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01. März 2002

Erstickte Demokratisierung in Iran

Die Lage nach dem 11. September

Nach den Ereignissen des 11. September wies Iran, das wenig für die Taliban übrig hatte, seine afghanischen Gefolgsleute an, mit den USA zusammen zu arbeiten. Dass der amerikanische Präsident George W. Bush allerdings kürzlich Iran in einem Atemzug mit Irak und Nordkorea als einen Staat nannte, der amerikanischen Interessen gegenüber feindlich gesinnt sei, war ein niederschmetternder Rückschlag für die Politik der Gemäßigten in Iran.

Wie überall in der Welt haben die Ereignisse der zurückliegenden Monate auch auf Iran tief greifende Auswirkungen gehabt. Gleichzeitig muss sich das Land, auch wenn es keinerlei Sympathien für das Taliban-Regime in Afghanistan hat und sich dem Schock für die öffentliche Meinung, den die Anschläge vom 11. September 2001 auf New York und Washington ausgelöst haben, anschließt, doch der besonderen Umstände der Situation bewusst werden, die nunmehr seine Regional- und seine Innenpolitik beeinflussen werden.

Die Sorgen gründen sich sowohl auf Veränderungen im Sicherheitssystem der Golf-Region, wo die Vereinigten Staaten ihren „Krieg gegen den Terror“ fortsetzen, als auch auf die veränderte geopolitische Lage in Zentralasien und im Kaukasus, wo von Kosovo bis Tadschikistan neue amerikanische Stützpunkte entstehen – 13 in neun Ländern. Auch auf die regionalen und globalen Energieinteressen hatten die Ereignisse Auswirkungen, von denen einige für Iran außerordentlich schädlich sein könnten. Am bedeutsamsten ist Washingtons offensichtliche standhafte Weigerung, mit Teheran wieder normale Beziehungen aufzunehmen, wie dies in der kompromisslosen Botschaft zur Lage der Nation von Präsident George W. Bush zum Ausdruck kam,1 als er Iran in einem Zuge mit Irak und Nordkorea als diejenigen Staaten nannte, die amerikanischen Interessen gegenüber feindlich gesinnt sind – sehr zur Enttäuschung der Gemäßigten in Iran. Die Vereinigten Staaten sind offenbar mehr denn je davon überzeugt, dass Iran Terrorismus jenseits seiner Grenzen unterstützt und zu Hause die Menschenrechte unterdrückt. Das Land könne deshalb nicht als ein verantwortliches Mitglied der Völkergemeinschaft angesehen werden.

Seit Beginn des islamischen Regimes in Iran hat es tatsächlich einen intensiven und anhaltenden Kampf gegen Einzelne und Gruppen gegeben, die dessen Regeln und Handlungsweisen nicht akzeptieren. Vorrangige Ziele waren monarchistische Gruppierungen und Anhänger der Regierung von Shahpur Bakhtiar, ebenso Gefolgsleute des ersten Präsidenten der Islamischen Republik, Abolhassan Bani-Sadr, langjährige Antiregimegruppen sowie autonome, spontane Gruppierungen, die sich für bürgerliche Rechte und Freiheiten einsetzten. Anhänger dieser Gruppen wurden von der Hisbollah aufgespürt und bis 1993 vor die örtlichen „komitehs“, die Revolutionsgerichte, gestellt, die im Kielwasser der Revolution von 1979 spontan in jedem Bezirk des Landes entstanden waren. 1993 wurden diese Revolutionsgerichte unter die Kontrolle der Polizei und von Revolutionsgarden gestellt und erhielten den Auftrag, zusammen mit den Revolutionswächtern die öffentliche Moral zu überwachen und zu lenken.

Trotz der überwältigenden Siege gemäßigter Politiker bei den Wahlen der letzten Jahre, wie dies besonders bei den Präsidentschaftswahlen 1997 und 2001, die Präsident Mohammed Khatami an die Macht brachten, zum Ausdruck kam, gelang es den konservativen Kräften, die Entwicklung der iranischen Innenpolitik immer nachhaltiger zu beeinflussen. Dies war möglich, weil es ein Gleichgewicht gibt zwischen der gewählten Regierung und den Kräften des Obersten Religionsführers, Ajatollah Ali Khamenei, dessen Pflicht es ist, die ursprüngliche islamische Vision von Ajatollah Ruhollah Khomeiny, das „Kath-i Imam“, zu schützen und zu bewahren. Deshalb hat Khamenei so gut wie keine Bereitschaft gezeigt, den konservativen Flügel innerhalb des Regimes zu schwächen, auch wenn diesem eine durch Wahlen bestätigte Legitimität fehlt.

