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01. Dez. 2006

Forschungs- und Technologiepolitik in der Globalisierung

Der harte Wettbewerb um Weltmarktführerschaften braucht internationale Regeln

Es gibt heute kaum noch ein Industrie- oder
Schwellenland, das sich nicht das Ziel gesetzt hätte, in Technologie und
Forschung zur Weltspitze zu gehören. Der
globale Wettbewerb auf diesem Feld nimmt daher ständig zu. Wer die
Zukunftsmärkte beherrschen will, muss mithalten können. Aber verbindliche
internationale Regeln dafür fehlen bisher.

Seit einigen Jahren übertreffen sich die Staaten mit Initiativen zur Stärkung ihrer Forschung und technologischen Leistungsfähigkeit. Am markantesten hat dies bereits im Jahr 2000 die EU in Lissabon vorgetragen, als sie sich das Ziel setzte, der „wettbewerbsstärkste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt“ zu werden.

Die Bundesregierung hat jüngst „Die Highteh-Strategie für Deutschland“ beschlossen, in deren Rahmen sie bis 2009 zusätzlich sechs Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aufbringen möchte und dies unter das ambitionierte Motto „Unser Ziel: Weltspitze!“ stellt. Zusätzliches Geld verspricht auch die amerikanische Regierung, die im Februar 2006 die „American Competitiveness Initiative“ ausgerufen hat und ebenfalls das höchste aller Ziele setzt: „Leading the world in innovation“.

Diese Zielvorgaben sind keine leere Rhetorik. Sie sind in allen Fällen durch die Bereitstellung substanzieller Mittel fundiert. Sie zeigen, dass die Regierungen Forschung und Technologie als bedeutendes, ja sogar strategisches Politikfeld wahrnehmen. Denn keine Volkswirtschaft wird sich in der Globalisierung behaupten können, wenn sie nicht durch Forschung und Entwicklung den Grundstein für die Beherrschung der Zukunftsmärkte legt. Dies war den Industriestaaten im Jahr 2004 über 700 Milliarden Dollar wert.1 Die USA führen dabei mit 310 Milliarden vor der EU mit 210 Milliarden Dollar. Deutschland rangiert mit knapp 60 Milliarden Dollar an der europäischen Spitze, liegt aber weit hinter Japan mit fast 120 Milliarden Dollar. Diese Zahlen umfassen staatliche Forschungsbudgets sowie die Ausgaben der Wirtschaft. In Deutschland ist dies ein Verhältnis von einem Drittel zu zwei Dritteln und liegt damit nahe am EU-Durchschnitt, vergleichbar mit den USA. Höhere Leistungen der Wirtschaft finden sich nur in Japan, Korea und der Schweiz. Die absoluten Zahlen für Forschung und Technologie müssen allerdings am Anteil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gespiegelt werden. Hier liegt der OECD-Durchschnitt bei knapp über zwei Prozent des BIP. Einzelne skandinavische Länder erreichen fast vier Prozent, Japan und die USA etwa drei Prozent, die EU weniger als zwei Prozent. Deutschland erreicht immerhin 2,5 Prozent, was allerdings für die ausgeführten Ambitionen zu wenig ist. Das Ziel ist deshalb, mittelfristig drei Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufzubringen und dies in einer Gemeinschaftsanstrengung von Bund, Ländern und Wirtschaft zu erzielen.

Forschungs- und Technologiepolitik finden heute in einem ganz anderen Umfeld statt als noch vor zehn oder gar zwanzig Jahren. Neues Hauptmerkmal ist der Trend, Wissenschaft und Forschung immer stärker auf direkten Anwendungsbezug hin auszurichten. Nobelpreise sind zwar noch immer von höchster Attraktivität, doch ganz oben auf der politischen Agenda steht die Umsetzung von Forschung und Technologieentwicklung in konkrete Verfahren und Produkte: die „Innovation“. Und diese Innovation soll auch am Forschungsstandort geschehen. Deutschland ist notorisch dafür bekannt, dass es Forschungs-ergebnisse liefert, mit denen dann ausländische Firmen Gewinn machen. Die entsprechenden Fälle reichen von der Unterhaltungselek-tronik über Verkehrstechnologie bis hin zu Impfstoffen. Auf diesem Gebiet steuern die Regierungen heute besonders energisch gegen und fordern und fördern die engere Partnerschaft zwischen staatlicher und industrieller Forschung und Entwicklung.

