Es gibt Alternativen!
Nord Stream 2 zu forcieren, war ein Fehler der Bundesregierung. Denn mit „Germany First“ wurde Europa wieder mal entzweit
Für Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) ist die zweite Gazprom-Pipeline durch die Ostsee „sicher kein Herzensprojekt“. Nur leider aufgrund der Vertragslage nicht mehr zu stoppen. Man fragt sich, wem in Deutschland – außer einem von Gazprom als Nord Stream 2-Grüßonkel angeheuerten Ex-Bundeskanzler – das Projekt derart Herzensangelegenheit war und ist, dass es gegen den Widerstand der EU-Kommission und aller wichtigen Freunde inklusive der USA durchgezogen wurde.
Ein Grund liegt darin, dass Angela Merkel bei ihren Klimazielen den Verkehrssektor bislang ausgenommen hat. Für Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), ist es „ein Erfolg, dass die Treibhausgasemissionen im Verkehr nahezu konstant geblieben sind“. Ähm, nein. Das ist ein Armutszeugnis. Deutsche Autobauer produzieren an der Zukunft vorbei, während die Regierung krampfhaft versucht, die Emissionen im Energiesektor weiter zu drosseln. Deutsche schimpfen über hohe Strompreise und die Verspargelung der Landschaft, während sie in ihren SUVs mit 180 Sachen über die Autobahn brettern.
Will man schon nicht die Verkehrsemissionen senken, muss man bei der Energiegewinnung Kohle durch Gas ersetzen, und sei es nur als Brückentechnologie in die CO2-freie Zukunft. Warum das russische Gas allerdings durch eine zweite Nordsee-Pipeline fließen soll statt wie bisher durch die Ukraine, ist auch kein Geheimnis. Wie AKK sagt: Russlands Agenda umfasst „auch den Versuch der Destabilisierung Europas und Deutschlands“.
Genau. Deshalb war es falsch, Nord Stream 2 im Modus „Germany First“ zu forcieren, und Europa dadurch zu entzweien. Damit ist die Bundesregierung jetzt gescheitert. Rat, Kommission und Europäisches Parlament haben sich darauf geeinigt, dass auch für Nord Stream 2 die europäische Gasrichtlinie gelten soll: vor allem das „Unbundling“ von Pipelinebesitz und Gaslieferung sowie „Third Party Access“, also Nutzung der Rohre durch andere Lieferanten. In einem „Kompromiss“, der hierzulande wie ein Sieg gefeiert wurde, wird Deutschland beauftragt, mit Gazprom über die Umsetzung zu verhandeln. Die Bundesregierung bleibt dabei an die EU-Richtlinie gebunden. Ähnliche Bedingungen ließen Gazprom 2014 auf die geplante South-Stream-Pipeline verzichten.
Russland sei für Deutschland „ein großer und wichtiger Nachbar“, sagte AKK. Nicht ganz. Zwischen uns und Russland liegen Polen, die baltischen Staaten, die Ukraine und Weißrussland. Besonders die Interessen unserer östlichen EU-Partner sollten uns ein „Herzensprojekt“ sein. Zu russischem Gas gibt es Alternativen. Zu europäischer Solidarität nicht.
Alan Posener ist Korrespondent für Politik und Gesellschaft der WELT-Gruppe.
Internationale Politik 2, März-April 2019, S. 143