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01. Mai 2008

Europas offene Flanke

Buchkritik

So intensiv wie derzeit standen Russland und der eurasische Raum lange nicht mehr im Fokus. Die russischen Wahlen, der erneut aufflammende Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine sowie die -Unabhängigkeitserklärung des Kosovo sind Ausdruck einer neuen Dynamik. Ein wieder aufgelegter Sammelband schildert die Hintergründe.

Eine „Rückkehr der Geopolitik“ konstatieren die Politologen Winfried Schneider-Deters, Peter W. Schulze und Heinz Timmermann in der Neuauflage ihres 2005 erschienenen Bandes über die „offene Flanke der EU“. Bei der Gliederung des Bandes bleiben die Herausgeber ihrer These zum Trotz allerdings einer länderweisen Herangehensweise treu.

Den größten Teil nimmt die Analyse Russlands von Schulze ein. Vor dem Hintergrund des Niedergangs in den neunziger Jahren erläutert er, wie Putin zwei Tendenzen der Ära Jelzin, die Stärkung der Regionen und Privatisierungen zugunsten der Oligarchen, zu einer „Vertikalen der Macht“ umbaute. Unterstützt von günstigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen gelang ein beeindruckender Stabilisierungsprozess, bei dem man allerdings, so Schulze, demokratische Ideale hintangestellt habe.

Eine Brücke zwischen Russland und der EU könnte aufgrund ihrer Spaltung in den eher russisch geprägten Südosten und einen stärker westlich orientierten Teil die Ukraine darstellen, meint Schneider-Deters. Für eine solche Mittlerrolle sei jedoch ein Integrationsangebot der EU nötig, das über die Europäische Nachbarschaftspolitik hinausgeht. Nur die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft könne der Ukraine den nötigen Rückhalt geben, um die Hürden für notwendige Reformen zu überwinden. Die ukrainische Innenpolitik sieht Schneider-Deters durch die Führungsschwäche von Präsident Juscht-schenko bei gleichzeitiger exzessiver Personalisierung der Politik geprägt, die auch die Präsidentschaftswahlen 2009 prägen würden.

In weiteren Kapiteln wird die Lage in Weißrussland, Moldau, dem Südkaukasus und in Zentralasien beschrieben. Die Beiträge sind durchweg auf hohem Niveau und informativ, allerdings teilweise zu deskriptiv. Die behauptete Rückkehr der Geopolitik wird leider nicht durch Argumente belegt. Tatsächlich geografisch und nicht individuell-staatlich angelegt sind nur die letzten Kapitel, von denen Reinhard Krumms Darstellung einer deutschen Sicht auf Zentralasien herausragt.

So bietet der Band weniger einen Gesamtblick auf eine sehr dynamische Region als durchaus lesenswerte, in sich abgeschlossene Analysen einzelner Staaten. Damit bleibt er jedoch hinter seinen eigenen geopolitischen Ambitionen zurück.

Winfried Schneider-Deters, Peter W. Schulze und Heinz Timmermann (Hrsg.): Die Europäische Union, Russland und Eurasien. Die Rückkehr der Geopolitik. Berlin: Berliner Wissenschafts-verlag 2008, 656 Seiten, 59,00 €

CHRISTOPH MAUNTEL, geb. 1983, ist Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg.