IP

01. Mai 2017

Feministische Außenpolitik

Schweden geht mutig voran, trotz aller Widerstände im In- und Ausland

Die Ankündigung von Außenministerin Wallström löste sofort Abwehrreflexe aus. Dabei geht es ihr doch um globale Gerechtigkeit und Frieden, die nur mit Geschlechtergleichstellung möglich sind. Es sind langfristige Ziele, nach zweieinhalb Jahren feministischer Politik ist es daher noch zu früh für eine Bilanz. Und der Gegenwind ist weiterhin stark.

Der Sozialdemokrat Stefan Löfven wollte die erste „feministische Regierung“ der Welt bilden, nachdem er im Herbst 2014 das Amt des schwedischen Regierungschefs übernommen hatte. Jeder Beschluss, jedes Budget solle der Gleichstellung der Geschlechter dienen. Ziel des nationalen und internationalen politischen Handelns Schwedens sei es, allen Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Möglichkeiten zu bieten, die Gesellschaft und ihr eigenes Leben zu formen. Die Gleichstellung der Geschlechter sei eine demokratische Selbstverständlichkeit und diene zugleich der Lösung vieler Herausforderungen, vor denen die moderne Gesellschaft heute stehe.

Dass Löfven das „F-Wort“ in den Mund genommen hatte, sorgte international für ein breites Medienecho. Doch wirklich überrascht zeigte sich kaum jemand: Seit der vierten UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 ist in vielen internationalen Abkommen von Gender-Mainstreaming die Rede. Und Schweden liegt seit Jahren bei Gleichstellungsrankings auf einem der vorderen Plätze.

Wallströms Weltpolitik

Weniger gelassen reagierte die Öffentlichkeit, als Außenministerin Margot Wallström, die zuletzt als UN-Sonderbeauftragte zum Thema sexualisierte Gewalt in Konflikten gearbeitet hatte, erklärte, dass zu der feministischen Regierung auch eine „feministische Außenpolitik“ gehöre. Außenpolitik und Sicherheit sind extrem männlich besetzte, konservative Bereiche. Deshalb löste die Ankündigung – noch dazu von einer Frau –, „eine Brille mit Genderperspektive“ aufzusetzen und Veränderungen vorzunehmen, sofort Abwehrreflexe aus. Außerdem rief Wallströms Rede im In- und Ausland Spötter auf den Plan, die fragten, welchen Beitrag denn eine Genderanalyse gegen Terroranschläge, akute aggressive Akte autoritärer Staaten oder ausländische U-Boote in schwedischen Gewässern leisten könne. Eine solche Sicht ignoriert, dass die Frage des Geschlechts vor und im Anschluss an bewaffnete Konflikte für alle Beteiligten einen erheblichen Unterschied macht.

In Schweden hat das Außenministerium einen breiteren Aufgabenbereich als in Deutschland: Wallström ist für Demokratie und Menschenrechte, Völkerrecht, Außen- und Sicherheitspolitik zuständig. Zum Führungsteam des Außenministeriums gehören außerdem die sozialdemokratische EU- und Handelsministerin Ann Linde und Vize-Staatsministerin Isabella Lövin von der Umweltpartei, verantwortlich für internationale Entwicklungszusammenarbeit, Umwelt und Klima.

Entsprechend berührt der jährlich überarbeitete „Handlungsplan für feministische Außenpolitik 2015–2018“ all diese Politikfelder. Die im Plan aufgeführten Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Menschenrechte aller Frauen und Mädchen zu sichern; sie vor physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt zu bewahren; sie an der Prävention und der Lösung von bewaffneten Konflikten und am Wiederaufbau nach kriegerischen Auseinandersetzungen zu beteiligen; ihre politische Partizipation und ihren Einfluss in allen gesellschaftlichen Bereichen zu fördern, ihre wirtschaftlichen Rechte zu stärken sowie ihre sexuelle und reproduktive Gesundheit und die entsprechenden Rechte sicherzustellen.

