden Waffenarsenal; zugleich nutzen sie das Land als Rückzugs-, Rekrutierungs- und Ausbildungsraum. Fehlende Grenzkontrollen erleichtern die irregulären Migrationsbewegungen.

Wie transformiert man einen Unterdrückungsapparat?

Die Polizeibehörden in den nordafrikanischen Staaten haben vor allem mit zwei Herausforderungen zu kämpfen: erstens mit dem durch die Umbruch­situation angestoßenen Reformdruck und dem damit einhergehenden Wandel der Polizei von einem Repressionsinstrument hin zu einer bürgernahen Polizei. Rivalitäten zwischen Beharrungskräften und Modernisierern unter den politischen Entscheidungsträgern, interne Grabenkämpfe zwischen konkurrierenden Polizeieinheiten, die hohe Anfälligkeit für Korruption sowie intransparente Strukturen des Sicherheits­sektors hemmen notwendige Reformen und begünstigen ein Machtvakuum. Zweitens haben die Polizeibehörden mit dem rasanten Anstieg der grenz­überschreitenden Kriminalität zu kämpfen: Drogen- und Waffenschmuggel sowie terroristische Anschläge, die darauf abzielen, die zaghaften Demokratisierungsprozesse zum Erliegen zu bringen.

Es fehlt oftmals an Erfahrung, um Bedrohungen frühzeitig zu erkennen bzw. im Falle eines Anschlags schnell und effektiv zu reagieren. Auch sind keine guten Kommunikations- und Befehlsstrukturen innerhalb der Sicherheitsbehörden vorhanden, die Maßnahmen abstimmen und koordinieren können.

Vorbild Tunesien

Sollte der Reformprozess in Tunesien scheitern, hätte dies nicht nur negative Folgen für das Land selbst – Demokratisierungsansätze in der gesamten arabischen Welt wären gefährdet. Tunesien ist aus deutscher und europäischer Sicht der entscheidende strategische Partner in Nordafrika und seit 2012 auch ein Schwerpunktland der polizeilichen Aufbauhilfe des BKA. Unterstützungskonzepte sind jedoch nur dann zielführend, wenn sie die ganze nordafrikanische Region im Blick behalten. Deshalb kooperiert das BKA, wenngleich in unterschiedlicher Ausprägung, auch mit Marokko, Ägypten und Algerien.

Im Jahr 2015 vereinbarten die EU und Tunesien eine verstärkte Zusammenarbeit bei der Reform des tunesischen Sicherheitssektors, in deren Mittelpunkt die Entwicklung einer leistungsfähigen und zugleich demokratisch kontrollierten Polizei steht. Der Umgang der tunesischen Sicherheitsbehörden mit der geschilderten Anschlagsserie hat gezeigt, dass es noch große Defizite gibt. Zugleich bietet Tunesien gute Ausgangsbedingungen für polizeiliche Aufbauhilfe: Die Regierung wirbt seit Beginn des Reformprozesses eindringlich um ausländische Hilfe; die Polizeibehörden zeigen sich offen für Unterstützung und verfügen über die notwendigen grundlegenden Fachkenntnisse. Hinzu kommt, dass die Unterstützung der deutschen Polizei aufgrund ihres guten internationalen Rufes stark nachgefragt wird.

Die Aufbauhilfe des BKA konzentriert sich in Tunesien auf den Bereich Terrorismusbekämpfung. Im Vordergrund stehen hier aktuell die Entschärfung von unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen, die Tatortarbeit im Zusammenhang mit Sprengstoffdelikten sowie die sich daran anschließenden kriminaltechnischen Untersuchungen. Ziel ist es, die Polizeikräfte in die Lage zu versetzen, die Bevölkerung besser zu schützen und Sachbeweise im Rahmen eines Strafverfahrens nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu erheben. Neben Ausbildungsmaßnahmen unterstützt das BKA auch den Bedarf Tunesiens an technischer Ausstattung – darunter Bombenschutzanzüge, Fernlenkmanipulatoren und Röntgendetektoren. Damit soll die Reaktionsfähigkeit der tunesischen Sicherheitsbehörden im Bereich der Gefahrenabwehr in öffentlichen Bereichen (Schulen, Bahnhöfen, Flughäfen) verbessert werden.

Ein weiterer Schwerpunkt der polizeilichen Aufbauhilfe besteht darin, die tunesischen Reformbestrebungen bei der Entwicklung einer bürgernahen Polizei zu unterstützen, insbesondere durch Kooperationen zwischen deutschen und tunesischen Ausbildungseinrichtungen der Polizei und der Nationalgarde. Neben pädagogischen Maßnahmen werden die Lehrpläne gemeinsam überarbeitet, vor allem im Hinblick auf die Themen Rechtsstaatlichkeit, Polizeiethik, Kommunikationsverhalten und Korruptionsbekämpfung. Auch in die Ausstattung der Polizeischulen wird investiert. Von der Kooperation im Bereich der Ausbildung des Polizeinachwuchses sowie der Fortbildung für Führungskräfte erhofft sich das BKA eine breite und nachhaltige Wirkung seiner Unterstützungsmaßnahmen. Wenn möglich, werden Lehrgänge multinational durchgeführt, um die polizeiliche Zusammenarbeit der nordafrikanischen Staaten zu fördern. Tunesische Polizeibeamte nehmen überdies am Stipendiatenprogramm des BKA teil. Das seit 1982 bestehende mehrmonatige Programm bietet ausländischen Polizeibeamten der mittleren Führungsebene einen Deutsch-Sprachkurs an, ermöglicht einen vertieften Einblick in deutsche Polizeiarbeit und -strukturen und dient dem Aufbau eines internationalen Netzwerks.