Ein weiteres Merkmal neuer Politik ist die Einsicht, dass Schulbildung, universitäre Ausbildung und die Forschung an Hochschulen und außeruniversitären Einrichtungen eine kohärente Linie bilden müssen. PISA und eklatant zu geringe Studierendenzahlen in ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fächern sind die nur allzu bekannten Alarmsignale. Zudem wird auch in Deutschland dank wenig schmeichelhafter internationaler Hochschul-Rankings erkannt, dass Exzellenz nicht nur Prestige verspricht, sondern auch Forschungsaufträge und die besten Gastwissenschaftler. Ein drittes Merkmal im Umfeld der Forschungspolitik ist der Trend, dass die zivile Forschung heute weniger bis kaum noch von der militärischen Forschung Impulse oder Spin-offs erhält.

Vor diesem Hintergrund haben sich die Forschung und Technologieentwicklung auch international als ein sichtbares Politikfeld etabliert. Dabei können sie auf einer Tradition offener Zusammenarbeit aufbauen. Gleichzeitig entwickeln sich aber verstärkt Konflikte um die entsprechende internationale Organisation. Bislang gibt es noch keine funktionierenden Konfliktregelungsmechanismen auf internationaler Ebene, so dass sich ein erheblicher Handlungsbedarf anstaut.

Forschungskooperation aus Tradition

Der Wissenschaftsbetrieb ist schon lange kein Elfenbeinturm mehr. Im Gegenteil: Wissenschaft und Forschung zeichnen sich in vielen Bereichen als beispielhaft offen, kooperativ und internationalisiert aus. Das macht sie seit einigen Jahrzehnten zu einem unbestreitbaren Teil der Globalisierung. Insbesondere, was die Wissenschaftskultur, bestimmte Forschungsgegenstände sowie den Bau von Großgeräten betrifft, ist tatsächlich kein anderer Weg zum Erfolg denkbar, als grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten. Die Mitglieder der transnationalen „scientific community“ verstehen sich als Weltgemeinschaft, die in ihrem eigenen „global village“ lebt.

Die Wissenschaftskultur baut auf dem Grundsatz auf, dass Forschungsergebnisse frei zugänglich veröffentlicht werden müssen, um so auch anderen die Möglichkeit zu geben, diese Erkenntnisse unabhängig nachvollziehen zu können. Dieses Prinzip findet auf mehreren Ebenen Anwendung. Die erste ist das Publikationswesen, also die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen möglichst in den wichtigsten internationalen referierten Zeitschriften2 wie Science und Nature. Die zweite Ebene ist der Wissenschaftleraustausch. Wissenschaft und Forschung florieren, wo die Beteiligten frei agieren und die besten Köpfe sich zusammenfinden können. Das entsprechende Nomadentum hat sich so als ein besonders charakteristisches Merkmal des modernen Wissenschaftsbetriebs herausgebildet. Die Nomadenströme ziehen unverdrossen in Richtung USA; das hat auch das eher behäbige deutsche Hochschulwesen zu neuen Anstrengungen wie der Auswahl von „Elite-Unis“ angestachelt. In der globalisierten Forschungslandschaft reüssiert eben nur der Standort, der die attraktivsten Bedingungen garantiert.