Was durch die Bezeichnung „feministisch“ einen radikalen Kurswechsel suggeriert, beruht inhaltlich auf der im Jahr 2000 verabschiedeten Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats. Diese sieht vor, Frauen an Gesprächen zur Prävention und Lösung von Konflikten zu beteiligen und den im gleichen Jahr vereinbarten Millennium-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen Geltung zu verschaffen. Diese stützen sich, wie auch die 2015 verabschiedete Agenda 2030, auf wissenschaftliche Daten und Analysen. So gibt es weniger ungewollte Schwangerschaften, extreme Armut und sexualisierte Gewalt, wenn Frauen und Männern dieselben sexuellen und reproduktiven Rechte besitzen. „Die UN-Resolution 1325 ist ein Meilenstein, sie enthält alles Wichtige, aber wir sind bei der Umsetzung noch lange nicht so weit, wie wir sollten“, urteilt Robert Egnell, Professor an der Schwedischen Verteidigungsuniversität. „Noch immer sind nur 2,5 Prozent der offiziellen Vermittler in Friedensprozessen Frauen – das ist viel zu wenig.“

Bei Menschenrechts-, Friedens- und Entwicklungsorganisationen weckte Wallströms Ankündigung die Hoffnung, dass Frauen und Mädchen nun ins Blickfeld der Politik geraten würden, die weltweit in Friedens- und vor allem in Krisen- und Kriegszeiten Menschenrechtsverletzungen sowie mangelnder medizinischer Versorgung besonders ausgeliefert sind. Der intersektionale Ansatz versprach zudem zu berücksichtigen, dass weder Frauen noch Mädchen, weder Männer noch Jungen homogene Gruppen bilden, sondern hinsichtlich Alter, Ethnizität, Behinderung, Bildung, Wohnort, sozio­ökonomischem Status, Genderidentität, sexueller Orientierung, Glauben und Religionszugehörigkeit verschieden sind. Viele erklärte Feministinnen lobten die feministische Perspektive. Einige hielten es aber für Etikettenschwindel, die Außenpolitik als feministisch zu bezeichnen, solange Schweden bewaffnete Konflikte indirekt durch Waffenhandel fördere. Bezogen auf die Einwohnerzahl gehört Schweden zu den weltweit größten Waffenexporteuren.

Rechte und Ressourcen stärken

„Schweden begreift den Schutz der Menschenrechte von Frauen und Mädchen sowohl als eine Erfüllung internationaler Abkommen als auch als eine Voraussetzung dafür, Schwedens breitere außenpolitische Ziele von Frieden, Sicherheit und nachhaltiger Entwicklung zu sichern.“ So steht es auf der Homepage der Regierung. Ziel ihrer Außenpolitik sei es, „die Rechte, Repräsentation und Ressourcen von allen Frauen und Mädchen zu stärken“, so Wallström. Zu diesen feministischen „drei Rs“ komme als viertes der „reality check“ durch „research“ hinzu.

Bei Forschung, die als Handlungsgrundlage dienen soll, komme es darauf an, die Situation der gesamten Bevölkerung zu erfassen; also müsse man bei der Erhebung von Daten nicht nur die Stimmen von Männern aus Regierung und Gesellschaft hören, sondern auch die von Frauen und Kindern sowie Minderheiten, die eine jeweils eigene Perspektive mitbrächten. Wallström trifft bei ihren Auslandsreisen stets auch Vertreter der Zivilbevölkerung. Auch alle Botschafterinnen und Botschafter Schwedens suchen den Kontakt zu Frauen und marginalisierten Gruppen.

Frauen stellen die Hälfte der Bevölkerung. Es geht hier also nicht um eine Minderheitenfrage. „Die weltweite systematische Unterordnung von Frauen unter Männer ist im Grunde eine Menschenrechtsfrage“, wiederholt Wallström unermüdlich in Interviews. Feministische Außenpolitik beinhaltet Wallström zufolge erstens eine Analyse, wie die Welt in Bezug auf die Stellung der Geschlechter aussieht, und zweitens eine Methode, Frauen Rechte, Repräsentation und Ressourcen zu verschaffen. Dazu zählen konkrete politische Maßnahmen, etwa der Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und politischer Teilhabe als wirksame Mittel gegen Gewalt.

Verteidigungsminister Peter Hultqvist sekundiert auf der Homepage der Regierung: „Wir haben aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre gelernt, dass eine Genderperspektive die operative Wirkung unserer Maßnahmen erhöht.“ Das Verteidigungsministerium verfügt über ein eigenes Genderzentrum. Dieses Nordic Centre for Gender in Military Operations ist zudem seit 2013 hauptverantwortlich für den Bereich Gender innerhalb der NATO. Hier lernen militärische Führungskräfte der Vereinten Nationen, welche Rolle Gender und Gleichstellung bei Einsätzen spielen, um die Sicherheit der gesamten Bevölkerung im Blick zu haben.

