„Europa muss seine Chance nutzen“
Ein Appell wider Amerikas Businessmodell
Die einseitige Fixierung auf Gewinnmaximierung und den Börsenkurs hat die US-Wirtschaft in die Krise geführt. Europas Unternehmen stehen besser da und könnten ihre Vorteile noch stärker ausspielen. Ein Gespräch mit dem Niederländer Donald Kalff über den Trugschluss des Shareholder Value, die Hybris der Banken und die Zerstörung des amerikanischen Finanzsystems
IP: Vor drei Jahren sagten Sie in Ihrem Buch voraus, dass Europas Wirtschaft der amerikanischen überlegen sein wird. Fühlen Sie sich heute bestätigt?
Kalff: Leider rascher und deutlicher als ich befürchtet hatte. In meinem Buch warnte ich die Europäer davor, das amerikanische Unternehmensmodell kritiklos und vollständig zu übernehmen
IP: Noch vor drei Jahren galt dies als ziemlich exotischer Warnruf.
Kalff: Allerdings. Dabei erwies sich das amerikanische Managementmodell als extrem anfällig. Wer das vor ein paar Jahren sagte, galt in der Business Community schnell als Ausgestoßener.
IP: Haben Sie etwas anderes erwartet?
Kalff: Ich denke, diesmal ist die Zäsur so massiv – die Talsohle der Krise ist noch längst nicht erreicht, dass sich in den Führungsetagen grundsätzliche Veränderungen anbahnen könnten. Topmanager sind jedoch die stärksten Bremser. Schließlich haben sie ihre gesamte Karriere auf eisernen Glaubenssätzen aufgebaut.
IP: Was lief bei der Kreditkrise, außer den erkannten Fehlern, noch alles schief?
Kalff: Die Finanzkrise, die sich zu einer Wirtschaftskrise weitet, ist eine logische Folge des vorherrschenden amerikanischen Businessmodells. Es geht nicht einfach um Managementfehler. Es ist keine Verschwörung, es geht auch nicht um ein paar neue Regeln oder um zu hohe Managerboni. Schuld sind schwerwiegende und grundlegende Mängel im System selbst. Werden diese nicht behoben, werden wir in wenigen Jahren das Implodieren einer neuen Finanzblase erleben.
IP: Was meinen Sie mit Systemfehlern?
Kalff: In den USA gibt es heute keine Manager mehr, die etwas anderes kennengelernt hätten als das, was George Bush sen. einmal „Voodoo Economics“ nannte – ein „Anything goes“, das mit Ronald Reagan begann und das zwei Managergenerationen auch bei uns prägte. US-Unternehmen kennen nur ein einziges Businessmodell: Der Shareholder Value dominiert alles, bis hinab zur tiefsten Unternehmensebene. Zudem wurden die Banken zu unangreifbaren Ikonen des angelsächsischen Modells. Sie haben, auch in Europa, ihre vermittelnde Rolle für die reale Werte produzierende Wirtschaft aufgegeben. Die Banken nahmen eine herrschende Funktion ein, die oft genug nur noch Selbstzweck ist. Das ist der Kern der jetzigen Krise.
IP: Daran hat sich doch nichts geändert. Es ist der Kursverlauf an den Aktienmärkten, der das Management antreibt.
Kalff: Der Aktienkurs spiegelt aber nicht den realen Wert eines Unternehmens. Das ist eine Binsenweisheit, trotzdem wird nicht danach gehandelt. Es ist auch falsch zu behaupten, nach amerikanischem Modell geführte Unternehmen seien erfolgreicher als andere. Weder was die Effizienz, die Entwicklung neuer Produkte, noch was die Gewinne betrifft.
IP: Woran messen Sie denn Erfolge von Unternehmen?