Diese Offenheit der Wissenschaftskultur birgt allerdings auch Gefahren. Bei der Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse kann zunehmend beobachtet werden, dass Regierungen ein wachsameres Auge darauf haben, dass keine Staats- oder Wirtschaftsgeheimnisse ausgeplaudert werden. 2005 hat dies in den USA zu einem spektakulären Fall geführt, in dem die Regierung die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen verbieten wollte, die Konsequenzen einer terroristisch motivierten biologischen Verseuchung von Milchprodukten in den USA bestimmten.3 Gleichzeitig fragen sich so manche Herausgeber ingenieurwissenschaftlicher Zeitschriften, ob sie nicht laufend gegen die immer engmaschiger werdenden Exportkontrollbestimmungen verstoßen, die inzwischen nicht mehr nur Panzer und Kanonen umfassen, sondern auch Verfahren und Know-how. Im Falle der Freizügigkeit der Wissenschaftler hat man sich inzwischen von der Erkenntnis erholt, dass das Heer der chinesischen Gastwissenschaftler der achtziger und neunziger Jahre heute den Technologiekonkurrenten China aufbaut. Gleichbleibend gefährlich ist der „Einkauf“ insbesondere russischer Wissenschaftler durch den Iran oder andere Staaten, die Nuklearwaffen entwickeln wollen. Zur Verhinderung der Abwanderung von solchen Wissenschaftlern aus sicherheitspolitisch relevanten Bereichen betreibt die EU bis heute ein Kooperations- beziehungsweise Subventionsprogramm mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Die ursprüngliche Wissenschaftskultur mit dem freien Austausch von Forschungsergebnissen und Köpfen gerät damit heute an vielen Stellen unter politische Restriktionen.

Das zweite Feld für Kooperationsbedarf eröffnet sich entlang bestimmter Forschungsgegenstände. Sicher kann jedes Forschungsthema mit steigender internationaler Beteiligung besser bearbeitet werden. Manche Themen verlangen jedoch grundsätzlich die Einbeziehung möglichst vieler Akteure. Dies betrifft alles, was nicht von einem Punkt aus allein bearbeitet werden kann und Fragen von universellem Zuschnitt aufwirft. Beispielhaft kann man die Klimaforschung, die Atmosphärenforschung, die Meeresforschung oder die Astronomie anführen. In allen Fällen sind Messungen von möglichst vielen Stellen aus nötig, um die erwünschten Forschungsergebnisse zu erzielen. Die Bündelung der Kräfte hat sich auch bei der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts im Human Genome Projekt bewährt, das ohne internationale Arbeitsteilung niemals so schnell hätte abgeschlossen werden können.

Der dritte Aspekt traditionellen Zwanges zur Kooperation ist der Bau und Betrieb besonders großer Anlagen. Hier finden sich immer wieder Länder zusammen, die ihre intellektuellen und finanziellen Kräfte bündeln. So wird die Internationale Raumstation (ISS) von derzeit 16 Staaten betrieben, die zusammen für die Finanzierung in Höhe von 100 Milliarden Euro aufkommen. Jüngst wurde auch die Vereinbarung zum Bau des ersten Demonstrators für die Kernfusion (ITER) unterzeichnet, für dessen Errichtung im französischen Cadarache die USA, Europa, Japan und Russland gemeinsam die Kosten von etwa zehn Milliarden Euro tragen werden. Dies sind nur die markantesten Beispiele von multilateralen Forschungsanlagen. Auf einer weniger spektakulären Ebene gibt es zahllose gemeinsame Infrastrukturen von Teilchenbeschleunigern über Windkanäle bis hin zu Solarforschungsanlagen, die Finanzierungs- und Standortvorteile miteinander zu verbinden suchen.