Darüber hinaus muss sich Aufbauhilfe auch auf die Bereiche konzentrieren, in denen Polizei und Bürger am häufigsten aufeinandertreffen: Schutz- und Ordnungspolizei. Hier stehen Themen wie Verhältnismäßigkeit, Einsatzkonzepte bei Demonstrationen, aber auch Pressearbeit im Vordergrund. Die Tatsache, dass die nordafrikanischen Staaten nicht nur kriminalpolizei­liche, sondern auch grenz- und ordnungspolizeiliche Unterstützung suchen, ist daher sehr positiv zu bewerten. Das BKA kann hier aufgrund seiner kriminal­polizeilichen Kompetenzen und Zuständigkeiten lediglich einen Teilbeitrag leisten. Sind seine personellen Ressourcen erschöpft oder ist eine Zuständigkeit nicht gegeben, wird über eine Koordinierungsstelle geklärt, ob die Bundesländer sich entsprechend engagieren wollen.

Effizientere Koordinierung wäre von Vorteil

Erfolgreiche polizeiliche Aufbauhilfe setzt nicht nur eine Koordinierung auf nationaler Ebene voraus. Um Doppelungen zu vermeiden und Synergien zu erzielen, ist es wichtig, dass sich die verschiedenen Geberländer, die Vereinten Nationen und die Europäische Union untereinander informieren und abstimmen. Trotz vielfältiger Bemühungen gibt es hier noch erhebliche Defizite.

Die Bedeutung Tunesiens als regionaler Stabilitätsanker und als beliebtes Ziel europäischer Touristen sowie die Dimension bisheriger Anschläge haben dazu geführt, dass vor allem die G7, die EU sowie die UN ihre Unterstützungsmaßnahmen für die tunesische Polizei verstärkt absprechen: Großbritannien engagiert sich federführend für den Schutz touristischer und anderer sensibler Orte, Frankreich ist für die Flughafen- und Hafensicherheit zuständig, Deutschland hat den Vorsitz im Bereich Grenzschutz und die EU koordiniert Maßnahmen im Bereich Terrorismusbekämpfung. Effiziente Geberkoordinierung bedeutet auch, die tunesischen Partner möglichst eng einzubinden und die Voraussetzungen für einen transparenten Informationsaustausch zu schaffen.

Deutschland hat seine Bereitschaft signalisiert, Tunesien und andere reformwillige Staaten Nordafrikas künftig noch umfangreicher zu unterstützen. Doch polizeiliche Aufbauhilfe kann in dieser Region nur unter folgenden Bedingungen positive Wirkung entfalten:

• Angesichts der sehr heterogenen Entwicklungen in den nordafrikanischen Staaten, der politischen Konflikte, der angespannten und zum Teil schwer einzuschätzenden Sicherheitslage und schwachen staatlichen Institutionen darf die Aufbauhilfe weder isoliert noch vorrangig als Stabilisierungsmittel eingesetzt werden. Polizeiliche Aufbauhilfe setzt vielmehr eine gewisse Stabilität des Partnerlands voraus und ist somit gegebenenfalls nachrangig gegenüber einem unmittelbaren Krisenmanagement in Form von politischer Kooperation, Friedenssicherung und Entwicklungszusammenarbeit.

• Damit deutsche Unterstützung im Polizeibereich nicht verpufft, sollte die Aufbauhilfe in ein politisches Gesamtkonzept für eine Reform des Sicherheitssektors eingebunden sein, das drei Ziele verfolgt: die Bereitschaft zu guter Regierungsführung und eine parlamentarische Kontrolle des Sicherheitsapparats; die Stärkung einer unabhängigen Justiz, verbunden mit einer Reform des Innenministeriums; sowie die Einbindung der Zivilgesellschaft in den Reformprozess. Ein wichtiger Gradmesser des Erfolgs von Reformen ist dabei auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

• Eine ebenso dringliche Aufgabe der Geberländer bleibt es, ihre Unterstützungsangebote frühzeitig und umfassend abzustimmen. Das Beispiel Tunesien und die Koordinierung des Auswärtigen Amtes im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft 2015 zeigen, dass es auch in diesem Bereich möglich ist, nationale Interessen einem höheren Ziel unterzuordnen.

• Polizeiliche Aufbauhilfe sollte sich ferner auf die Staaten konzentrieren, die ihr Interesse an einer solchen Unterstützung klar zum Ausdruck gebracht haben. In Staaten, die selbst reich an Ressourcen sind, bereits von anderer Seite unterstützt werden oder keine derartige „Einmischung“ von außen wünschen, fehlen erfahrungsgemäß die notwendigen Anreize.

• Die Maßnahmen sollten in ein langfristiges und umfassendes Konzept eingebettet werden. Dafür benötigt man eine gesicherte Finanzplanung, auf deren Grundlage sich die deutschen Sicherheitsbehörden untereinander abstimmen können.

• Schließlich sollten Unterstützungsmaßnahmen immer in zwei Richtungen angelegt sein: als Hilfe zur Selbsthilfe sowie als Unterstützung für mehr regionale Vernetzung. Die Sicherheitsapparate sollten so gestärkt werden, dass sie in der Lage sind, eigenständig für Sicherheit zu sorgen und wirksam auf Krisen zu reagieren.

Dr. Annette Herz ist stellvertretende Leiterin des Referats Polizeiliche Aufbauhilfe im Bundeskriminalamt.

Michael Niemeier ist Direktor beim ­Bundeskriminalamt und leitet die Abteilung Internationale Koordinierung.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli-August 2016, S. 34-39

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