Das Ergebnis war, dass diejenigen, die politischer Vergehen beschuldigt wurden, insbesondere, wenn sie mit der Opposition in Verbindung standen, vor die Revolutionsgerichte gestellt wurden, die von den Konservativen beherrscht werden. Diese Revolutionsgerichte sind eine spezielle Abteilung des Gerichtswesens, in dem der Richter gleichzeitig als Ankläger fungiert und den Angeklagten rechtlicher Beistand verweigert wird. Diesen Aspekt des iranischen Rechtssystems wollen die Reformer, die nunmehr das Parlament (majlis) kontrollieren, abschaffen, wegen des Widerstands der konservativen Kräfte im Land bisher allerdings ohne Erfolg. Andere Vergehen werden von den übrigen Gerichten behandelt, die nach den Grundsätzen des islamischen Rechts, der Sharia, Recht sprechen. Sie legen sowohl fest, was als ein Vergehen gilt als auch wie es geahndet wird, vor allem in Fällen, bei denen die öffentliche Moral betroffen ist. Es mag wie Ironie klingen, dass Beschränkungen dieser Art seit 1998 und vor allem seit den letzten Präsidentschaftswahlen des Jahres 2001 zugenommen haben. So besteht denn eine der größten Paradoxien in Iran dieser Tage darin, dass die Konservativen bei der Abwehr des Volkswillens, wie er in den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen der Jahre 2000 und 2001 zum Ausdruck gekommen ist, außerordentlich erfolgreich waren.

Die Umkehr des Volkswillens

Im Mai 1997 sah sich das islamische Regime einem großen Dilemma gegenüber. Der völlig unerwartete Sieg von Mohammed Khatami bei den Präsidentschaftswahlen, bei denen er 67 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, während das Regime einen Sieg des Parlamentspräsidenten, Natek Nouri, erwartet hatte, zeigte, dass das Regime mit einer tiefen Vertrauenskrise konfrontiert war. Die überwältigende Mehrheit der Iraner, vor allem  der Jugend, wünschte ganz eindeutig ein Ende der materiellen und kulturellen Strenge und des Konservatismus des klerikalen Regimes. In die neue Regierung wurden deshalb enorme Hoffnungen gesetzt, auch wenn sich jeder bewusst war, dass die Konservativen die Macht nicht ohne weiteres abgeben würden.

Nach dem Wahlsieg flackerte für kurze Zeit die aufrichtige Hoffnung auf, dass es schließlich zu echten Reformen kommen würde, die zu wahrer Rechtsstaatlichkeit und zu geschützten, garantierten persönlichen Freiheiten führen würden. Doch die konservativen klerikalen Kreise innerhalb des Regimes in Teheran waren nicht bereit, so leicht aufzugeben. Während sie zunächst die augenfälligeren Zeichen von Reformen tolerieren mussten – eine zunehmend freie Presse und eine wachsende Lockerung der Restriktionen der öffentlichen Moral –, die mit zögernder Unterstützung des Obersten Religionsführers, Khamenei, durchgesetzt wurden, der Mitte 1989 an die Stelle von Ajatollah Khomeiny getreten war, bereiteten sich die Konservativen darauf vor, zurückzuschlagen.

Seit der Verhaftung und dem Gerichtsverfahren 1998 gegen den erfolgreichen und populären Bürgermeister von Teheran, Gholamhossein Karbaschi, verschlechterte sich die innenpolitische Situation beträchtlich. Das Vorgehen der Justiz gegen die Reformer innerhalb der Regierung wurde schärfer, und alle vorherigen Errungenschaften wurden rückgängig gemacht. Über 30 Zeitungen wurden verboten, um die Meinungsfreiheit zu unterdrücken. Die Justiz war dazu in der Lage, weil sie unter dem Schutz des Obersten Religionsführers steht. Der Präsident selbst kann nur wenig direkte Kontrolle ausüben und hat keinerlei Einfluss auf das Justizsystem, noch nicht einmal, um seine eigenen Minister zu schützen.