Diese drei Aspekte von Wissenschaft und Forschung als Globalisierungs- und Kooperationstreiber beziehen sich allerdings eher auf grundlagenorientierte Forschung, die einen vorwettbewerblichen Charakter besitzt. Der Übergang zur wettbewerblichen Forschung verliert jedoch zusehends an Trennschärfe. Je mehr die Politik die von ihr geförderte Wissenschaft auf größere Anwendungsnähe trimmt, desto stärker verschwindet die Offenheit. Oft genug entscheidet sich ein Forscher für das Patent statt für die Veröffentlichung. Im gleichen Zuge nutzt die Industrie immer stärker die Vorzüge des globalen Wissenschafts-betriebs, forscht rund um die Uhr, indem sich Forschergruppen in unterschiedlichen Zeitzonen die Arbeit weiterreichen, und lässt an den attraktivsten Standorten für sich arbeiten. Dadurch wird die traditionell kooperationsorientierte Wissenschaftskultur in den globalen, konfliktträchtigen Wettbewerb um Forschungs und Technologie mit ein- beziehungsweise hineingezogen.

Forschungs- und Technologiepolitik als Konflikttreiber

Der Wettbewerb ist ohnehin ein gängiges Muster in Wissenschaft und Forschung. Ob auf nationaler, europäischer oder globaler Ebene – die Wissenschaftler sind es gewohnt, sich im Wettbewerb um Mittel aus Ministerien, der Europäischen Kommission, internationalen Organisationen oder inzwischen auch um Gelder aus Stiftungen amerikanischer Milliardäre mit Sinn für Gesundheit (Gates) oder Umwelt (Branson) zu bemühen. Gleiches gilt für den Wettstreit um die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen, seien sie universitär oder industriell. Nach einer Umfrage des Handelsblatts vom April 2006 erwarten zwei Drittel der befragten Topmanager der deutschen Industrie, dass deutsche Firmen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten zunehmend an ausländische Standorte verlagern oder dort neue Kapazitäten aufbauen. Gleichzeitig zieht Deutschland aber auch Unternehmen an, die hierzulande forschen möchten. Die deutschen Topmanager beschreiben den weltweiten Wissenstransfer dabei als „intellektuelle Globalisierung“ und halten diesen Effekt für bedeutender als die Möglichkeit zu billigerer Produktion.4

Gesunder Wettbewerb und Konkurrenz sind für die Optimierung der Wissensgewinnung keine Gefahr, sondern eher eine Grundvoraussetzung. Sie verwandeln sich aber sehr schnell in Konflikte, wenn gängige Standards und Regeln missachtet werden. Im Bereich der Wissenschaft betrifft dies die Einhaltung ethischer Standards wie Ehrlichkeit und Nachprüfbarkeit. Der Skandal um den südkoreanischen Genforscher Hwang Woo Suk, der bis Ende 2005 mit systematisch gefälschten Ergebnissen zur Stammzellenforschung erhebliche Forschungsmittel erschwindelte, rief weltweit Empörung hervor. Weniger spektakulär sind die täglichen verdeckten oder offenen lokalen Subventionswettläufe und internationalen politischen Machtspiele um die Ansiedlung von Forschungseinrichtungen. In beiden Fällen, dem wissenschaftlichen Wettbewerb und der Ansiedlung von Forschungskapazitäten, existieren keine verbindlichen internationalen Regeln. Für die Ethik in der Wissenschaft hat auf nationaler Ebene die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) erst vor wenigen Jahren einen Kodex gegen Fehlverhalten erarbeitet und zwingt die von ihr geförderten Einrichtungen, diesen auch umzusetzen. Von einem verbindlichen europäischen oder gar weltweiten Standard ist man hier noch weit entfernt. Dadurch können einschneidende internationale Wettbewerbsverzerrungen entstehen.

Eine ethische Dimension enthält auch der Umgang mit Patenten. Neben dem allseits bekannten Problem der Markenpiraterie wird von manchen Ländern auch der durch Patente garantierte Schutz wissenschaftlicher Erfindungen und technologischer Entwicklungen notorisch verletzt. Dazu zählt China, das zwar ein nationales Patentrecht besitzt, aber dennoch die Verpflichtungen aus seinem WTO-Beitritt nicht erfüllt. Dies führte bereits zu einschneidenden Handelskonflikten, die sich auch auf die Forschungskooperation niederschlugen. WTO und OECD versuchen seitdem, China auch mit Mitteln der „kulturellen“ oder ethischen Überzeugung und nicht nur mit wirtschaftlichem Sanktionsdruck zur Einhaltung der Bestimmungen zu bewegen.5

Ein weiterer Konfliktpunkt, der das Spannungsfeld von Forschungs- und Technologiepolitik und Globalisierung charakterisiert, ist der Streit um die Finanzierung von Forschungsleistungen, welche als Subventionen für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit betrachtet werden können. Ein geradezu klassisches Beispiel ist der Streit zwischen Boeing und Airbus. 1992 hatten die USA und die EG ein Abkommen zur Begrenzung der Subventionierung für zivile Großraumflugzeuge geschlossen. Dieses Abkommen sollte einen fairen Wettbewerb bei der Entwicklung von Flugzeugen wie dem A380 oder dem Dreamliner, die jeweils mehrere Milliarden an Forschungs- und Entwicklungskosten erzeugten, garantieren. Die USA kündigten das Abkommen im Oktober 2004 und führen seitdem mit Brüssel einen erbitterten Streit über den Abbau direkter und indirekter Zuschüsse. Während Europa die übermäßige Förderung etwa durch nationale und europäische Luftfahrtforschungsprogramme vorgeworfen wird, -kontert die Europäische Kommission mit Vorwürfen bezüglich der Quersubventionierung der Flugzeugentwicklung aus dem militärischen Bereich und der unlauteren Unterstützung durch japanische Beiträge.6 Auch auf diesem Feld, dem der Handhabung von Forschung und Entwicklung als verdeckter oder offener Beihilfe zur Steigerung der Marktmacht im globalen Wettbewerb, sind weitere Konflikte vorbestimmt. Und auch hier gibt es bislang keine eindeutigen Regelungen.

Die Internationalisierung der Forschung und Technologieentwicklung hat noch einen weiteren, sehr markanten Konflikt erzeugt. Es handelt sich um die Anwendung von Exportkontrolle zur Verhinderung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Jedes Land besitzt eine mehr oder weniger strenge Exportkontrollgesetzgebung. In Deutschland sind dies das Außenwirtschafts-gesetz mit seiner Ausfuhrliste und das Kriegswaffenkontrollgesetz. Diese Bestimmungen schränken auch die Forschungszusammenarbeit ein. Eine zusätzliche Dimension wird durch die amerikanische Gesetzgebung eröffnet. Auf Grundlage des Arms Export Control Act wurden die International Traffic in Arms Regulations (ITAR) erlassen. Kein Gegenstand auf der entsprechenden Liste darf ohne Lizenz exportiert werden sowie vom Abnehmer in internationaler Kooperation weiter verwendet werden. Mit dieser jüngst immer strenger gehandhabten Bestimmung wird insbesondere die internationale Kooperation Europas in der Raumfahrt mit Ländern wie Russland, China oder Indien erheblich behindert, denn in diesem Sektor werden sehr viele amerikanische Komponenten und Bauteile eingesetzt.7 Es ist dabei kaum noch ersichtlich, ob die USA die Zusammenarbeit gerade Europas aus sicherheitspolitischen Erwägungen heraus erschweren oder nur einen Konkurrenten in Schach halten möchten.

Wer sichert sich den Erfolg?