Dazu zwei Beispiele: Bei Patrouillen auf einem Markt in Afghanistan, der nur von Frauen besucht wird, nur Soldatinnen einzusetzen, minimierte 2013 das Sicherheitsrisiko der Einsatzkräfte und der Zivilistinnen. Das Wissen um die Geschlechterbeziehungen und die Rolle bestimmter lokaler Frauengruppen, die durch ihre Aktivitäten vor allem Jugendliche mobilisierten, half 2009 bis 2012 in Darfur, den Friedensprozess voranzubringen. Somit exportiert Schweden seine Genderkompetenz.

Machtverhältnisse ändern

„Der Begriff ‚feministische Außenpolitik‘ ist nicht als Provokation gemeint gewesen, auch wenn das von einigen Leuten so verstanden worden ist“, sagte Wallström in Sveriges Radio. Sie betont, sie habe „kein Problem, voranzuschreiten“. Ihr geht es um Inhalte: Sie will die Außen- und Sicherheitspolitik, deren geltende Normen und die herrschenden Machtverhältnisse grundlegend verändern, globale Gerechtigkeit und Frieden als Ziele verankern – und zwar unter der Prämisse, dass dies nur bei Geschlechtergleichstellung möglich ist. Frauen seien in vielen Ländern nicht repräsentiert, und Schweden biete sich als Mittler mit Genderkompetenz an, Gleichstellung zu fördern.

Der wissenschaftliche Sicherheitsbegriff veränderte sich Mitte der neunziger Jahre. Früher stand die Sicherheit des Nationalstaats im Zentrum. Sicherheitspolitik zielte darauf, den Staat gegen Angriffe von außen zu schützen. Demnach galt ein Staat als sicher, solange sein Bestehen nicht in Gefahr war – selbst dann, wenn er seinen Bürgern grundlegende Rechte verwehrte und sie bedrohte. 1994 prägten die Vereinten Nationen dann den Begriff „menschliche Sicherheit“.

Heute nimmt Sicherheitspolitik den Einzelnen in den Blick. Es sind Krankheiten und Epidemien, sexualisierte und genderbasierte Gewalt, klimatische Veränderungen, Armut, Korruption oder organisierte Kriminalität, die oft in bewaffnete Konflikte münden, die „menschliche Sicherheit“ bedrohen. Dem trage Außenministerin Wallström Rechnung, lobt Robert Egnell. Islamistische Terrororganisationen ließen sich beispielsweise nicht allein mit Waffengewalt stoppen. Man müsse daran arbeiten, die ethnischen und religiösen Spannungen sowie die politische Unterdrückung aufzuheben, die zur Radikalisierung der Kämpfer führten. „Aber global herrscht außenpolitisch immer noch die Tradition vor, auf Gewalt und Abschreckung zu setzen, obwohl Kriege oft ineffektiv und teuer sind“, urteilt Egnell. Tatsächlich weisen die Daten des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) auf eine weltweite Aufrüstung hin. An der Spitze stehen die USA, auf deren Konto in den Jahren 2012 bis 2016 ein Drittel der globalen Waffenexporte ging. Verglichen mit den Jahren 2007 bis 2011 stieg der amerikanische Waffenexport um 21 Prozent; die Hälfte der Waffen ging in den Nahen und Mittleren Osten.

Eine Politik der kleinen Schritte

Für eine Bilanz der feministischen Außenpolitik Schwedens ist es nach zweieinhalb Jahren noch zu früh. Die Ziele sind langfristig gesteckt: mehr globale Geschlechtergleichstellung, Frieden und Gerechtigkeit. Messen lassen muss sich die Politik daran, welche kleinen Schritte ihr auf dem langen Weg gelingen. Schwedens Regierung ist nicht naiv, wie manche Kritiker meinen, sondern thematisiert immer wieder, wie schwierig es ist, Veränderungen einzuleiten und zu erreichen. Als kleines Land setzt Schweden schon lange auf internationale Organisationen und Abkommen, um die eigenen Interessen sicherzustellen. Wallström ist mutig genug, offensiv für demokratische Werte einzutreten und einen entsprechenden Dialog in Gang zu setzen.

„Schwedens feministische Außenpolitik hält Genderfragen hoch auf der internationalen Agenda“, lobt Johan Erikson, Professor für Politikwissenschaft an der Södertörn-Universität. National sowie im Rahmen von EU, UN, OSZE und als „kritischer NATO-Freund“, wie Wallström es formuliert, tritt Schweden außenpolitisch für feministische Positionen ein. In ihrer diesjährigen außenpolitischen Erklärung wies Wallström auf erste Erfolge hin. In rund 20 Ländern sind Gesetze eingeführt oder Vorschläge vorgelegt worden, welche die Gleichstellung von Männern und Frauen verbessern. Rund 90 ethnische Gruppen haben Genitalverstümmelung abgeschafft, 65 Länder und Organisationen haben Maßnahmen gegen geschlechtsbezogene Gewalt ergriffen. Es gibt ein Netzwerk von Mediatorinnen, und auf Schwedens Initiative hin koordiniert seit 2016 auf EU-Ebene eine Beraterin die internationale Zusammenarbeit im Bereich für Gender und Resolution 1325.