Kalff: Am Cashflow, den ein Unternehmen erwirtschaftet, also am Umlaufvermögen innerhalb des Konzerns. Kurz: an seiner Innovationskraft. Nicht die möglichst hohe Gewinnausschüttung garantiert die zukunftsträchtige Entwicklung eines Unternehmens. Das kann nur das Vermögen, dank dessen immer wieder neue Investitionen getätigt und die Forschung und die Entwicklung neuer Produkte vorangetrieben werden. Wer hingegen dauernd möglichst hohe Profite ausschütten muss, hat für diese letztlich entscheidenden Faktoren zu wenig Geld übrig. Das ist ein wichtiger Grund, warum auch unerschütterlich gehaltene Riesen plötzlich in lebensbedrohliche Schwierigkeiten geraten.
IP: Der Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann verlangte vor zwei Jahren von seiner Bank einen Ertrag von 25 Prozent auf das Eigenkapital. Sonst sei sie ein Übernahmekandidat.
Kalff: Ackermann ist ein typischer Repräsentant dieser Ideologie. Natürlich ist der Gewinn ein wesentlicher Faktor. Aber die Profitmaximierung als ultimatives Ziel des Managements und die Fixierung auf den „Return on Invest“ der Shareholder ergeben ein teuflisches Gemisch – erst recht, wenn man bedenkt, dass die Verträge von Topmanagern im Schnitt nur vier Jahre gelten und außerdem zwei Drittel ihrer Einkünfte unmittelbar vom Aktienkurs des Unternehmens abhängen. Um unter diesen Bedingungen erfolgreich zu sein, müssen sie dauernd die Kosten senken. Dass dabei Werte vernichtet werden, liegt auf der Hand.
IP: Worin liegt nun aber der wesentliche Unterschied zwischen „amerikanisch“ und „europäisch“ geführten Unter-nehmen?
Kalff: US-Unternehmen finanzieren sich zu 75 Prozent über den Aktienmarkt, europäische Unternehmen hingegen nur zu einem Viertel. Das ist heute die Stärke der Europäer, aber sie sind sich derer nicht bewusst. Lieber gebärden sie sich noch amerikanischer als die Amerikaner. Stattdessen könnten sie ihre breite Palette an Finanzierungsmöglichkeiten viel stärker ausspielen. Auch die Unternehmensstrukturen in Europa sind sehr vielfältig: familiengeführte Firmen, Stiftungen, Genossenschaften und viele andere Varianten, auch in Mischung mit Börsenkapital. Das bringt jene Flexibilität, wie sie globale Märkte erfordern
IP: Das amerikanische Modell ...
Kalff: … kennt nur eine einzige Variante und die wird zu 100 Prozent vom Kursverlauf und den Aktienmärkten bestimmt. Ist diese Basis angegriffen, gibt es kein Ausweichen. Das führte zu den heutigen, fatalen Folgen. Der weitaus größte Teil aller europäischen Unternehmen hingegen ist privat. Sie können jene Fallstricke umgehen, denen sich rein börsenorientierte Unternehmen pausenlos ausgesetzt sehen.
IP: Und daraus leiten Sie Ihre These ab, wonach das „europäische“ Modell – -genauer: das nicht angelsächsische – dem „amerikanischen“ überlegen sei? Kurz gefragt: Wird Europa gewinnen?
Kalff: Ich meine, wir haben schon gewonnen. Aber wir könnten mehr aus diesen Vorteilen machen. Viel mehr.
IP: Es gibt allerdings auch genügend aktuelle Beispiele für Abstürze in Europa.
Kalff: Die sind aber praktisch alle auf die Strategie der ultimativen Gewinnmaximierung zurückzuführen. Viele Banken haben das Vertrauen verspielt, von dem sie ja, wie keine andere Branche, leben. Das wird nicht so einfach zurückkehren. In großen Konzernen haben Manager ihre Reputation vollkommen verloren. In diesem Ausmaß gab es das noch nie. Es sind ja nicht nur Banken, die in Schwierigkeiten geraten. Ich sehe mehrere Stränge, die sich bündeln und die letztlich auf eine Zerstörung des amerikanischen Finanzsystems hinauslaufen können. Ich fürchte sogar: werden.
IP: Was meinen Sie damit?