Im internationalen Wettstreit um Spitzenpositionen nähern sich die Strategien mehr und mehr an – und auch die Probleme werden immer ähnlicher. Alle Staaten sind sich im Klaren darüber, dass dauerhafter Erfolg nur möglich ist, wenn von der Grundlagenforschung bis hin zu innovativen Anwendungen ausreichend ausgewogen gefördert wird. Ein Land wie Japan, das bislang zu stark den Anwendungsbezug in den Vordergrund gestellt hat, versucht jetzt den Aufbau einer leistungsstarken Grundlagenforschung nachzuholen und auch endlich seine Nobelpreisquote entsprechend zu steigern. Gleichzeitig haben alle Länder ein Defizit in der Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produkte. Zwar scheint Deutschland besonders ungeschickt darin zu sein, seine Entwicklungen marktfähig zu machen, aber aufgrund der erheblich gestiegenen Ansprüche der öffentlichen Auftraggeber, aus Forschung Arbeitsplätze entstehen zu lassen, ist dies tatsächlich ein weltweites Problem. Die Offenheit des Wissenschafts- und Forschungssystems wird hingegen von niemandem in Frage gestellt. Dies wäre im Zeitalter des Internet ohnehin grotesk. Von den USA wird allerdings, wie beschrieben, aus Angst um die nationale Sicherheit das Exportkontrollrecht in die Waagschale geworfen, selbst wenn dies die Chancen auch der eigenen Forschung hemmen könnte. Erfolgreiche Forschungspolitik in der Globalisierung ist demnach nicht nur eine Frage der Finanzierung, sondern auch der Governance.

Besonders deutlich wird dies auf europäischer Ebene. Seit der Einheitlichen Europäischen Akte legt die EG/EU Rahmenprogramme für die Forschung und Technologieentwicklung auf. 2007 läuft das siebente dieser Rahmenprogramme mit einem Gesamtvolumen von über 50 Milliarden Euro über sieben Jahre an. Daneben gibt es europäische zwischenstaatliche Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen mit variabler Geometrie.8 Die Mitgliedstaaten führen zudem ihre eigenen Forschungsprogramme durch. Und all dies sollte aufeinander abgestimmt sein, nicht überlappen und eine kohärente Politik verfolgen, um das Lissabon-Ziel und die Zielgröße drei Prozent des BIP für Forschung und Technologieentwicklung zu erreichen. Neben der Erzeugung eines bürokratischen Monstrums und der Initiierung ständig neuer Foren, Gremien und Institutionen (zuletzt mit dem Vorschlag zur Einrichtung eines „Europäischen Technologieinstituts“) hat die EU doch auch Gutes bewirkt. Zum einen hat sie geholfen, strategisch wichtige Bereiche für die Forschung zu identifizieren und Aktivitäten auf den unterschiedlichen Ebenen, zuletzt mit ihrem Ansatz der Einrichtung von so genannten „Technologieplattformen“, zu bündeln. Zum anderen kann sie zur einheitlichen Beurteilung von Problemen und zur gemeinsamen Strategiefindung beitragen. Die Initiativen und Positionspapiere wiederholen sich zwar regelmäßig,9 doch sie setzen zumindest einen Trend. Der Ruf nach innovationsfreundlichen Bildungssystemen, einem gemeinsamen Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht für Forscher, der Verbesserung des Technologietransfers, der Intensivierung der Verbindung zwischen Forschung und Wirtschaft, besseren Regeln für Forschungs-Beihilfen, höheren Steueranreizen für Forschungstätigkeiten und der ausreichenden Bereitstellung von Risikokapital sind heute Standard und werden ernsthaft verfolgt. Nur scheint Europa noch immer zu schwerfällig zu sein, um diese dringenden Maßnahmen auch zeitnah umsetzen zu können.

Die Entwicklungsländer werden in der globalen Forschungs- und Technologiepolitik immer weiter abgehängt. Zwar wird im UN-System gebetsmühlen-artig betont, dass sie auch Zugang zu technologischen Kapazitäten haben und ihre eigene Wissenschafts- und Forschungsinfrastruktur aufbauen müssen, um wenigstens ein klein wenig von der Globalisierung profitieren zu können.10 Aber die internationalen Programme sind mager. Entwicklungsländer werden in Kooperationen nur mit einbezogen, wo dies den Industriestaaten besondere Standortvorteile verschafft; oder sie werden gar ihrer natürlichen Ressourcen schlicht beraubt, wenn beispielsweise der genetische Code ihrer Pflanzen von Firmen aus Industriestaaten patentiert wird.11 Es verwundert deshalb nicht, dass im Gefolge solcher Fälle ein internationaler Diskurs über Forschungspraktiken nicht besonders vorteilhaft ausfällt. Insgesamt aber haben sich Themen der Forschung und Technologieentwicklung noch keine besondere Prominenz in der internationalen Öffentlichkeit verschaffen können, die Weltraumforschung und die Gentechnik vielleicht ausgenommen. Eine Anerkennung der Stellung von Forschung und Technologieentwicklung auch im internationalen Kontext – vor allem ihrer Bedeutung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung und nicht nur die Diskussion von Gefahren und Risiken – wäre allerdings eine wichtige Voraussetzung für weitere finanzielle und strukturelle Anstrengungen in diesem Bereich.