„Im Hinblick auf Frauen, Frieden und Sicherheit ist Schweden schon lange führend“, bestätigt Robert Egnell. Auch in der Entwicklungszusammenarbeit bescheinigt „Concord“, ein Verbund schwedischer und europäischer entwicklungspolitischer Organisationen, Schweden eine erfolgreiche Arbeit. 2016 wurden aus Kanadas Führungsriege um den Regierungschef und erklärten Feministen Justin Trudeau Stimmen laut, die die Genderperspektive bei Militäreinsätzen in ihre Arbeit integrieren wollen. 2017 und 2018 hat Schweden einen Sitz im UN-Sicherheitsrat; das kleine Land hofft auf große Erfolge.

Aber Interessenkonflikte lassen sich nicht leugnen. Auch in Schweden halten längst nicht alle Gleichstellung für einen Wert an sich oder gar für eine Priorität. Als Wallström 2015 ein millionenschweres bilaterales Abkommen zum Waffenhandel mit Saudi-Arabien wegen dessen Menschenrechtsverletzungen aussetzte, hagelte es Kritik von Unternehmensvertretern und Oppositionspolitikern. Aber es handelte sich nur um einen von vielen Verkäufen, Schweden exportierte weiter Waffen nach Saudi-Arabien und in andere autoritäre Länder bzw. in Staaten, die die Waffen dann weiterverkaufen.

Concord kritisierte in seiner Evaluation der schwedischen Außenpolitik im vergangenen Jahr speziell die mangelnde Gleichstellungsperspektive einer solchen Handelspolitik. Weitere Kritikpunkte Concords richteten sich auf die Klimapolitik, welche die aus Geschlechterrollen resultierende besondere Verletzlichkeit von Frauen hinsichtlich des Zugangs zu Naturressourcen ignoriere, und die Migrationspolitik: Die Gesetzesveränderungen im Jahr 2015 hätten dazu beigetragen, dass mehr Männer als Frauen in Schweden Asyl finden, Frauen, Kinder und LGBTI-Personen blieben häufiger in Krisengebieten zurück als Männer.

Darüber hinaus kritisiert der „Internationale Frauenverbund für Frieden und Freiheit“ (IFFF) Schwedens „wachsende Militarisierung“: Schweden hat seit 2016 wieder Truppen auf Gotland stationiert und im März 2017 beschlossen, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Nach der Musterung sollen ab 2018 jährlich 4000 Frauen und Männer zur Grundausbildung eingezogen werden, zur militärischen wie zur zivilen Arbeit – beispielsweise in Situationen wie im Herbst 2015: Als in kurzer Zeit mehr Flüchtlinge als erwartet ankamen, waren die Behörden überfordert, Freiwillige übernahmen Verantwortung. Ein höherer Frauenanteil unter den Wehrpflichtigen – angepeilt sind mindestens 20 Prozent – garantiere aber noch keine bessere Gleichstellung, so der IFFF.

Unterdessen ist weltweit eine „Rückwärtsbewegung“ zu beobachten. Demokratische Werte werden infrage gestellt, Einzelinteressen, Religion und Tradition gewinnen an Gewicht. US-Präsident Donald Trump zeigt seine Verachtung für Frauen, Menschenrechte, Medien und wissenschaftliche Erkenntnisse und schürt die Furcht vor den Mühen der Freiheit, der intellektuellen Auseinandersetzung, der Vielfalt von Meinungen und Lebensentwürfen. „America first“ ist angesichts von Globalisierung und Klimawandel keine zeitgemäße Vision, sondern ein Echo aus dem 19. Jahrhundert.

Schweden hingegen achtet Dokumente mit internationalem Werte­kanon. Seine feministische Außenpolitik will nicht nur Einfluss nehmen; sie reflektiert die eigenen Prämissen und entwickelt sich weiter. Hoffentlich bewahrt sich eine kleine „moralische Großmacht“ weiter Mut und Ehrgeiz.

Dr. Margret Karsch arbeitet als freie Journalistin in Stockholm.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2017, S. 78-83

Teilen