Kalff: Die Kreditkartengesellschaften sind „the next dropping shoe“. American Express wandelt sich zur Bank, nur um so an Staatshilfe heranzukommen. Hintergrund sind die stark verschuldeten amerikanischen Privathaushalte, die keine Reserven und noch dazu eine negative Sparrate haben. Die Folgen sind nicht absehbar. Es ist außerdem offen, wie die neue US-Regierung die enormen Summen finanzieren will, die sie für die Rettungsmaßnahmen zusammenborgen muss. Nicht einmal die mächtigen Vereinigten Staaten wären in der Lage, eine J.P.Morgan und eine Citi-Group zu retten, falls es zum Schwur käme. Die Unternehmen sind schlicht zu groß.
IP: Sie sprachen von mehreren Strömen, die sich zum Ruin des amerikanischen Finanzsystems vereinen könnten. Welche noch?
Kalff: Die Automobil- und Luftfahrtindustrie zum Beispiel. Zwei Hauptmotoren für das Wirtschaftswachstum sind praktisch schon jetzt ausgefallen: das Retailbanking und das Housing-Geschäft. Diese beiden Wirtschafts-bereiche sind auf Jahre hinaus tot. Hier ist unübersehbar ein Weg ins Desaster vorgezeichnet.
IP: Als ich Ihr Buch las, dachte ich: Der Mann ist ein notorischer Schwarzseher. Es war damals nicht er-kennbar, dass Sie in vielen Ihrer Voraussagen so schnell Recht bekommen würden.
Kalff: Ich bin kein Schwarzseher. Mir liegt daran, deutlich zu machen, dass Europa seine Chancen nutzen muss – und zwar jetzt. Wenn man wollte, könnte man einen Wechsel, wie ich ihn beschrieben habe, herbeiführen. Es wäre ein radikaler Wandel, der bisher gültige Grundlagen umstößt.
IP: Sehen Sie dazu in Europa -Ansätze?
Kalff: Noch viel zu wenige. Das Gefühl, dass etwas grundsätzlich nicht mehr stimmt, haben viele Manager und -Politiker. Aber sie scheuen die Konsequenzen. Regierungen beteiligen sich heute an großen Finanzunternehmen, um sie zu retten. Sie wechseln vielleicht Boards und Managements aus und kürzen die Bezüge der Topleute, obwohl letzteres wirklich kein sehr wichtiges Thema ist. Aber mehr geschieht vorerst nicht. Das wäre eine verpasste historische Chance.
IP: Wo liegt der konkrete Hebel für einen grundsätzlichen Wandel?
Kalff: Nicht beim Topmanagement, nicht in den Aufsichtsräten, auch nicht bei den Aktionären und nicht bei den Politikern. Sie alle spielen weiter ihre Spielchen. Der Schlüssel liegt beim mittleren Management – „they keep things going“.
IP: Warum bei ihnen?
Kalff: Das mittlere Management ist hochspezialisiert, es trägt, wenn auch nicht nach außen, innerhalb großer Unternehmen die größte Verantwortung. Es kann den Teufelskreislauf des Shareholder Value durchbrechen. Denn ökonomischer Wert wird nur im Unternehmen selbst erzeugt und gesteigert – in Forschung, Entwicklung, Produktion und Verkauf.
IP: Verraten Sie auch noch, wie das gelingen soll?
Kalff: Die größte Chance sehe ich, wenn Gründer von Unternehmen ausscheiden. Hier wird der Weg für das mittlere Management frei – vorausgesetzt, das Unternehmen wird nicht verkauft und an die Börse gegeben. Weil die Strukturen in europäischen Unternehmen viel flexibler sind als in den USA, wo die meisten Firmen börsennotiert sind, gibt es hier die besten Voraussetzungen für einen Wandel. Europa muss sich nur seiner verborgenen Stärken erst noch bewusst werden.
Dr. Donald Kalff arbeitete als Manager bei Royal Dutch Shell und KLM und ist Mitbegründer des holländischen Biotech-Unternehmens Immpact in Haarlem. Vor drei Jahren erschien sein Buch „Europas Wirtschaft wird gewinnen. Was wir Amerika voraus haben“ (Campus).
Das Gespräch führte Fred David.
Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 28 - 31