Verhaftungen

Der Ernst der gegenwärtigen Situation wird dadurch unterstrichen, dass in den zurückliegenden sechs Monaten konservative Kreise in Teheran im Umfeld des Revolutionsgerichtshofs die Verhaftung von 70 prominenten Reformern durchsetzen konnten, die verdächtigt werden, einen Staatsstreich gegen das islamistische Regime geplant zu haben. Sie bedrohten Mitglieder des Parlaments, das, obgleich ohnmächtig, jetzt ein Zentrum der Reformer ist, nachdem diese die Parlamentswahlen im Jahr 2000 gewonnen haben. Sie ließen altgediente Politiker ebenso verhaften wie frühere Aktivisten gegen das Schah-Regime.

Die zweite Amtseinführung von Präsident Khatami 2001 war dann Anlass für einen Konflikt zwischen Reformern und Konservativen, aus dem die Letzteren dank der Unterstützung durch den Obersten Religionsführer und den Anstandsrat siegreich hervorgingen. Die oberste Gewalt in Iran liegt nach wie vor beim erzkonservativen Wächterrat und bei dem pragmatischen Kopf und früheren Präsidenten, Hashemi Rafsanjani, über all denen als höchste Autorität Ajatollah Khamenei thront. Auf diese Art und Weise kann das überwältigende Votum des Volkes für Reformen von den Konservativen überstimmt werden und wird von ihnen – trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit – weiter unterdrückt.

Noch im Oktober 2001 setzten die Konservativen ihre Angriffe gegen die Gemäßigten fort und brachten weitere 70 Personen vor die Revolutionsgerichte. Dies wiederholte sich im darauf folgenden Monat, als auch 30 Mitglieder der „Freiheitsbewegung“ vor Gericht gestellt wurden. Viele der Angeklagten waren, wie es ein Kommentator ausdrückte, „Überbleibsel der Revolution“ und befanden sich bereits im Ruhestand. Doch die „Freiheitsbewegung“ stand dem radikalen und in Ungnade gefallenen Geistlichen Hussein Ali Montazeri nahe, in dem man den designierten Nachfolger von Ajatollah Khomeiny gesehen hatte, bevor er unter Hausarrest gestellt wurde, weil der die Zukunft der islamischen Republik in Frage gestellt hatte.

Machtlose Regierung

Obwohl Mohammed Khatami überredet werden konnte, sich am 8. Juni 2001 zur Wiederwahl zu stellen und mit einer noch größeren Mehrheit von 70 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen hat, ist er gegenüber dem Obersten Religionsführer, dem Wächterrat und dem Anstandsrat, die seine Entscheidungen und seine Politik rückgängig machen können, relativ machtlos. Es gibt sogar einen Vorschlag, die Macht, über die der Präsident noch verfügt,  dem Anstandsrat unter dem früheren Präsidenten Rafsanjani zu übertragen. Damit würde sichergestellt werden, dass alle reformerischen Bemühungen auf unbestimmte Zeit verschoben werden könnten.

Obwohl die Unruhe in der Bevölkerung wieder wächst, kann sie die Situation angesichts der Schwäche der formalen Regierung und der Mittel der Konservativen vorerst nicht wirklich verändern. Möglicherweise kann sie im Laufe der Zeit ausreichende Kraft entwickeln, um dies zu erreichen, zumal die Nachrichten über Unruhen sich mehren. Ende der ersten Januarwoche des Jahres 2002 fand in der Hauptstadt eine Demonstration von etwa 15 000 Lehrern statt – die dritte innerhalb von zwei Monaten. Lehrer gehören in Iran zu den konservativsten sozialen Gruppen, und ihre Proteste, die sich gegen Arbeitsbedingungen und Lehrpläne richteten, sind eine viel sagende Warnung vor weit verbreiteter Unzufriedenheit. Doch die Regierung ist immer noch zu schwach, um darauf mit Reformen zu reagieren – selbst wenn sie es wollte.

Die konservativen Angriffe auf Liberale innerhalb der iranischen Gesellschaft, jedoch außerhalb der Regierung, und sogar gegen die ausgeprägt liberalen Flügel innerhalb der Regierung, werden von den Gemäßigten in der Regierung zwiespältig beurteilt. Die Regierung ist nicht bereit, sich der konservativen Macht offen entgegenzustellen, da diese letztlich von der Autorität und dem Einfluss des Obersten Religionsführers geschützt wird. In dieser Unentschlossenheit liegt die größte Schwäche der Regierung Khatami, auch wenn sie mit Recht darauf verweist, dass eine entschlossenere Haltung Khamenei zu offener Opposition treiben und ihm die Unterstützung der Rafsanjani-Fraktion bringen würde, die gegenwärtig das Verbindungsglied zwischen Konservativen und Gemäßigten darstellt. Es muss allerdings gesagt werden, dass die Konservativen – trotz des Mangels an öffentlicher Unterstützung – bei der Wahrung ihres Besitzstands außerordentlich erfolgreich waren.