Treiber und Getriebene

Wissenschaft und Forschung haben durch ihre Tradition der Offenheit und des Austausches einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Globalisierung ausgeübt. Als kultureller Vorreiter haben sie Grundlagen geschaffen, die auch die wirtschaftliche und technologische Öffnung und den Abbau von Barrieren und Grenzen ermöglichten. Auch heute noch leisten Wissenschaft und Forschung Pionierarbeit beim weiteren Abbau von Hemmnissen und der weltweiten Angleichung, insbesondere in der Ausbildung des akademischen Nachwuchses. Gleichzeitig werden Forschung und Technologieentwicklung aber immer stärker mit Gefahren konfrontiert, die den freien Austausch behindern. Insbesondere durch Handels- und Exportkontrollpolitik werden neue Hindernisse erzeugt. Aber auch die Missachtung wichtiger Standards, wie des Schutzes geistigen Eigentums, erzeugt internationale Konflikte mit negativen Auswirkungen auf das gesamte Politikfeld. Welche Linie ist also zwischen Kooperation und Konkurrenz zu ziehen und welche Mechanismen sind zu entwickeln, um Konflikte zu entschärfen und effizient bearbeiten zu können?

Die internationale Zusammenarbeit kann trotz ihrer bisherigen positiven Resultate noch weiter verbessert werden. Das offene System muss weiter gefördert werden, die Ideen müssen ungehindert wandern können. Diesem Wettbewerb muss sich jedes Land stellen. Ebenso muss eine Öffnung nach außen hin erfolgen. Das heißt, die ambitionierte Universität muss ihren Campus auf interessante Orte hin ausdehnen (seien dies die USA, die Staaten am Golf oder Singapur), und die nationalen Forschungseinrichtungen müssen es wagen, Institute in anderen Ländern zu etablieren.

Gleichzeitig muss die Harmonisierung von Qualifikationen und wissenschaftlichen sowie ethischen Standards intensiviert werden. Großprojekte müssen auf der Grundlage fairer internationaler Arbeits- und Lastenteilung organisiert werden und jedem Beteiligten einen angemessenen Vorteil bringen. Die Entwicklungsländer müssen auch ohne verbriefte Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit einbezogen werden, um eine noch rasantere Dynamik des Wohlstandsgefälles zu vermeiden. Für die industrielle Forschung gilt, dass das internationale System genutzt werden sollte, dass aber technologisches Know-how nicht leichtfertig zugunsten billigerer Produktion abgegeben werden darf. Darüber hinaus ist der öffentliche Diskurs um Wissenschaft und Forschung noch offensiver zu führen.