Ein Grund dafür liegt in der Person und in den früheren politischen Erfahrungen des Präsidenten. Man sollte nicht vergessen, dass Khatami in den achtziger und neunziger Jahren elf Jahre das Amt des Informationsministers innehatte, zu einer Zeit also, als die islamische Republik, insbesondere hinsichtlich der öffentlichen Moral und der freien Meinungsäußerung, außerordentlich restriktiv war. Auch wenn sich Khatami in dieser Position bemühte, die strengsten Restriktionen zu lockern – und infolgedessen entlassen wurde –, so befürwortet er dennoch die grundsätzliche Linie der öffentlichen Meinungsäußerung. Es ist ungewiss, ob diejenigen Reformen, die Iran so dringend braucht und nach denen sich seine Bevölkerung so sehr sehnt, von der neuen Regierung Khatami eingeleitet werden könnten, selbst wenn der Besitzstandswahrung der Konservativen ein Ende bereitet würde.

Kurz gesagt bleibt Iran genau so illiberal und politisch willkürlich, wie es dies in den vergangenen zwei Jahrzehnten gewesen ist, trotz aller Versprechungen von liberalen, reformerischen, aber letztlich machtlosen Politikern.

„Großer Satan“?

Neben dieser angespannten Lage im Innern sieht sich Iran jetzt auch einer zunehmend schwierigen internationalen Lage gegenüber – in erster Linie ein Ergebnis der Ereignisse des 11. September 2001. Dies kommt besonders deutlich zum Ausdruck in seinen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Die gegenwärtige Situation ist ein niederschmetternder Rückschlag für Khatamis Politik und zugleich Wasser auf den Mühlen der Konservativen, die lange Zeit argwöhnisch auf verbesserte Beziehungen mit der Außenwelt, insbesondere mit den Vereinigten Staaten geblickt haben. Sie werden Khatamis Leute verantwortlich machen für den schwindenden Einfluss des Landes in der Golf-Region und in Zentralasien, auch wenn sie wissen, dass Iran letztlich kaum eine andere Wahl hat, als den Kurs zu verfolgen, den Khatami skizziert hat. Fortgesetzte Feindschaft gegenüber den Vereinigten Staaten ist keine Erfolg versprechende politische Option mehr, auch wenn die USA ihrerseits daran festhält.

Mit dem Amtsantritt der Regierung Bush 2001 war trotz der bekannten Feindseligkeit der Republikaner gegenüber Iran eine kontinuierliche Verbesserung der Beziehungen erwartet worden, auch wenn sich die Geschwindigkeit vielleicht verlangsamt hätte. Die Regierung Bush ist schließlich eng verbunden mit der Ölindustrie, und Amerikas Wirtschaft würde nur zu gern wieder in Iran tätig werden. Eine größere internationale Einbindung Irans schien die Feindschaft wegen der früheren Unterstützung für Bewegungen, die amerikanischen Interessen entgegenstanden, zu mindern, und mit dem Ende der Krise in Libanon, wo Iran die Hisbollah unterstützt hat, schien eine weitere Ursache für Konflike beseitigt worden zu sein, auch wenn Irans Feindschaft gegenüber Israel andauert.

Darüber hinaus teilte Iran mit der neuen amerikanischen Regierung die tiefe Abneigung gegen Irak, obwohl beide Länder korrekte formale Beziehungen unterhielten. Iranische Diplomaten ließen ihre amerikanischen Kollegen diskret wissen, dass eine festere amerikanische Haltung gegenüber Irak in Teheran nicht unwillkommen wäre, dass allerdings eine direkte amerikanische Intervention nicht gern gesehen würde. Es gibt Grund zu der Annahme, dass Iran mit einem konservativeren und isolationistischeren Amerika leben könnte, das weiterhin behauptet, die Bedrohung durch iranische Raketen und Nuklearfähigkeit zu fürchten und damit seine eigenen Raketenabwehrprogramme rechtfertigt.

Ein erstes Anzeichen dafür, dass eine solche Annahme doch wohl unbegründet war, gab es im Juli 2001, als der amerikanische Kongress das Iran-Libyen-Sanktionsgesetz für den vollen Zeitraum von fünf Jahren verlängerte, anstatt das gesamte Projekt wegen Undurchführbarkeit fallen zu lassen. Dies kam überraschend, weil die Beziehungen Irans zu Europa sich trotz gelegentlicher Rückschläge erstaunlich rasch entwickelten und man annahm, dass amerikanische Firmen dabei nicht noch weiter zurückfallen wollten. Doch Iran bemühte sich weiter um bessere Beziehungen, und nach den Ereignissen des 11. September übermittelte Khatami, dabei vom Obersten Religionsführer unterstützt, umgehend seine Anteilnahme, während seine Regierung noch handfestere Unterstützung anbot, nachdem die amerikanischen Bedenken hinsichtlich der Taliban-Regierung in Afghanistan deutlich geworden waren.

Iran selbst hatte schließlich nur wenig übrig für die Taliban, vor allem, nachdem es 1998 nach der Ermordung von iranischen Diplomaten in Mazar-i-Sharif beinahe zum Krieg mit Afghanistan gekommen wäre. Tatsächlich war Iran in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zum wichtigsten auswärtigen Helfer der Nord­allianz gegen die Taliban geworden. Als die Al-Khaïda-Krise in Afghanistan ausbrach und ein amerikanischer Angriff immer wahrscheinlicher wurde, wies Iran seine afghanischen Gefolgsleute an, mit den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten. Es ist daher wenig erstaunlich, dass die Regierung Khatami und das Büro des Obersten Religionsführers im Gegenzug eine Verbesserung der Beziehungen zu Washington erwarteten, nicht zuletzt, weil sie erneut grünes Licht für mögliche amerikanische Initiativen gegen Irak gegeben hatten.

Selten ist die Ernüchterung so schnell eingetreten. Mit dem Ende des Krieges in Afghanistan wurde deutlich, dass Iran nach wie vor das Ziel amerikanischer Feindseligkeit blieb. Die Vereinigten Staaten beharrten auf ihrer Überzeugung, dass Iran zutiefst in den Terrorismus verstrickt sei, und schenkten israelischen Behauptungen Glauben, dass Iran aktiv am Waffenschmuggel für die Palästinenser beteiligt sei, obwohl dies in Teheran wiederholt dementiert wurde. In seiner Botschaft zur Lage der Nation1 erneuerte Präsident Bush Ende Januar 2002 den Vorwurf, dass Iran den internationalen Terrorismus unterstütze. Kurzum, die Beziehungen haben sich nachhaltig verschlechtert.

Ungewisse Zukunft

Iran hat darauf natürlich nicht mit Zurückhaltung reagiert. Die Beziehungen zu Irak bekamen – trotz weiter bestehender Abneigung – Auftrieb, und alle Behauptungen bezüglich einer Verwicklung in heimliche propalästinesische Aktivitäten wurden entschieden zurückgewiesen. Doch wird es nun wohl in Teheran eine gründliche Bestandsaufnahme geben, in deren Verlauf viele Annahmen der Regierung Khatami in der jüngsten Vergangenheit in Frage gestellt werden dürften. Für die konservative Fraktion ist diese Überprüfung der Voraussetzungen iranischer Außenpolitik ein Geschenk des Himmels, da sie dazu benutzt werden kann, die Gemäßigten zu schwächen und die vertrautere und bequeme radikale Sicht der ungestümen Tage der frühen achtziger Jahre neu zu beleben, als Amerika wirklich der „Große Satan“ war.

Doch die Welt hat sich verändert, und auch die Berater von Khatami wissen, dass die Vereinigten Staaten ein überaus mächtiger und potenziell bedrohlicher Gegner sind, mit dem Iran letztlich zu einer Einigung kommen muss. Iran mag sich weigern, sich bange machen zu lassen, aber es kann sich, trotz seiner enger werdenden Beziehungen zu Europa, nicht unbegrenzt weigern, sich zu engagieren. Es stellt sich allerdings die Frage, wie hoch der Preis für ein Ende der amerikanischen Feindseligkeit sein wird und ob Iran in der Lage ist, diesen Preis zu zahlen. Es erscheint gewiss, dass Iran größtmöglichen Nutzen aus den Zugeständnissen ziehen will, die es machen muss. Weniger gewiss erscheint, ob es sich dies leisten kann und wie hoch der Preis sein wird, den die gemäßigte Mehrheit in ihrem endlosen Kampf gegen ihre konservativen Widersacher wird zahlen müssen.

Anmerkung

1  Abgedruckt in Auszügen, S. 119 ff.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, März 2002, S. 32 - 38.

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