Die auftretenden Konflikte in der Forschungs- und Technologiepolitik werden bislang nur sehr unbefriedigend bearbeitet. Dies liegt insbesondere auch daran, dass es zwar ein gewisses gemeinsames Verständnis über die Grundprinzipien in diesem Politikfeld gibt. Diese Grundprinzipien, wie die Offenheit des Systems und der freie Austausch von Forschungsergebnissen sowie die Mobilität der Forscher, sind aber noch nicht in verbindliche Normen oder gar universelle Regeln umgesetzt worden. Während dies in ähnlich gelagerten Politikfeldern, wie beispielsweise der Telekommunikationspolitik, schon geschehen ist, warten die Forschungs- und Technologiepolitik noch auf deren Formulierung. Dieses Defizit liegt auch darin begründet, dass es kein effizientes Forum für die Aushandlung einer verbindlichen Ordnung gibt. UN-Einrichtungen wie die UNESCO oder UNIDO scheinen dafür eher ungeeignet zu sein, die WTO deckt nur den Aspekt des Handels ab und die OECD, in deren Rahmen sich die Industrienationen mit dem Thema übergreifend befassen, hat bisher nur die deklaratorische Ebene erreicht. Wenn die Ausarbeitung eines internationalen Rahmens in Angriff genommen wird, muss auf eine größtmögliche Transparenz geachtet werden; insbesondere müssen die Begrenzungen durch externe Faktoren wie Handels- und Exportkontrollen klar nachvollziehbar gemacht werden. Darüber hinaus muss ein solches System auch effektive Mechanismen zur Regeleinhaltung entwickeln, um Fehlverhalten und Missbrauch zu verhindern.

Deutschland kann bei der Weiterentwicklung des internationalen Systems für Forschung und Technologieentwicklung eine wichtige Rolle spielen. Zwar hat es noch vor 20 Jahren knapp 15 Prozent der weltweiten Forschungsausgaben aufgebracht und kommt heute nur noch auf sechs Prozent. Doch es besitzt eine der leistungsfähigsten Wissenschafts- und Forschungslandschaften. Wenn es den Modernisierungsstau an seinen Universitäten überwindet, können diese zusammen mit den sich stetig weiter verbessernden Forschungsverbünden Max-Planck-Gesellschaft und Fraunhofer-Gesellschaft sowie den Großforschungseinrichtungen modellhaft wirken und Einfluss auf die zukünftige Entwicklung nehmen. Wissenschaft, Forschung und Technologieentwicklung müssen aber als strategisches Politikfeld betrachtet und entsprechend gefördert werden. Dies heißt auch: international Führung übernehmen, hart bleiben, wo es nötig ist, wie im Fall der Missachtung geistigen Eigentums, und eine klare Vorstellung von einem offenen, effizienten und fairen System verfolgen.

1 Siehe OECD: Main Science and Technology Indicators, Paris, Juni 2006.
2 Diese sind im „Science Citation Index“ zusammengeführt, in dem 3700 ingenieur- und naturwissenschaftliche Zeitschriften ausgewertet werden.
3 Siehe: Risks and benefits of dual-research, Nature, 435, 7044, 16.6.2006, S. 855.
4 Siehe Bert Fröndhoff: Die Spinne im Netz, Handelsblatt, 18.4.2006.
5 Siehe OECD: Compendium of OECD Activities Related to Intellectual Property Rights, Februar 2006, www.oecd.org/sti/ipr.
6 Siehe Jens van Scherpenberg und Nicolas Hausséguy: Airbus-Boeing: Kein Fall für die WTO. Hintergründe und Chancen des transatlantischen Subventionskonflikts, SWP-Aktuell 29, Juni 2006.
7 Vgl. Andre Farand und Ulrike Bohlmann: ESA’s Cooperation with International Partners – Export Control Issues, esa bulletin, 118, Mai 2004, S. 48–53. -Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) mit 20 Mitgliedstaaten.
8 Unter anderem das Europäische Molekularbiologie-Laboratorium (EMBL) mit 19 Mitglied-staaten, die Europäische Weltraumorganisation (ESA) mit 17 Mitgliedstaaten und die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) mit 20 Mitgliedstaaten.
9 Zuletzt in der Mitteilung Mehr Forschung und Innovation – In Wachstum und Beschäftigung investieren: Eine gemeinsame Strategie, KOM(2005)488 endg. vom 12.10.2005.
10 Siehe  UNIDO: Industrial Development Report 2005, Wien 2005, Executive Summary, S. 3–10.
11 Das UNEP versucht hier auf Grundlage der Biodiversitäts-Konvention von 1992 und die FAO auf Grundlage des Vertrags über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft von 2001 Auswüchsen entgegenzuwirken.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2006, S. 60‑69

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